TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/23 W187 2164372-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

23.07.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2164372-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund befragt an, dass er, als er auf der Militärschule in Kabul gewesen sei, auf dem Weg zu seiner Mutter von den Taliban aufgehalten worden zu sein. Als sie gemerkt haben, dass der Beschwerdeführer auf der Militärschule sei, haben sie ihn in ein Lager verschleppt. Als es zu Gefechten gekommen sei, habe der Beschwerdeführer gemeinsam mit vielen anderen Gefangenen die Möglichkeit zur Flucht in den Iran gehabt. Nach ca. 2,5 Jahren illegalem Aufenthalt im Iran habe er sich entschlossen, nach Österreich zu flüchten.

2. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, am XXXX im Distrikt XXXX , Provinz Ghazni, Dorf XXXX geboren worden zu sein. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischer Moslem. Er habe in Ghazni neun Jahre die Schule besucht und sei in weiterer Folge auf die Militärschule in Kabul gegangen. Während seines zweieinhalbjährigen Aufenthaltes habe er in der Nähe von Teheran gelebt und als Tischler gearbeitet. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab er an, nach fünf Monaten beim Militär Ausgang bekommen zu haben, den er genutzt habe, um seine kranke Mutter zu besuchen. Als es seiner Mutter wieder besser gegangen sei, sei er nach Kabul zurückgekehrt. Er habe im Bus keinen Platz mehr gefunden, weshalb er mit einem Auto mitgefahren sei. Die Insassen dieses Autos seien von Taliban aufgehalten und kontrolliert worden. Es sei in seinem Rucksack sein Militärausweis gefunden worden. Der Beschwerdeführer und eine weitere Person seien von den Taliban mitgenommen worden, es sei ihnen die Augen verbunden worden und dem Beschwerdeführer die Hände gefesselt worden. Als der Beschwerdeführer Schüsse gehört habe, habe der zweite Gefangene gemeint, dass sie nun die Möglichkeit haben zu flüchten, was sie auch getan haben. Der Beschwerdeführer sei mit dem Autobus nach Kandahar gelangt, wo er einen Schlepper gefunden habe, mit dem er in den Iran gelangt sei.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

4. Mit Eingabe vom 10.7.2017 erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch seine Rechtsberaterin, fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid.

5. Am 3.5.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines Rechtsberaters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag und seiner Beschwerde einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete schriftlich auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Geben Sie Ihre Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin im Jahr XXXX geboren, in der Provinz Ghazni, Distrikt XXXX , im Dorf XXXX .

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche schon ein wenig Deutsch, ich halte mich seit etwa zwei Jahren hier auf. Meine Muttersprache ist Dari. Ja, ich kann in meiner Muttersprache lesen und schreiben.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin Schiite, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und bin ledig.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein, ich bin ledig und habe keine Frau.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich habe das ganze Leben in Afghanistan verbracht, nur zweieinhalb Jahre habe ich im Iran gelebt. Ich habe nur fünf Monate in Kabul gelebt, sonst habe ich nur in meinem Heimatdistrikt gelebt.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: In Afghanistan haben wir in einem Lehmhaus gelebt, das uns gehörte.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: In Afghanistan habe ich nur bis zur neunten Schulstufe die Schule besucht. Nach der neunten Klasse habe ich mich bei der Nationalarmee angemeldet. Fünf Monate war ich in Ausbildung bei der Nationalarmee, danach habe ich Afghanistan verlassen.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Sie wohnen im Distrikt XXXX im Ursprungsort, damit meine ich meine Mutter und meinen Bruder. Mein Vater ist bereits verstorben.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Ja. Alle zwei Monate sprechen wir miteinander.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Mit Angehörigen habe ich keinen Kontakt. Ich habe aber Freunde dort, zu denen noch Kontakt habe.

Richter: Wollen Ihre Eltern und Geschwister auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich besuche zurzeit nur einen Deutschkurs. Seit ca. sechs oder sieben Monaten lebe ich in XXXX , davor habe ich in der XXXX , XXXX im XXXX gelebt. Dort wo ich untergebracht war, gab es nur drei Häuser.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja. Ich habe hier afghanische und österreichische Freunde. Beim Fußball spielen habe ich sie kennen gelernt.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Zuvor war ich in einem Fußballverein und zwar in dem Dorf XXXX . Damals hatte ich noch einen Spielerpass. Ich habe nur mit Österreichern zusammen gespielt.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Ich habe nach der neunten Schulstufe die Schule aufgegeben. Danach habe ich die Aufnahmeprüfung für die Nationalarmee abgelegt und bestanden. Dort habe ich etwa viereinhalb bis fünf Monate eine Ausbildung erhalten. Nach diesen etwa fünf Monaten ist meine Mutter erkrankt, mein Bruder hat angerufen und mir erzählt dass unsere Mutter krank ist. Ich musste nach XXXX fahren. Ich bin dort zu meiner Mutter, zwei Tage habe ich dort verbracht. Die Woche darauf musste ich nach Kabul zurückfahren, weil ich meine Prüfung ablegen musste. Nach zwei Tagen Aufenthalt habe ich meine Reise wieder angetreten. In der Ortschaft XXXX , die hauptsächlich von Paschtunen besiedelt ist, angehalten. Ich war in einem Sammelfahrzeug unterwegs. Ich musste aussteigen. Sie wollten meine Tazkira sehen. Die Original-Tazkira hatte ich zuhause, ich hatte lediglich eine Kopie bei mir. Ein Talib hat die Tazkira angesehen und mich aufgefordert, mich in ein Eck zu stellen. Noch ein anderer Mann musste sich zu mir hinstellen, die anderen durften weiterfahren. Die anderen sind nach Kabul weitergefahren. Unsere Hände wurden gefesselt. Uns wurden auch Augenbinden angebracht. Ich habe gesehen, dass drei Motorräder vorgefahren sind. Wir mussten uns drauf setzen, mit diesen Motorrädern sind wir geschätzte halbe Stunde gefahren. In ein Haus, das zerfallen war, dort wurden wir untergebracht. Als wir in das Haus hineingingen, wurde uns die Augenbinde abgenommen. Während der Fahrt und drinnen in dem Haus waren unsere Hände gefesselt, nur die Augenbinde wurde uns abgenommen. Es wurde Nacht, zwischen elf oder zwälf Uhr in der Nacht. Wir haben dann Essen bekommen, Reis. Das Essen hatte kein Öl und war kalt. Ich habe das Essen gegessen. Ich hatte Hunger. Dann ist einer der Männer gekommen, um das Geschirr wegzuräumen, er hat meine Hände gefesselt und wollte die Hände des anderen Mannes auch fesseln. Es ist draußen zu einem Schusswechsel gekommen. Dieser andere Mann, ein Freund von mir, dessen Hände nicht gefesselt waren. Der Talib ist nach draußen gelaufen. Mein Freund sagte zu mir, steh¿ auf, das ist die Gelegenheit, um von hier weg zu kommen. Wir sind nach vorne gelaufen, allerdings waren die Türen zugesperrt. Die Türe hatte einen Riegel. Wir haben mit ganzer Gewalt die Türe gezogen. So konnten wir die Türe aufreißen. Nachdem wir die Türe aufgerissen haben, sind wir beide geflüchtet. Wir sind etwa drei oder vier Stunden gelaufen und gegangen ohne eine Pause zu machen. Wir sind dann in einer Gegend angekommen, wo viel Gemüse angebaut wird. Dort gab es einen Hügel, mein Freund hat dann zu mir gesagt, wir müssen weitergehen. Hinter dem Hügel sind wir sicherer vor den Taliban. Als wir hochgestiegen sind und vom Hügel herabgesehen haben, haben wir gesehen, dass ein Fahrzeug dort vorbeifährt. Mein Freund hat zu mir gesagt, wir steigen herab. Am Straßenrand werden wir versuchen per Anhalter weiterzukommen. Ein Bus hat angehalten, wir sind dann eingestiegen. Mein Freund ist hinter dem Fahrer gesessen. Im Fahrzeug gab es im hinteren Teil noch einen Sitzplatz. Wir konnten die Fahrt nicht bezahlen, da die Taliban uns alles abgenommen haben. Im Bus habe ich mich mit meinem Sitznachbarn unterhalten und ihn darum gebeten meine Fahrt zu bezahlen. Ich habe erzählt, was mir zugestoßen ist. Dieser Bus war nach Kandahar unterwegs, der Mann war sehr gnädig. Er sagte, ich soll mir über die Fahrtkosten keine Sorgen machen. Ich bin dann in Kandahar angekommen, dort ausgestiegen. Dieser Mann hat die Fahrt bezahlt. Er hat mir auch ein Hotel gezahlt, wo Schlepper verkehren, damit ich weiter in den Iran komme. Dieser Mann hat mir auch sein Telefon gegeben, damit ich zuhause anrufen kann. Ich habe dann meiner Mutter erzählt, was mir alles zugestoßen ist. Ich habe meine Mutter darum gebeten, mir die Telefonnummer meines Cousins mütterlicherseits zu geben, der im Iran lebt. Meine Mutter hat mir die Nummer gegeben. Im Hotel habe ich dann einen Schlepper gefunden. Ich habe in der Rezeption gesagt, dass ich nach der Suche nach einem Schlepper bin, da ich weiter in den Iran reisen möchte. Der Hotelbesitzer hat mir dann einen Mann vorgestellt. Der Schlepper hat dann zu mir gesagt, fünf andere Männer wollen auch in den Iran reisen, mit dir sind es sechs Personen. Morgen brechen wir zeitlich auf. Ich habe mit ihm vereinbart, dass er mich in den Iran bringt. Ich habe meinem Schlepper gesagt, dass ich ihn nicht sofort bezahlen kann, er meinte, wenn ich kein Geld habe, kann er mich auch nicht in den Iran bringen. Ich habe ihm gesagt, dass ich einen Cousin habe, der im Iran lebt. Ich habe auch seine Telefonnummer. Er hat dann die Nummer meines Cousins genommen und ihn selbst angerufen. Er hat mich zuerst sprechen lassen. Ich habe meinem Cousin erzählt, was mir zugestoßen ist und das ich weiter in den Iran kommen möchte. Ich habe ihm gesagt, dass ich in den Iran muss, ob er mir dabei helfen kann, den Schlepper zu bezahlen. Er war damit einverstanden, auch der Schlepper wollte das nochmal hören. Der Schlepper hat dann mit meinem Cousin vereinbart, dass er ihn im Teheran ausbezahlen wird. Der Schlepper hat zu mir gesagt, er verlangt für die Schleppung 1,5 Millionen iranische Toman. Der Schlepper hat mir vor Ort 3000 Afghani gegeben und gesagt, ich soll mir damit essen kaufen gehen. Um zwei Uhr in der Früh haben wir unsere Reise nach Nimroz begonnen. Um zehn Uhr am Vormittag sind wir dort angekommen. Die anderen waren bereits im Iran und kannten sich in Nimroz aus. Wir waren dann in einem Hotel und haben dort zu Mittag gegessen. Am Nachmittag haben wir unsere Afghani in Toman gewechselt, damit wir uns Wasser kaufen können. Am nächsten Tag um sieben Uhr in der Früh sind wir von dort aus weggefahren, damit wir in den Iran kommen können. Etwa sieben Tage habe ich mich im Grenzgebiet zu Iran aufgehalten, dann bin ich zu meinem Cousin mütterlicherseits gekommen. Zweieinhalb Jahre habe ich im Iran gelebt, und dann habe ich meine Reise nach Europa angetreten.

Richter: Warum haben Sie den Iran verlassen?

Beschwerdeführer: Wenn man im Iran keine Dokumente besitzt, wird man von den Polizisten zurückgeschoben. Wenn die Polizisten mich aufgegriffen hätten, hätten sie mich nach Afghanistan abgeschoben. In Afghanistan war mein Leben in Gefahr.

Richter: Sind Sie jemals außer dem geschilderten Vorfall persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Ich werde von den Taliban bedroht, sie haben mir meine Tazkira abgenommen, sie werden mich nicht am Leben lassen. Darüber hinaus bin ich vom Islam abgefallen, ich bin ohne Bekenntnis. In Afghanistan kann man nicht ohne Bekenntnis leben.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Ich habe meine Reise aus dem Iran angetreten. Mein Cousin hat mir geholfen, einen Schlepper zu finden. Ich bin zuerst in die Türkei gekommen und dann mit einem Schlauchboot nach Griechenland. Ich bin dann über andere Länder wie Mazedonien, Serbien, Kroatien, direkt zuerst nach Deutschland gekommen. In Österreich wurde ich nicht angehalten. In Deutschland wurde ich gefragt, was mein Zielland war. Ich habe den Beamten gesagt, dass ich nach Österreich möchte. Dort habe ich mir eine Fahrkarte gekauft und bin zuerst nach Wien gekommen und von dort aus weiter nach Traiskirchen.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Die zweieinhalb Jahre, die ich im Iran gearbeitet habe, habe ich für meinen Cousin gearbeitet, somit hatte er die Reisefinanzierung.

Richter: Was haben Sie für Ihren Cousin gemacht?

Beschwerdeführer: Ich habe als Tischler gearbeitet.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde.

Beschwerdeführer: Ich habe eine negative Entscheidung bekommen. Afghanistan kümmert sich nicht um meine Sicherheit. Ich habe dann eine Beschwerde eingebracht, ich konnte es nicht verstehen, warum man mir eine negative Entscheidung gegeben hat. Mir wurde vom Referenten gesagt, dass ich für ihn nicht glaubwürdig bin, denn es sei für ihn unmöglich, dass ich mit siebzehn Jahren die Ausbildung bei der Nationalarmee begonnen hätte. Ich wurde gefragt, welche Fächer unterrichtet worden sind. Ich habe ihm erzählt, dass Schulfächer wie Chemie, Biologie, Dari usw. unterrichtet worden sind. Um genauer zu sein wurden 14 Fächer unterrichtet. Zusätzlich gab es noch ein Fach. Man hat uns zusätzlich eine militärische Ausbildung gegeben. Das alles kann man überprüfen. Bei der Einvernahme habe ich alles erzählt, man hat mich trotzdem für unglaubwürdig erklärt.

Richter: Warum haben Sie sich nach dem Vorfall nicht in den Schutz des Militärs zurückgegeben?

Beschwerdeführer: Ich konnte weder in meine Gegend zurückkehren, noch nach Kabul fahren. Dieser Bus war meine Rettung, weil wir nach Kandahar gekommen sind. Ich hatte Angst am Weg nach Kabul wieder angehalten zu werden. Die Taliban hatten nicht nur die Kopie von meiner Tazkira, sondern auch die Kopie meines Ausweises von der Militärschule.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Wenn Sie mich nach Afghanistan zurückschicken, dann bin ich mir sicher, dass ich dort nicht lange am Leben bleiben werde, weil die Taliban meine Tazkira und meinen militärischen Ausweis haben. Darüber hinaus bin ich vom Islam abgefallen. Menschen aus meiner eigenen Volksgruppe werden mich steinigen und es nicht dulden, dass ich den Islam nicht praktiziere.

Richter: Wie äußert sich der Abfall vom Islam und wie können die Menschen in Afghanistan erkennen, dass Sie vom Islam abgefallen sind?

Beschwerdeführer: Ich verrichte weder das Gebet, noch faste ich, noch bezahle ich die verpflichtende Spende an die Armen. Wenn ich nicht das Gebet verrichte und nicht wie die Allgemeinheit faste, bekommt man das dort schnell mit.

Richter: Können sie nicht einfach in Kabul auf militärischem Weg zurückkehren?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Warum nicht?

Beschwerdeführer: Weil die Taliban überall ihre Spione haben. Wenn die Taliban erfahren, dass ich zurückgekehrt bin, werden sie mich nicht am Leben lassen. Darüber hinaus kann ich nicht immer mich in der Militärakademie versteckt halten. Ich kann nicht ein Leben lang mich in der Militärschule verschanzen. Wenn ich wieder in meine Ortschaft zurückgefahren wäre, hätten mich die Paschtunen, sie sind alle Taliban, wieder angehalten. Sie hätten mich wieder in Gefangenschaft genommen.

Rechtsvertreterin: Warum sind Sie von der islamischen Glaubensrichtung abgetreten?

Beschwerdeführer: Ich möchte nichts mehr mit dem Islam zu tun haben. Für mich ist diese Religion eine Lüge. Der Islam bedeutet Krieg, wenn man sich die Länder Afghanistan, Syrien und den Irak ansieht. Der Islam bedeutet Selbstmordanschlag, das sieht man auch tagtäglich in Kabul. Der Islam bedeutet, dass die Menschen zwar eine Pilgerfahrt machen und genau wissen, dass die Nachbarn verhungern und das Geld nicht für sie ausgeben. Der Islam bedeutet eine Vergewaltigung von kleinen Mädchen, auch in den Moscheen, so ist es in Afghanistan. Der Islam bedeutet Respektlosigkeit gegenüber Frauen. Die politische Gruppierung Hezb-E-Islami wird von einem Anführer namens Hekmatyar geführt. Dieser Anführer sagt, dass Anschläge erlaubt seien im Islam. Im Islam ist es so, wenn ein Mann ausreichend Geld hat, kann er bis zu vier Frauen haben.

Rechtsvertreterin: Laut Staatendokumentation vom 2.3.2017 ergibt sich, dass Abkehr vom Islam nach Scharia-Recht strafgefährdet ist, laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung wird für Apostasie Enthauptung als angemessene Strafe für Männer angesehen. Deswegen befürchtet der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus Gründen von Religion verfolgt zu werden.

Richter: Woran erkenne ich, dass Sie vom Islam abgefallen sind? Sind sie einer anderen Glaubensrichtung beigetreten?

Beschwerdeführer: Ich verrichte weder das Gebet, noch faste ich. Zurzeit bin ich ohne Bekenntnis und gehöre keiner Glaubensrichtung an. Im Islam ist es so, dass man das Gebet verrichten muss, fasten muss und gewisse Regeln einhalten muss.

Der Beschwerdeführer legt keine weiteren Beweisanträge vor.

..."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger, nach eigenen Angaben geboren am XXXX und somit volljährig, und stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer spricht Dari und kann diese Sprache auch lesen und schreiben. Er ist ledig und hat keine Kinder. Er lebte sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise in der Provinz Ghazni im Distrikt XXXX . Der Beschwerdeführer lebte in seinem Heimatdistrikt gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern und besuchte dort neun Jahre die Schule. Vor seiner Ausreise nach Europa lebte er circa zweieinhalb Jahre im Iran. Er ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und mit den afghanischen Sitten und Traditionen vertraut. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2015 verließ der Beschwerdeführer den Iran und reiste nach Europa. Die Familie des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer verfügt außerhalb seiner Heimatprovinz über keine sozialen Anknüpfungspunkte.

1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich weder bedroht noch verfolgt.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan weder auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara noch auf Grund seiner Religionszugehörigkeit als schiitischer Moslem eine konkret gegen ihn gerichtete psychische bzw physische Gewalt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt war oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan, zu befürchten hätte.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vom islamischen Glauben abgefallen ist.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw der Gefährdung seines Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

Zudem konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Kabul nicht im Stande wäre, für ein ausreichendes Auskommen und eine Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

1.3 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer hält sich seit XXXX in Österreich auf. Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

Der Beschwerdeführer besucht in Österreich einen Deutschkurs und spielt Fußball.

In Österreich leben keine nahen Verwandten oder sonstige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, zuletzt aktualisiert am 30.1.2018):

1.4.1 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q4.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017). Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT11.12.2017). Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sichvon einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindliche Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahreine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017). Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl Telegraph 31.10.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahrschwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017). (Guardian 7.11.2017)

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der ISzu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe "Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Ein erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US amerikanischenKräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017). Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017)

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

1.4.2 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q3.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrererDistriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017). Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderem gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017). Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017).

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

1.4.3 Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl Max Planck Institute 27.1.2004). Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl CRS 12.1.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017). Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl auch: CRS 12.1.2017). Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu- Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016). Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015). Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten