Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Siegfried N*****, vertreten durch Dr. Paul Meyer, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagte Partei I*****, vertreten durch Dr. Leopold Hammer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 181.335,72 S sA und Rente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Dezember 1983, GZ 16 R 246/83-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 12. Juli 1983, GZ 22 Cg 710/82-14, bestätigt wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Klägers, die Beklagte zum Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung zu verhalten, wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Am 8. 1. 1979 kam es in Mittewald in Osttirol zu einem Verkehrsunfall, an welchem ein von der Tochter des Klägers gelenkter PKW und der bei der Beklagten haftpflichtversicherte LKW pol Kennzeichen S 171.425, beteiligt waren. Die im PKW mitgefahrene Ehegattin des Klägers wurde tödlich verletzt. Beide Fahrzeuglenker wurden vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt.
Der Kläger begehrte von der Beklagten den Ersatz verschiedener mit dem Begräbnis seiner Ehegattin zusammenhängender Auslagen, weiters als Erbe und Zessionar der Erben den Ersatz von Schäden, welche die Getötete erlitt, sowie den Ersatz für die entgangene Beistandsleistung. Außerdem erhob er ein mit 31.000 S bewertetes Feststellungsbegehren.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger gegenüber der Haftpflichtversicherung seiner Tochter gegen Zahlung von 25.000 S eine vorbehaltlose, sich auch auf die Beklagte erstreckende Abfindungserklärung abgegeben habe.
Dem erwiderte der Kläger, dass sich die Abfindungserklärung nicht auf die Beklagte erstreckte und er zu dieser außerdem listig veranlasst worden sei. Der rechtskundige Schadensreferent der Haftpflichtversicherung seiner Tochter habe ihm die Möglichkeit weiterer Ansprüche absichtlich verschwiegen.
Das Erstgericht stellte mit „Teilurteil“ der Beklagten gegenüber fest, dass sie dem Kläger für sämtliche zukünftig aus dem Verkehrsunfall vom 8. 1. 1979 auf der Tiroler Bundesstraße bei Mittewald (Osttirol) entstehenden Schäden im Rahmen des mit der Firma Klaus H***** abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrags hafte.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge, sondern bestätigte das „Teilurteil“ des Erstgerichts und sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands wohl 60.000 S, nicht aber 300.000 S übersteige. Es erklärte die Revision für zulässig.
Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten, die sie auf unrichtige rechtliche Beurteilung stützt und in der sie beantragt, das Urteil des Berufungsgerichts dahin abzuändern, „dass das Klagebegehren, dem von den Unterinstanzen stattgegeben wurde, abgewiesen werde“.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht zulässig.
Die Vorinstanzen gingen bei ihren Entscheidungen im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Am 22. 2. 1979 suchte der bei der Ersten Allgemeinen Versicherungs-Aktiengesellschaft in der Landesdirektion Klagenfurt als Großschadensreferent (Sachbearbeiter für Unfälle mit Todesfolgen und schweren Verletzungen) beschäftigte und zwischenzeitig verstorbene Heinz G***** den Kläger in seiner Wohnung auf. Er stellte sich als Angestellter des Versicherers des PKWs, in welchem die Frau des Klägers gefahren war, vor. Im Zuge des insgesamt etwa 5 Minuten dauernden Gesprächs erkundigte sich G***** beim Kläger nach der Höhe der diesem durch das Ableben seiner Gattin entstandenen Kosten (Bestattungskosten) und stellte deren Bezahlung durch die Versicherung in Aussicht. Der Kläger legte daraufhin dem Schadensreferenten seine Aufstellung der Auslagen Beil ./I samt Rechnungsbelegen vor. G***** erklärte dem Kläger, „dass die Versicherung bereit sei, ihm 25.000 S zu bezahlen“. Der Kläger war über dieses Angebot erfreut und erklärte sich damit einverstanden. G***** legte dem Kläger daraufhin die Abfindungserklärung Beil ./2 zur Unterfertigung mit dem Hinweis vor, die Zahlung des Betrags von 25.000 S werde im Bankweg auf das klägerische Konto erfolgen, der Kläger möge bereits quittieren. Ohne dieses Schriftstück durchzulesen unterfertigte es der Kläger. Im Zuge des Gesprächs wurden allfällige weitere Schadenersatzansprüche des Klägers in keiner Weise erörtert. Der Kläger besaß keinerlei Kenntnisse über ihm allenfalls zustehende Schadenersatzansprüche. G***** brachte derartiges auch nicht zur Sprache. Unmittelbar nachdem G***** die Wohnung verlassen hatte, nahm ein Mitarbeiter des Vereins für Vorsorge in Schadensfällen mit dem Kläger Kontakt auf. Er informierte ihn erstmals über allenfalls zustehende weitere Schadenersatzansprüche. Die Erste Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft überwies in der Folgezeit den Betrag von 25.000 S im Bankweg an den Kläger.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, dass sich der Inhalt der Abfindungserklärung auch auf den Haftplichtversicherer des anderen unfallbeteiligten Fahrzeugs erstrecke. Der juristisch völlig ungebildete Kläger sei jedoch durch den als Großschadenssachbearbeiter tätigen und daher im Schadenersatzrecht ausgebildeten und bewandten Heinz G***** zur Unterfertigung der Abfindungserklärung arglistig veranlasst worden. Heinz G***** hätte im Zeitpunkt des Gesprächs mit dem Kläger zweifellos bekannt sein müssen, dass dem Kläger nach dem Ableben seiner Ehegattin noch andere Schadenersatzansprüche zustehen. Er habe den Kläger auch nicht darauf hingewiesen, dass sich dieser mit der Unterfertigung der Abfindungserklärung sämtlicher Ansprüche begebe. Die Abfindungserklärung sei daher nicht wirksam. Auch das Berufungsgericht gelangte zur Auffassung, dass dem Kläger vom Schadensreferenten der Ersten Allgemeinen arglistig der wirkliche Inhalt der Abfindungserklärung verschwiegen wurde, weshalb diese nicht rechtswirksam sei.
Demgegenüber stellt sich die Beklagte in der Revision auf den Standpunkt, dass der Schadensreferent G***** nicht verpflichtet gewesen wäre, den Kläger über den Inhalt der abgeschlossenen Vereinbarung aufzuklären und er ihn auch nicht listig irregeführt habe. Auf diese Fragen ist jedoch aus nachstehend angeführten Gründen nicht näher einzugehen:
Der Oberste Gerichtshof hat auch bei der Entscheidung über eine ordentliche Revision – im Zulassungsbereich gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO – zunächst zu prüfen, ob die Revision nach dieser Bestimmung überhaupt zulässig ist. Das Revisionsgericht ist hiebei nicht an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 3 ZPO gebunden (§ 508 lit a Abs 1 ZPO).
Von entscheidender Bedeutung für den vorliegenden Rechtsstreit ist die Rechtsfrage, ob der Schadensreferent der Ersten Allgemeinen Versicherungs-Aktiengesellschaft in einer der Beklagten zurechenbaren Weise die dem Kläger gegenüber bestehende Aufklärungspflichten arglistig verletzte, sodass dieser gemäß § 870 ABGB den Vertrag zu halten nicht verbunden ist. Das Gericht zweiter Instanz hat dies bejaht und sich dabei auf Lehre und Rechtsprechung gestützt, indem es die in SZ 52/22 veröffentlichten Grundsätze, die Bydlinski in JBl 1980, 393 ff jedenfalls in ihrem Ausgangspunkt billigte (vgl JBl 1980, 395) zur Begründung seiner Entscheidung heranzog. Danach besteht zwar keine allgemeine Rechtspflicht, den Geschäftspartner über alle Umstände aufzuklären, die auf seine Entschließung Einfluss haben können; diese Pflicht ist aber dann zu bejahen, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung erwarten durfte (SZ 52/22; Bydlinski aaO). Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, ist bei der Beurteilung der Frage nach Inhalt und Umfang der Aufklärungspflicht im Besonderen auf den konkreten Fall und die Übung des redlichen Verkehrs abzustellen (vgl auch Rummel, 871). Dabei ist zu beachten, dass das Konsumentenschutzgesetz vom 8. 3. 1979, BGBl 1940 hier noch keine Anwendung findet. Inwiefern die dargelegten und vom Berufungsgericht in eingehender Weise behandelten Rechtsgrundsätze mit der Gesetzeslage nicht im Einklang stehen sollen, wurde in der Revision nicht aufgezeigt. Es besteht für den erkennenden Senat auch kein Anlass, von den dargelegten Grundsätzen abzugehen. Soweit die Beklagte die Revision abschließend vermeint, dass zwischen ihr und dem Kläger „kein Rechtsverhältnis“ bestünde, ist dies nicht stichhältig, da sich der Abfindungsvergleich seinem Wortlaut nach auch auf sie erstreckte. Insoweit wurde der Schadensreferent G***** auch für sie tätig, weshalb er nicht „Dritter“ im Sinne des § 875 ABGB ist (SZ 53/108; SZ 44/59 ua; vgl auch Gschnitzer in Klang, 152). Im Ergebnis beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts auch in diesem Belang auf der ständigen Rechtsprechung.
Von den im § 502 Abs 4 Z 1 ZPO normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen somit in Wirklichkeit keine vor. Die Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO; der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision nicht geltend gemacht; die Rechtsmittelschrift war daher zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht erforderlich, was nach den zitierten Bestimmungen einen Kostenersatzanspruch ausschließt.
Textnummer
E122513European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00023.840.0523.000Im RIS seit
29.08.2018Zuletzt aktualisiert am
29.08.2018