Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Hon.-Prof. Dr.
Lovrek als Vorsitzende, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am ***** 2016 verstorbenen A***** S*****, über die außerordentlichen Revisionsrekurse 1. des Verlassenschaftskurators Dr. K***** S*****, 2. der erbantrittserklärten Erben a) C***** S*****, b) A***** S*****, beide vertreten durch Dr. Peter Lindinger und Dr. Andreas Pramer, Rechtsanwälte in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 14. Februar 2018, GZ 23 R 7/18w-52, womit infolge der Rekurse der erbantrittserklärten Erben M***** P*****, und M***** P*****, beide vertreten durch Dr. Paul Fuchs, Rechtsanwalt in Thalheim bei Wels, der Beschluss des Bezirksgerichts Grieskirchen vom 8. November 2017, GZ 10 A 30/16i-41, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Den Revisionsrekursen wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Erstgerichts wird wiederhergestellt.
Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekurse wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Die Erblasserin starb am ***** 2016. Sie hinterließ sechs erwachsene Töchter. Aufgrund ihres Testaments vom 11. 5. 2000 gaben die Töchter C***** S***** und A***** S***** zu je einem Drittel und die Tochter M***** P***** sowie deren Sohn M***** P***** (in der Folge: Übernehmer) zu je einem Sechstel die bedingte Erbantrittserklärung ab.
Die Erblasserin und der Übernehmer schlossen am 22. 1. 2016 einen (notariell beglaubigt unterfertigten, nicht jedoch in Notariatsaktsform errichteten) Übergabsvertrag über eine der Erblasserin gehörige Liegenschaft (Haus mit Garten), auf der die Erblasserin bis zu ihrem Tod lebte, ab. In Punkt I. wurde Folgendes festgehalten:
„Der Rechtsgrund für die Übergabe … liegt darin, dass dieser [Übernehmer] sich seit rund 20 Jahren im zunehmenden Maß um die Übergeberin gekümmert hat. Er hat bei seinen oftmaligen Besuchen auch Reparaturen und Instandhaltungsarbeiten an der Liegenschaft auf eigene Kosten vorgenommen, für die Übergeberin oftmalige Besorgungen durchgeführt, all dies unentgeltlich, aber unter der oftmals besprochenen Voraussetzung der künftigen Übergabe dieser Liegenschaft. Seit einigen Jahren wurde diese bevorstehende Übergabe auch ausdrücklich vereinbart und im Hinblick auf § 785 Abs 3 ABGB ist davon auszugehen, dass bei der allenfalls vorliegenden gemischten Schenkung diese Übergabe insbesondere auch einer sittlichen Pflicht entspricht.“
Im Punkt II. erklärte der Übernehmer, dass er die Liegenschaft am Übergabestichtag (1. 1. 2016 [Punkt V.]) bereits durch Begehung und Übernahme der Verwaltungsunterlagen in seinen Besitz übernommen hat. Im Gegenzug wurde im Punkt IV. für die Übergeberin ein Ausgedinge vereinbart, dass die Dienstbarkeit des lebenslänglichen, unentgeltlichen und ausschließlichen Wohnungsgebrauchsrechts in sämtlichen Räumlichkeiten der Übergabsliegenschaft, an allen Nebenräumlichkeiten und am Garten beinhaltete. Dazu wurde festgestellt, dass dem Übernehmer, der seinen Wohnsitz weiterhin in Wels behalte, keine Räumlichkeiten zur ausschließlichen Benützung vorbehalten blieben, er aber als Eigentümer das Recht habe, sich überall, mit Ausnahme der Schlafräume der Übergeberin, frei bewegen zu dürfen. Weiters übernahm er die Pflicht zur Bezahlung aller Betriebskosten und zur Instandhaltung der Liegenschaft. Punkt XVI. enthält die Aufsandungserklärung.
Das Grundbuchsgesuch betreffend die Verbücherung dieses Übergabsvertrags wurde vom Übernehmer am 10. 5. 2016 beim Erstgericht überreicht, die Eigentumseinverleibung wurde am 12. 5. 2016 vollzogen.
Vier Töchter der Erblasserin beantragten, die Liegenschaft in das Inventar aufzunehmen, da sich diese zum Todestag noch im Eigentum der Erblasserin befunden habe. Die bloße Erklärung des Übernehmers, die Liegenschaft in Besitz genommen zu haben, reiche für eine tatsächliche Übergabe nicht aus. Da sich die Erblasserin ein Wohnrecht an allen Räumlichkeiten zurückbehalten habe, habe kein Übergabewille vorgelegen.
Der Verlassenschaftskurator schloss sich diesen Ausführungen an und führte dazu weiters aus, es habe keine wirkliche Übergabe stattgefunden, der Übergabsvertrag sei keine unbedenkliche Urkunde im Sinne des § 166 AußStrG.
Der Übernehmer und seine Mutter sprachen sich gegen diesen Antrag aus. Sie führten im Wesentlichen dazu an, die tatsächliche Übergabe habe bereits am 1. 1. 2016 stattgefunden. Der Übernehmer habe das Recht eingeräumt bekommen, alle Räumlichkeiten bis auf die Schlafräumlichkeiten der Übergeberin zu betreten. Außerdem habe er sich dazu verpflichtet, sämtliche Betriebskosten zu bezahlen. Überdies sei der Übergabsvertrag notariell beglaubigt worden.
Das Erstgericht sprach aus, die Liegenschaft werde in das Inventar aufgenommen. Nach der Rechtsprechung habe der Geschenkgeber die Liegenschaft nicht „real“ aus der Hand gegeben, wenn er sie aufgrund eines bücherlich einzuverleibenden Wohnrechts bis zu seinem Tod weiter allein nutzen solle. Auch ein gemeinsames Begehen und Besichtigen der Liegenschaft einschließlich der Übergabe von Verwaltungsunterlagen stelle dann keine „wirkliche Übergabe“ im Sinne des § 943 ABGB dar. Nach den Feststellungen sei der Bestand eines (formgültigen) Schenkungsvertrags zweifelhaft und die Liegenschaft in das Inventar aufzunehmen.
Das Rekursgericht änderte den erstinstanzlichen Beschluss ab und wies den Antrag, die Liegenschaft in das Inventar aufzunehmen, ab. Nach der Rechtsprechung reiche ein Besitzkonstitut für die „wirkliche Übergabe“ im Sinne des § 943 ABGB ausnahmsweise dann aus, wenn ein qualifiziert geäußerter Schenkungswille vorliege, der die Annahme einer Übereilung des Geschenkgebers ausschließe. Im Punkt I. des Übergabsvertrags sei die langjährige Übergabeabsicht (Schenkungsabsicht) dokumentiert. Eine „Übereilung“ im eigentlichen Wortsinn sei daher nicht anzunehmen. Weiters sei ein jederzeitiges Betretungsrecht des Übernehmers ausdrücklich vereinbart und auch festgehalten worden, dass ihm die – nicht näher bezeichneten – Verwaltungsunterlagen übergeben worden seien. All diese Willens- und Wissenserklärungen hätten beide Vertragsparteien in notariell beglaubigter Form abgegeben. Unter diesen Umständen, insbesondere wegen beurkundeter langjähriger Schenkungsabsicht, sei die strittige Liegenschaft wegen eines mangels Schutzbedarfs vor Übereilung hinreichenden Besitzkonstituts nicht mehr nachlasszugehörig. Der Eigentümer, der ein Fruchtgenussrecht einräume, bleibe Sachbesitzer, der fruchtgenussberechtigte Erblasser habe keinen eigenen Sachbesitz mehr, sondern nur Rechtsbesitz. Ein solcher reiner Rechtsbesitz genüge nicht zur Aufnahme einer Sache in das Inventar.
Gegen diesen Beschluss richten sich die außerordentlichen Revisionsrekurse des Verlassenschafts-kurators sowie der beiden je zu einem Drittel erbantrittserklärten Erbinnen mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Beschluss wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Übernehmer und seine Mutter beantragen in den Revisionsrekursbeantwortungen, den Revisionsrekursen nicht Folge zu geben.
Die Revisionsrekurse sind zulässig und im Sinne der Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses berechtigt.
Die Erbinnen tragen in ihrem Rechtsmittel vor, das Rekursgericht sei von oberstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen, wonach ein Besitzkonstitut für eine „wirkliche Übergabe“ im Sinne des § 943 ABGB nicht ausreiche.
Der Verlassenschaftskurator meint, die vom Rekursgericht zitierte Rechtsprechung sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, es fehle Rechtsprechung, die Entscheidung des Erstgerichts sei zutreffend.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu wurde erwogen:
1. Entgegen der Auffassung des Übernehmers und seiner Mutter ist der Verlassenschaftskurator rechtsmittellegitimiert:
Der Verlassenschaftskurator wurde zur Vornahme von Vertretungshandlungen im Zusammenhang mit dem Übergabsvertrag vom 22. 1. 2016 bestellt. Die im Bestellungsbeschluss erwähnte „Prüfung der Gültigkeit des Übergabsvertrags und allenfalls Einbringung einer Anfechtungsklage“ ist – wie sich aus der Beifügung des Wortes „insbesondere“ ergibt – lediglich demonstrativ und nicht als Einschränkung der Vertretungsbefugnis auf diese Prüfung zu verstehen. Die im Revisionsrekursverfahren zu klärende Frage, ob die Liegenschaft in das Inventar aufzunehmen ist, ist vom Inhalt des Übergabsvertrags abhängig. Der vom Verlassenschaftskurator erhobene Revisionsrekurs ist daher eine Vertretungshandlung, die „im Zusammenhang“ mit dem Übergabsvertrag steht.
2. Das Erstgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Liegenschaft zu inventarisieren ist.
2.1 Nach § 166 Abs 1 AußStrG dient das Inventar als vollständiges Verzeichnis der Verlassenschaft (§ 531 ABGB), nämlich aller körperlichen Sachen und aller vererblichen Rechte und Verbindlichkeiten des Verstorbenen und ihres Werts im Zeitpunkt seines Todes. Nach Abs 2 leg cit hat das Gericht, wenn die Behauptung bestritten wird, dass eine Sache zum Verlassenschaftsvermögen zählt, darüber zu entscheiden, ob die Sache in das Inventar aufgenommen bzw ausgeschieden wird. Befand sich die Sache zuletzt im Besitz des Verstorbenen, so ist sie nur auszuscheiden, wenn durch unbedenkliche Urkunden bewiesen wird, dass sie nicht zum Verlassenschaftsvermögen zählt.
2.2 Nach der Konzeption des neuen AußStrG sollen allzu komplizierte Zuordnungsfragen zur Vermeidung von Verzögerungen des Verlassenschaftsverfahrens nicht vom Verlassenschaftsgericht entschieden werden, weshalb § 166 Abs 2 AußStrG das Verfahren über die Einbeziehung oder Ausscheidung von Nachlassgegenständen aus dem Inventar auf ein reines Urkundenverfahren durch unbedenkliche Urkunden beschränkt (RIS-Justiz RS0121985 [T2]; 2 Ob 43/17p).
2.3 Die Liegenschaft befand sich zuletzt im Besitz der Erblasserin. Die Inventarisierung hätte daher nur dann zu unterbleiben, wenn aus dem Übergabsvertrag zweifelsfrei abzuleiten wäre, dass die Liegenschaft nicht zum Verlassenschaftsvermögen gehört. Nach § 1 Abs 1 lit d NotAktsG sind Schenkungsverträge ohne wirkliche Übergabe nur dann gültig, wenn über die Schenkung ein Notariatsakt aufgenommen wurde. Da hier der Übergabsvertrag nicht in dieser Form abgeschlossen wurde, hängt die Frage der Nachlasszugehörigkeit davon ab, ob die Liegenschaft nach dem Inhalt des Übergabsvertrags „wirklich übergeben“ wurde.
Hier räumte der Übernehmer der Übergeberin die Dienstbarkeit des lebenslänglichen, unentgeltlichen und ausschließlichen Wohnungsgebrauchsrechts an sämtlichen bereits bisher von der Übergeberin benutzten Räumen, Nebenräumen und am Garten ein, wobei im Vertrag festgehalten wurde, dass der Übernehmer weiter in Wels wohne und kein Recht auf ausschließliche Nutzung von Räumen habe. Diese Bestimmung kann ihrem Wortlaut nach nur so verstanden werden, dass die Stellung der Übergeberin in tatsächlicher Hinsicht keine wesentliche Änderung erfahren soll, und erweckt damit Bedenken daran, dass sie die Liegenschaft „real“ aus der Hand gegeben hat, wie es für eine wirkliche Übergabe gefordert ist (vgl 5 Ob 8/16m; 5 Ob 76/16m).
Unter diesen Umständen kann weder die Floskel, der Übernehmer habe die Liegenschaft bereits „durch Begehung und Übernahme der Verwaltungsunterlagen in seinen Besitz übernommen“ noch die nur sehr eingeschränkte Einräumung einer Mitgewahrsame an den Übernehmer in der Form des „sich frei bewegen Dürfens“ die Bedenken entkräften, dass keine wirkliche Übergabe stattfand.
2.4 In der Entscheidung 9 Ob 149/04h (bestätigt von 4 Ob 166/14m) wurde mit ausführlicher Begründung ausgeführt, dass der formunwirksame Schenkungsvertrag auch durch die nachfolgende (jeweils ohne weiteres Zutun des Schenkers und nach dessen Tod erfolgte) Einverleibung des Eigentumsrechts des Übernehmers nicht geheilt wird. Auch hier ist die ohne weiteres Zutun der Erblasserin und nach deren Tod erfolgte Einverleibung des Eigentumsrechts des Übernehmers ohne Bedeutung für die Inventarisierung.
2.5 Zusammengefasst ist somit die hier allein aufgrund des Inhalts des Übergabsvertrags zu beantwortende Frage, ob die Liegenschaft in das Inventar aufzunehmen ist, zu bejahen, weil die für das Vorliegen eines schuldrechtlich gültigen Schenkungsvertrags erforderliche wirkliche Übergabe nicht durch eine unbedenkliche Urkunde erwiesen ist. Es ist daher die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 185 AußStrG.
Textnummer
E122240European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00060.18I.0626.000Im RIS seit
29.08.2018Zuletzt aktualisiert am
16.01.2019