TE Bvwg Erkenntnis 2018/6/29 G314 2181151-1

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Veröffentlicht am 29.06.2018
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Entscheidungsdatum

29.06.2018

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G314 2181151-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, tschechischer Staatsangehöriger, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 14.11.2017, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene

Bescheid dahin abgeändert, dass Spruchpunkt I. zu lauten hat:

"Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen."

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX.2017 verhaftet. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 17.05.2017, XXXX, wurde er wegen Suchtgiftdelikten zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit Schreiben vom 03.03.2017 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu äußern. Seine Stellungnahme langte am 14.03.2017 beim BFA ein.

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein achtjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung und dem Fehlen familiärer, sozialer und beruflicher Bindungen in Österreich begründet.

Dagegen richtet sich die wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung erhobene Beschwerde mit den Anträgen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen und den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben, in eventu, zu beheben und die Angelegenheit an das BFA zurückzuverweisen, in eventu, das Aufenthaltsverbot herabzusetzen.

Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er seit 02.01.2013 in Österreich lebe und bei mehreren Unternehmen in Österreich und in Deutschland gearbeitet habe. Seit 03.07.2017 sei er als Leiharbeitskraft bei der XXXX in XXXX beschäftigt. Er habe Freunde in Österreich; seine Schwester lebe hier seit 2017. Er lebe mit seinem Lebensgefährten in XXXX und spreche Deutsch auf A1-Niveau. Nach einer Operation am Fuß habe er täglich Schmerzen und warte auf einen neuerlichen Operationstermin. Bei einer Rückkehr nach Tschechien wäre er völlig auf sich alleine gestellt. Seine Schulden zahle er regelmäßig zurück.

Das BFA legte die Beschwerde und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 27.12.2017 einlangten.

Am 10.01.2018 bzw. am 17.01.2018 langten beim BVwG auftragsgemäß die Strafurteile vom 25.09.2014 (XXXX) und vom 14.03.2016 (XXXX) ein.

Feststellungen:

Der fast 37-jährige BF stammt aus der tschechischen Stadt XXXX (XXXX), wo er neun Jahre lang die Pflichtschule besuchte und eine Ausbildung zum Koch/Kellner begann, aber nicht abschloss. Er spricht Tschechisch und hat Grundkenntnisse der deutschen Sprache.

Der BF hat kein Vermögen, aber Schulden von ca. EUR 20.000. Er hat weder Kinder noch andere Sorgepflichten. Er war drogenabhängig und wurde in Tschechien drei Mal wegen Vermögensdelikten strafgerichtlich verurteilt.

Im Jänner 2013 reiste der BF gemeinsam mit dem slowakischen Staatsangehörigen XXXX, mit dem er liiert ist, nach Österreich. Seit 07.01.2013 ist er im Bundesgebiet unter unterschiedlichen Adressen mit Neben- bzw. Hauptwohnsitz gemeldet.

Im Juni 2016 wurde der BF nach einem Sturz an den Sprunggelenken operiert. Er leidet nach wie vor an damit zusammenhängenden Problemen (Arthrose) und an Schmerzen in Händen und Füßen. Abgesehen davon ist er gesund und arbeitsfähig.

Der BF war im Bundesgebiet ab Ende März 2013 mit Unterbrechungen für verschiedene Arbeitgeber als Arbeiter erwerbstätig. Bis zu seiner Verhaftung bestanden von 28.03. bis 11.05.2013, von 13.05. bis 25.06.2013, von 05.02.2014 bis 13.02.2015, von 04.05.2015 bis 27.05.2015, von 01.07.2015 bis 11.09.2015 und von 23.11.2015 bis 24.06.2016 vollversicherte Beschäftigungsverhältnisse; zwischen 01.10.2015 und 20.11.2015 war er geringfügig beschäftigt. Dazwischen bezog er ab März 2015 immer wieder Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe und nach der Operation zwischen 04.07. bis 14.12.2016 Krankengeld. Danach war der BF ab 30.12.2016 bis zu seiner Festnahme am XXXX.2017 bei XXXX in XXXX (Deutschland) erwerbstätig.

In Österreich weist der BF drei strafgerichtliche Verurteilungen auf. Seiner Verurteilung durch das Landesgericht XXXX vom 25.09.2014, XXXX, liegt zugrunde, dass er im Juni und Juli 2014 mehrere Diebstähle in Baumärkten und Möbelhäusern verübte. Bei einem gemeinsam mit seinem Lebensgefährten XXXX verübten Angriff (Diebstahl von Werkzeug und Kleinteilen im Gesamtwert von rund EUR 220) blieb es beim Versuch, weil sie vom Kaufhausdetektiv gestoppt wurden. Drei weitere Diebstähle verübte der BF alleine, wobei er eine Lampe, Besteck und Wohnaccessoires im Gesamtwert von rund EUR 644 mit Bereicherungs- und Zueignungsvorsatz an sich nahm. Er wurde wegen des Vergehens des (teils vollendeten, teils versuchten) Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (Strafrahmen: bis zu sechs Monate Freiheitsstrafe oder bis zu 360 Tagessätze Geldstrafe) zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen á EUR 12 (insgesamt EUR 1.920) verurteilt, wobei 80 Tagessätze für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Als mildernd wurden die Unbescholtenheit, das Geständnis, der Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb, und die Sicherstellung der Beute berücksichtigt, als erschwerend die Tatwiederholung. Ferner wurde der BF zur Zahlung von insgesamt EUR 473,2 an zwei bestohlene Unternehmen verurteilt.

Der Verurteilung des BF durch das Bezirksgericht XXXX vom 14.03.2016, XXXX, liegt zugrunde, dass er Ende August 2015 bei einer Tankstelle Bargeld von EUR 500 aus einer im Einschubfach des Tresors hängen gebliebenen Brieftasche stahl. Er wurde wegen des Vergehens des Diebstahls gemäß § 127 StGB zu einer - unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe von drei Monaten und zur Rückzahlung der EUR 500 verurteilt. Als erschwerend wurden vier einschlägige Vorstrafen gewertet; besondere Milderungsgründe lagen nicht vor. Die dem BF 2014 gewährte bedingte Strafnachsicht wurde widerrufen.

Der Verurteilung des BF durch das Landesgericht XXXX vom 17.05.2017, XXXX, liegt zugrunde, dass er einerseits von März 2016 bis Februar 2017 Suchtgift in einer die Grenzmenge 11-fach übersteigenden Menge (ca. 3.000 Gramm Cannabiskraut mit 220,5 Gramm THC) von Tschechien aus- und nach Österreich einführte und an zahlreiche Abnehmer verkaufte sowie andererseits von Anfang 2013 bis zu seiner Verhaftung Ende Februar 2017 in wiederholten Angriffen Methamphetamin (Pervitin) erwarb, besaß und von Tschechien aus- und nach Österreich einführte. Der BF wurde wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter, dritter und fünfter Fall SMG und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter, fünfter und sechster Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wobei ein Teil von 15 Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Als mildernd wurde das reumütige Geständnis gewertet, als erschwerend zwei einschlägige Vorstrafen, das Zusammentreffen strafbarer Handlungen, das mehrfache Übersteigen der Grenzmenge und der lange Tatzeitraum. Ein Betrag von EUR 3.000 wurde für verfallen erklärt. Die Probezeit der dem BF 2016 gewährten bedingten Strafnachsicht wurde auf fünf Jahre verlängert. Mit demselben Urteil wurden XXXX und ein weiterer Täter wegen ähnlicher Straftaten ebenfalls zu teilbedingten Freiheitsstrafen verurteilt.

Der BF verbüßte den unbedingten Strafteil zwischen XXXX. und XXXX.2017 in der Justizanstalt XXXX. Nach seiner Haftentlassung bezog er von 27.05. bis 11.06.2017 und von 06.08.2017 bis 25.08.2017 Arbeitslosengeld. Von 03.07. bis 28.07.2017 und von 19.10. bis 02.11.2017 war er bei der XXXXGmbH, am 03. und 04.08.2017 bei XXXX und von 05.10. bis 16.10.2017 bei der XXXX GmbH als Arbeiter beschäftigt. Zuletzt bezog er zwischen 04.11. und 23.11.2017 Arbeitslosengeld und war ab 24.11.2017 wieder als Arbeiter bei der XXXX GmbH tätig.

Der BF hat in seinem Herkunftsstaat, in Österreich und in Deutschland Freunde. Seine 1965 geborene Schwester lebt seit 2017 in XXXX. Der BF begleitet sie zu Arztterminen, weil sie Knie- und Fußprobleme hat und kein Deutsch spricht. Die Eltern des BF lebten eineinhalb Jahre lang in Österreich und kehrten anschließend im April 2017 nach Tschechien zurück, wo sie seither leben. In Tschechien lebt auch der Bruder des BF.

Der BF lebte in Österreich überwiegend in einem gemeinsamen Haushalt mit seinem Lebensgefährten XXXX, der in Österreich zwei Mal gemeinsam mit dem BF strafgerichtlich verurteilt wurde. Er war ebenfalls von Ende Februar bis Ende Mai 2017 in Haft. Nach seiner Haftentlassung wohnte er in XXXX. Seit 30.10.2017 sind der BF und sein Lebensgefährte wieder unter der gleichen Adresse mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Mit Bescheid des BFA vom 14.12.2017 wurde gegen XXXX wegen seiner strafgerichtlichen Verurteilung 2017 ein Aufenthaltsverbot verhängt. Dagegen erhob er eine Beschwerde; das Beschwerdeverfahren ist anhängig.

Weitere Anhaltspunkte für eine Integration der BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht können nicht festgestellt werden.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen zur Identität des BF und zu seinen persönlichen und finanziellen Verhältnissen beruhen auf der im Akt erliegenden Kopie seines Reisepasses, der Vollzugsinformation sowie auf den entsprechenden Angaben in den Strafurteilen, in seiner Stellungnahme vom 14.03.2017 und in der Beschwerde.

Tschechischkenntnisse des BF sind aufgrund seiner Herkunft plausibel, zumal eine Verständigung mit den Dolmetschern in den Strafverfahren problemlos möglich war. Seine Deutschkenntnisse können aufgrund der vorgelegten Teilnahmebestätigung für einen Deutschkurs des Sprachniveaus A1 vom 17.05.2017 festgestellt werden. Ein Zeugnis über eine Sprachprüfung legte der BF nicht vor.

Die Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des BF in Tschechien basieren auf seiner Stellungnahme. Seine Drogensucht und die Vorstrafen dort werden anhand seiner Angaben vor dem Bezirksgericht XXXX ("Ich habe Vorstrafen sowohl in Österreich als auch in Tschechien. Ich war drogenabhängig.") festgestellt, zumal dieses Gericht bei der Strafzumessung vier einschlägige Vorstrafen berücksichtigte und der BF damals in Österreich nur eine Vorverurteilung aufwies. Angesichts dieser konsistenten und konkreten Beweisergebnisse ist davon auszugehen, dass bei den Verurteilungen des BF durch das Landesgericht XXXX, bei denen 2014 noch seine Unbescholtenheit und anlässlich seiner dritten inländischen Verurteilung 2017 nur zwei Vorstrafen berücksichtigt wurden, nur inländische Verurteilungen berücksichtigt wurden und nicht auch die zuvor im Herkunftsstaat des BF ausgesprochenen. Da aus dem Strafurteil vom 17.05.2017 hervorgeht, dass der BF nicht an Suchtmittel gewöhnt ist, ist davon auszugehen, dass er die Suchtgiftabhängigkeit mittlerweile überwunden hat

In der Beschwerde wird XXXX als Lebensgefährte des BF bezeichnet. Aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) gehen überwiegend übereinstimmende Wohnsitzmeldungen hervor. Nach der Haftentlassung Ende Mai 2017 lebten der BF und sein Partner bis 30.10.2017 in unterschiedlichen Orten. Seit 30.10.2017 sind sie wieder unter der gleichen Adresse gemeldet. Der gemeinsame Haushalt wird auch durch den vorgelegten Mietvertrag untermauert.

Die Feststellungen zu den vom BF und XXXX begangenen Straftaten, zu den Verurteilungen des BF und den Erschwerungs- und Milderungsgründen basieren auf den Strafurteilen. Die drei Verurteilungen des BF, die zwei Verurteilungen des XXXX und der Strafvollzug werden auch durch die entsprechenden Einträge im Strafregister belegt, in dem keine weiteren inländischen Verurteilungen aufscheinen.

Die Vermögensverhältnisse und die Schulden des BF ergeben sich aus den entsprechenden Angaben in den Strafurteilen, die durch die Darstellung des BF in der Stellungnahme vom 14.03.2017 untermauert werden. Die inländischen Beschäftigungsverhältnisse des BF sowie der Bezug von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Krankengeld ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug. Seine Erwerbstätigkeit in Deutschland Anfang 2017 wird entsprechend seiner Stellungnahme festgestellt.

Die Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit und zum Gesundheitszustand des BF beruhen auf seinen Abgaben in Zusammenschau mit dem Umstand, dass er immer wieder erwerbstätig war. Seine Arbeitsfähigkeit kann daher trotz der angegebenen Beschwerden in Händen und Füßen festgestellt werden.

Die Feststellungen zur Lebensgemeinschaft des BF werden anhand seiner Angaben, der Strafurteile sowie der Registerauszüge (ZMR, Strafregister, Fremdenregister) getroffen. Aus letzterem ergibt sich, dass gegen XXXX mit Bescheid des BFA vom 14.12.2017 ein Aufenthaltsverbot verhängt wurde und dass das Beschwerdeverfahren anhängig ist.

Anhaltspunkte für über die Feststellungen hinausgehende familiäre oder private Bindungen des BF oder für eine relevante Integration oder Anbindung in Österreich bestehen nicht. Dergleichen wird in der Beschwerde auch gar nicht behauptet.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 13 Abs 1 VwGVG hat eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Da der Beschwerde hier die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt wurde, kommt ihr ex lege die aufschiebende Wirkung zu. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist somit verfehlt und als unzulässig zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Zu der in der Beschwerde monierten Verletzung der Ermittlungspflichten des BFA ist auszuführen, dass der BF mit Schreiben vom 03.03.2017 über die beabsichtigte Erlassung eines Aufenthaltsverbots informiert wurde. Gleichzeitig wurde er mit konkreten Fragen zu seiner privaten und familiären Situation und zu den Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zur Stellungnahme aufgefordert. Der BF hatte somit Gelegenheit, sich entsprechend zu äußern und konkrete Angaben zu machen. Er übermittelte auch eine entsprechende Stellungnahme. Das BFA berücksichtigte das Vorbringen des BF im bekämpften Bescheid.

Außerdem ist aufgrund der dem BF im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gebotenen Möglichkeit, sich zum Inhalt des angefochtenen Bescheids zu äußern, von der Sanierung einer allfälligen Verletzung des Parteiengehörs auszugehen (vgl VwGH 28.10.2009, 2008/15/0302).

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Der BF ist als tschechischer Staatsangehöriger EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (so etwa, wenn er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbots ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration

(Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Auf den BF ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") anzuwenden, zumal er die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 53a NAG (fünfjähriger rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt im Bundesgebiet) nicht erfüllt. Er hielt sich bei der Erlassung des angefochtenen Bescheids noch nicht fünf Jahre lang rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet auf, weil er ab Anfang 2013 in Österreich lebte und beginnend 2014 mehrmals strafgerichtlich verurteilt wurde.

Da der strafrechtlich vorbelastete BF ab 2013 Suchtgift (Methamphetamin, später auch Cannabis) aus Tschechien in das Bundesgebiet einführte und besaß bzw. verkaufte, ist die Annahme des BFA, dass von ihm auch zukünftig eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt iSd § 67 Abs 1 zweiter Satz FPG ausgehen wird, nicht korrekturbedürftig. Der VwGH hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (siehe z.B. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249). Der grenzüberschreitende Handel mit Suchtgift indiziert insbesondere angesichts der Wirkungslosigkeit früherer strafgerichtlicher Sanktionen und der prekären finanziellen Situation des BF, dass sein persönliches Verhalten eine entsprechend hohe Gefährdung darstellt, zumal seine letzten Straftaten noch nicht lange zurückliegen und die über ihn verhängte Freiheitsstrafe nur zum Teil bedingt nachgesehen werden konnte. Der Zeitraum des Wohlverhaltens des BF in Freiheit seit seiner Haftentlassung ist noch zu kurz, um die von ihm ausgehende Gefahr als weggefallen oder entscheidend gemindert anzusehen.

Die Verhinderung von strafbaren Handlungen, insbesondere von Suchtgiftdelikten, ist ein Grundinteresse der Gesellschaft, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung.

Bei der nach § 9 BFA-VG gebotenen Abwägung sind das in Österreich zwischen dem BF und seinem Partner geführte Familienleben, das mit seiner erwachsenen Schwester und Freunden in Österreich geführte Privatleben, seine beginnende sprachliche Integration und seine Erwerbstätigkeit hier zu berücksichtigen. Seinen daraus resultierenden persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich steht das große öffentliche Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen gegenüber. Es ist nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde bei Abwägung dieser gegenläufigen Interessen zu dem Ergebnis kam, dass das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung das gegenläufige private Interesse des BF überwiegt. Allfällige mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Schwierigkeiten bei der Gestaltung seiner Lebensverhältnisse, insbesondere des Zusammenlebens mit seinem Partner, sind im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen und an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinzunehmen.

Es ist dem BF zumutbar, während der Dauer des Aufenthaltsverbots den Kontakt zu seinem Lebensgefährten, seiner Schwester und seinen österreichischen Freunden durch Besuche in Tschechien, Treffen in anderen Staaten, Telefonate und andere Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail) zu vertiefen. Da Tschechien ein Nachbarstaat Österreichs und ebenfalls Mitglied der EU ist, sind Besuche dort oft und ohne großen Aufwand möglich. Es ist dem slowakischen Partner des BF auch zumutbar, diesen nach Tschechien oder in einen anderen EWR-Staat zu begleiten, zumal er in Österreich ebenfalls straffällig wurde und eine gleichgelagerte Suchtmitteldelinquenz vorlag.

Auch die gesundheitlichen Probleme BF und eine in Zukunft allenfalls erforderliche weitere Operation führen zu keinem anderen Ergebnis der Interessenabwägung, zumal die notwendigen Behandlungen auch in anderen EWR-Staaten, insbesondere im Herkunftsstaat des BF, vorgenommen werden können, zumal angesichts der bestehenden Arbeitsfähigkeit des BF von keiner besonders schweren Erkrankung auszugehen ist und weder außergewöhnliche Umstände noch ein besonderes Vertrauensverhältnis zu bestimmten Ärzten oder Therapeuten behauptet wurden. Im Allgemeinen hat kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet und die Behandlung im Zielland, zu der der Betroffene tatsächlich Zugang hat, nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist (vgl dazu EGMR 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; VwGH 21.02.2017, Ro 2016/18/0005).

Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist insbesondere angesichts des belasteten Vorlebens des BF und seiner nunmehrigen Verurteilung wegen Suchtmitteldelinquenz trotz seiner privaten und familiären Anknüpfungspunkte unumgänglich. Es bedarf in Hinblick auf seine Straftaten eines längeren Zeitraums der Beobachtung seines Wohlverhaltens, um sicherzustellen, dass er im Bundesgebiet keine Straftaten mehr begehen wird.

Die vom BFA verhängte achtjährige Dauer des Aufenthaltsverbotes ist jedoch unverhältnismäßig, weil die Straftaten des BF nicht der Schwerkriminalität zuzurechnen sind und der Strafrahmen von fünf Jahren (§ 28a Abs 1 SMG) bei weitem nicht ausgeschöpft wurde. Außerdem ist die spezialpräventive Wirkung des Strafvollzugs zu berücksichtigen, zumal der BF 2017 in Österreich zum ersten Mal in Haft war. Die Dauer des Aufenthaltsverbots auf ein seinem Fehlverhalten und seinen privaten und familiären Umständen angemessenes Maß zu reduzieren. Das Gericht geht davon aus, dass aufgrund des konkreten Unrechtsgehalts der vom BF begangenen Straftaten unter Berücksichtigung aller Milderungs- und Erschwerungsgründe und der offenen Probezeiten trotz seines belasteten Vorlebens ein vierjähriges Aufenthaltsverbot ausreicht, um der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit wirksam zu begegnen und ihn zu einem Umdenken hin zu einem rechtstreuen Verhalten zu bewegen. Ein Aufenthaltsverbot in dieser Dauer ist aber notwendig, um eine nachhaltige Änderung seines Verhaltens und seiner Einstellung zu den rechtlich geschützten Werten zu bewirken. Das Aufenthaltsverbot laut Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist somit in Stattgebung des entsprechenden Eventualantrags in der Beschwerde auf vier Jahre zu reduzieren.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist vor diesem gesetzlichen Hintergrund nicht zu beanstanden, da - trotz der negativen Gefährdungsprognose und der besonders gefährlichen Art der Kriminalität von Suchtgiftdelikten - nicht davon ausgegangen werden kann, dass der BF schon so kurz nach Verbüßung der Haftstrafe gleich wieder ein Verhalten setzen wird, das die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet, zumal er aktuell in stabilen Verhältnissen lebt.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

§ 21 Abs 7 BFA-VG erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC. Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zwar besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art 8 EMRK sonst relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine generelle Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Da hier der Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, konnte eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben. Von der Durchführung einer Verhandlung ist keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten.

Zu Spruchteil C):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und die Bemessung der Dauer eines Einreise- oder Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Angemessenheit, Antragsbegehren, Aufenthaltsverbot, aufschiebende
Wirkung, EU-Bürger, Gefährdungsprognose, Herabsetzung, mangelnder
Anknüpfungspunkt, Suchtgifthandel, Verbrechen, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G314.2181151.1.00

Zuletzt aktualisiert am

20.08.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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