TE Bvwg Beschluss 2018/7/20 I405 2199593-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.07.2018
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Entscheidungsdatum

20.07.2018

Norm

AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I405 2199593-1/4E

I405 2152945-2/4E

BESCHLUSS

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2018, Zl. 15-1049446306-180247264, beschlossen:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz

stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, gesetzlich vertreten durch XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2018, Zl. 17-1771364903-171180411, beschlossen:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz

stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Verfahrensgang vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) ergibt sich aus den Verwaltungsakten. Die 1.-Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) ist Mutter der 2.-BF, beide sind Staatsangehörige von Nigeria.

2. Die 1.-BF stellte am 04.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

3. Mit Bescheid des BFA vom 10.03.2017 wurde der Antrag der 1.-BF auf internationalen Schutz vom 04.01.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde der 1.-BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z2 FPG 2005 erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei. Unter Spruchpunkt IV. wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

4. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.06.2017, Zl. I403 2152945-1/9E, als unbegründet abgewiesen. Die Entscheidung ist mit ihrer Zustellung am 03.07.2017 in Rechtskraft.

5. Die 2.-BF wurde am XXXX nachgeboren und stellte durch ihre Mutter als gesetzliche Vertretung am 17.10.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag erfolgte die niederschriftliche Erstbefragung der 1.-BF als gesetzliche Vertreterin zum Antrag der 2.-BF. Dabei gab sie an, dass die 2.-BF keine eigenen Verfolgungsgründe hätte.

6. Am 13.03.2018 stellte die 1.-BF einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Sie wurde am gleichen Tag einer niederschriftlichen Erstbefragung unterzogen und führte als Grund für ihren neuerlichen Antrag an, dass es für eine alleinstehende Mutter sehr schwer sei in Nigeria zu überleben. Zudem befürchte sie, dass ihre Tochter - wie sie - beschnitten werden würde.

7. Am 27.04.2018 wurde die 1.-BF einer niederschriftlichen Einvernahme unterzogen und zu den Gründen des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz einvernommen und wiederholte dabei ihre Angaben bei der Erstbefragung.

8. Mit angefochtenem Bescheid des BFA vom 27.05.2018, Zl. 15-1049446306-180247264, wurde der Antrag der 1.-BF auf internationalen Schutz vom 13.03.2018 gemäß § 68 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idgF. wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Antrag auf internationalen Schutz vom 13.03.2018 hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ebenfalls gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.).

9. Mit angefochtenem Bescheid des BFA vom 27.05.2018, Zl. 1771364903-171180411, wurde der Antrag der 2.-BF auf internationalen Schutz ebenfalls gemäß § 68 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idgF. wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Antrag auf internationalen Schutz vom 17.10.2017 hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde auch gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der 2.-BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die 2.-BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der 2.-BF gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1a FPG wurde der 2.-BF keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass es sich bei dem Vorbringen hinsichtlich der befürchteten Beschneidung um keinen nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens der Mutter der 2.-BF neu entstandenen Sachverhalt handle, da es bereits im Erstverfahren der 1.-BF bekannt gewesen sei. Da sie offensichtlich selbst beschnitten sei, sie aber davon nichts im Erstverfahren berichtet habe, könne den jetzigen Behauptungen einer aktuell drohenden Verfolgung auch kein glaubhafter Kern zugestanden werden. Zudem handle sich hierbei um eine beträchtliche Vorbringenssteigerung. Von der erkennenden Behörde hätte kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden können. Die Begründung des neuerlichen Asylantrages reiche somit nicht aus, einen neuen gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen.

10. Gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2018 erhoben beide BF fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge gravierender Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die 1.-BF im gegenständlichen Verfahren einen neuen Sachverhalt geltend gemacht habe, der nach Rechtskraft des Erstverfahrens eingetreten und somit von entschiedener Sache nicht erfasst sei. Die BF würden im Falle ihrer Rückkehr in eine ausweglose geraten, da die 1.-BF alleinerziehende Mutter sei und über kein familiäres Netz verfüge. Zudem habe die 2.-BF noch keine Entscheidung erhalten, was gegen die Vorschriften betreffend das Familienverfahren verstoße. Insoweit im Bescheid der 1.-BF ausgeführt werde, dass der Antrag der 2.-BF auf internationalen ebenfalls wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werde, sei dies rechtswidrig, da diese bisher einen einzigen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Darüber hinaus habe das BFA es unterlassen, auf das Vorbringen betreffend die befürchtete Beschneidung der 2.-BF einzugehen. Die Argumentation des BFA, dass es sich bei der befürchteten Beschneidung der 2.-BF nicht um einen neuen Sachverhalt handle, da die 1.-BF zum Zeitpunkt ihres Verfahrens gewusst hätte, dass sie beschnitten gewesen sei, sei nicht nachvollziehbar, da die 1.-BF nicht Probleme wegen ihrer eigenen Beschneidung vorgebracht habe, sondern die Beschneidung ihrer Tochter befürchte, die nach der rechtskräftigen Entscheidung im ersten Verfahren der 1.-BF geboren worden sei.

11. Nach einer Unzuständigkeitseinrede wurde der Akt am 02.07.2018 der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 VwGVG trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß Abs. 2 leg. cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Da die 1.-BF Mutter der 2.BF ist, sind die gegenständlichen Verfahren als Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 zu führen.

Zu A)

Gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG ist das Verfahren zuzulassen, wenn das BVwG der Beschwerde gegen die Entscheidung, mit der ein Antrag im Zulassungsverfahren zurückgewiesen wurde, stattgibt.

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.9.1994, 94/08/0183; 30.5.1995, 93/08/0207; 9.9.1999, 97/21/0913; 7.6.2000, 99/01/0321).

"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 9.9.1999, 97/21/0913;

27.9.2000, 98/12/0057; 25.4.2002, 2000/07/0235; 17.9.2008, 2008/23/0684; 11.11.2008, 2008/23/1251; 19.2.2009, 2008/01/0344;

6.11.2009, 2008/19/0783). Werden nur Nebenumstände modifiziert, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, so ändert dies nichts an der Identität der Sache. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. zB VwGH 27.9.2000, 98/12/0057; 25.4.2007, 2004/20/0100; 17.9.2008, 2008/23/0684; 19.2.2009, 2008/01/0344; 6.11.2009, 2008/19/0783). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und hat sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht geändert, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen. Stützt sich ein Asylantrag auf einen Sachverhalt, der verwirklicht worden ist, bevor das Verfahren über einen (früheren) Antrag beendet worden ist, so steht diesem (späteren) Antrag die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.6.1998, 96/20/0266). Soweit nicht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder das Bundesasylamt, sondern der Asylgerichtshof oder das Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig entschieden hat, ist Maßstab nicht ein Bescheid, sondern die Entscheidung dieses Gerichtes.

Gegenüber neu entstandenen Tatsachen (novae causae supervenientes; vgl. VwGH 20.2.1992, 91/09/0196) fehlt es an der Identität der Sache; neu hervorgekommene Tatsachen (oder Beweismittel) rechtfertigen dagegen allenfalls eine Wiederaufnahme iSd § 69 Abs. 1 Z 2 AVG bzw. des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG (wegen nova reperta; zur Abgrenzung vgl. zB VwGH 4.5.2000, 99/20/0192; 21.9.2000, 98/20/0564; 24.8.2004, 2003/01/0431; 4.11.2004, 2002/20/0391), bedeuten jedoch keine Änderung des Sachverhaltes iSd § 68 Abs. 1 AVG. Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes ausgeschlossen, sondern auch dann, wenn dasselbe Begehren auf Tatsachen und Beweismittel gestützt wird, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben (VwGH 30.9.1994, 94/08/0183 mwN; 24.8.2004, 2003/01/0431; 17.9.2008, 2008/23/0684).

Zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen iSd § 18 Abs. 1 AsylG 2005 - kann die Behörde jedoch nur durch eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes berechtigt und verpflichtet werden, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls sie festgestellt werden kann - zu einem anderen Ergebnis als das erste Verfahren führen kann (VwGH 4.11.2004, 2002/20/0391, mwN zur gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 18 Abs. 1 AsylG 2005, nämlich § 28 Asylgesetz 1997 BGBl. I 76; 17.9.2008, 2008/23/0684; weiters VwGH 6.11.2009, 2008/19/0783). Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den diese positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung, ob der (neuerliche) Asylantrag zulässig ist, mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Antragstellers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben ihre Ermittlungen, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; 24.2.2000, 99/20/0173; 19.7.2001, 99/20/0418; 21.11.2002, 2002/20/0315; vgl. auch VwGH 9.9.1999, 97/21/0913; 4.5.2000, 98/20/0578; 4.5.2000, 99/20/0193;7.6.2000, 99/01/0321; 21.9.2000, 98/20/0564; 20.3.2003, 99/20/0480;4.11.2004, 2002/20/0391; vgl. auch 19.10.2004, 2001/03/0329;31.3.2005, 2003/20/0468; 30.6.2005, 2005/18/0197; 26.7.2005, 2005/20/0226; 29.9.2005, 2005/20/0365; 25.4.2007, 2004/20/0100; 17.9.2008, 2008/23/0684; 19.2.2009, 2008/01/0344). Wird in einem neuen Asylantrag eine Änderung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides (Vorerkenntnisses) einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen und berechtigt die Behörde dazu, ihn zurückzuweisen (VwGH 4.5.2000, 99/20/0192).

Auch wenn das Vorbringen des Folgeantrages in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den Behauptungen steht, die im vorangegangenen Verfahren nicht als glaubwürdig beurteilt worden sind, schließt dies nicht aus, dass es sich um ein asylrelevantes neues Vorbringen handelt, das auf seinen "glaubhaften Kern" zu beurteilen ist. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der neu behaupteten Tatsachen von Bedeutung sein, macht eine neue Beweiswürdigung aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar unzulässig, etwa in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden. "Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem rechtskräftigen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit" (VwGH 29.9.2005, 2005/20/0365; 22.11.2005, 2005/01/0626; 16.2.2006, 2006/19/0380; vgl. auch VwGH 4.11.2004, 2002/20/0391; 26.7.2005, 2005/20/0343; 27.9.2005, 2005/01/0363; 22.12.2005, 2005/20/0556; 22.6.2006, 2006/19/0245; 21.9.2006, 2006/19/0200; 25.4.2007, 2005/20/0300; vgl. weiters VwGH 26.9.2007, 2007/19/0342).

Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nichts anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtskräftigen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Bei der Prüfung, ob Identität der Sache vorliegt, ist vom rechtskräftigen Vorbescheid (Vorerkenntnis) auszugehen, ohne seine sachliche Richtigkeit - nochmals - zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. zB VwGH 15.10.1999, 96/21/0097; 25.4.2002, 2000/07/0235).

Ob ein neuerlicher Antrag wegen geänderten Sachverhaltes zulässig ist, darf nur anhand jener Gründe geprüft werden, welche die Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht hat; in der Berufung (jetzt: Beschwerde) gegen den Zurückweisungsbescheid dürfen derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (vgl. zB VwSlg. 5642 A/1961; 23.5.1995, 94/04/0081; 15.10.1999, 96/21/0097; 4.4.2001, 98/09/0041; 25.4.2002, 2000/07/0235). Allgemein bekannte Tatsachen hat das Bundesasylamt jedoch als Spezialbehörde von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. VwGH 7.6.2000, 99/01/0321; 29.6.2000, 99/01/0400; 15.9.2010, 2008/23/0334 mwN; 15.12.2010, 2007/19/0265).

"Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder - falls entschiedene Sache vorliegt - das Rechtsmittel abzuweisen oder - falls dies nicht zutrifft - den bekämpften Bescheid zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelbehörde darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.5.1995, 93/08/0207).

Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit nur die Frage, ob das BFA zu Recht den Folgeantrag der 1.-BF und den Erstantrag der 2.-BF Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat:

Im gegenständlichen Verfahren hat die 1.-BF vorgebracht, dass sie als alleinerziehende Mutter ohne familiäres Netz in Nigeria in eine ausweglose geraten würde und daher den gegenständlichen Antrag stelle. Das BFA hat dieses Vorbringen nicht als neuen Sachverhalt eingestuft, da dies von der Rechtskraft des Erstverfahrens der 1.-BF umfasst sei. Der Beschwerde ist jedoch beizupflichten, dass die 2.-BF nach Rechtskraft des Erstverfahrens auf die Welt gekommen ist und die Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.07.2017 nicht einen Sachverhalt erfassen kann, der sich nach der Erlassung dessen geändert hat (VwGH 18.4.1951 Slg 2054 A). Somit hätte das BFA sich mit dem neuen Sachverhalt inhaltlich auseinandersetzen müssen.

Zudem machte die 1.-BF hinsichtlich der 2.-BF eine befürchtete Beschneidung geltend. Das BFA wertete diese Vorbringen ebenfalls nicht als einen neuen Sachverhalt und ging von entschiedener Sache aus. Hinsichtlich des Antrages der 2.-BF auf internationalen Schutz ist in Übereinstimmung mit der Beschwerde jedoch zu konstatieren, dass aufgrund der erstmaligen Antragstellung naturgemäß keine entschiedene Sache vorliegen kann. Anstatt das erstmals getätigte Vorbringen betreffend die 2.-BF einem glaubhaften Kern zu unterziehen, hätte das BFA die Mutter der 2.-BF, nämlich die 1.-BF, näher zu der befürchteten Beschneidung der 2.-BF befragen müssen, um sodann eine inhaltliche Entscheidung treffen zu können.

Insofern die belangte Behörde zur befürchteten Beschneidung argumentiert, dass der 1.-BF vor Abschluss ihres Erstverfahrens ihre eigene Beschneidung bekannt gewesen sei, weshalb kein neuer Sachverhalt vorliege, verkennt sie wiederum, dass die 1.-BF ihre Person betreffend keine Befürchtung in dieser Hinsicht vorbringt. Auch kann von ihr nicht erwartet werden, dass sie für ihr noch nicht geborenes Kind potenzielle Verfolgungsszenarien geltend macht. Es ist einem rechtsunkundigen, sprachunkundigen Fremden auch nicht zumutbar, zu erkennen, welche Gründe zur Asylgewährung führen können und welche nicht.

Vor dem Hintergrund der von der belangten Behörde getroffenen Länderfeststellungen zur Genitalverstümmelung in Nigeria, könnte der 2.-BF eine solche bei einer Rückkehr drohen, was unter Umständen als asylrelevante Verfolgung zu qualifizieren wäre. Das Bundesamt hat im vorliegenden Verfahren keine relevanten Ermittlungen zu dieser Fragestellung getätigt und hat eine ausreichende Einvernahme bzw. Recherchen nicht vorgenommen, in der das Risiko der 2.-BF, einer Genitalbeschneidung unterzogen zu werden, geprüft wird.

Dem erkennenden Gericht ist es verwehrt, über das Vorbringen des 2.-BF erstmals inhaltlich zu entscheiden, weshalb der angefochtene Bescheid zu beheben war.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesamt 2.-BF niederschriftlich ausführlich insbesondere zum Themenkomplex der Gefahr einer weiblichen Genitalverstümmelung zu befragen und den entscheidungswesentlichen Sachverhalt durch allfällige weitere Ermittlungen zu erheben haben. Aufgrund des zu behandelnden Themenbereichs der weiblichen Genitalverstümmelung wird die Einvernahme von einer weiblichen Organwalterin unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin durchzuführen sein. Unter Wahrung des Grundsatzes der amtwegigen Ermittlungspflicht und des Parteiengehörs wird die belangte Behörde auch aktuelle Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat treffen, das Vorbringen der gesetzlichen Vertretung vor dem Hintergrund der aktuellen Lage im Herkunftsstaat würdigen und schließlich die rechtlichen Konsequenzen daraus ziehen müssen. Zudem wird die belangte Behörde zu prüfen haben, inwieweit die 1.-BF trotz der der 2.-BF drohenden Genitalverstümmelung im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria auf ihr familiäres Netzwerk zurückgreifen können wird, um sodann zu einer Entscheidungsfindung zu gelangen.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass die angefochtenen Bescheide zu beheben waren.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A wiedergegeben. (vgl. die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere VwGH vom 26.6.2014 zu Zl. 2014/03/0063).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Familieneinheit, Familienverfahren, neu
entstandene Tatsache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I405.2199593.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.08.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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