TE Vwgh Erkenntnis 1999/12/22 99/01/0289

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Veröffentlicht am 22.12.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde der M G in W, geboren am 8. August 1982, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien (Amt für Jugend und Familie für den 4. und 5. Bezirk), dieser vertreten durch Dr. Andreas Nödl, Rechtsanwalt in Wien I, Salztorgasse 2/11, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Dezember 1998, Zl. 204.405/1-III/07/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin reiste am 22. Juni 1998 nach Österreich ein. Sie ist jugoslawische Staatsbürgerin, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an.

Am 24. Juni 1998 beantragte die Beschwerdeführerin die Gewährung von Asyl. Sie begründete diesen Antrag im Wesentlichen damit, dass ihr Heimatort (Gjakova) im Juni 1998 angegriffen und dabei ihr Elternhaus in Brand geschossen worden sei.

Mit Bescheid vom 21. Juli 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, ab. (Spruchpunkt I) und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die jugoslawische Föderation gemäß § 8 AsylG nicht zulässig sei (Spruchpunkt II).

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides. Hierauf wurde ihr vom unabhängigen Bundesasylsenat (der belangten Behörde) mit Schreiben vom 25. November 1998 mitgeteilt, dass er u.a. von folgenden Tatsachen auszugehen beabsichtige: Kampfhandlungen in der Art, dass Serben mit schweren Waffen ganze Dörfer zerstörten, gebe es nicht mehr, jedoch erfolgten noch Überfälle der UCK auf Serben und folglich auch Aktionen der Serben gegen die UCK, diese Aktionen richteten sich jedoch nicht gegen die albanische Zivilbevölkerung. Seit dem Abkommen vom 13. Oktober 1998 habe sich die Polizei großteils aus den umkämpften Dörfern zurückgezogen. In jene Dörfer, in welchen es keine serbische Polizei mehr gebe, kehrten bereits viele Kosovo-Albaner zurück; es gebe in diesen Fällen keine Probleme, die Häuser wieder in Besitz zu nehmen. Die Situation sei gekennzeichnet von einer "Machttrennung". Die UCK herrsche in den Dörfern, die serbische Polizei kontrolliere die Hauptstraßen, es gebe jedoch nur wenige Kontrollstellen. In den von der UCK kontrollierten Dörfern bestehe keine Gefahr von Waffensuchen, Vorladungen und anderen serbischen Repressionsmaßnahmen, lediglich bei der Benützung von Hauptstraßen bestehe die Möglichkeit, mit der serbischen Polizei in Kontakt zu geraten. Die Bundesrepublik Jugoslawien habe im Kosovo 16 humanitäre Zentren eingerichtet, in welchen Serben und Albaner tätig seien. Bei einer Rückkehr in den Kosovo bestehe eventuell die Gefahr von Polizeiübergriffen für UCK-Mitglieder, deren Familienangehörige, sowie für Männer aus UCK-Gebieten, da ihnen oftmals vorgeworfen werde, die UCK zu unterstützen. Für Frauen sei diese Gefahr bei einer Rückkehr nicht gegeben, da der Vorwurf der UCK-Mitgliedschaft bei Frauen nicht erfolge. Es gebe weiters keine Anhaltspunkte für Vergewaltigungen von Albanerinnen durch serbische Polizisten. Abschließend wurde die Beschwerdeführerin eingeladen, zu diesen Ausführungen binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.

Die mj. Beschwerdeführerin gab durch ihren gesetzlichen Vertreter mit 3. Dezember 1998 zu diesem Vorhalt eine Stellungnahme ab. Hierin führte sie u.a. aus, dass das von der belangten Behörde herangezogene "Gesprächsprotokoll vom 23. Oktober 1998" zwischen Milosevic und Holbrooke völkerrechtlich nicht verbindlich sei. Da außer dem Rückzug der serbischen Armee noch keine weiteren Punkte des Protokolls erfüllt worden seien und eine politische Lösung des Kosovo-Konflikts in weiter Ferne sei, müsse befürchtet werden, dass im Frühjahr erneut eine serbische Offensive starten werde.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 1998 wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab. Wie im Vorhalt vom 25. November 1998 dargestellt, habe sich die Situation im Heimatland der Beschwerdeführerin seit ihrer Ausreise im Juni des Jahres 1998 geändert. Auch gebe es keine Anhaltspunkte für die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass Vergewaltigungen von Albanerinnen durch serbische Polizisten stattfänden. Rechtlich folge aus dem festgestellten Sachverhalt, dass die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei. Die Gründe, weshalb die Beschwerdeführerin ihr Heimatland verlassen habe, seien mittlerweile weggefallen. Es gebe keine Kampfhandlungen in der Art, dass seitens serbischer Einheiten albanische Dörfer beschossen würden, sodass die Beschwerdeführerin objektiv betrachtet nicht befürchten müsse, im Zuge solcher Angriffe verletzt oder getötet zu werden. Weiters gebe es im Vorbringen der Beschwerdeführerin keine Anhaltspunkte dafür, dass sie mit konkret gegen ihre Person gerichteten Maßnahmen seitens serbischer Behörden zu rechnen hätte, zumal die Beschwerdeführerin nicht behauptet habe, politisch aktiv gewesen oder sonst wie "ins Blickfeld" der serbischen Behörden geraten zu sein. Da die meisten ländlichen Gebiete von der UCK beherrscht würden, sei die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte nicht gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde versagte der Beschwerdeführerin die Gewährung von Asyl, weil die jüngste Entwicklung im Kosovo weitere massive Verfolgungen ethnischer Albaner nicht glaubwürdig erscheinen lasse. Die Beschwerdeführerin tritt dem damit entgegen, dass sich die Situation im Kosovo innerhalb kürzester Zeit - wie sich im Jahr 1997 gezeigt habe - ändern könne. Diesem Einwand kommt Berechtigung zu.

Die Beschwerdeführerin stammt nach ihren Angaben aus Gjakova, einem Ort, der seit dem Überfall vom 28. Februar 1998 auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" von den Reaktionen der serbischen Sonderpolizei besonders betroffen war. Eine Verfolgungsgefahr kann nicht nur aus indivuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, sie kann vielmehr auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, 99/01/0057). Die belangte Behörde hat diesen Vorgängen die durch das "Holbrooke/Milosevic-Abkommen" bereits eingetretenen und künftig zu erwartenden günstigen Entwicklungen im Kosovo entgegengehalten. Es trifft zwar zu, dass grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, die Annahme begründen können, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin schon im Verwaltungsverfahren aufgezeigten Umstände kann eine derartige grundlegende Änderung jedoch nicht vor dem Verstreichen eines angemessenen Beobachtungszeitraumes angenommen werden. Der hier gegebene Beobachtungszeitraum von etwa zwei Monaten bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides am 15. Dezember 1998 erweist sich aus den im Erkenntnis vom 8. September 1999, Zl. 99/01/0126, genannten Gründen (insbesondere wegen der langen vorangegangenen Zeit der Repressionen in wechselnder Intensität) als zu kurz, um von einer wesentlichen und nachhaltigen Veränderung der vormals gegebenen Umstände sprechen zu können.

Der angefochtene Bescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 22. Dezember 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999010289.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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