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25/01 StrafprozessNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Abweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der StPO betreffend die Verweisung einer Strafsache an ein anderes Geschworenengericht durch den OGH aufgrund eines Aussetzungsbeschlusses; Beteiligung des Volkes an der Rechtsprechung auch im Fall einer Aussetzung gewahrt; kein Entzug des gesetzlichen Richters durch Delegation der Strafsache an ein anderes Geschworenengericht; fehlende Begründung der Aussetzungsentscheidung kein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren; keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Ausschluss eines Rechtsbehelfs zur Bekämpfung des Aussetzungsbeschlusses; kein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot mangels Vorliegens eines abgeschlossenen Strafverfahrens; Wahrspruch der Geschworenen nicht vom Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit umfasstRechtssatz
Abweisung des - zulässigen - Parteiantrags auf Aufhebung des §334 StPO sowie einer näher bezeichneten Wortfolge in §341 Abs1 StPO.
Bezogen auf den vorliegenden Fall (Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen ein Urteil wegen versuchten Mordes, wobei diesem Urteil ein auf §334 StPO gestützter Aussetzungsbeschluss des Schwurgerichtshofes vorausging) ist nicht zu bestreiten, dass die Identität der Rechtssache trotz Aussetzung des Verfahrens gewahrt bleibt, wird doch weiterhin über dieselbe Anklage gegen denselben Angeklagten befunden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass gleichfalls die mit der Einführung des Parteiantrages auf Normenkontrolle angestrebte Verbesserung des Rechtsschutzes für die Zulässigkeit des Antrages spricht.
Keine Verletzung des Art91 Abs2 B-VG:
Die Aussetzung der Entscheidung gemäß §334 StPO stellt in keiner Weise eine Beschränkung der - von Art91 Abs2 B-VG den Geschworenen zugewiesenen - Beurteilung der Schuldfrage dar: Der Beschluss auf Aussetzung beschränkt sich darauf, einen neuen Geschworenenprozess einzuleiten. Im weiteren Verlauf entscheiden wiederum Geschworene (ohne Bindung an die Auffassung des die Aussetzung verfügenden Schwurgerichtshofes) über die Schuld des Angeklagten, womit diese auch zum selben Ergebnis gelangen können wie im ersten Verfahren. Vor diesem Hintergrund ist die durch Art91 Abs2 B-VG angeordnete Beteiligung des Volkes an der Rechtsprechung auch im Fall einer Aussetzung gewahrt.
Keine Gefahr einer dauerhaften Vereitelung einer auf dem Willen der Geschworenen basierenden Urteilsfindung durch wiederholte Aussetzung: Gemäß §334 Abs4 StPO scheidet eine Aussetzung durch den Schwurgerichtshof (auch dann) aus, wenn die Entscheidung im wiederholten Verfahren mit jener im vorangegangenen übereinstimmt.
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Beschluss über die Aussetzung der Entscheidung gemäß §341 Abs1 StPO ohne Begründung zu verkünden ist. Ganz im Gegenteil stellt dies innerhalb des vom einfachen Gesetzgeber - unter Beachtung des Art91 B-VG - geschaffenen Systems der Geschworenengerichtsbarkeit sogar ein wesentliches Element der autonomen Urteilsbildung durch die nach der Aussetzung abermals über die Sache befindenden Geschworenen dar.
Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter:
Ein Gesetz, das die Übertragung einer Kompetenz durch einen Willensakt des zuständigen Organs auf ein anderes Organ - durch Delegation oder Mandat - vorsieht, muss insoweit inhaltlich bestimmt iSd Art18 B-VG sein, als die Voraussetzungen normiert sein müssen, unter denen von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden darf. Der Gesetzgeber hat die Behördenzuständigkeit nach objektiven Kriterien klar und eindeutig festzulegen.
Der VfGH kann keine Bedenken gegen die dem OGH durch §334 Abs2 StPO eingeräumte Delegationsermächtigung erkennen, zumal diese nur im Fall einer Aussetzung in Betracht kommt und sich mit der Vorgabe, dass "die Sache vor ein anderes Geschworenengericht desselben oder eines anderen Sprengels, wenn aber nur noch über eine strafbare Handlung zu entscheiden ist, die für sich allein nicht vor das Geschworenengericht gehört, an das von ihm zu bezeichnende sachlich zuständige Gericht" zu verweisen ist, als hinreichend bestimmt erweist.
Keine Verletzung der Rechte auf ein faires Verfahren, auf persönliche Freiheit sowie der Unschuldsvermutung:
Die Möglichkeit einer Aussetzung der Entscheidung stellt keine Maßnahme dar, welche schlechthin zu einer überlangen Verfahrensdauer führt. Vielmehr obliegt es der Vollziehung im Einzelfall, das Strafverfahren - unter Einbeziehung der Möglichkeit einer Aussetzung der Entscheidung - innerhalb einer angemessen Dauer zu beenden. Sodann folgt aus der Aussetzung des Verfahrens nicht notwendigerweise eine Verlängerung der (Untersuchungs-)Haft. Diese ist vielmehr auch weiterhin nur nach den in den §§173 ff StPO gesetzlich festgelegten Kriterien zulässig, weshalb das darauf bezogene Vorbringen des Antragstellers nicht verfängt.
Fehlende Begründung der Aussetzungsentscheidung kein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren: Zwar sind Entscheidungen im Allgemeinen zu begründen, doch kann die Begründungspflicht im Hinblick auf das Wesen einer bestimmten Entscheidung differenziert zu beantworten sein. Es fügt sich konsistent in das in der StPO festgelegte System der Geschworenengerichtsbarkeit, die Aussetzungsentscheidung nicht zu begründen, weil die Berufsrichter sonst über die ihnen zugewiesene Aufgabe hinaus eine Beurteilung der Schuldfrage darzulegen hätten.
Art6 EMRK fordert nicht die Einrichtung eines Instanzenzuges, womit dieser Garantie bereits dadurch entsprochen ist, dass über die Aussetzung gemäß §334 StPO ein Gericht entscheidet.
Keine Verletzung im Gleichheitsrecht und im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander:
Hinsichtlich des Geschworenenprozesses ist insbesondere die Aufgabenverteilung zwischen Schwurgerichtshof und Geschworenenbank hervorzuheben: Da die Geschworenen (im Gegensatz etwa zum Schöffenverfahren) alleine über die Schuld des Angeklagten befinden, stellen die Kompetenzen des Schwurgerichtshofes eine wichtige Ergänzung zur Gewährung der Richtigkeit von Strafurteilen dar.
Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Aufgaben von Schwurgerichtshof und Geschworenenbank zeigt auch die vom Antragsteller ins Treffen geführte Gegenüberstellung der Anzahl der Berufsrichter auf der einen und der Anzahl der Geschworenen auf der anderen Seite keine Verfassungswidrigkeit auf. Ebenso wenig erweist es sich als unsachlich, dass das nach der Aussetzung neu zusammengetretene Geschworenengericht nicht dazu verpflichtet ist, das Abstimmungsverhalten im vorangegangenen Verfahren zu berücksichtigen, zumal das Verfahren von Grund auf neu durchzuführen ist und damit einen neuen Prozess darstellt. Im Gegenteil stünde eine Berücksichtigung des Abstimmungsverhaltens im vorangegangenen Verfahren geradezu im Widerspruch zur Intention der Aussetzung, eine gänzlich neue Beurteilung der Sache einzuleiten.
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken iHa die fehlende Rechtsschutzmöglichkeit gegen den Aussetzungsbeschluss: Es liegt im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, durch den Ausschluss eines Rechtsbehelfes Zwischenstreitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der Aussetzung hintanzuhalten. Gleichzeitig wäre ein derartiges Rechtsmittel - im Hinblick auf die notwendigerweise fehlende Begründung des Aussetzungsbeschlusses - auch nicht zielführend.
Keine Verletzung der Art90 Abs2 und Art90a B-VG:
§334 StPO soll lediglich die Erlassung des auf einem Irrtum der Geschworenen basierenden Urteils verhindern und einen neuen Geschworenenprozess in Gang setzen. Die Aussetzung dient hingegen keinesfalls als Anklage im weiteren Verfahren - womit sie auch den in Art90 Abs2 B-VG statuierten Anklagegrundsatz nicht berührt. Die (neuen) Geschworenen entscheiden vielmehr auch weiterhin auf Grund der von der Staatsanwaltschaft ursprünglich eingebrachten Anklage.
Eine Verletzung des Rechts auf ein Rechtsmittel in Strafsachen gemäß Art2 7. ZPEMRK scheidet bereits deshalb aus, weil dieses nur im Fall einer Verurteilung in Betracht kommt, die Aussetzung der Entscheidung gemäß §334 StPO aber keine solche darstellt. Im wiederholten Verfahren stehen dem Verurteilten sämtliche von der StPO 1975 gewährte Rechtsbehelfe gegen das Urteil eines Geschworenengerichts zu.
Kein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot, zumal ein Eingriff in dieses Recht ein endgültig abgeschlossenes Strafverfahren voraussetzt. Im Fall einer Aussetzung wird indes kein Urteil verkündet und das anhängige Strafverfahren damit auch nicht beendet.
Keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit, weil die Nichtbeachtung des ersten Wahrspruches (bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen) nicht in den Schutzbereich der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art10 EMRK und Art13 StGG fällt; schließlich geht es dabei nicht um eine Beschränkung der Meinungsäußerungs- oder der Informationsfreiheit, sondern ausschließlich um die Frage, ob die von den Geschworenen geäußerten Auffassungen im weiteren Verfahren rechtlich beachtlich sind.
Schlagworte
Strafrecht, Strafprozessrecht, Geschworene und Schöffen, Rechtsmittel, fair trial, Unschuldsvermutung, Doppelbestrafungsverbot, ne bis in idem, Legalitätsprinzip, Determinierungsgebot, Rechtspolitik, VfGH / Präjudizialität, VfGH / ParteiantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:G28.2018Zuletzt aktualisiert am
30.07.2019