Entscheidungsdatum
17.07.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W159 2161395-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. SOMALIA, gegen den Bescheid des BFA RD Salzburg Außenstelle Salzburg vom 09.05.2017, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegen und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG
2005 idgF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Somalia, gelangte am 30.04.2016 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 01.05.2016 wurde er einer Erstbefragung nachdem Asylgesetz durch die Polizeiinspektion XXXX unterzogen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass er Vorsitzender einer einheimischen NGO in Somalia gewesen sei und sie Kontakt zu ausländischen Organisationen, die sie unterstützt hätten, gehabt hätten. Sie hätten Hilfsbedürftige unterstützt und aus diesem Grunde sei er von der Al-Shabaab bedroht und verfolgt worden, da sie gemeint hätten, dass er Kontakt mit Ungläubigen hätte und daher mit dem Tod zu bestrafen sei.
Nach Zulassung zum Asylverfahren erfolgte am 27.04.2017 eine inhaltliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg. Der Beschwerdeführer legte ein Deutschzertifikat A1, weitere Deutschkursbestätigungen, Unterlagen zu NGO XXXX, eine Bestätigung des somalischen Bildungsministeriums, medizinische Unterlagen sowie eine Visitenkarte von XXXX vor. Er sei verheiratet und habe neun Kinder sowie eine siebzehn Jahre alten Adoptivsohn. Er sei in XXXX geboren und habe die Grund- und Mittelschule sowie die höhere Schule besucht. 1999 habe er seine erste Frau geheiratet. Von dieser habe er sich 2002 scheiden lassen und 2003 habe er wieder geheiratet. Er habe in XXXX gelebt, sein Bruder lebe in XXXX. Er gehöre dem Clan Ashraf an. Diese seien sehr religiös. Sie wären Händler und Bauern. Er sei von der Al-Shabaab aus Gründern der Religion verfolgt worden. Näher gefragt gab er an, dass für die NGO XXXX gearbeitet habe. Er sei Vorsitzender für Somalia gewesen und habe in mehreren Provinzen gearbeitet. Eine Partnerorganisation der UNO hätte sie finanziert. Seine letzte Tätigkeit sei die Mitarbeit am Projekt "XXXX" gewesen. Man wollte für eine Million Kinder in Somalia einen Schulunterricht organisieren. Das Bildungsministerium habe diese Aufgaben an sie übertragen. Er sei für drei Schulen im Bundesland Shabellehoose zuständig gewesen. Er habe während dieser Tätigkeit viele Schwierigkeiten mit der Al-Shabaab gehabt. Sie seien gegen das Projekt gewesen. Drei Mal sei er an einem Kontrollpunkt angehalten worden und das Auto sei durchsucht worden. Einmal hätten sie ihm alle Bücher und Schreibwaren weggenommen. Das nächste Mal haben sie ihm gesagt, dass er seine Tätigkeit einstellen müsse. Beim dritten Mal hätten sie ihm vorgeworfen, dass er Kinder zu Ungläubigen erziehe. Er habe sie jedes Mal beruhigt und gesagt, dass er nur die Kinder ausbilden möchte. Eines Morgens im September habe er zur Arbeit gehen wollen und habe einen Anruf von Leuten aus der Region bekommen, die gesagt hätten, dass die Al-Shabaab alle Schulen geschlossen hätte, hätten sie eine Rede an die Eltern gehalten. Sie hätten XXXX als ungläubig bezeichnet und dass sie gegen diese Organisation kämpfen würden und dass der Verantwortliche (damit sei er gemeint worden) sterben werde. Er habe dann Angst bekommen und habe seine Arbeit eingestellt. Al-Shabaab habe gedroht, dass sie ihn überall, wo er hingehen würde, töten würden. Deswegen sei er dann aus seiner Heimat geflohen. Einmal im Monat sei er in XXXX in Somaliland gewesen. Dann sei er wieder nach XXXX gefahren. In XXXX habe er keine Verwandten. Als am 18.20.2016 die Al-Shabaab XXXX eingenommen habe und sie gewusst habe, wo eine Familie lebe, sei diese nach Äthiopien geflüchtet. Von der Al-Shabaab werde er überall gesucht und bedroht. Sie habe sogar schon Menschen in XXXX ermordet. Über Vorhalt, dass es in Somaliland keine A-Shabaab-Aktivitäten gebe, führte er aus, dass es eine persönliche Verfolgung und Auftragsmörder auch dort geben würde. Er habe nur Kinder in der ersten Klasse unterrichtet, wo es um die Fähigkeit des Schreibens und Lesens gegangen sei und um keine Religion oder Ideologie. Daher habe er nicht mit derartigen Problemen durch die Al-Shabaab gerechnet.
Er lebe in einer Flüchtlingsunterkunft in XXXX von der Grundversorgung.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg vom 09.05.2017, Zl. XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchteil II. jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennt und unter Spruchteil III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 09.05.2018 erteilt. Zur Begründung der Entscheidung wurde der Verfahrensgang einschließlich der oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt, sowie Feststellungen zu Somalia getroffen. In der Beweiswürdigung wurde die Tätigkeit für die NGO XXXX als "zumindest glaubhaft" bezeichnet und auch eine erhöhte Bedrohung im Heimatbundesland Shabelle Hoose und XXXX als glaubhaft bezeichnet, eine auf ganz Somalia und Somaliland bezogene anhaltende Lebensgefahr jedoch nicht erkannt. Rechtlich begründend wurde insbesondere dargelegt, dass der Antragsteller die in der Statusrichtlinie angeführten Verfolgungsszenarien nicht habe dartun können und daher der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Asylgewährung abzuweisen gewesen sei. Eine Bedrohung durch die Al-Shabaab sei jedoch nicht gänzlich auszuschließen, insbesondere im Heimatbundesland Shabelle Hoose und da überdies nicht mit Sicherheit angenommen werden könne, dass ein Neustart ohne familiäre Unterstützung in Somaliland möglich sei, sei subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen und daher auch eine befristete Aufenthaltsberechtigung auszusprechen gewesen.
Gegen diesen Bescheid und zwar ausschließlich gegen Spruchpunkt I. erhob der Antragsteller, vertreten durch den XXXX, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde vorgebracht, dass der Antragsteller eine politische bzw. religiöse Verfolgung bzw. Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erleiden habe müssen. Der Beschwerdeführer befürchte wegen seiner Tätigkeit als Vorsitzender einer NGO, der von der Al-Shabaab vorgeworfen worden sei ein "Ungläubiger" zu sein, von dieser ermordet zu werden, wobei die Behörden nicht fähig und willig seien, ihn zu beschützen. Hervorgestrichen wurde, dass das Vorbringen nach der Beschwerde nach der Beweiswürdigung als glaubwürdig angesehen worden sei. Die Schlussfolgerungen der Behörde über eine allfällige inländische Fluchtalternative in Somaliland widerspreche jedoch den Länderfeststellungen. Da es sich bei dem Beschwerdeführer um eine "high profile"- Person handle und sei er auch dort nicht sicher, zumal er sich öffentlich als Leiter einer NGO gegen die Al-Shabaab gestellt habe. Außerdem bestehe in Somaliland eine schreckliche Dürrekatastrophe. Er sei auch wegen fehlender familiärer Anknüpfungspunkte eine dortige Fluchtalternative nicht zumutbar, wie auch die Behörde festgestellt habe. Der Beweiswürdigung fehle daher ein erkennbarer Begründungswert. Es sei die für den Beschwerdeführer bestehende Verfolgungsgefahr wohl begründet, wie auch Länderberichte belegen würden. Die Behörde habe es verabsäumt, sich mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers anhand der aktuellen Situation in Somalia auseinanderzusetzten und wurde in diesem Zusammenhang auch die Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt.
Mit Schreiben vom 18.02.2018 ersuchte die ausgewiesene Vertretung des Beschwerdeführers um ehebaldige Anberaumung einer Beschwerdeverhandlung. Das Bundesverwaltungsgericht setzte eine solche für den 24.05.2018 fest, wobei sich die Behörde für ihre Nichtteilnahme entschuldigen ließ. Der Beschwerdeführer erschien in Begleitung einer Mitarbeiterin seiner ausgewiesenen Vertretung und hielt die Beschwerde und sein bisheriges Vorbringen aufrecht. Er wollte lediglich das Alter seines Adoptivsohns auf sechzehn Jahre (bei der Einvernahme) korrigieren. Er sei somalischer Staatsangehöriger, besitze darüber aber keine Dokumente und gehöre dem Clan Ashraf an sowie dem muslimischen Glauben (Sunnit). Auch seinen Subclan und Subsubclan nannte er. Er habe wohl allgemeine Probleme wegen seiner Clanzugehörigkeit gehabt. Dies sei aber nicht der Grund gewesen, warum er Somalia verlassen habe. Probleme wegen der Clanzugehörigkeit gebe es in Somalia immer.
Er sei am XXXX in XXXX geboren. In der Folge beantwortete er einige Fragen zu XXXX. Er habe acht Jahre eine allgemeinbildende Schule und drei Jahre eine Berufsschule als Maurer besucht. Zuerst habe er als Taglöhner selbstständig gearbeitet, dann als Lehrer und zuletzt bei einer NGO. Für die Lehrertätigkeit habe er zwei Jahre lang verschiedene Kurse und Seminare besucht. Er sei verheiratet und habe neun Kinder plus einen Adoptivsohn. Das älteste Kind sei gerade achtzehn Jahre alt geworden, das jüngste fünf Jahre. Seine Frau lebe mit den Kindern in Äthiopien. Sie seien wegen des Krieges dorthin geflüchtet.
Er habe für die Organisation XXXX gearbeitet. Er selbst habe diese 2010 gegründet und sei auch der Obmann gewesen. Da es keine behördlichen Organisationen, vor allem im Bereich der Bildung gegeben habe, hätten sie selbst eine Organisation gründen müssen. Durch den Bürgerkrieg sei das Bildungsniveau der Menschen immer weiter hinuntergegangen. Sie hätten den Leuten mehr Bildung zukommen lassen wollen. Von Seiten der Regierung habe es keine Hilfe gegeben. Die Organisation habe in XXXX, XXXX und XXXX Sitze gehabt und habe mit dem "World Food Programme" der UNO zusammengearbeitet. Er habe die Organisation insgesamt überwacht. Sie hätten die Lehrer trainiert und die Schulen mit Materialien unterstützt. Das Geld hätten sie von Mitgliedern und wohlhabenden Somaliern bekommen und weiters auch von internationalen Organisationen. Hauptsächlich sei er in XXXX tätig gewesen, aber auch in XXXX und XXXX. In dem vorgelegten Papier (AS 41 ff) sei deswegen XXXX als Adresse angegeben, weil die Somalier Somaliland nicht mögen und umgekehrt. Deswegen hätten sie für Somaliland die Adresse in XXXX angegeben. In der Folge erklärte er die sich im behördlichen Akt befindlichen Fotos.
Aufgefordert, seine Probleme mit der Al-Shabaab zu schildern, gab er an, dass er zuerst wegen des Denkens mit der Al-Shabaab Probleme gehabt habe. 2013 hätten sie dann das Projekt "XXXX", das von der UNO und der EU finanziert wurde, auf die Beine gestellt und agierten im Auftrag des somalischen Bildungsministeriums. Er sei für drei Schulen in der Region Shabelle Hoose verantwortlich gewesen. Er habe die Lehrer unterstützt und die Bildungsmaterialien besorgt. Al-Shabbab habe internationalen Organisationen untersagt in die Schule zu kommen. Er sei drei Mal von der Al-Shabbab an einem Checkpoint kontrolliert worden. Das erste Mal habe ihm die Al-Shabaab vorgeworfen, dass er schlechte Dinge verbreite und die Leute westlich beeinflusse. Er habe versucht, die Al-Shabbab-Leute davon zu überzeugen, dass er nur Kinder ausbilden möchte, damit sie später aus ihrem Leben etwas machen könnten. Dann sei er ein zweites Mal bei einem Checkpoint kontrolliert worden. Da hätten sie ihm Lehrmaterialien weggenommen, die er an die Schulen hätte bringen wollen und hätten ihn wieder zurückgeschickt. Beim dritten Mal hätten sie ihm gesagt, dass er sofort mit seiner Tätigkeit aufhören solle. Sie hätten ihn gewarnt, er solle keine Kinder manipulieren und zu Ungläubigen machen. Später habe sich dann ein Lehrer bei ihm gemeldet und habe ihm mitgeteilt, dass die Al-Shabaab die Schulen geschlossen hätte und die Kontrolle über die Dörfer eingenommen hätte. Sie hätten die Kinder, die Eltern und die Lehrer zu einem Sammelplatz geholt und gesagt, dass sie die Schulen geschlossen hätte und das Projekt für beendet worden sei. Sie hätten gesagt, dass hinter dem Projekt ein anderes Ziel stecke, nämlich die Kinder zu Ungläubigen zu machen. Weiters hätten sie offen gesagt, dass sie ihn töten würden und hätten ihn auch namentlich erwähnt. Nachdem er diese Nachricht erhalten habe, sei er schockiert und verängstigt gewesen, denn er habe gewusst, dass die Al-Shabaab ihre Drohungen auch umsetzten werde. Vorher sei ihm nicht so bewusst gewesen, dass ihn seine Hilfsbereitschaft in Gefahr bringen würde. Die Probleme mit der Al-Shabaab hätten im März 2014 begonnen. Im September 2014 seien die Schulen geschlossen worden. Persönlich habe er aber weder schriftliche noch telefonische Bedrohungen erhalten. Die Drohungen seien nur indirekt erfolgt. Er habe aber Angst um sein Leben bekommen und sei ausgereist. Und zwar sei er im Oktober 2014 nach Kenia gefahren und von dort in die Türkei geflogen, weiter nach Griechenland und auf dem Landweg nach Österreich. Nur er habe um sein Leben fliehen müssen. Er stehe aber nach wie vor in Kontakt zu seiner Familie. Diese wären nunmehr Flüchtlinge in Äthiopien. Eine Tochter sei verschwunden und eine weitere sei entführt worden.
Gefragt nach aktuellen gesundheitlichen oder psychischen Problemen gab er an, dass er Hautprobleme habe, schlecht höre und sehe und deswegen in ärztlicher Behandlung sei. Er besuche einen Deutschkurs und sei sonst oft in medizinischer Behandlung. Er habe bereits ein Deutschdiplom auf dem Niveau A1 vorgelegt und auch an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Offiziell habe er in Österreich noch nicht gearbeitet. Bei Vereinen oder Institutionen sei er auch nicht. Österreichische Freunde habe er noch nicht viele.
Bei einer Rückkehr nach Somalia befürchte er konkret von der Al-Shabaab getötet zu werden. Gefragt, nach allfälligen inländischen Fluchtalternativen in XXXX oder Somaliland, wo die Al-Shabaab wenig Einfluss habe, gab er an, dass er nur einmal im Monat wegen des Projektes in Somaliland gewesen sei. Dafür habe er ein Visum gebraucht. Vor der Al-Shabaab wäre er nicht einmal in Kenia sicher, geschweige denn in XXXX oder Somaliland. Er hoffe daher, dass er internationalen Schutz erhalte.
Am Schluss der Verhandlung wurde das aktuelle Länderinformationsblatt zu Somalia zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt sowie der aktuelle Strafregisterauszug des Beschwerdeführers, in dem keine Verurteilung aufscheint, zu Verlesung gebracht.
Im Rahmen der Stellungnahme führte die Beschwerdeführervertreterin aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers glaubwürdig und substantiiert sei und ihm in seiner Heimat Verfolgung im Sinne der GFK drohe. Weiters wurde ein im Akt enthaltenes Schreiben des somalischen Ministeriums für Entwicklung einer Übersetzung zugeführt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Somalia und wurde am XXXX in XXXX geboren. Er gehört dem Clan Ashraf an, hatte wegen seiner Clanzugehörigkeit aber keine schweren persönlichen Probleme. Er besuchte acht Jahre lang eine allgemein bildende Schule und drei Jahre lang eine Berufsschule für Maurer. Nachdem er eine Zeit lang als Taglöhner gearbeitet hatte, macht er in Form von Kursen und Seminaren eine Ausbildung zum Lehrer. Er war zuletzt bei der NGO XXXX angestellt. Er ist verheiratet und hat neun Kinder plus einen Adoptivsohn, welche derzeit mit seiner Frau in Äthiopien in einem Flüchtlingslager leben.
Da das Bildungsniveau durch den andauernden Bürgerkrieg stark gesunken war und die staatlichen Behörden nicht in der Lage waren, effektive Maßnahmen dagegen zu setzen, gründete der Beschwerdeführer als Teil der Zivilgesellschaft die Organisation XXXX, die in der Folge von internationalen Organisationen, der EU sowie wohlhabenden Somaliern unterstützt wurde. Zentrale Aktivität dieser Organisation, die in XXXX (Hauptsitz) sowie in XXXX und XXXX tätig war, war das Projekt "XXXX". Im Rahmen dieses Projektes wurden Lehrer trainiert und Schulen mit Materialien unterstützt. Ab März 2014 bekam der Beschwerdeführer, der für die Aufsicht insbesondere von drei Schulen in der Region Shabelle Hoose zuständig war, Probleme mit der Al-Shabaab, die ihm vorwarfen, Kinder zu Ungläubigen zu erziehen und zu "verwestlichen". Nachdem der Beschwerdeführer zunächst gewarnt wurde und ihm in der Folge Lernmaterialien weggenommen wurden, wurden im September 2014 von der Al-Shabaab die besagten Schulen geschlossen und das Projekt für beendet erklärt. Die Al-Shabaab behauptete, dass hinter dem Projekt das Ziel stehe, die Kinder zu Ungläubigen zu machen und drohten offen und öffentlichen den Beschwerdeführer zu töten. Der Beschwerdeführer verließ daraufhin im Oktober 2014 (ohne seine Familie) Somalia Richtung Kenia und flog von dort in die Türkei. Über Griechenland gelangte er dann auf den Landweg nach Österreich, wo er am 30.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Einer seiner Töchter ist in der Zwischenzeit verschwunden, eine weitere wurde entführt.
Der Beschwerdeführer sieht und hört schlecht. Er leidet unter Hautproblemen und ist in regelmäßiger ärztlicher Behandlung im XXXX. Er besucht einen Deutschkurs und hat bereits ein Deutschdiplom auf Niveau A1 abgelegt. Gearbeitet hat er offiziell noch nicht. Bei Vereinen oder Organisationen ist er auch nicht Mitglied. Er führt kein Familienleben in Österreich und ist unbescholten.
Zu Somalia wird folgendes verfahrensbezogenes festgestellt:
1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 3.5.2018: Überdurchschnittliche Niederschläge, bessere Versorgungssicherheit prognostiziert (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt 21.1/Dürresituation)
Schon in den vor der Gu-Regenzeit gemachten Prognosen zeichnete sich eine Entspannung der Situation ab, obwohl damals nur unterdurchschnittliche Regenmengen prognostiziert wurden. Anfang 2018 wurde für Februar-Juni 2018 prognostiziert, dass die Bevölkerung in folgende IPC-Stufen (Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung) einzuordnen sein wird: 56% Stufe 1 (minimal); 22% Stufe 2 (stressed); 18% Stufe 3 (crisis); 4% Stufe 4 (emergency); 0% Stufe 5 (famine). IDP-Lager in Südsomalia wurden durchwegs mit Stufe 3 IPC prognostiziert; Städte in Lower und Middle Shabelle, Bay und Jubaland mit Stufe 2; Mogadischu mit Stufe 1. Landesweit zeigt sich, dass die Bevölkerung in den Städten besser versorgt ist, als jene auf dem Lande (FAO 2018).
Verbesserungen bei Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung sind auf die höhere Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus der Deyr-Ernte und aus der gestiegenen Milchproduktion zurückzuführen. Gleichzeitig wird die humanitäre Hilfe aufrechterhalten. Viele Haushalte können Nahrungsmittel mit von humanitären Akteuren zur Verfügung gestellten Geldmitteln oder Gutscheinen erwerben (FEWS 3.2018). Im ersten Quartal 2018 bezogen monatlich 1,84 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Im letzten Quartal 2017 waren es noch 2,5 Millionen gewesen. Insgesamt erreicht die Unterstützung rund 70% der Menschen die sich auf oder über Stufe 3 IPC befinden (FEWS 4.2018a). Auch im Jahr 2018 wird humanitäre Hilfe weiterhin in großem Ausmaß erforderlich sein (FEWS 3.2018).
Der bereits eingetretene Rückgang an Hunger ist auch im Vergleich der Daten der beiden Deyr-Regenzeiten 2016/17 und 2017/18 zu erkennen (FEWS 3.2018):
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(FEWS 3.2018)
Nunmehr ist es im April 2018 in fast allen Landesteilen zu mittleren bis starken Regenfällen gekommen (FAO 27.4.2018). In fast ganz Somalia lag die Niederschlagsmenge der Gu-Regenzeit bis zum 20.4.2018 bei 200% des mehrjährigen Durchschnitts. Nur im Nordosten blieben die Niederschläge unterdurchschnittlich (FEWS 4.2018a). Allerdings werden die Niederschläge bis Juni weiter anhalten (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018), auch wenn mit einem Rückgang der Niederschlagsmengen gerechnet wird (FEWS 4.2018a).
Für den Zeitraum Juni-September 2018 wurde eine deutliche Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung angekündigt. Nur noch für Hilfsorganisationen leicht zugängliche Gebiete im Nordwesten werden unter Stufe 4 IPC (emergency) eingestuft, der große Rest des Landes fällt in die Stufen 1-3, Süd-/Zentralsomalia gänzlich (bis auf IDP-Konzentrationen) in die Stufen 1-2 (FEWS 4.2018b).
Aufgrund der überdurchschnittlichen Niederschläge in der Gu-Regenzeit Anfang 2018 wird erwartet, dass sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln in einigen Teilen Südsomalias noch weiter verbessern wird, als zu Jahresbeginn bereits prognostiziert. Zwar wurden in von Überflutungen betroffenen Gebieten Teile der Ernte vernichtet, jedoch sind die Bedingungen insgesamt so günstig, dass mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen ist (FEWS 4.2018b). Die Felder befinden sich in gutem Zustand. In der Landwirtschaft gibt es Arbeitsmöglichkeiten auf Normalniveau (FEWS 4.2018a).
In den meisten Gebieten haben sich Weidegründe und Wasserverfügbarkeit verbessert (FEWS 4.2018a; vgl. FEWS 4.2018b), der Zustand der Tiere hat sich normalisiert. Allerdings bleibt die durchschnittliche Herdengröße noch hinter dem Normalzustand zurück. Arme Nomaden in Nord- und Zentralsomalia werden weiterhin über zu wenig Vieh verfügen. Dort wird Stufe 3 IPC (crisis) vermutlich weiter vorherrschen (FEWS 4.2018b).
Die Entspannung wird auf Karten dokumentiert:
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(FEWS 4.2018b)
Der Handelspreis für 1kg Sorghum ist in Baidoa im ersten Quartal 2018 um 37% eingebrochen, jener für 1kg Mais in Qoryooley um 32%. Auch bei armen Haushalten verbessert sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln, sie haben nun auf normalem Niveau Zugang zu Arbeit in der Landwirtschaft und die Nahrungsmittelpreise haben sich ebenfalls normalisiert. Mit dem Tageseinkommen können nunmehr 10-18kg lokalen Getreides erstanden werden - 20%-60% mehr als noch vor einem Jahr (FEWS 4.2018a).
Untenstehend findet sich die detaillierte Prognosekarte der Agentur FSNAU der FAO für die Monate 2-6/2018:
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(FAO 2018)
Zusätzlich zu den Niederschlägen fließen aus dem äthiopischen Hochland beträchtliche Mengen Wasser zu (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018). Dadurch kam es in einigen Gebieten zu Überschwemmungen. Belet Weyne war besonders stark betroffen, 70% der Haushalte mussten ihre Häuser verlassen. In Qoryooley waren es 250 Haushalte. Außerdem betroffen waren einige Dörfer in Middle Juba und im Bezirk Wanla Weyne. Auch einige landwirtschaftlich genutzte Gebiete in Bay, Lower Juba, Togdheer und Hiiraan wurden überflutet (FEWS 4.2018a). Die Pegel der Flüsse werden vermutlich weiter steigen. Bisher sind rund 630.000 Menschen von Sturzfluten oder Überschwemmung betroffen, ca. 215.000 haben ihre Häuser verlassen müssen (davon 180.000 im Gebiet Belet Weyne). Andererseits verlassen manche IDPs die Lager, um von den Niederschlägen in ihrer ursprünglichen Heimat zu profitieren (UN OCHA 2.5.2018).
Quellen:
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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018a): Somalia
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Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlook-update/april-2018, Zugriff 2.5.2018
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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018b): Somalia
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Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia, Zugriff 2.5.2018
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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (3.2018): Somalia
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Food Security Outlook February to September 2018, http://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlook/february-2018, Zugriff 2.5.2018
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FAO FSNAU - Agentur der Food and Agriculture Organisation der UN (2018): IPC Map, http://www.fsnau.org/ipc/ipc-map, Zugriff 2.5.2018
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FAO SWALIM (27.4.2018): Somalia Rainfall Forecast - Issued: 27 April 2018,
https://reliefweb.int/map/somalia/somalia-rainfall-forecast-issued-27-april-2018, Zugriff 2.5.2018
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UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.5.2018): OCHA Somalia Flash Update #3 - Humanitarian impact of heavy rains | 2 May 2018,
https://reliefweb.int/report/somalia/ocha-somalia-flash-update-3-humanitarian-impact-heavy-rains-2-may-2018, Zugriff 3.5.2018
2. Politische Lage
Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).
Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).
Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).
Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).
Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).
Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).
Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)
Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).
Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).
Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.
Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).
Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017). Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele "Xaaf" vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017
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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM,
http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017
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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017
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EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 21.12.2017
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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017
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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):
Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018
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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,
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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
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WB - World Bank (18.7.2017): Somalia Economic Update, http://documents.worldbank.org/curated/en/552691501679650925/Somalia-economic-update-mobilizing-domestic-revenue-to-rebuild-Somalia, Zugriff 20.11.2017
3. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).
Hinsichtlich der Lesbarkeit untenstehender Karte sind die folgenden Kommentare zu berücksichtigen:
Eine vollständige und inhaltlich umfassende Darstellung kann nicht gewährleistet werden; die
Gebietsgrenzen sind relativ, jedoch annähernd (z.B. Problematik der unterschiedlichen Einflusslage bei Tag und Nacht; der Fluktuation entlang relevanter Nachschubwege). Um die Karten übersichtlich zu gestalten, wurde eine Kategorisierung der auf somalischem Boden operierenden (Konflikt-)Parteien vorgenommen (BFA 8.2017):
a) Alle auf irgendeine Art und Weise mit der somalischen Regierung verbundenen und gleichzeitig gegen al Shabaab gestellten Kräfte wurden als "anti-al-Shabaab Forces" zusammengefasst. Diese Kategorie umfasst neben Bundeskräften (SNA) auch Kräfte der Bundesstaaten (etwa Jubaland, Galmudug, Puntland) sowie AMISOM und bi-lateral eingesetzte Truppen (und damit de facto auch die Liyu Police).
b) Die ASWJ wurde nicht in diese Kategorie aufgenommen, da sie zwar gegen al Shabaab kämpft, die Verbindung zur Bundesregierung aber momentan unklar ist.
c) Einige Clans verfügen über relative Eigenständigkeit, die auch mit Milizen abgesichert ist. Dies betrifft in erster Linie die Warsangeli (Sanaag), Teile der Dulbahante (Sool) und die Macawusleey genannte Miliz in Hiiraan. Keine dieser Milizen ist mit Somaliland, einem somalischen Bundesstaat, mit der somalischen Bundesregierung oder al Shabaab verbunden; sie agieren eigenständig, verfügen aber nur über eingeschränkte Ressourcen.
Operational Areas
d) Operationsgebiete, in welchen die markierten Parteien über relevanten Einfluss verfügen (einfarbig): Dort können die Parteien auf maßgebliche Mittel (Bewaffnung, Truppenstärke, Finanzierung, Struktur, Administration u.a.) zurückgreifen, um auch längerfristig Einfluss zu gewährleisten. Es sind dies die Republik Somaliland;
Puntland; teilweise auch Galmudug; AMISOM in Tandem mit der somalischen Regierung bzw. mit Bundesstaaten; äthiopische Kräfte im Grenzbereich; al Shabaab; Ahlu Sunna Wal Jama'a in Zentralsomalia;
e) Einige Gebiete (schraffiert) - vorwiegend in Süd-/Zentralsomalia - unterliegen dabei dem Einfluss von zwei dermaßen relevanten Parteien.
f) Alle in der Karte eingetragenen Städte und Orte wurden einer der o. g. Parteien zugeordnet. Sie gelten als nicht schraffiert, die Kommentare unter 4.1.2 sind zu berücksichtigen. Soweit bekannt wurden den Städten AMISOM-Stützpunkte oder Garnisonen bi-lateral eingesetzter Truppen zugeordnet. In den Städten ohne eine derartige Präsenz gibt es eine SNA-Präsenz, oder aber Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten; oder Somalilands.
g) Operationsgebiete, in welchen kleinere Parteien über eingeschränkten Einfluss verfügen (strichliert): Dort sind neben den o. g. relevanten Parteien noch weitere Parteien mit eingeschränkter Ressourcenlage aktiv. Ihr Einfluss in diesen Operationsgebieten ist von wechselnder Relevanz und hängt von den jeweiligen verfügbaren Ressourcen und deren Einsatz ab (BFA 8.2017).
Bild kann nicht dargestellt werden
Bild kann nicht dargestellt werden
(BFA 8.2017)
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2016; vgl. ACLED 2017).
Quellen:
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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), https://www.acleddata.com/data/, Zugriff 10.1.2018
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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 21.12.2017
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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
Süd-/Zentralsomalia
Die Präsenz von AMISOM in Somalia bleibt auch mittelfristig essentiell, um die Sicherheit in Somalia zu gewährleisten. Sollte AMISOM überhastet abziehen oder die Verantwortung zu früh an somalische Sicherheitsbehörden übergeben, besteht das Risiko von Rückschritten bei der Sicherheit (UNSC 5.9.2017; vgl. ICG 20.10.2017).