TE OGH 1984/10/4 8Ob59/84

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.10.1984
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Adelheid G*****, vertreten durch Dr. Willibald Rath, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1.) Adolf R*****, vertreten durch Dr. Walter Wolf, Rechtsanwalt in Bruck/Mur, 2.) Dr. Roswitha N*****, vertreten durch Dr. Erwin Gstirner, Rechtsanwalt in Graz, wegen 28.533 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 3. April 1984, GZ 6 R 49/84-37, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 23. Dezember 1983, GZ 17 Cg 192/82-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Erstbeklagte und die Zweitbeklagte sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit 4.868,46 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin die Barauslagen von 360 S, die USt von 409,86 S) und die mit 3.186,16 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von 480 S, USt von 246,01 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 21. 6. 1981, gegen 4:00 Uhr früh, bei endender Dunkelheit, kam es in G***** vor dem Hause der Zweitbeklagten A***** zu einem Verkehrsunfall. Der Sohn der Klägerin Alfred G***** jun stieß mit dem der Klägerin gehörigen PKW Ford Taunus gegen einen auf der Liegenschaft der Zweitbeklagten abgestellten, gefüllten Container des Erstbeklagten, der in die Fahrbahn der A***** ragte. Die Klägerin erlitt hiedurch einen Fahrzeugschaden von 85.000 S und hatte Abschleppkosten von 600 S.

Die Klägerin begehrte von den beiden Beklagten zur ungeteilten Hand den Ersatz von einem Drittel ihres Schadens. Der Erstbeklagte habe den Container verkehrsbehindernd auf der Straße abgestellt, ohne eine behördliche Bewilligung für die Abstellung einzuholen, und es auch unterlassen, für die Sicherung und Beleuchtung dieses Hindernisses Sorge zu tragen. Die Zweitbeklagte sei als Bauführerin und Grundeigentümerin ebenfalls verpflichtet gewesen, für die ordnungsgemäße Aufstellung bzw Absicherung des Containers zu sorgen.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Den Lenker des Fahrzeugs der Klägerin treffe das Alleinverschulden an dem Unfall. Der Container sei ausreichend abgesichert gewesen. Eine besondere Kennzeichnung sei nicht erforderlich gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, dass es das Klagebegehren beiden Beklagten gegenüber abwies. Die Revision erklärte es gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO für zulässig.

Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin inhaltlich aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das berufungsgerichtliche Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren durch Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts stattgegeben werde.

Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Vorinstanzen gingen bei ihren Entscheidungen im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Der grün gefärbte Container reichte 45 cm in die 4,3 m breite Fahrbahn. Er war an den Ecken der Breitseiten mit rot-weiß-roten, rückstrahlenden Aufklebern (30 cm hoch, 10 cm breit) versehen, die bei Anstrahlung aus 38 m Entfernung eine erkennbare Rückstrahlwirkung bei beginnender Dämmerung erzeugten, welche bei Dunkelheit am stärksten war. Aus mehr als 30 m Entfernung war bei Abblendlicht eines PKWs eine Rückstahlwirkung dieser Aufkleber sowie eines auf den Container gestellten Pannendreiecks nicht mehr gegeben. Der Container war in einer Höhe von etwas weniger als 1 m über dem Boden mit einem rot-weiß-roten Plastikband von der nordöstlichen Zaunsäule schräg zur nordöstlichen Ecke des Containers und um den Container herum zum Zaun oder Gebüsch am südlichen Einfahrtsende abgesichert. Weiters war ein Pannendreieck alter Ausführung im Bereich der nordöstlichen Ecke des Containers auf die Fahrbahn gestellt oder erhöht angebracht. 24 m nördlich und 15 m südlich der Grundstückszufahrt befanden sich Straßenleuchten über die Fahrbahn. An der Ostwand des Hauses *****, ungefähr 12 m von der rund 7 m breiten Einfahrt entfernt, war eine Glühbirne eingeschaltet.

Im Auftrag der Zweitbeklagten hatte der Erstbeklagte vor dem strittigen Schadensereignis schon etwa 20 Container im beschriebenen Grundstückseinfahrtsbereich abgestellt, wobei nie ausdrücklich über die Frage der Absicherung gegenüber dem öffentlichen Verkehr gesprochen wurde. Am Nachmittag des 19. 6. 1981, einem Freitag, war vom Arbeitnehmer und Sohn des Erstbeklagten in Abwesenheit der Eheleute N***** der Container in der beschriebenen Position abgestellt worden. Die grundsätzlich notwendige Bewilligung des Magistrats Graz, Straßen- und Brückenbauamt, zur Aufstellung solcher Container auf der öffentlichen Straße war nicht eingeholt worden. Die Behörde erteilt in solchen Fällen einvernehmlich mit der Polizeidirektion Graz die entsprechenden Auflagen, insbesondere auch hinsichtlich der Absicherung. Alfred G***** kam aus Richtung Norden mit 50 bis 60 km/h am äußersten rechten Fahrbahnrand an die Unfallstelle herangefahren und stieß ohne anstoßverhindernde Reaktion mit dem Fahrzeug gegen den Container, wobei die Überlappung 41 cm betrug. An der Unfallstelle war eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h verfügt. Die Straße beschreibt 60 bis 30 m nördlich der Liegenschaftseinfahrt – aus Richtung Norden gesehen – eine Linkskurve von ungefähr 15o und steigt mit 9,8 % an.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, dass die von der Zweitbeklagten vorgenommene Absicherung des Containers nicht ausreichend gewesen sei. Vielmehr hätte der teilweise durch die Hecken verborgene Container gemäß § 59 StVO mit dem vorgesehenen Gefahrenzeichen „Baustelle“ oder „anderen Gefahren“ und bei Dunkelheit mit Lampen abgesichert werden müssen. Die Zweitbeklagte habe es als Grundeigentümerin und Auftraggeberin auch unterlassen, die vorgeschriebene Bewilligung nach § 82 StVO einzuholen. Pflicht des Erstbeklagten sei es gewesen, sich vom Vorliegen der behördlichen Bewilligung zur Abstellung des Containers in der beschriebenen Position zu überzeugen und dafür Sorge zu tragen, dass die behördlicherseits vorgeschriebene Absicherung auch tatsächlich durchgeführt wird. Den Kläger treffe zwar das überwiegende Verschulden am Unfall, das Mitverschulden der Beklagten sei aber nicht so gering, dass es vernachlässigt werden könnte.

Das Berufungsgericht vertrat jedoch die Auffassung, dass nach dem Bericht des Verkehrsausschusses 294 BlgNR 14. GP zu Z 93 § 89 Abs 2 StVO (gemeint § 89 Abs 1 StVO) nur so zu verstehen sei, dass am Straßenrand liegende Gegenstände, die mit Rückstrahlern ausgestattet sind, wie etwa Container, bei Dunkelheit nicht besonders beleuchtet werden müssten. Da Container, die am Straßenrand lagern und in die Fahrbahn hinein ragen, regelmäßig eine gewisse Behinderung bzw Gefährdung von Verkehrsteilnehmern mit sich bringen, wäre die im Bericht des Verkehrsausschusses zum Ausdruck kommende, gerade Container hervorhebende Auslegung nicht recht verständlich, wenn man den Satz über das Unterbleiben der Kenntlichmachung so verstünde, dass im Falle der potenziellen Behinderung von Verkehrsteilnehmern durch am Straßenrand lagernde Gegenstände grundsätzlich die besondere Kenntlichmachung durch Gefahrenzeichen und bei Dunkelheit durch Lampen notwendig sei. Eine Verletzung der genannten Bestimmung liege somit nicht vor, sodass auf die Frage, ob der Besitzer und Vermieter des Containers „Verfügungsberechtigter“ iSd § 89 Abs 1 StVO ist und für das Verhalten seines Gehilfen oder für eigenes Verschulden einzustehen hat, nicht näher eingegangen werden müsse.

Demgegenüber stellt sich die Revisionswerberin auf den Standpunkt des Erstgerichts, der sich aus nachstehenden Gründen als richtig erweist:

Auszugehen ist zunächst von dem für diesen Fall maßgeblichen Gesetzeswortlaut des § 89 Abs 1 StVO, wonach Gegenstände, die auf der Straße stehen oder liegen, von den Verfügungsberechtigten durch das Gefahrenzeichen „andere gefahren“ und ... bei Dunkelheit ... durch Lampen kenntlich zu machen sind. Die Kennzeichnung darf (nur dann) unterbleiben, wenn die Gegenstände am Straßenrand so gelagert sind, dass niemand gefährdet oder behindert wird und sie bei schlechten Sichtverhältnissen durch rückstrahlendes Material oder eine sonstige Beleuchtung erkennbar sind. Vor dieser durch die sechste StVO-Novelle normierten Bestimmung war die Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht des § 89 Abs 1 StVO nur insoweit anders geregelt, als rückstrahlendes Material noch nicht erwähnt war; im Übrigen war der Gesetzeswortlaut faktisch gleich.

Die Gesetzesmaterialien sind zur Auslegung einer Gesetzesbestimmung erst dann heranzuziehen, wenn die Ausdrucksweise des Gesetzgebers zweifelhaft ist (SZ 41/119; SZ 45/41 uza). Dies ist hier nicht der Fall. Wie das Berufungsgericht im Grunde selbst erkennt, geht aus der geltenden Fassung des § 89 Abs 1 StVO eindeutig hervor, dass die Kennzeichnung des Containers gemäß dem ersten Satz der zitierten Bestimmung obgleich er mit rückstrahlendem Material ausgestattet oder allenfalls durch eine sonstige Beleuchtung erkennbar war – nur dann hätte unterbleiben dürfen, wenn er am Straßenrand so gelagert worden wäre, dass niemand gefährdet oder behindert wurde. Davon kann im vorliegenden Fall, in welchem der über 7 Tonnen schwere Container nicht nur am Straßenrand, sondern auch vielmehr bis 45 cm in die Fahrbahn hineinreichend abgestellt wurde, nicht die Rede sein.

Davon abgesehen kann den in 294 BlgNR 14. GP Z 93 enthaltenen Gesetzesmaterialien nicht der vom Berufungsgericht verstandene Sinn beigelegt werden: Wie sich aus dem genannten Bericht des Verkehrsausschusses ergibt, sollte die bisherige Bestimmung bezüglich der Kennzeichnung von Gegenständen im Sinne des neuformulierten vorletzten Satzes des § 89 Abs 1 StVO idF 6. StVO-Novelle den technischen Gegebenheiten angepasst werden. Gegenstände, die mit Rückstrahlern ausgestattet sind, wie eben Container, sollten nicht mehr besonders beleuchtet werden müssen, wobei jedoch der schon vor der 6. StVO-Novelle normierte Grundsatz keine Einschränkung erfuhr, wonach solche Gegenstände nach wie vor am Straßenrand so gelagert sein müssten, dass niemand gefährdet oder behindert wird. Der die Z 93 einleitende Satz über die Kennzeichnung von Gegenständen ist demnach sinnvoll nur so zu verstehen, dass er die Bestimmung des § 89 Abs 1 StVO eingangs umschreiben und daran anschließend inhaltlich den alleinigen Unterschied aufzeigen wollte, der sich aus den neuen technischen Gegebenheiten ableitete. Soweit dabei einzelne Unklarheiten verblieben, vermag dieser Umstand den deutlich umrissenen Inhalt des § 89 Abs 1 StVO, wie er oben dargelegt wurde, nicht zu widerlegen.

Die Kennzeichnungspflicht trifft nach dem ersten Hauptsatz des § 89 Abs 1 StVO die „Verfügungsberechtigten“. Als solche kommen insbesondere jene Personen in Betracht, von denen erwartet werden kann, dass sie den Gegenstand ihrer Ingerenz als Verkehrshindernis kenntlich machen können. Dies trifft im gegebenen Fall für beide Beklagte zu:

Nach den getroffenen Feststellungen lieferte der Erstbeklagte vor dem Schadenersatzereignis schon etwa 20 mal entsprechende Container der Zweitbeklagten. Er wurde auch diesmal von der Zweitbeklagten dazu beauftragt und bediente sich dabei seines Sohnes. Von diesem war es verfehlt den Container so abzustellen, dass er 45 cm in die Fahrbahn ragte, und dabei keine Vorsorge iSd § 89 Abs 1 StVO zu treffen. Dazu war er umso mehr verpflichtet, als er den Container in Abwesenheit der Zweitbeklagten verkehrsgefährdend und -behindern abstellte. Der vom Erstbeklagten vertretenen Ansicht, dass die Absicherung beziehungsweise Kennzeichnung des von ihm gelieferten, in gesetzwidriger Weise abgestellten Containers eine reine Sache der Liegenschaftseigentümerin – also der Zweitbeklagten – gewesen sei, kann demnach nicht gefolgt wurden. Gleichgültig welcher rechtlicher Art die Überlassung des Containers durch den Erstbeklagten an die Zweitbeklagte war, wurde er seiner aus § 89 Abs 1 StVO abgeleiteten Verpflichtung zur Kennzeichnung desselben jedenfalls solange nicht verlustig, als er nicht mit Sicherheit annehmen konnte, dass der ihm gehörige Container aus der vom Erstbeklagten bzw seinem Sohn geschaffenen gefährlichen Position gebracht oder entsprechend gekennzeichnet wurde.

Aber auch die Zweitbeklagte ist haftbar. Sie stellt nicht in Abrede, zumindest neben dem Erstbeklagten über den gelieferten Container verfügungsberechtigt iSd § 89 Abs 1 StVO gewesen zu sein. Eine Behauptung, dass sie vom Zeitpunkt der Lieferung des Containers (19. 6. 1981) bis zum Unfall (21. 6. 1981), der sich vor ihrem Haus ereignete, von der Abstellung des Containers keine Kenntnis hatte, hat sie nicht aufgestellt. Daraus folgt aber im Gegensatz zu ihrer Ansicht auch ihre Verpflichtung zur Kennzeichnung des gefährlich und verkehrsbehindernd abgestellten Containers. Wie oben dargestellt wurde, genügte hiebei nicht dessen rückstrahlendes Material; vielmehr wäre der Container im Sinne des ersten Satzes des § 89 Abs 1 StVO nicht nur durch das Gefahrenzeichen „andere Gefahren“, sondern bei der gegebenen Dunkelheit auch durch Lampen kenntlich zu machen gewesen.

Nach ständiger Rechtsprechung stellt § 89 Abs 1 StVO eine Schutznorm dar (SZ 53/49 ua). Beide Beklagte haben dagegen verstoßen. Das von ihnen zu vertretende Verschulden fällt unter Berücksichtigung des Unfallsablaufs beträchtlich ins Gewicht; es ist im Wesentlichen gleich gelagert, ohne dass es möglich wäre, den Schadensanteil jedes der Beklagten zu bestimmen. Dies hat zur Folge, dass sie – wie das Erstgericht auch hierin im Ergebnis richtig erkannte – solidarisch für den ihnen im Vergleich zum verkehrswidrigen Verhalten des Klägers mit 1/3 nicht zu hoch angerechneten Verschuldensanteil haften (SZ 25/287; VersR 1966, 575; JBl 1972, 210; 7 Ob 226/72; vgl auch EvBl 1982/188 ua).

Der Revision war somit Folge zu geben und wie im Spruch zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Berufungen der beiden Beklagten wurden dem Kläger gleichzeitig zugestellt. Zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung wäre es daher ausreichend gewesen, die Berufungen in einem Schriftsatz zu beantworten. Dementsprechend waren die Berufungsbeantwortungen zu honorieren.

Textnummer

E122529

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00059.840.1004.000

Im RIS seit

30.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

30.08.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten