TE OGH 1984/6/20 8Ob40/84

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Veröffentlicht am 20.06.1984
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Leopold Hammer, Rechtanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W*****, vertreten durch Dr. Gertrud Hofmann, Rechtsanwältin in Wien, wegen 22.939 S sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 9. November 1983, GZ 42 R 836/83-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 25. März 1983, GZ 37 C 675/79-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag der Klägerin auf Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 10. 11. 1973 ereignete sich in Eisenstadt auf der Schützenstraße in Höhe der Zufahrtsstraße nach St. Georgen ein Verkehrsunfall, bei welchem Heinz S***** durch den bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW, gelenkt von Peter S*****, verletzt wurde. Das Alleinverschulden am gegenständlichen Verkehrsunfall trifft Peter S*****. Heinz S***** bezieht von der Klägerin eine monatliche Rente.

Die Klägerin begehrte 22.939 S sA als Ersatz ihrer Aufwendungen für Heinz S***** in der Zeit vom 1. 7. 1978 bis 31. 12. 1978.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte kostenpflichtige Klagsabweisung und wendete ein, dass Heinz S***** kein Verdienstentgang erwachsen sei, dass sein Gesundheitszustand sich derart gebessert habe, dass er jederzeit Kehrarbeiten durchführen könne und auch aufgrund seiner Ausbildung in der Lage sei, Büroarbeiten ohne eine weitere Bürokraft durchzuführen, sodass der Klägerin der Ersatz ihrer Aufwendungen nicht zustehe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts im Sinne der Klagsstattgebung ab; es erklärte die Revision für zulässig.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Das Erstgericht hat unter anderem festgestellt, dass Heinz S***** seit 1. 7. 1975 als selbständiger Rauchfangkehrermeister tätig ist. Als Folge des Unfalls vom 10. 11. 1973 sind bei ihm eine Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk, sowie durch Lähmung der linken Unterschenkelnerven eine Spitzfußstellung des linken Fußes feststellbar. Die Beweglichkeit im rechten Kniegelenk ist nach operativer Entfernung der Kniescheibe nach Kniescheibenzertrümmerung gegenüber links geringfügig eingeschränkt. Eine wesentliche Besserung des derzeitigen Zustands ist nicht mehr zu erwarten. Aufgrund der zahlreichen von außen zu begehenden Rauchfänge ist Heinz S***** die Arbeit im Außendienst aufgrund der unfallsbedingten Verletzungen nicht mehr möglich. Der Umfang seines Betriebs erfordert, um die anfallenden Arbeiten erbringen zu können, zwei Arbeitskräfte im Außendienst. Bis zu seinem Unfall war einer dieser beiden Arbeitskräfte Heinz S*****. Die um die Gebührensteigerungen bereinigten Umsatzwerte seines Betriebs zeigen eindeutig seit 1975 eine lineare Entwicklung. Seit seinem Unfall lässt Heinz S***** aufgrund seiner unfallbedingten körperlichen Gebrechen seine bis zum Unfall im Außendienst erbrachten Leistungen durch einen Dienstnehmer verrichten. In der Zeit vom 1. 7. 1978 bis 31. 12. 1978 betrug die Nettomehrbelastung, die dadurch entstand, 62.727,11 S. Der Betrieb ist derart organisiert, dass es regelmäßige Kehrungen gibt, die fix aufgeteilt sind. Das Büro muss, wenigstens während der Geschäftsstunden, ständig besetzt sein. Heinz S***** hat sein Büro in seinem Privathaus und hat einen Telefonbeantworter, wenn er außerhalb seines Büros ist. Die Bürokraft schreibt Fakturen, und nimmt in der Regel Aufträge für Rauchdichtproben entgegen. Heinz S***** erledigt diejenigen Büroarbeiten, die weder mit Buchhaltung noch mit Schreiben zusammenhängen, er nimmt telefonische Aufträge entgegen und kontrolliert die Bürokraft, sowie die beiden Rauchfangkehrerergesellen. Bei Außenarbeiten beschränkt er sich lediglich auf Kontrollgänge und verrichtet selbst keine manuelle Tätigkeit dabei. Außerdem erledigt er zwei bis drei Anrufe pro Tag, und zwar Anfragen betreffend Rechnungen, er muss in diesen Fällen die Karteikarte herausnehmen, überdies muss er die Bürokraft anleiten, wie diverse Befunde geschrieben werden müssen. Ferner ist es seine Aufgabe Reparaturbehandlungen in der Form durchzuführen, dass er schadhafte Kamine der Gemeinde meldet, dies kommt jedoch nicht allzuoft vor. Heinz S***** ist zwei bis drei Stunden pro Tag mit diesen Arbeiten beschäftigt. In Wien gibt es keinen einzigen Rauchfangkehrerbetrieb, in dem der Rauchfangkehrermeister administrative Arbeit selbst macht.

Zur Rechtsfrage führt das Erstgericht aus, dass Heinz S***** zwar infolge seines Unfalls keine Kehrarbeiten mehr durchführen könne, ihm jedoch die Büroarbeiten körperlich zumutbar seien. Aufgrund seiner Ausbildung sei er in der Lage, diese durchzuführen und es wäre ihm überdies im Rahmen der Schadensminderungspflicht zumutbar, Maschinschreiben zu erlernen und somit sämtliche Büroarbeiten selbst durchzuführen. Die darauf erwachsenden Ersparnisse hätten in dem Falle die Mehrkosten, die durch die Einstellung einer zusätzlichen Arbeitskraft für die Außenarbeiten erforderlich seien, überschritten und es sei somit Heinz S***** kein Verdienstentgang erwachsen, weshalb es an einem Deckungsfonds mangle.

Ausgehend von den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts gelangte das Berufungsgericht zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung. Das Erstgericht übersehe, dass nach seinen Feststellungen Heinz S***** auch Arbeiten leiste, die außerhalb seines Büros durchgeführt werden müssten und dass das Büro dauernd besetzt sein müsse, sowie dass derzeit Heinz S***** nicht die Ausbildung für sämtliche Büroarbeiten aufweise. Wenn das Erstgericht vermeine, dass Heinz S***** im Rahmen der Schadensminderungspflicht zugemutet werden könne, die entsprechende Ausbildung zu erwerben, so reiche dies nicht für die Abweisung der Klage aus. Eine Befreiung der Beklagten von ihrer Schadenersatzpflicht käme nur dann in Frage, wenn sie unter Beweis stellte, dass Heinz S***** seine Schadensminderungspflicht schuldhaft verletzt habe. Abgesehen davon, dass der Beklagten ein derartiger Nachweis nicht gelungen sei, sei von ihr eine derartige Behauptung nicht einmal aufgestellt worden. Sie habe lediglich behauptet, dass Heinz S***** die wesentlichen Arbeiten des Rauchfangkehrereigewerbes selbst erledigen könne und sich somit einen Arbeiter ersparen könne, ferner dass die Beiziehung einer Buchhaltungskraft nicht notwendig sei und er aufgrund seiner Ausbildung in der Lage sei, auch Büroarbeiten ohne weitere Bürokraft durchzuführen. Der Beweis für dieses Vorbringen sei der Beklagten aber nicht gelungen. Nach den Feststellungen des Erstgerichts sei aufgrund der zahlreichen, von außen zu begehenden Rauchfängen Heinz S***** die Arbeit im Außendienst aufgrund der unfallbedingten Verletzungen nicht möglich, erledige Heinz S***** nur diejenigen Büroarbeiten, die weder mit Buchhaltung noch mit Schreiben zusammenhängen, das Büro müsse wenigstens während der Geschäftsstunden ständig besetzt sein. Nach den Feststellungen des Erstgerichts könne Heinz S***** nicht maschinschreiben und dies sei auch nicht in seiner Ausbildung enthalten gewesen. Was dem Geschädigten im Einzelfall im Rahmen der Schadensminderungspflicht zumutbar sei, bestimme sich auch nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs, dh im vorliegenden Falle, dass S***** nicht ohne weiteres zugemutet werden könne, selbst die Buchhaltungsarbeiten und Bürotätigkeit durchzuführen, wenn dies überlicherweise kein anderer Rauchfangkehrer selbst mache. Bei der Frage der Zumutbarkeit einer Ersatzarbeit im Rahmen der Schadensminderungspflicht komme es nämlich sehr wohl auf die Verkehrssitte an; die körperlichen und geistigen Fähigkeiten allein genügten nicht. Dazu komme noch die Berücksichtigung des erlernten und bisher ausgeübten Berufs. Selbst wenn man jedoch davon ausginge, dass es Heinz S***** zumutbar wäre, gewisse Büroarbeiten noch selbst durchzuführen, wäre es ihm keineswegs möglich, seiner Anwesenheitspflicht während der Bürozeit nachzukommen, da er jedenfalls seine Verpflichtung im Rahmen der feuerpolizeilichen Tätigkeit erfüllen und auch die von seinen Mitarbeitern durchgeführte Arbeit überprüfen müsse. auch wenn er nach den Feststellungen des Erstgerichts bei Außenarbeiten sich lediglich auf Kontrollgänge beschränke, müssten diese Kontrollgänge doch von ihm selbst durchgeführt werden und bedingten eine notwendige Abwesenheit aus dem Büro. Zusammenfassend könne somit gesagt werden, dass der Beklagten weder der Nachweis ihrer Behauptungen noch eines Verstoßes des Heinz S***** gegen seine Schadensminderungspflicht gelungen sei, weshalb eine Befreiung von ihrer Ersatzpflicht aus diesen Gründen nicht zum Tragen komme.

Die Beklagte führt zur Zulässigkeit der Revision aus, der vorliegende Fall unterscheide sich beträchtlich von ähnlich gelagerten, da hier ein selbständiger Unternehmer seit seinem Unfall eine ständige gleichsam lineare Umsatzsteigerung erzielt habe. Es stehe daher die Frage im Vordergrund, ob – obgleich ein konkreter Entgang nicht vorliege – ein fiktiver deswegen gegeben sein könnte, weil der Unternehmer nicht im gleichen Umfang wie vor dem Unfall einer körperlichen Tätigkeit nachkomme. Bei der gesamten Entwicklung und der damit verbundenen Frage eines Entgangs sei daher zu prüfen, ob durch das unternehmerische Wachstum nicht von vornherein der Aufgabenkreis des Unternehmers anders gelagert sei und daher eine Verschiebung vom körperlichen Arbeitseinsatz zur organisatorischen Tätigkeit stattfinde. Selbst wenn man den Grundsatz verfolge, dass der Schädiger nicht leer ausgehen solle, sei dort wohl kein Raum für Schadenersatzansprüche mehr, wo eindeutig kein Schaden eingetreten sei, weil auch ein völlig gesunder Unternehmer keine andere Arbeit leisten würde, als im vorliegenden Fall der geschädigte Rauchfangkehrermeister.

Hiezu ist Folgendes zu bemerken: Das Berufungsgericht hat die Revision für zulässig erklärt, weil „es sich bei der für die Entscheidung wesentlichen Rechtsfrage um eine Rechtsfrage des materiellen Rechts von erheblicher Bedeutung zur Wahrung der Rechtseinheit handle“.

Gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Zur Frage, wann eine derart erhebliche Rechtsfrage vorliegt, führte der Bericht des Justizausschusses zur Regierungsvorlage der Zivilverfahrens-Novelle (1337 BlgNR XV. GP 19) aus, dass die vorgeschlagene (und dann Gesetz gewordene) Formulierung des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO sicherstellen solle, dass der Oberste Gerichtshof grundsätzlich nur mit wichtigen, zumindest potentiell für eine größere Anzahl von Rechtsstreitigkeiten bedeutsamen Rechtsfragen befasst wird, um seiner Leitfunktion besser gerecht werden zu können.

Die für die Revisionszulässigkeit maßgebende Erheblichkeit der Rechtsfragen bestimmt sich nach objektiven Umständen. Der Rechtsmittelwerber wird immer zu überlegen haben, ob sein Rechtsproblem auch andere Personen und vergleichbare Fälle berühren könnte. Die besonderen Umstände des Einzelfalls werden daher in der Regel eine beispielgebende Entscheidung ausschließen (8 Ob 527/84 ua).

Die Revision übergeht die Feststellung des Erstgerichts, wonach Heinz S***** aufgrund der unfallsbedingten Verletzungen die in seinem Rauchfangkehrerbetrieb erforderlichen Außenarbeiten, die er bis zum Unfall verrichtete, nicht mehr verrichten kann und daher ein zusätzlicher Dienstnehmer eingestellt werden musste, wodurch in der Zeit vom 1. 7. 1978 bis 31. 12. 1978 eine Nettomehrbelastung von 62.727,11 S eintrat. In dieser Höhe ist ihm daher jedenfalls ein Schaden entstanden. Die Frage, ob er diesen Schaden dadurch hätte verringern bzw vermeiden können, dass er selbst anstelle eines Dienstnehmers die Büroarbeiten übernommen hätte, betrifft die Frage einer allfälligen Verletzung der Schadensminderungspflicht. Bei Lösung dieser Frage hat sich das Berufungsgericht aber ohnehin auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gestützt, wonach ein in seiner Erwerbsfähigkeit durch eine Körperverletzung Beschränkter sich auf seinen Anspruch auf Ersatz des Verdienstentgangs anrechnen lassen muss, was er aus einem ihm zumutbaren, von ihm aber ausgeschlagenen Erwerb zu beziehen schuldhaft unterlassen hat. Was dem Geschädigten im Einzelfall im Rahmen der Schadensminderungspflicht zumutbar ist, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile – und nicht etwa nur nach dem einseitig ausgerichteten Interesse des Schädigers – und nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs. Um eine Verletzung der Schadensminderungspflicht feststellen zu können, muss der Schädiger den Nachweis erbringen, dass der Geschädigte eine konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine, zu einer solchen konkreten Erwerbsmöglichkeit führende Umschulung, ohne zureichende Gründe ausgeschlagen hat. Inwiefern die Anwendung dieser Grundsätze durch das Berufungsgericht auf den vorliegenden konkreten Einzelfall eine über diesen hinausgehende Bedeutung für gleichgelagerte Rechtsstreitigkeiten erlangen könnte, ist nicht erkennbar, weil die Frage einer allfälligen Verletzung der Schadensminderungspflicht durch Heinz S***** eben nur unter Berücksichtigung der ganz bestimmten Umstände dieses Falls zu lösen ist. Das Revisionsgericht vermag sich daher der im Übrigen nicht näher begründeten Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Entscheidung im vorliegenden Fall von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO abhängt, nicht anzuschließen. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO war die Revision somit zurückzuweisen.

Da die Klägerin auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat, steht ihr ein Anspruch auf Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung nicht zu.

Textnummer

E122484

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00040.840.0620.000

Im RIS seit

27.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

27.08.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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