TE Bvwg Beschluss 2018/8/6 W217 2199568-1

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Veröffentlicht am 06.08.2018
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Entscheidungsdatum

06.08.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §43
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W217 2199568-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ulrike LECHNER, LL.M. sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER BA, MA als Beisitzerinnen über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 17.05.2018, OB: XXXX, betreffend die Neufestsetzung des Grades der Behinderung, beschlossen:

I.

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

II.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs.4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Herr XXXX (in der Folge: BF) ist seit 05.12.1994 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem festgestellten Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 70 v.H. Dabei wurden folgende Leiden festgestellt: 1.) leichtgradiges organisches Psychosyndrom nach Subarechnoidealblutung Dez. 1991 (30 %), 2.) Halbseitensyndrom rechts (30 %), 3.) Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (20 %), 4.) Migräne (30 %).

2. Am 07.12.2017 begehrte der BF die Neufestsetzung des Grades der Behinderung. Diesem Antrag wurde ein Konvolut an medizinischen Beweismitteln beigelegt. So legte er Befunde einer Ärztin für Allgemeinmedizin, eines FA für Orthopädie, eines FA für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, eines FA für Psychiatrie und Neurologie sowie eines FA für Dermatologie und Venerologie vor.

3. In weiterer Folge wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten auf Grundlage der durch den BF vorgelegten Befunde sowie einer am 20.02.2018 durchgeführten Begutachtung durch einen Facharzt für Orthopädie erstellt. Darin wurde Folgendes ausgeführt:

"(..) Derzeitige Beschwerden:

Das Gehen ist schwieriger geworden. Die Schmerzen haben zugenommen, an den Füßen, an den Knien und im Kreuz. Längeren Gehen und Stehen ist schmerzhaft.

Migränefrequenz wird mit ca. 1 x / Monat angegeben.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Medikamente: Deanxit, Zomig, Exforge, Temesta,

Laufende Therapie: keine

Hilfsmittel: keine

Sozialanamnese:

Pens.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

12/2017 dermatolog. Befund beschreibt erfolgreiche Behandlungen

12/2017 psychiatrischer Befund

12/2017 hausärztliches "Attest" enthält eine Fülle von Diagnosen ohne Befund

12/2017 Orthopädischer Befundbericht beschreibt Discopathie an Hals- und Lendenwirbelsäule mit DP C5/6 und C6/7 ohne Myelopathie, eine incipiente Gonarthrose, Skoliose, Spreizfüße, Bruxismus

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

altersentsprechend

Ernährungszustand:

normal

Größe: 168,00 cm Gewicht: 68,00 kg Blutdruck:

Klinischer Status - Fachstatus:

Caput/Collum: hochparietal rechts besteht eine alte unauffällige Narbe, sowie eine geringfügige Eindellung

Thorax: symmetrisch, elastisch

Abdomen: klinisch unauffällig, kein Druckschmerz

Obere Extremitäten:

Rechtshänder. Die rechte Schulter steht etwas tiefer. Symmetrische Muskelverhältnisse. Durchblutung und Sensibilität sind ungestört. Benützungszeichen sind seitengleich.

An beiden Handgelenken Phalen-Test negativ. Kein Tinnel-Hoffmann-Zeichen auslösbar.

Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Beweglichkeit:

Sämtliche Gelenke ist frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar, der Faustschluss ist komplett. Nacken- und Kreuzgriff sind uneingeschränkt durchführbar.

Untere Extremitäten:

Der Barfußgang ist symmetrisch und hinkfrei. Zehenballgang wird nicht ausgeführt. Fersengang ist gut möglich. Einbeinstand ist jeweils etwas unsicher. Die tiefe Hocke ist endlagig eingeschränkt. Es werden Schmerzen innen an den Knien angegeben. Die Beinachse ist im Lot. Symmetrische Muskelverhältnisse. Beinlänge ist gleich. Durchblutung und Sensibilität sind ungestört. Die Fußsohlenbeschwielung ist seitengleich ausgebildet, das Fußgewölbe ist erhalten.

Endlagenschmerz am rechten Knie beim Strecken und Beugen, deutlich Druckschmerz vorne am inneren Gelenksspalt. Das Gelenk ist ergussfrei und bandfest.

An den Hüften Endlagenschmerz bei Beugung und Rotation.

Beweglichkeit:

Hüften S 0-0-95 beidseits. R (S 90°) 15-0-25 beidseits. Knie S 0-0-135 beidseits. Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich.

Wirbelsäule:

Verstärkte Brustkyphose. Regelrechte Lendenlordose. Mäßige links-konvexe Skoliose der Brustwirbelsäule. Hartspann zervikal und lumbal. Druck- und Klopfschmerz eben da. ISG und Ischiadicusdruckpunkte sind frei.

Beweglichkeit:

Halswirbelsäule: allseits endlagig eingeschränkt.

Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule: FBA 5 cm. Seitwärtsneigen und Rotation jeweils endlagig eingeschränkt.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Kommt in Halbschuhen zur Untersuchung, das Gangbild ist hinkfrei, etwas verlangsamt, insgesamt sicher. Verwendet keine Gehhilfen. Das Aus- und Ankleiden wird im Stehen durchgeführt.

Status Psychicus:

wach, Sprache unauffällig

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Leichtgradiges organisches Psychosyndrom Wahl dieser Position mit 1 Stufe unter dem oberen Rahmensatz, da Zustand nach Subarachnoidalblutung

03.04.01

30

2

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule Unterer Rahmensatz dieser Position, da deutliche radiologische Veränderungen bei nur geringe Beweglichkeitseinschränkung ohne neurologisches Defizit

02.01.02

30

3

Migräne Unterer Rahmensatz dieser Position, da niedrige Frequenz und medikamentös behandelbar.

04.11.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 40 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das führende Leiden 1 wird durch Leiden 2 um 1 Stufe erhöht, wegen relevanter Zusatzbehinderung. Leiden 3 erhöht wegen Geringfügigkeit nicht weiter.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Bruxismus ist kein einschätzungsrelevantes Leiden.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Geänderte Einstufung auf Grund erstmaliger Anwendung der Einschätzungsverordnung. Leiden 2 aus dem Vorgutachten, nicht mehr objektivierbar und nicht befunddokumentiert, wird nicht weiter berücksichtigt. Verschlimmerung des Wirbelsäulenleidens. Besserung von Leiden 3 entsprechend der EVO.

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Durch geänderte Einstufung auf Grund erstmaliger Anwendung der Einschätzungsverordnung und Entfall von Leiden 2 aus dem Vorgutachten, Herabsetzung des gesamt GdB auf 40%.

X Dauerzustand"

4. Mit Schreiben vom 14.03.2018 wurde dem BF das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnisnahme und allfälliger Stellungnahme binnen 3 Wochen übermittelt.

5. Innerhalb offener Frist führte der BF im Wesentlichen aus, entgegen dem Sachverständigengutachten trete seine Migräne etwa 2-4 Mal pro Monat auf. Es seien bei ihm durch verschiedene Therapien immer wieder zusätzliche Kopfschmerzen und andere massive Beschwerden ausgelöst worden, weshalb er nahezu jegliche physikalische Therapie und Behandlung ablehne. Auch habe der Sachverständige die im hausärztlichen Attest enthaltenen Diagnosen nicht berücksichtigt und nicht untersucht. Darüber hinaus handele es sich bei seinen Halbschuhen, die er zur Untersuchung getragen habe, um orthopädische Schuhe. Auch wenn Bruxismus nicht in der taxativen Liste für leidensrelevante Anerkennung aufscheine, leide der BF dennoch unter Kiefer- und HWS Verspannungen. Der Sachverständige habe unter Leiden 2 die oftmals auftretende Klammheit der Hände, welche einerseits vom Carpaltunnelsyndrom und andererseits von den Verspannungen im HWS und BWS Bereich verursacht werde, nicht berücksichtigt. Auch leide der BF unter einer mittelgradigen psychoorganischen Beeinträchtigung. Die Leiden 4- 9 aus dem Vorgutachten seien nicht beachtet worden.

6. In seiner Stellungnahme vom 10.04.2018 führt der bereits befasste Facharzt für Orthopädie, Dr. XXXX, aus:

"Antwort(en):

Der/die Untersuchte erklärt sich mit dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht einverstanden und wendet ein, dass diverse Angaben unvollständig seien. Der Gutachter kann auf Befragen nur die Angaben der Partei übernehmen und nicht auf Vollständigkeit prüfen. Eine Auflistung von Diagnosen durch den Hausarzt ohne entsprechende Befunde ist nicht ausreichend für die Einschätzung eines Leidens. Weder können eine Anosmie, ein Tinnitus oder eine Gastritis bei der Untersuchung objektiviert werden. Auch in Socken kann die Fußstellung und die Fußsohlenbeschwielung objektiviert werden. Auch die übrigen Einwendungen, insgesamt 4 Seiten, sind nicht geeignet die im GA getroffene Einschätzung zu beeinflussen. Es können nur klinisch objektivierbare Einschränkungen eingeschätzt werden. Eine Änderung des Gutachtens ist auch unter Berücksichtigung der Einwendungen und nochmaliger Prüfung der Befunde nicht angezeigt."

7. Mit Bescheid vom 17.05.2018 wurde festgestellt, dass der BF mit einem Grad der Behinderung von 40 % nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfüllt. Begründend wurde auf das eingeholte ärztliche Gutachten vom 08.03.2018 und auf die Stellungnahme vom 10.04.2018 verwiesen.

8. Gegen diesen Bescheid wurde vom BF fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage neuer Befunde führte der BF aus, es seien folgende Diagnosen, welche größtenteils seit Jahrzehnten bestünden, nicht oder nicht ausreichend anerkannt, nicht untersucht und nicht geprüft worden: Tinnitus, chronische Gastritis, Bruxismus, arterielle Hypertonie, Anosmie, Carpaltunnelsyndrom bds., OP nach zweimal. Aneurysma OP, Halbseitensyndrom, Trychomicosis palmellina und Akne rosaccea. Auch sei im Gutachten nicht (ausreichend) berücksichtigt worden, dass der BF an einer depressiven Störung leide, die sich durch Stimmungstief, Antriebsminderung, Rückzugstendenz äußere. Weiters leide der BF an phobischer Angst, die sich in Beklemmungsgefühlen, Atemnot und Schweißausbrüchen äußere. Ebenfalls leide der BF an einer Zwangssymptomatik, die sich im Alltag im unmotivierten Zählen diverser Gegenstände, im Sammeln von Alltagsgegenständen, sehr häufigen Händewaschen, Angst vor Krankheitsansteckungen äußere.

9. Die Beschwerde wurde samt dem Bezug habenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht am 29.06.2018 zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Gesetzliche Bestimmungen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch einen Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt I:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Die im Beschwerdefall relevanten Bestimmungen des BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF, ergänzt durch die VO BGBl. II Nr. 59/2014, lauten:

"§ 1. (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt."

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des BF auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der beim BF vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie in der Folge die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung.

Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.

In dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie wurde nach Durchführung einer persönlichen Untersuchung des BF am 20.02.2018 der Gesamtgrad der Behinderung unter Anführung der Leiden "leichtgradiges organisches Psychosyndrom", "degenerative Veränderungen der Wirbelsäule" sowie "Migräne" mit 40 v.H. eingeschätzt.

Trotz vorgelegter neuer Befunde aus den Fachbereichen Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Innere Medizin und insbesondere Psychiatrie und Neurologie vom 13.12.2017 ("Diagnose: Angst und Depression gemischt, Zwangskrankheit ICD10-F42, Migräne, Kopfschmerz, Lumboischialgie, art. Hypertonie") bzw. vom 19.06.2018 ("Diagnose: phobische Angst, Depression, Zwangssymptomatik ICD10-F42, kognitive Reduktion entspr. MCI, Z.n.cerebr. Aneurysmalutung u. Op 91") wurde lediglich ein medizinisches Gutachten durch einen Facharzt für Orthopädie eingeholt.

Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt jedoch auf die Schlüssigkeit des eingeholten Gutachtens an. Gegenständlich ist die Begutachtung lediglich durch einen Facharzt für Orthopädie erfolgt. Die vorgelegten Beweismittel enthalten konkrete Anhaltspunkte, dass die Einholung jedenfalls eines Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Neurologie/Psychiatrie erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung zu gewährleisten. Auf die vom BF vorgebrachte Depression bzw. phobische Angst wurde in dem medizinischen Sachverständigengutachten nämlich überhaupt nicht eingegangen.

Das eingeholte orthopädische Sachverständigengutachten ist im Hinblick darauf, dass der BF bereits im Antrag neurologische/psychiatrische Leidenszustände durch Vorlage von medizinischen Beweismitteln vorgebracht hat, mangels Fachkenntnis nicht ausreichend zur qualifizierten Beurteilung des Gesamtleidenszustandes.

Die seitens des Entscheidungsorganes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).

Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, jedenfalls ein Gutachten der Fachrichtung Neurologie/Psychiatrie einzuholen. Weiters wird dieses mit dem eingeholten orthopädischen Gutachten vom 08.03.2018 zusammenzufassen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Neurologie/Psychiatrie - auf Basis einer neurologisch/psychiatrisch-fachärztlichen Untersuchung - einzuholen und die Ergebnisse unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der BF mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge angesichts des gegenständlichen gravierend mangelhaft geführten verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu berücksichtigen ist auch der mit dem verwaltungsgerichtlichen Mehrparteienverfahren verbundene erhöhte Aufwand.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des BF noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu Spruchpunkt II:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

In den rechtlichen Ausführungen zu Punkt I.) wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt, dass im Verfahren vor der belangten Behörde gravierende Ermittlungslücken bestehen sowie die Judikatur zu den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten für die behördliche Beurteilung der Frage der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Lichte von § 42 Abs. 1 BBG dargestellt. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG wurde auf die aktuelle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) Bezug genommen.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W217.2199568.1.00

Zuletzt aktualisiert am

21.08.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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