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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §187 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamts Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 26. September 2017, Zl. RV/7101794/2017, betreffend Einkommensteuer 2015 (mitbeteiligte Partei: P in W, vertreten durch Mag. (FH) Barbara Undeutsch, Steuerberaterin in 2380 Perchtoldsdorf, Goethestraße 2/1/3), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte bezog im Streitjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In ihrer Einkommensteuererklärung machte sie insbesondere "sonstige außergewöhnliche Belastungen" geltend. Auf Vorhalt führte sie hiezu an, es handle sich um Kosten eines "Sorgerechtsstreites". Der Exfreund (G) der Mitbeteiligten wolle das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn und habe deswegen die Mitbeteiligte "verklagt". Dadurch seien enorme Anwaltskosten entstanden.
2 Mit Bescheid vom 9. September 2016 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für das Jahr 2015 fest. Die für den "Sorgerechtsstreit" geltend gemachten Aufwendungen wurden dabei nicht berücksichtigt. Begründend wurde ausgeführt, Prozesskosten gehörten zur privaten Lebensführung und seien daher nicht als außergewöhnliche Belastung absetzbar.
3 Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Sie schilderte darin, G habe sie im März 2014 verlassen und eine Aufteilung der Betreuungszeit des damals zwei Jahre alten Sohns im Verhältnis 50:50 begehrt; er habe sich auch geweigert, Unterhalt zu leisten. Sie habe eine Aufteilung der Betreuung im Verhältnis 50:50 für ein derart kleines Kind als schädlich für das Kind erachtet. Sie habe angeboten, die Betreuung im Verhältnis 2:1 aufzuteilen. Sie habe eine erste Mediation initiiert, die aber nach einigen Terminen abgebrochen worden sei. Danach habe sie mit Hilfe von Anwälten versucht, eine außergerichtliche Einigung herbeizuführen; im November 2014 sei eine Einigung am Tisch gelegen, G habe sie aber nach wenigen Tagen widerrufen. Anschließend seien die Verhandlungen mit Hilfe von Anwälten weitergegangen, G sei sodann aber zu Gericht gegangen und habe im Frühjahr 2015 eine Kontaktrechtsfestsetzung (im beantragten Verhältnis 50:50) eingebracht. In der Folge habe sie eine Unterhaltsforderung (betreffend den Sohn) eingebracht. Das Gericht habe die Verfahren über die Anträge ausgesetzt und eine Mediation angeordnet (12 Mediationseinheiten bis November 2015). Anfang November sei eine Mediationsvereinbarung zustande gekommen, die von G abermals widerrufen worden sei. Im Februar 2016 sei es zu einem Gerichtstermin gekommen. Um ein langwieriges Verfahren zu vermeiden, habe sie sich darauf eingelassen, die Betreuung im Verhältnis 60:40 aufzuteilen. Zudem sei ein "Minimalunterhalt" für das Kind festgelegt worden; G sei auch dazu verpflichtet worden, Unterhalt für die vergangenen zwei Jahre nachzuzahlen.
4 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 11. Oktober 2016 änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid - in im Revisionsverfahren nicht strittigen Punkten - ab. Die Kosten des "Sorgerechtsstreits" wurden weiterhin nicht berücksichtigt.
5 Die Mitbeteiligte beantragte, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen. Um ihr Kind zu schützen, sei sie gezwungen gewesen, sich gegen die kindeswohlgefährdenden Forderungen des Kindesvaters G zu wehren. Da aufgrund des aggressiven Verhaltens des G eine außergerichtliche Einigung nicht möglich gewesen sei, seien ihr hohe Anwaltskosten erwachsen. Durch die Unterstützung der Anwälte sei sie in der Lage gewesen, dem Kind bis zur gerichtlichen Entscheidung im Frühjahr 2016 über eine schwierige Zeit hinwegzuhelfen.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde teilweise Folge. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.
7 Begründend führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, im Jahr 2013 sei zwischen der Mitbeteiligten und G eine Obsorgeregelung getroffen worden. Im Nachhinein sei aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zwischen den ehemaligen Partnern sowohl eine neuerliche Regelung der Obsorge als auch ein Unterhaltsverfahren beantragt worden. Vom Gericht sei das Verfahren auf Kontaktrecht und Unterhaltszahlungen ausgesetzt und Mediation vereinbart worden. Die Mediation habe zu einer Einigung geführt, die G jedoch widerrufen habe, weshalb das Gerichtsverfahren fortgeführt worden sei. Das Verfahren sei noch nicht endgültig abgeschlossen. Aufgrund der Nichteinigung zwischen den ehemaligen Partnern sei es im Streitjahr zu Mediationskosten in Höhe von 4.164 EUR und Rechtsanwaltskosten für Obsorge und Unterhalt in Höhe von 13.606,94 EUR gekommen.
8 Prozesskosten würden grundsätzlich nicht zwangsläufig erwachsen, weil jede Prozessführung mit dem Risiko verbunden sei, die Kosten ganz oder teilweise selbst tragen zu müssen. Eine allgemeine Regel lasse sich aber nicht aufstellen. Streitigkeiten über das Umgangsrecht der Eltern mit ihren Kindern berührten - nach Rechtsprechung des deutschen Bundesfinanzhofs (Hinweis auf BFH 4.12.2001, III R 31/00) - einen Kernbereich menschlichen Lebens. Die Verweigerung des Umgangs mit den eigenen Kindern könne zu einer tatsächlichen Zwangslage führen, die die Anrufung des Gerichtes unabdingbar mache.
9 G habe eine Aufteilung der Obsorge bzw. Kontaktfestsetzung für den minderjährigen Sohn je zur Hälfte beantragt, sich jedoch nicht an die Vereinbarung gehalten. Die Mitbeteiligte sei daher gezwungen gewesen, zum Wohle des Kindes den gerichtlichen Weg, den G provoziert habe, zu beschreiten. Die Prozessführung bzw. die dadurch entstandenen Kosten seien der Mitbeteiligten daher zwangsläufig erwachsen.
10 Es sei jedoch zwischen den Rechtsanwaltskosten betreffend Obsorge und Mediation in Höhe von insgesamt 17.053,39 EUR, welche anzuerkennen seien, und den Rechtsanwaltskosten betreffend Unterhalt (717 EUR) zu unterscheiden. Unterhaltsaufwendungen an Kinder seien nämlich gemäß § 34 Abs. 7 EStG 1988 grundsätzlich nicht im Rahmen der außergewöhnlichen Belastung abzugsfähig. Soweit Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit eingeforderten Unterhaltsleistungen stünden, seien sie daher nicht abzugsfähig.
11 Da die Rechtsfrage, ob "Prozess- und Mediationskosten" in Zusammenhang mit einem Obsorgestreit als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen seien, noch nicht entschieden worden sei, sei die ordentliche Revision zuzulassen.
12 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamts. Das Erkenntnis wird insoweit angefochten, als die geltend gemachten Aufwendungen für Mediation und Rechtsanwaltshonorare im Kontaktverfahren in Höhe von 17.053,39 EUR als außergewöhnliche Belastung anerkannt worden seien.
13 Die Mitbeteiligte hat eine - als Revision bezeichnete - Revisionsbeantwortung eingebracht.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
15 Die Revision ist zulässig und begründet.
16 Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss außergewöhnlich sein, sie muss zwangsläufig erwachsen, und sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.
17 Nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
18 Es entspricht der vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass Prozesskosten im Allgemeinen nicht zwangsläufig im Sinne des § 34 EStG 1988 erwachsen; eine allgemeine Regel lässt sich allerdings bei aufgezwungener Prozessführung nicht aufstellen. Zwangsläufigkeit von Prozesskosten wird stets dann verneint, wenn die Prozessführung auf Tatsachen zurückzuführen ist, die vom Steuerpflichtigen vorsätzlich herbeigeführt wurden oder die sonst die Folge eines Verhaltens sind, zu dem sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken entschlossen hat (vgl. VwGH 26.7.2017, Ro 2016/13/0026, mwN).
19 Die Revision schildert - wie sich aus den in den vorgelegten Verfahrensakten befindlichen Urkunden ergibt - zutreffend, dass zwischen der Mitbeteiligten und G nicht die Obsorge (§ 177 ABGB) strittig war (die Obsorge kam nach einer am 14. Februar 2013 erfolgten pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung einer Vereinbarung der Mitbeteiligten und G gemeinsam zu; so auch im Beschluss des Bezirksgerichts vom 28. April 2015 geschildert:
gemeinsame Obsorge, Haushalt der hauptsächlichen Betreuung ist bei der Mutter).
20 Strittig war das Kontaktrecht (§ 187 ABGB) und damit verbunden auch der Unterhaltsanspruch für das gemeinsame Kind. G beantragte insoweit ein Kontaktrecht, das einer Betreuung im Ausmaß von 50% entsprechen sollte; dazu beantragte er, das Kontaktrecht so festzulegen, dass dies - alle zwei Wochen - von Montag nach dem Kindergarten bis Mittwoch früh bis zum Kindergarten und von Freitag nach dem Kindergarten bis zum folgenden Mittwoch früh bis zum Kindergarten erfolgen solle. Die Mitbeteiligte beantragte hingegen, das Kontaktrecht in der Weise festzulegen, dass dieses G - alle zwei Wochen - von Montag ab dem Kindergarten bis Mittwoch Kindergartenbeginn sowie Freitag nach dem Kindergarten bis Montag Kindergartenbeginn zukommen solle; in dieser Weise sei das Kontaktrecht auch bisher gehandhabt worden. Vereinbart wurde schließlich - am 11. Februar 2016 - das Kontaktrecht in der Weise, dass das Kind die Zeiten von Montag
9.30 bis Mittwoch 9.30 sowie von Freitag 9.30 bis Montag 19 Uhr (der darauf folgenden Woche) beim Vater verbringe.
21 Damit war auch das Kontaktrecht nicht grundsätzlich strittig; strittig war vielmehr nur ein Kontaktrecht (alle zwei Wochen) für den Zeitraum Montag Kindergartenbeginn (so der Vorschlag der Mitbeteiligten) bis Mittwoch Kindergartenbeginn (so der Vorschlag von G).
22 Wenn das Bundesfinanzgericht zur Berücksichtigung der Aufwendungen auf Rechtsprechung des deutschen Bundesfinanzhofs (4.12.2001, III R 31/00, BStBl. II 2002, 382) verweist, so betraf jene Entscheidung einen Fall, in welchem einem Elternteil vom anderen Elternteil der "Umgang" mit dem Kind völlig versagt wurde, obwohl er sich ihnen gegenüber nichts hatte zu Schulden kommen lassen. Der Bundesfinanzhof kam dabei zur Ansicht, dass die völlige Verweigerung des Umgangs mit den eigenen Kindern zu einer tatsächlichen Zwangslage führen könne, die die Anrufung des Vormundschaftsgerichts für diesen Elternteil unabweisbar gemacht habe. Im Übrigen - bei nicht völliger Versagung des Umgangsrechts -
nimmt aber der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung insoweit keine außergewöhnlichen Belastungen an (vgl. insbesondere BFH 10.3.2016, VI R 38/13, wobei - in Rz 22 - explizit auf den Ausnahmecharakter des Urteils BStBl. II 2002, 382, verwiesen wird; vgl. auch BFH 28.4.2016, VI R 15/15).
23 Nach § 187 Abs. 1 ABGB haben das Kind und jeder Elternteil das Recht auf regelmäßige und den Bedürfnissen des Kindes entsprechende persönliche Kontakte. Die persönlichen Kontakte sollen das Kind und die Eltern einvernehmlich regeln. Soweit ein solches Einvernehmen nicht erzielt wird, hat das Gericht auf Antrag des Kindes oder eines Elternteils diese Kontakte in einer dem Wohl des Kindes entsprechenden Weise zu regeln und die Pflichten festzulegen. Auch im gerichtlichen (außerstreitigen) Verfahren können Vereinbarungen über die persönlichen Kontakte getroffen werden. Soweit dadurch der Verfahrensgegenstand inhaltlich erledigt wurde, ist das Verfahren ohne weiteres beendet (§ 109 Abs. 1 Außerstreitgesetz).
24 Nach § 107 Abs. 1 Z 1 Außerstreitgesetz können sich die Parteien im Verfahren über die persönlichen Kontakte nur durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Damit wird aber nur eine relative Anwaltspflicht vorgesehen; den Eltern steht es auch frei, sich nicht vertreten zu lassen und ihre Interessen selbst wahr zu nehmen (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013, BGBl. I Nr. 15/2013, 2004 BlgNR 24. GP 38).
25 Vor diesem gesetzlichen Hintergrund ist die Anrufung des Gerichts im Kontaktrechtsstreit im Allgemeinen nicht zwangsläufig. Kommt allerdings eine einvernehmliche Regelung nicht zustande, ist es - auch zur Wahrung des Wohls des Kindes - erforderlich, eine Regelung durch das Gericht herbeizuführen. Erweist sich dabei der vom jeweiligen Elternteil eingenommene Standpunkt zumindest zum Teil als berechtigt, kann je nach Lage des Falles eine "aufgezwungene" Prozessführung vorliegen (vgl. VwGH 18.9.2013, 2011/13/0029, VwSlg. 8846/F).
26 Die damit verbundenen (auch außergerichtlichen) Rechtsanwaltskosten sind allerdings - mangels Anwaltspflicht - grundsätzlich nicht zwangsläufig. Besondere Gründe dafür, dass trotz fehlender Anwaltspflicht das Einschreiten eines Rechtsanwaltes unbedingt erforderlich gewesen wäre, sind nicht ersichtlich.
27 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deswegen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Wien, am 25. Juli 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018130002.J00Im RIS seit
22.08.2018Zuletzt aktualisiert am
12.10.2018