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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des A S in B, geboren am 22. Februar 1972, vertreten durch Dr. Erich Heliczer, Rechtsanwalt in 2540 Bad Vöslau, Anton-Bauer-Straße 2a, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. September 1998, Zl. 204.373/0-IV/29/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer reiste am 12. Juni 1995 nach Österreich ein. Er ist jugoslawischer Staatsangehöriger, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Am 13. Juni 1995 beantragte der Beschwerdeführer die Gewährung von Asyl. Er begründete diesen Antrag im Wesentlichen damit, dass er im Oktober 1994 einen schriftlichen Einberufungsbefehl bekommen habe. Er habe daraufhin aus Angst, abgeholt und gewaltsam weggebracht zu werden, sein Elternhaus sofort verlassen und sich fortan bei einem Onkel versteckt gehalten. Nachdem ihn die Polizei einige Male vergeblich zu Hause gesucht habe, wäre Mitte Mai ein zweiter Einberufungsbefehl ergangen. Anlässlich seiner im Juni 1995 stattgefundenen Hochzeitsfeier hätten ihn zwei Polizisten zu Hause angetroffen und misshandelt. Er habe schließlich erklärt, am nächsten Tag freiwillig beim Polizeirevier zu erscheinen. Tatsächlich habe er mit seiner Gattin das Elternhaus sofort verlassen, sich wieder zum Onkel begeben und sei schließlich aus Angst davor, dort entdeckt zu werden, aus der Heimat geflüchtet. Im Falle einer Aufgreifung habe er um sein Leben gefürchtet, da man in den albanischen Zeitungen über solche Fälle lesen könne. Persönlich sei ihm ein derartiger Fall jedoch nicht bekannt. Dem Einberufungsbefehl zur serbischen Armee habe er keine Folge leisten wollen, weil die Moslems von den serbischen Behörden gehasst und an die erste Frontlinie im Krieg geschickt würden.
Mit Bescheid vom 27. Juni 1995 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, ab.
In seiner dagegen gerichteten Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe seine Heimat aus wohlbegründeter Furcht davor, im Rahmen des Militärdienstes auf Grund seiner Nationalität verfolgt zu werden, verlassen. Es sei bekannt, dass Albaner, insbesondere bei der Ableistung ihres Militärdienstes, von den serbischen Vorgesetzten misshandelt und gedemütigt würden. Die staatlich gesteuerte Diskriminierungspolitik gegenüber der albanischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo umfasse den Bereich der Strafrechtspflege in einem Ausmaß, dass er nicht mit einem rechtsstaatlichen Strafverfahren rechnen könne und Gefahr laufe, während des Verfahrens willkürlicher Prozessgebarung und Misshandlungen ausgesetzt zu werden.
Der Bundesminister für Inneres wies die Berufung mit Bescheid vom 14. Dezember 1995 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 44 Abs. 3 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), zurückgewiesen, weil der angefochtene Bescheid gemäß § 44 Abs. 2 AsylG mit dem Inkrafttreten des AsylG in das Stadium vor Erlassung des Berufungsbescheides zurückgetreten ist.
Der in der Folge zuständige unabhängige Bundesasylsenat brachte dem Beschwerdeführer einen Bericht der österreichischen Botschaft in Belgrad vom 23. Juni 1997 zur Kenntnis, wonach Albaner aus dem Kosovo in Jugoslawien kaum mehr zum Wehrdienst einberufen würden. Derzeit befänden sich nur etwa 100 ethnische Albaner in der jugoslawischen Armee. Es würden zwar noch Einberufungsbefehle versendet, diese jedoch in den allermeisten Fällen nicht zwangsweise vollzogen. Ethnische Albaner würden wegen Wehrdienstverweigerung nicht strenger, sondern statistisch sogar weniger streng bestraft als Wehrpflichtige anderer Nationalitäten. Auf Grund der Fülle der Wehrdienstverweigerungen käme es überhaupt nur in Ausnahmefällen zu einer Verurteilung.
Der Beschwerdeführer verwies in seiner Stellungnahme auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Jänner 1995. Daraus gehe hervor, dass die Problematik nicht in der Anzahl der Strafverfahren gegen Kosovo-Albaner wegen Militärdienstverweigerung zu sehen sei, sondern darin, dass brutale Hausdurchsuchungen, willkürliche Verhaftungen, monatelange Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren und schwerste Folterungen stattfänden. Auch zeige die aktuelle Lage im Kosovo - von serbischen Einheiten würden unschuldige Menschen getötet, zahlreiche Dörfer vollkommen zerstört, und tausende Menschen zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen - die Absicht der serbischen Politik im Kosovo. Daraus sei abzuleiten, dass es zahlreiche Methoden ohne Einleitung eines Strafverfahrens wegen Militärdienstverweigerung gebe, einen kosovo-albanischen Deserteur zu bestrafen.
Mit Bescheid vom 23. September 1998 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens führte die belangte Behörde aus, auf Grund welcher behördlichen Ergebnisse sie der Darstellung des Beschwerdeführers über die Ereignisse anlässlich seiner Hochzeitsfeier keinen Glauben schenke. In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde die Ansicht, die Einberufung zur Militärdienstleistung stelle keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Es seien gegenständlich hinsichtlich der Einberufungspraxis keine Unterschiede zwischen Angehörigen verschiedener ethnischer Volksgruppen feststellbar; auch würden keine Unterschiede in der Bestrafung der Wehrdienstverweigerer bestehen. Die im Heimatland des Beschwerdeführers herrschende Bürgerkriegssituation indiziere für sich allein nicht die Flüchtlingseigenschaft.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Es kann im gegenständlichen Fall dahingestellt bleiben, ob die dem Beschwerdeführer individuell widerfahrenen Ereignisse vor seiner Ausreise ausreichten, seine Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Ebenso erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit die belangte Behörde bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers Verfahrensvorschriften verletzt hat.
Denn der Verwaltungsgerichtshof sieht es insbesondere auf Grund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hat. Diese Auseinandersetzungen gehen auch mit vermehrten Übergriffen, insbesondere auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Es ist gleichfalls allgemein bekannt, dass sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo erstreckten, sondern im Wesentlichen auf das Gebiet Zentralkosovo (Region Drenica bzw. "Drenica-Dreieck", wobei sich die Vorfälle von Srbica und Logovac bis Klina ausgedehnt haben) sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decani und Djakovica, wobei im September 1998 eine gebietsmäßige Ausdehnung der Kampfhandlungen in Richtung Nordosten (Podujevo, Kosovska Mitrovica und Vucitrn) sowie Richtung Suva Reka erfolgte. Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Unabhängigen Bundesasylsenat als speziell eingerichtete Bundesbehörde jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen. Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid daher zu Unrecht auf diese Vorfälle in keiner Weise eingegangen. Dies, obwohl der Beschwerdeführer nach seinen Angaben aus einem Ort im Bezirk Suva Reka stammt. Dieser ist davon jedenfalls nicht soweit entfernt, dass ein Übergreifen der Kampfhandlungen - und der damit verbundenen Aktionen gegen die albanische Zivilbevölkerung - schon wegen der großen Entfernung sehr unwahrscheinlich wäre. Eine mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohende, asylrelevante Verfolgung hätte der Beschwerdeführer nach den obigen Ausführungen somit nur dann nicht zu befürchten, wenn eine derartige Verfolgung bei ihm auf Grund besonderer Umstände ausgeschlossen werden könnte (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1999, 98/01/0378).
Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 22. Dezember 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998010634.X00Im RIS seit
20.11.2000