Entscheidungsdatum
31.07.2018Norm
AlVG §24Spruch
L511 2183995-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Sandra Tatjana JICHA als Vorsitzende und die fachkundigen LaienrichterInnen Mag. Peter SIGHARTNER als Beisitzer und Mag.a Iris WOLTRAN als Beisitzerin über die Beschwerde von XXXX, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX vom 20.10.2017, XXXX nach Beschwerdevorentscheidung vom 03.01.2018, XXXX zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX, vom 03.01.2018, Zahl: XXXX gemäß § 28 Abs. 2 und Abs. 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Verfahren vor dem Arbeitsmarktservice [AMS]
1.1. Der Beschwerdeführer bezog verfahrensgegenständlich ab 28.05.2017 Notstandshilfe (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2).
1.2. Mit Bescheid des AMS vom 20.10.2017,XXXX wurde gemäß § 24 Abs. 2 iVm § 38 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) der Leistungsbezug für den Zeitraum von 28.05.2017 bis 31.07.2017 widerrufen und der Beschwerdeführer gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Leistung idHv EUR 1.161,21 verpflichtet (AZ 12).
Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe für den genannten Zeitraum die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung teilweise zu Unrecht bezogen, da er eine Lebensgemeinschaft nicht gemeldet habe. Ein Betrag in Höhe von EUR 137,06 sei bereits einbehalten worden, offen sei noch der Übergenuß in der Höhe von EUR 1.161,21.
1.3. Mit undatiertem Schreiben, beim AMS eingelangt am 31.10.2017, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den oben bezeichneten Bescheid des AMS (AZ 14).
Begründend wird ausgeführt, der Beschwerdeführer lebe mit Frau XXXX in einer Hausgemeinschaft und nicht in einer Lebensgemeinschaft, weshalb die Rückzahlung nicht berechtigt sei.
1.4. Im Zuge des vom AMS weitergeführten Verfahrens wurde der Beschwerdeführer und Frau S vom AMS zu den Umständen des Zusammenlebens befragt (AZ 16, 18).
1.5. Mit Bescheid vom 03.01.2018, XXXX, zugestellt mit 05.01.2018, wies das AMS im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung [BVE] die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 31.10.2017 gemäß § 14 VwGVG iVm § 56 AlVG ab (AZ 20).
Im Wesentlichen führt das AMS begründend aus, zwischen dem Beschwerdeführer und Frau S bestehe eine Lebensgemeinschaft die der Beschwerdeführer nicht bzw. nicht rechtzeitig bekanntgegeben habe. Damit habe er eine Meldepflichtverletzung begangen und einen Rückforderungstatbestand verwirklicht.
1.6. Mit Schreiben vom 18.01.2018 beantragte der Beschwerdeführer fristgerecht die Vorlage der Beschwerde vom 31.10.2017 (AZ 21).
2. Die belangte Behörde legte am 23.01.2018 dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] Auszüge aus dem Verwaltungsakt, in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des hg Gerichtsaktes [im Folgenden:] OZ 1 [=AZ 1-21]).
2.1. Das BVwG nahm Einsicht in das Zentrale Melderegister der Republik Österreich [ZMR] (OZ 2).
II. Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. entscheidungswesentliche Feststellungen
1.1. Der Beschwerdeführer bezog verfahrensgegenständlich ab 28.05.2017 Notstandshilfe (AZ 2).
1.2. Der Beschwerdeführer wohnte ab 26.09.2013 in einer Einzimmerwohnung an der Adresse XXXX Seit 04.05.2018 wohnt er in XXXX (OZ 2).
1.3. Frau S wohnte von 08.02.2016 bis 19.04.2018 an der Adresse ES. Seit 19.04.2018 ist sie nicht mehr an der gleichen Adresse gemeldet, wie der Beschwerdeführer (OZ 2).
1.4. Die Wohnung an der Adresse ES bestand aus Vorraum, WC, Bad, Küche und einem großen Zimmer. Dieses war durch Kästen, welche gleichzeitig als Raumteiler fungierten, in zwei Wohnbereiche getrennt. Die Kosten für Miete und Strom wurden geteilt. Die Lebensmittel wurden getrennt eingekauft, und auch separat gekocht, wobei der jeweils andere zum Mitessen eingeladen wurde, wenn genug da war. Die gemeinsamen Bereiche der Wohnung - Küche, Bad, WC und Vorraum - wurden gemeinsam gereinigt, die jeweiligen abgeteilten Wohnbereiche getrennt (AZ 16, 18).
1.5. Die Wohngemeinschaft entstand, weil Frau S öfter in der Bar, in welcher der Beschwerdeführer arbeitete, mit diesem zum Reden gekommen war und beide zu diesem Zeitpunkt familiäre und finanzielle Probleme hatten. Frau S suchte 2016 eine eigene Wohnung, weshalb ihr der Beschwerdeführer angeboten gehabt hatte, dass sie vorübergehend bei ihm einziehen konnte. Auf Grund der angespannten finanziellen Situation von Frau S scheiterte diese Wohnungssuche länger, zumal sie für ein Kind unterhaltspflichtig ist und auch ihrer kranken Mutter Geld schickte, so dass aus der vorübergehenden Unterkunft eine Wohngemeinschaft wurde (AZ 16, 18).
1.6. Die Freizeit verbrachten der Beschwerdeführer und Frau S getrennt; eine gemeinsame Freizeitplanung gab es nicht. Der Beschwerdeführer verbrachte das Wochenende zumeist mit seiner Tochter oder einem Freund. Frau S verbrachte ihre Freizeit oft zu Hause.
1.7. Der Beschwerdeführer und Frau S führten keine intime Beziehung miteinander.
2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung
2.1. Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsverfahrensakt, aus dem sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt (OZ 1 [=AZ 1-21]; OZ 2).
2.1.1. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:
* ZMR-Auszüge (OZ 2)
* Bezugs- und Versicherungsverlauf (AZ 2, 3)
* Bescheid und Beschwerdevorentscheidung des AMS (AZ 12, 20)
* Beschwerde und Vorlageantrag des Beschwerdeführers (AZ 14, 21)
* Einvernahme des Beschwerdeführers (AZ 16)
* Einvernahmen von Frau S (AZ 18, 19)
2.2. Beweiswürdigung
2.2.1. Die Feststellungen zum Leistungsbezug ergeben sich aus dem Bezugsverlauf (AZ 2) und sind vom Beschwerdeführer im Verfahren auch nicht bestritten worden.
2.2.2. Die Feststellungen zu ehemaligen und aktuellen Wohnsitzen ergibt sich aus Auszügen aus dem ZMR (OZ 2), an deren Richtigkeit kein Grund zu zweifeln bestand, und deckt sich auch mit den Aussagen des Beschwerdeführers und Frau S (AZ 16, 18).
2.2.3. Im Hinblick auf die Feststellungen zur Wohnsituation (1.4.) und deren Entstehung (1.5.), sowie dem Umstand, dass weder eine intime Beziehung bestand (1.7.) noch eine gemeinsame Freizeitgestaltung stattfand (1.6.), folgt das BVwG den übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers und jenen von Frau S, welche als Zeugin unter Wahrheitserinnerung aussagte. Die Aussagenden beschreiben mit jeweils eigenen Worten eindeutig die gleiche Situation, so dass an der Richtigkeit der Aussagen kein Zweifel besteht. Auch das AMS ist den Aussagen in der BVE nicht entgegengetreten.
2.2.4. Soweit das AMS die Aussagen der Zeugin dahingehend interpretiert, dass diese keine nennenswerten Anstrengungen unternommen habe um eine eigene Wohnung zu finden, kann dem nicht gefolgt werden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation am Wohnungsmarkt und dem Umstand, dass Frau S Unterhalt für ihr Kind und Geld für ihre kranke Mutter zu überweisen hat, vermögen die Aussagen "ich suche im Internet und wenn etwas passend erscheint, rufe ich an" (AZ 18) bzw. "Frau S schaut sich ab und zu im Internet nach einer Wohnung um" (AZ 16) nicht dahingehend interpretiert werden, dass sie sich nicht bemühte eine eigene Wohnung zu finden, sondern dass in der ihr möglichen Preiskategorie das Angebot eher gering ist. Diese Ansicht wird dadurch gestützt, dass der Beschwerdeführer und Frau S seit 19.04.2018 keinen gemeinsamen Wohnsitz mehr haben.
3. Entfall der mündlichen Verhandlung
Eine Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (§ 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG). Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC] entgegenstehen (§ 24 Abs.4 VwGVG).
Die Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung ist am Maßstab des Art. 6 EMRK zu beurteilen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte [EGMR] sieht das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung etwa dann für gerechtfertigt an, wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Döry, Appl 28394/95 Rz 37). Art. 47 Abs. 2 GRC gewährleistet ein Art6 Abs1 EMRK vergleichbares Recht auf eine mündliche Verhandlung (VfGH 29.11.2014, B413/2013; EuGH 22.12.2010, DEB, C-279/09 Rz 31, 35). Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC stehen dem Absehen von einer Verhandlung von Seiten des BVwG somit dann nicht entgegen, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und erkennbar ist, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlage nicht erwarten lässt (VfGH 21.02.2014, B1446/2012; 14.03.2012, U466/11; VwGH 26.01.2017, Ra 2016/07/0061 RS2 mwN).
3.1. Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt war weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig.
4. Rechtliche Beurteilung
4.1.1. Anzuwendendes Verfahrensrecht
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF (VwGVG) geregelt (§ 1 VwGVG). Soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, ist auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl Nr 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl Nr 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl Nr 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG), wobei entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des VwGVG bereits kundgemacht wurden, in Kraft bleiben (§ 58 Abs. 2 VwGVG).
Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen (§ 27 VwGVG).
Das Verwaltungsgericht hat, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§28 VwGVG). Entscheidungen und Anordnungen erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, durch Beschluss (§ 31 Abs. 1 VwGVG). Auf nicht verfahrensleitende die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind. § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden (§ 31 Abs. 3 VwGVG).
Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist (§ 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF (BVwGG)). Über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle des AMS entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durch die Geschäftsstelle beträgt zehn Wochen (§ 56 Abs. 2 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 BGBl. Nr 609/1977 idgF (AlVG)).
4.1.2. Das AMS hat gegenständlich eine Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 VwGVG erlassen und der Beschwerdeführer hat fristgerecht einen Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG gestellt, mit dem die (gegen den ersten Bescheid gerichtete) Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist daher die an die Stelle des Ausgangsbescheides getretene Beschwerdevorentscheidung, wobei der Ausgangsbescheid Maßstab dafür bleibt, ob die Beschwerde berechtigt ist oder nicht, da sich diese gegen den Ausgangsbescheid richtet und ihre Begründung auf diesen beziehen muss (VwGH 20.05.2015, Ra 2015/09/0025; 17.12.2015, Ro2015/08/0026).
4.2. Stattgabe der Beschwerde
4.2.1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Bemessung der Notstandshilfe für den Zeitraum von 28.05.2017 bis 31.07.2017 rückwirkend berichtigt und der Beschwerdeführer zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in der Höhe von EUR 1.161,21 verpflichtet sowie weitere EUR 137,06 einbehalten, da die Abweisung der Beschwerde im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung als Erlassung eines mit dem Erstbescheid spruchmäßig übereinstimmenden Bescheides anzusehen ist (vgl. VwGH 18.03.2014, 2013/22/0332 mit Verweis auf 19.03.2013, 2012/21/0082 und 08.10.1996, 96/04/0046).
4.2.2. Gemäß § 33 Abs. 2 AlVG ist (ua) Voraussetzung für die Gewährung der Notstandshilfe, dass sich der Arbeitslose in einer Notlage iSd § 33 Abs. 3 AlVG befindet. Gemäß § 36 Abs. 2 AlVG in der hier zur Anwendung kommenden Fassung BGBl I Nr. 3/2013 sind bei der Beurteilung der Notlage die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen selbst, sowie des mit dem Arbeitslosen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners, Lebensgefährten oder eingetragenen Partners zu berücksichtigen.
4.2.3. Gegenständlich ist strittig, ob der Beschwerdeführer in einer Lebensgemeinschaft iSd § 36 Abs. 2 AlVG, welche zur Berücksichtigung des Partnereinkommens geführt hätte, gelebt hatte.
4.2.3.1. Der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs folgend besteht das Wesen einer Lebensgemeinschaft in einem eheähnlichen Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Dazu gehört im Allgemeinen die Geschlechts-, Wohnungs- und (vor allem) Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber - wie auch bei einer Ehe - das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann. Jenes Element, um dessentwillen die Lebensgemeinschaft im konkreten Regelungszusammenhang von Bedeutung ist, nämlich das gemeinsame Wirtschaften, ist jedoch unverzichtbar. Der im Gesetz angeordneten Berücksichtigung des Einkommens des Lebensgefährten liegt offenkundig die Annahme zu Grunde, dass dieser wegen der Lebens- (Wohn-)gemeinschaft auch zum gemeinsamen Wirtschaften zumindest zum Teil (etwa durch Mitfinanzierung der gemeinsamen Wohnkosten oder der Ernährung) beiträgt (zuletzt VwGH 13.09.2017, Ra2017/08/0089 uHa 2013/08/0251).
Unter dem Begriff der Wirtschaftsgemeinschaft ist zu verstehen, dass beide Partner einander Beistand und Dienste leisten und an den zur Bestreitung des Unterhaltes, der Zerstreuung und Erholung zur Verfügung stehenden Gütern teilnehmen lassen. Für die Annahme einer Wirtschaftsgemeinschaft genügt die Mitfinanzierung der Miete für eine zur Gänze gemeinsam bewohnte Wohnung, da in der Beteiligung an den Wohnkosten durch denjenigen Partner, der nicht die Notstandshilfe beansprucht, genau jene finanzielle Unterstützung des Notstandshilfebeziehers liegt, welche eine Lebensgemeinschaft kennzeichnet und die Anrechnung des Partnereinkommens sachlich rechtfertigt (zuletzt VwGH 13.09.2017, Ra2017/08/0089 mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist dann, wenn eine Wohnung nicht zur Gänze gemeinsam genutzt wird, eine Lebensgemeinschaft nur bei unüblich hohen oder niedrigen wechselseitigen Beiträgen anzunehmen (für viele: VwGH 16.12.2013, 2013/08/0195 mwN).
Gemeinsames Wohnen allein begründet hingegen noch keine Lebensgemeinschaft (VwGH 13.09.2017, Ra2017/08/0089).
4.2.4. Gegenständlich ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt - und soweit auch unstrittig zwischen dem AMS und dem Beschwerdeführer -, dass zwischen Frau S und dem Beschwerdeführer jedenfalls eine Wohngemeinschaft, sowie jedenfalls keine Geschlechtsgemeinschaft vorgelegen hatte.
4.2.4.1. Im Hinblick auf die vom AMS angenommene Wirtschaftsgemeinschaft ist wie folgt auszuführen:
Im vorliegenden Fall bewohnten der Beschwerdeführer und Frau S die gegenständliche Wohnung nicht zur Gänze gemeinsam, sondern jeder hatte seinen eigenen, abgeteilten Bereich zur alleinigen Verfügung. Die übrigen räumlichen Gegebenheiten standen beiden gleichermaßen zur Verfügung, weshalb beide die gegenständliche Wohnung etwa im selben Ausmaß bewohnten. Da der Beschwerdeführer und Frau S die Wohnkosten zu gleichen Teilen bestritten, bestand keine Beteiligung an den Wohnkosten durch den jeweiligen anderen. (vgl. dazu etwa VwGH 16.03.2011, 2007/08/0023; 14.11.2013, 2012/08/0012; 11.12.2013, 2013/08/0164). Die wechselseitigen Beiträge waren - zumal jeder die Hälfte der Miete und des Stroms zahlt - weder unüblich hoch noch unüblich niedrig. Es lag daher auch weder eine finanzielle Unterstützung des Beschwerdeführers durch Frau S, noch eine wechselseitige finanzielle Unterstützung vor. Dass der jeweils andere mitessen durfte, wenn eine/r gekocht hatte, ist in Wohngemeinschaften nicht unüblich, stellt aber noch kein "gemeinsames Wirtschaften" dar.
Aus dem Sachverhalt ergibt sich auch klar, dass der Beschwerdeführer und Frau S den jeweiligen anderen auch nicht an ihren zur Bestreitung des Unterhaltes, der Zerstreuung und Erholung zur Verfügung stehenden Gütern teilnehmen ließen (VwGH 13.09.2017, Ra2017/08/0089 mwN). Soweit das AMS diesbezüglich darauf verweist, dass der Beschwerdeführer und Frau S nicht bloß zur vorübergehende Lösung einer Notsituation miteinander wohnten und einander auch emotional unterstützten, ist dem entgegenzuhalten, dass dies auf alle Wohngemeinschaften, wo etwa mehrere Freunde und Freundinnen gemeinsam wohnen zutrifft. Die seelische Unterstützung von Freunden stellt aber nach Ansicht des erkennenden Senates auch bei gemeinsamen Wohnsitz keine Lebensgemeinschaft dar.
4.2.5. Zusammenfassend ergibt sich nach Ansicht des erkennenden Senates, dass der Beschwerdeführer und Frau S gerade nicht eheähnlich miteinander lebten, sondern vielmehr nebeneinander in einer Wohngemeinschaft.
4.2.5.1. Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass die Angabe von Frau S in ihrem Antrag auf Arbeitslosengeld, wonach der Beschwerdeführer ihr "Lebensgefehrte" sei, nicht ausreicht, um im gegenständlichen Fall eine rechtlich relevante Lebensgemeinschaft zwischen dem Beschwerdeführer und Frau S zu begründen, zumal hinzukommt, dass beide Deutsch nicht als Muttersprache haben.
4.2.6. Da somit im verfahrensgegenständlichen Zeitraum zwischen dem Beschwerdeführer und Frau S keine Lebensgemeinschaft vorlag, ist der Bescheid des AMS spruchgemäß zu beheben.
4.2.6.1. Gegenständlich ist (ausschließlich) die Beschwerdevorentscheidung zu beheben (siehe dazu im Detail VwGH 17.12.2015, Ro2015/08/0026), da in Fällen in denen ohne Parteienantrag ein widerrechtlicher Entzug eines Rechtes oder einer Leistung erfolgt, der dem materiellen Recht entsprechende Zustand nur durch ersatzlose Behebung des rechtswidrigen Bescheides hergestellt werden kann (vgl. VwGH 08.10.2010, 2005/04/0002; 21.02.2014, 2013/06/0159).
III. ad B) Unzulässigkeit der Revision:
Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist zu begründen (§ 25a Abs. 1 VwGG). Die Revision ist (mit einer hier nicht zum Tragen kommenden Ausnahme) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).
Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und weicht von dieser auch nicht ab. Zur Lebensgemeinschaft allgemein VwGH 13.09.2017, Ra2017/08/0089 uHa 2013/08/0251; zum Begriff Wirtschaftsgemeinschaft insbesondere VwGH 13.09.2017, Ra2017/08/0089 mwN, zur gemeinsamen Wohnungsnutzung VwGH 13.09.2017, Ra2017/08/0089 und VwGH 16.12.2013, 2013/08/0195. Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Lebensgemeinschaft, Notstandshilfe,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L511.2183995.1.00Zuletzt aktualisiert am
21.08.2018