RS Vfgh 2018/6/27 G30/2017

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Veröffentlicht am 27.06.2018
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Index

21 Handels- und Wertpapierrecht
21/07 Sonstiges

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
Gesellschafter-AusschlussG §1, §3, §4, §5, §9, §10
StGG Art2, Art5
EMRK 1. ZP Art1

Leitsatz

Keine Verletzung im Eigentums- und Gleichheitsrecht durch die Möglichkeit des Ausschlusses von Minderheitsgesellschaftern aus einer GesmbH durch Beschluss des mit mindestens neun Zehntel am Nennkapital der Gesellschaft beteiligten Mehrheitsgesellschafters gegen eine angemessene Abfindung; keine Verletzung des Vertrauensschutzes

Rechtssatz

Abweisung eines - zulässigen - Parteiantrags auf Aufhebung bestimmter Wortfolgen in §1, §3, §4, §5, §9 und §10 des Gesellschafter-Ausschlussgesetzes (im Folgenden: GesAusG), BGBl I 75/2006 idF BGBl I 71/2009.

Gesellschaftsanteile (Anteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder Aktien an einer Aktiengesellschaft) sind vermögenswerte Privatrechte und vom verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK geschützt. Eine Beschränkung oder ein Entzug der Gesellschaftsanteile stellt eine Eigentumsbeschränkung dar, die im öffentlichen Interesse liegen muss und nicht unverhältnismäßig sein darf.

Das vom Gesetzgeber ausweislich der Materialien zum GesAusG verfolgte Ziel, effiziente Unternehmensstrukturen zu schaffen, liegt im öffentlichen Interesse. Wird auf der Gesellschafterebene ein entsprechender rechtlicher Rahmen geschaffen, können schnellere Entscheidungen innerhalb des Unternehmens getroffen werden. Dieses Ziel ist bei Kapitalgesellschaften mit Minderheitsgesellschaftern mit geringer Beteiligung typischerweise schwerer zu erreichen. Das öffentliche Interesse an der Bereinigung der Kapitalstruktur besteht bei (Minderheitsbeteiligungen an) einer Aktiengesellschaft ebenso wie bei (Minderheitsbeteiligungen an) einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung.

Dem Gesetzgeber kann nicht entgegengetreten werden, wenn er das Bestandsinteresse von Gesellschaftern, die nur Minderheitsanteile an einer Kapitalgesellschaft im Ausmaß von nicht mehr als 10 vH halten, als geringer als jenes von Mehrheitsgesellschaftern eingestuft und dementsprechend - unter weiteren Voraussetzungen - den Ausschluss solcher Minderheitsgesellschafter ermöglicht. Je höher die Beteiligungsschwelle des Mehrheitsgesellschafters für den Gesellschafterausschluss ist, desto geringer ist typischerweise das Bestandsinteresse des oder der Minderheitsgesellschafter. Der VfGH kann nicht erkennen, dass die im GesAusG vorgesehene Beteiligungsschwelle von neun Zehntel des Nennkapitals der Kapitalgesellschaft für den Mehrheitsgesellschafter (§1 Abs2 GesAusG) in einer nicht sachgerechten Weise festgesetzt ist. Diese Beteiligungsschwelle von mindestens 90 vH am Nennkapital der Kapitalgesellschaft fügt sich auch insoweit in das sonstige Gesellschaftsrecht ein, als Gesellschaftern mit einer Beteiligungshöhe von nicht mehr als 10 vH keine die Unternehmenspolitik bzw -strategie bestimmenden (Minderheits-)Rechte eingeräumt werden.

Das GesAusG erfasst sowohl (börsenotierte und nicht börsenotierte) Aktiengesellschaften als auch Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Damit hat der Gesetzgeber einen Anwendungsbereich des GesAusG festgelegt, der über jenen der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote, ABl 2004 L 142, 12 (die nur Regelungen für börsenotierte Aktiengesellschaften trifft), hinausgeht.

Auch wenn es häufig der Fall sein sollte, dass das Bestandsinteresse bei Gesellschaftern einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung bei einer Durchschnittsbetrachtung höher ist als bei Gesellschaftern einer Aktiengesellschaft, ändert dies nach Auffassung des VfGH nichts daran, dass typischerweise bei einer geringen Beteiligung an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung dem Bestandsinteresse eines Minderheitsgesellschafters bzw von Minderheitsgesellschaftern, der bzw die nicht mehr als 10 vH des Stammkapitals hält bzw halten, weniger Gewicht beizumessen ist. Wenn der Gesetzgeber daher dem Mehrheitseigentümer in Bezug auf derartige Minderheitseigentümer im Interesse der Funktionsfähigkeit der Gesellschaft ein Gestaltungsrecht einräumt, handelt er nicht unsachlich. Wie bereits dargelegt, hat ein Minderheitsgesellschafter keine die Unternehmenspolitik und -strategie bestimmenden (Minderheits-)Rechte und kann dementsprechend auch keine bestandsrelevanten Entscheidungen treffen oder verhindern. Für die Einbeziehung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung in das GesAusG spricht auch, dass im Fall der bloßen Einbeziehung der Aktiengesellschaft die Regelungen des GesAusG durch eine rechtsformwechselnde Umwandlung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung in eine Aktiengesellschaft (wofür nach dem Gesetz bloß eine Beschlussmehrheit von 75 vH des Nennkapitals erforderlich ist) anwendbar gemacht werden können.

Soweit das Vermögensinteresse des Minderheitsgesellschafters betroffen ist, verlangen §1 Abs1 und §2 Abs1 GesAusG eine angemessene Barabfindung als Ausgleich für den Verlust der Beteiligung. Darüber hinaus gibt es nach dem GesAusG ein gerichtliches Überprüfungsverfahren, in dem die angemessene Barabfindung zu überprüfen ist.

Die Regelungen über den Gesellschafterausschluss im GesAusG haben keinen zwingenden Charakter. In der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag kann vorgesehen werden, dass der Ausschluss von Gesellschaftern nach den Bestimmungen des GesAusG nicht zulässig ist oder dem Hauptgesellschafter eine höhere Anteilsquote als neun Zehntel des Nennkapitals gehören muss.

Keine Bedenken gegen die Übergangsregelung des §9 GesAusG. Keine Verletzung des aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbaren Vertrauensschutzes: Bereits vor dem Inkrafttreten des GesAusG am 20.05.2006 bestanden gesellschaftsrechtliche Möglichkeiten des Ausschlusses von Minderheitsgesellschaftern sowohl bei einer Aktiengesellschaft als auch bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Zu nennen sind dabei insbesondere die einschlägigen Bestimmungen des UmwandlungsG und (des später in Kraft getretenen) SpaltungsG (im Folgenden: SpaltG).

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Stellung der Minderheitsgesellschafter nach dem GesAusG gegenüber der früheren Rechtslage verbessert wurde: Die bis dahin bestandenen gesellschaftsrechtlichen Instrumente zum Ausschluss von Gesellschaftern im UmwandlungsG einerseits und im SpaltG andererseits wurden zeitgleich mit der Erlassung des GesAusG durch das Übernahmerechts-ÄnderungsG 2006 novelliert: §2 Abs2 Z3 UmwandlungsG passt die Reglungen der Barabfindung an das Verfahren in §2 GesAusG an. Eine Umgehung dieses höheren Rechtsschutzstandards mit dem Instrument der nicht verhältniswahrenden Spaltung wurde durch die Einführung des Einstimmigkeitserfordernisses in §8 Abs3 zweiter Satz SpaltG beseitigt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Gesellschaftsrecht, Eigentumsbeschränkung, Übergangsbestimmung, Vertrauensschutz, Rechtspolitik, VfGH / Parteiantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:G30.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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