TE Vwgh Erkenntnis 2018/7/26 Ra 2018/11/0085

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.07.2018
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Führerscheingesetz;

Norm

AVG §38;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §26;
FSG 1997 §7 Abs2 idF 2005/I/015;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs3 Z1;
FSG 1997 §7 Abs3;
StVO 1960 §99;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag.a Kratschmayr, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Bruck-Mürzzuschlag in 8600 Bruck an der Mur, Dr. Theodor-Körner-Straße 34, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 9. März 2018, Zl. LVwG 42.36-27/2018-7, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und begleitende Maßnahmen nach dem FSG (mitbeteiligte Partei: G K in S im M, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht und nunmehrigen Revisionswerberin vom 12. Dezember 2017 wurde dem Mitbeteiligten die Lenkberechtigung für die Dauer von vier Monaten entzogen sowie eine Nachschulung angeordnet.

2 Dem legte die Revisionswerberin im Wesentlichen Folgendes zu Grunde: Der Mitbeteiligte habe (laut Anzeige der Polizeistelle N in Ungarn) am 24. Oktober 2017 um 1:16 Uhr ein Kraftfahrzeug an einem näher bezeichneten Ort in Ungarn in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt (Atemluftalkoholgehalt: 0,78 mg/l). Auf Grund dieses Sachverhalts müsse angenommen werden, der Mitbeteiligte besitze die zum Lenken von Kraftfahrzeugen erforderliche Verkehrszuverlässigkeit gemäß § 7 Abs. 3 Z 1 iVm Abs. 2 FSG nicht mehr.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde. Mit dem nun in Revision gezogenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts wurde der Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben; die ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt.

4 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, gemäß § 7 Abs. 2 FSG seien "Verkehrsverstöße oder strafbare Handlungen, bei denen es sich um Tatbestände im Sinne des Abs 3 dieses Paragraphen handelt und die im Ausland begangen und bestraft wurden", nach Maßgabe der inländischen Rechtsvorschriften zu beurteilen. Aus § 7 Abs. 2 FSG folge, dass der Besitzer einer Lenkberechtigung, der ein Alkoholdelikt wie das hier zu beurteilende im Ausland begangen habe, zwar nicht wegen der Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 bestraft werden könne, dieses Verhalten jedoch eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 1 FSG darstelle. Voraussetzung sei jedoch, dass hierfür im Ausland bereits eine rechtskräftige, die Kraftfahrbehörde bindende Bestrafung erfolgt sei (Verweis auf VwGH 20.4.2004, 2003/11/0272). Daran fehle es im vorliegenden Fall aber, weshalb der Bescheid aufzuheben gewesen sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten vorgelegte außerordentliche Revision.

6 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die maßgebenden Bestimmungen des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997 idF BGBl. I Nr. 15/2017, lauten (auszugsweise) wie folgt:

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch

rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

...

(2) Handelt es sich bei den in Abs. 3 angeführten Tatbeständen um Verkehrsverstöße oder strafbare Handlungen, die im Ausland begangen wurden, so sind diese nach Maßgabe der inländischen Rechtsvorschriften zu beurteilen.

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

1. ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und

hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz - SPG, BGBl. Nr. 566/1991, zu beurteilen ist;

...

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

(3) Bei der Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kann die Behörde begleitende Maßnahmen (Nachschulung und dgl.) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen. Die Behörde hat unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 3a eine Nachschulung anzuordnen:

...

3. wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 oder 1a StV'O 1960.

Sonderfälle der Entziehung

§ 26. ...

(2) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges

...

4. erstmalig ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung auf die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen,

..."

Gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,2 g/l (1,2 Promille) oder mehr, aber weniger als 1,6 g/l (1,6 Promille) oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l beträgt.

9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es liege entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts eine grundsätzliche Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur hier maßgebenden Rechtsfrage des § 7 Abs. 2 FSG idF. der 7. Führerscheingesetz-Novelle, BGBl. I. Nr. 15/2005 (Fehlen einer rechtskräftigen Bestrafung wegen der gegebenenfalls eine bestimmte Tatsache bildenden Anlasstat), fehle.

10 Die Revision ist aus dem geltend gemachten Grund zulässig; sie ist auch begründet.

11 Das Verwaltungsgericht stützt seine der Beschwerde stattgebende Entscheidung ausschließlich darauf, dass im konkreten Fall noch keine rechtskräftige Bestrafung des Mitbeteiligten durch die ungarischen Behörden erfolgt sei; eine bestimmte Tatsache iSd.

§ 7 Abs. 3 Z 1 FSG liege daher nicht vor. Es verweist dazu auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. April 2004, 2003/11/0272.

12 Diese Begründung ist schon deshalb nicht tragfähig, weil die zitierte Entscheidung - wie die Revision zutreffend geltend macht - zur Rechtslage vor der Novellierung des § 7 Abs. 2 FSG durch die 7. Führerscheingesetz-Novelle, BGBl. I Nr. 15/2005, ergangen ist. Mit dieser Novelle, mit der § 7 Abs. 2 FSG die nunmehr geltende (oben wiedergegebene) Fassung erhielt, wurde die Wortfolge "und bestraft" als Tatbestandsmerkmal aus § 7 Abs. 2 FSG gestrichen.

13 Davor hatte diese Regelung folgenden Inhalt:

"§ 7.

...

(2) Handelt es sich bei den in Abs. 3 angeführten Tatbeständen um Verkehrsverstöße oder strafbare Handlungen, die im Ausland begangen und bestraft wurden, so sind diese nach Maßgabe der inländischen Rechtsvorschriften zu beurteilen.

..."

14 In den Erläuterungen zur 7. FSG-Novelle (794 Blg. 22. GP) wird zur Änderung von § 7 Abs. 2 Folgendes ausgeführt:

"Bei Delikten, die die Verkehrszuverlässigkeit ausschließen, soll es keinen Unterschied im Entziehungsverfahren dahingehend geben, ob das Delikt in Österreich oder im Ausland begangen wurde. Da auch bei den in Österreich begangenen Delikten die Tatbegehung für den Entzug der Lenkberechtigung ausreicht, sollte dies bei im Ausland begangenen Delikten nicht anders sein. Es besteht kein Grund, in diesen Fällen eine Bestrafung zu fordern. Im Übrigen wurde in einem diesbezüglichen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes das Vorliegen einer rechtskräftigen Bestrafung gefordert, wodurch diese Bestimmung in der Praxis ihren Anwendungsbereich nahezu völlig verlieren würde."

15 Zwar ist unabdingbare Voraussetzung für die Verneinung der Verkehrszuverlässigkeit eines Bewilligungswerbers wie auch eines Inhabers einer Lenkberechtigung (weiterhin) das Vorliegen zumindest einer erwiesenen bestimmten Tatsache im Sinn des § 7 Abs. 3 FSG (vgl. VwGH 26.4.2018, Ro 2018/11/0004, mwN), das Vorliegen einer rechtskräftigen Bestrafung ist jedoch seit der genannten Novelle nicht (mehr) Voraussetzung für die Qualifizierung eines im Ausland begangenen Verkehrsverstoßes als bestimmte Tatsache iSd. § 7 Abs. 3 Z 1 FSG.

16 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs hat die mit der Entziehung der Lenkberechtigung befasste Behörde, wenn im Zeitpunkt ihrer Entscheidung (noch) keine sie bindende, rechtskräftige, über die Begehung der als Grundlage der Entziehung angenommenen, eine bestimmte Tatsache darstellenden Übertretung absprechende Strafentscheidung vorliegt, die Frage, ob das in Rede stehende Delikt begangen wurde, als Vorfrage nach § 38 AVG selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen (vgl. etwa VwGH 27.1.2005, 2004/11/0200, VwGH 27.9.2007, 2006/11/0027, und VwGH 26.4.2013, 2013/11/0015). Nichts anderes gilt für das im Beschwerdeweg angerufene und deshalb zur Sachentscheidung berufene (vgl. nur etwa VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063) Verwaltungsgericht.

17 Das Verwaltungsgericht, das seine Entscheidung ausschließlich auf das Nichtvorliegen einer rechtskräftigen Bestrafung gestützt hat, ohne selbst Feststellungen zu dem dem Mitbeteiligten angelasteten Verkehrsverstoß (Lenken bzw. Inbetriebnehmen eines Fahrzeugs in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand) zu treffen, hat damit seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet.

18 Für das fortzusetzende Verfahren ist weiters Folgendes klarzustellen:

Seit der Novelle BGBl. I Nr. 15/2005 können auch im Ausland begangene Anlasstaten (Verkehrsverstöße und strafbare Handlungen) gegebenenfalls eine bestimmte Tatsache iSd. § 7 Abs. 3 FSG bilden, unabhängig davon, ob wegen der jeweiligen Übertretung schon eine Bestrafung erfolgt ist. Diese Änderung diente - so die wiedergegebenen Gesetzesmaterialien - der Verwirklichung des Ziels, Verkehrsunzuverlässigkeit begründende Delikte unabhängig davon gleich zu behandeln, ob sie im In- oder Ausland begangen wurden. Auch im Ausland begangene Delikte sind also nach der (allgemeinen) Regelung des § 7 Abs. 2 FSG insofern - im Rahmen eines Entziehungsverfahrens - "nach Maßgabe der inländischen Rechtsvorschriften zu beurteilen".

Dies gilt grundsätzlich auch für die in § 26 FSG geregelten "Sonderfälle der Entziehung", weshalb den in dieser Bestimmung genannten Alkoholdelikten nach § 99 StVO 1960 entsprechende strafbare Verhaltensweisen im Ausland gleichzuhalten sind (so implizit schon VwGH 21.4.2016, Ra 2016/11/0039, und 20.9.2017, Ra 2015/11/0100).

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 26. Juli 2018

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018110085.L00

Im RIS seit

21.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten