Entscheidungsdatum
21.06.2018Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
G304 2186444-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Vorsitzende, sowie den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER und den fachkundigen Laienrichter Helmut WEIß als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, gesetzlich vertreten durch die Mutter: XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark, vom 09.11.2017, Sozialversicherungsnummer: XXXX, betreffend die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" nicht vorliegen, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm §§1 Abs. 2, 40, 41 Abs. 1, 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. Nr. 283/1990, sowie § 1 Abs. 2 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, in der jeweils geltenden Fassung, stattgegeben.
Die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 25.09.2017 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) samt Beilagen ein, der auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass galt.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 06.11.2017 eingeholt.
In diesem Gutachten wurde nach am 03.11.2017 durchgeführter Begutachtung des BF hinsichtlich der beantragten Zusatzeintragung in den Behindertenpass Folgendes festgehalten:
"Es besteht ein psychomotorischer Entwicklungsrückstand. Freies Gehen ist aber gut möglich. Befunde über eine schwere Verhaltensstörung mit Fremd- und Autoaggressionen liegen nicht vor. In Begleitung sollte daher die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel möglich sein. Es besteht eine Inkontinenz. Die am Markt befindlichen Produkte sind gut ausreichend, um ungewollter Geruchsentwicklung und Verschmutzung vorzubeugen."
Die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde ausdrücklich nicht als gegeben erachtet.
3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 09.11.2017 wurde der Antrag des BF auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" gem. §§ 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. 283/1990, idgF, abgewiesen.
Begründend wurde ausgeführt, dass das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten vom 06.11.2017 als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden sei. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke (300 bis 400 Meter) nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, auch unter der Verwendung der zweckmäßigsten Behelfe, ohne Unterbrechung zurückgelegt werden könne oder wenn die Verwendung des erforderlichen Behelfs die Benützung des öffentlichen Transportmittels in hohem Maß erschweren würde. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauerhafte Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieses Verkehrsmittels angegebenen Bedingungen auswirke. Wie dem Sachverständigengutachten jedoch zu entnehmen sei, lägen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung derzeit nicht vor.
Es wurde noch folgende "Anmerkung" angefügt:
"Über den Antrag auf Ausstellung eines § 29b - Ausweises nach der Straßenverkehrsverordnung 8StVO) wird nicht abgesprochen, da die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" nicht vorliegen."
4. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Beschwerde erhoben. Dabei wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der BF öffentliche Verkehrsmittel nicht benützen könne und auf einen Behindertenparkausweis angewiesen sei.
5. Am 19.02.2018 langten der gegenständliche Verwaltungsakt und die Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) ein.
6. Mit Schreiben des BVwG vom 27.03.2018, Zl. G304 2186444-1/2Z, wurde Dr. XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, ersucht, ein aktenmäßiges Sachverständigengutachten zu erstellen und dieses "binnen sechs Wochen ab Zustellung dieser Verfügung" dem BVwG zu übermitteln.
7. Am 12.04.2018 langte beim BVwG ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 11.04.2018 ein, in dem keine erhebliche Funktionseinschränkung festgestellt und hinsichtlich der beantragten Zusatzeintragung Folgendes ausgeführt wurde:
"Es besteht ein psychomotorischer Entwicklungsrückstand bei welchen vor allem der psychische Teil hervorzuheben ist. Motorisch sind in
1. Linie die Feinhantierfunktionen eingeschränkt, Gehen und Stehen ist möglich. Aus den Befunden und den Vorgutachten ist zu entnehmen, dass nur in Begleitung öffentliche Verkehrsmittel benützt werden können, dies ist medizinisch nachvollziehbar und wird auch durch die im Pflegegeldgutachten dokumentierte Mobilitätshilfe im weiteren Sinn untermauert. Bezüglich der Inkontinenz ist auf die am Markt befindlichen Produkte zu verweisen, die fragliche Geruchsbelästigung ist eine gesellschaftspolitische Frage."
8. Mit Verfügung des BVwG vom 30.04.2018 Zl. G304 2186444-1/4Z, dem BF zugestellt am 10.05.2018, wurde dem BF das vom BVwG eingeholte Sachverständigengutachten übermittelt und ihm zur Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen sieben Tagen ab Zustellung dieser Verfügung Stellung zu nehmen.
9. Eine Stellungnahme dazu ist bis dato beim BVwG nicht eingelangt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF ist im Besitz eines Behindertenpasses.
Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung ist nicht zumutbar" liegen vor.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
2.2. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung des VwGH bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in einen Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, das die Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilt, sofern diese Frage nicht in einem unmittelbar zuvor durchgeführten Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz im Rahmen der ärztlichen Begutachtung ausreichend behandelt wurde oder die Unzumutbarkeit aufgrund der Art der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt (VwGH vom 20.03.2001, GZ 2000/11/0321).
Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).
Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).
Unter dem Blickwinkel der Judikatur der Höchstgerichte, insbesondere der zitierten Entscheidungen, ist das von Amts wegen eingeholte Gutachten des Amtssachverständigen Dr. XXXX vom 11.04.2018 nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf.
In diesem wurde hinsichtlich der vom BF beantragten Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel keine erhebliche Funktionseinschränkung festgestellt und folgende Stellungnahme abgegeben:
"Es besteht ein psychomotorischer Entwicklungsrückstand, bei welchen vor allem der psychische Teil hervorzuheben ist. Motorisch sind in
1. Linie die Feinhantierfunktionen eingeschränkt, Gehen und Stehen ist möglich. Aus den Befunden und den Vorgutachten ist zu entnehmen, dass nur in Begleitung öffentliche Verkehrsmittel benützt werden können, dies ist medizinisch nachvollziehbar und wird auch durch die im Pflegegeldgutachten dokumentierte Mobilitätshilfe im weiteren Sinn untermauert. Bezüglich der Inkontinenz ist auf die am Markt befindlichen Produkte zu verweisen, die fragliche Geruchsbelästigung ist eine gesellschaftspolitische Frage."
In diesem Sachverständigengutachten wurden, wie im dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Sachverständigengutachten vom 06.11.2017 zuvor, die dem Verwaltungsakt einliegenden ärztlichen Unterlagen - Sachverständigengutachten einer Ärztin aus der Kinder- und Jugendheilkunde vom 30.06.2016, Pflegegeldgutachten vom 19.09.2016 und Arztbrief vom 24.05.2017 - berücksichtigt.
Im besagten Arztbrief vom 24.05.2017 wird auf eine "schwerwiegende Beeinträchtigung der psychomotorischen Entwicklung" und anfangs unter "Anamnese" auf eine dem BF zukommende "mobile Frühförderung/Familienbegleitung" hingewiesen, im angeführten Sachverständigengutachten vom 30.06.2016 wurde unter "Untersuchungsbefund - "Status (Kopf/Fußschema) - Fachstatus" - "keine ausgeprägte motorische Unruhe" und unter "Gesamtmobilität-Gangbild" "plump, aber ungestört" angeführt, und im in den beiden Sachverständigengutachten vom 11.04.2018 und 06.11.2017 ebenfalls berücksichtigten Pflegegeldgutachten vom 19.09.2016 wird unter Punkt "1. Persönliche Angaben - "Beschwerden und Angaben zur Antragstellung" festgehalten, dass der BF gut mobil sei, unter Punkt "6. Status" - "Klinischer Untersuchungsbefund" unter "Untere Extremitäten: Altersentsprechende Beweglichkeit" und unter "Wirbelsäule: Altersentsprechend" angeführt, unter Punkt "8. Gesamtbeurteilung" angegeben, dass der BF unter anderem "Hilfe für Mobilität im weiteren Sinne für alle Freizeitaktivitäten" braucht, und unter "Ermittlung des Pflegebedarfes von Kindern und Jugendlichen in Ergänzung des ärztlichen Gutachtens vom 19.09.2016" auf Seite 6 unter Punkt 76. darauf hingewiesen, dass eine altersunabhängige "Mobilitätshilfe im weiteren Sinn" erforderlich ist.
Obwohl sowohl im vom BVwG eingeholten Sachverständigengutachten vom 11.04.2018 als auch im dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Sachverständigengutachten vom 06.11.2017 das Pflegegeldgutachten vom 19.09.2016, in welchem im gegenständlichen Fall eine altersunabhängige "Mobilitätshilfe im weiteren Sinn" als erforderlich erachtet wurde, kamen beide Sachverständige zu einem anderen Schluss.
Im Sachverständigengutachten vom 06.11.2017 kam die den BF am 03.11.2017 begutachtende Sachverständige zum Schluss, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei, wobei dafür begründend Folgendes ausgeführt wurde:
"Es besteht ein psychomotorischer Entwicklungsrückstand. Freies Gehen ist aber gut möglich. Befunde über eine schwere Verhaltensstörung mit Fremd- und Autoaggressionen liegen nicht vor. In Begleitung sollte daher die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel möglich sein. Es besteht eine Inkontinenz. Die am Markt befindlichen Produkte sind gut ausreichend, um ungewollter Geruchsentwicklung und Verschmutzung vorzubeugen."
Demzufolge ist die allgemeinmedizinische Sachverständige wegen festgestellten möglichen "freien Gehens" und bestehender Möglichkeiten, den aus der Inkontinenz resultierenden unangenehmen Begleiterscheinungen zu entgegnen, von einer Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausgegangen, obwohl sie nicht eindeutig feststellen konnte, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel "in Begleitung" auch tatsächlich möglich sei, gab sie im Sachverständigengutachten vom 06.11.2017 doch an, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel "in Begleitung" (nur) möglich "sein sollte".
Dieses Sachverständigengutachten zugrunde legend wurde der Antrag des BF vom 25.09.2017 auf Vornahme der Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in den Behindertenpass mit gegenständlich angefochtenem Bescheid abgewiesen.
Im Gegensatz zur Feststellung im Vorgutachten vom 06.11.2017 kam der Sachverständige im vom BVwG eingeholten aktenmäßigen allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 11.04.2018 zu folgendem Schluss:
"Es besteht ein psychomotorischer Entwicklungsrückstand, bei welchen vor allem der psychische Teil hervorzuheben ist. Motorisch sind in
1. Linie die Feinhantierfunktionen eingeschränkt, Gehen und Stehen ist möglich. Aus den Befunden und den Vorgutachten ist zu entnehmen, dass nur in Begleitung öffentliche Verkehrsmittel benützt werden können, dies ist medizinisch nachvollziehbar und wird auch durch die im Pflegegeldgutachten dokumentierte Mobilitätshilfe im weiteren Sinn untermauert. Bezüglich der Inkontinenz ist auf die am Markt befindlichen Produkte zu verwiesen, die fragliche Geruchsbelästigung ist eine gesellschaftspolitische Frage."
Demzufolge ist der allgemeinmedizinische Sachverständige im vom BVwG eingeholten Sachverständigengutachten vom 11.04.2018 nicht von der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausgegangen, wies er doch in der im Gutachten abgegebenen Stellungnahme doch zwar auf ein dem BF mögliches Gehen und Stehen hin, betonte er in der Stellungnahme dann jedoch fettgedruckt, dass "aus den Befunden und den Vorgutachten zu entnehmen sei, "dass nur in Begleitung öffentliche Verkehrsmittel benützt werden können", wobei die Feststellung angefügt wurde, "dies ist medizinisch nachvollziehbar und wird auch durch die im Pflegegeldgutachten dokumentierte Mobilitätshilfe im weiteren Sinn untermauert."
Der Oberste Gerichtshof führte für "Mobilitätshilfe im weiteren Sinn" Folgendes an:
"Bei der "Mobilitätshilfe im weiteren Sinn" iSd § 2 Abs. 1 EinstV, die zur Sicherung der Existenz erforderlich ist, handelt es sich um die Begleitung der pflegebedürftigen Person bei unbedingt erforderlichen Verrichtungen außer Haus, insbesondere die Begleitung zum Arzt oder zur Therapie." (OGH vom 27.09.1994, 10 ObS87/94).
Mobilitätshilfe im weiteren Sinn wird immer dann benötigt werden, wenn der Pflegebedürftige die Verrichtungen außer Haus "nur in Begleitung der Pflegeperson" erfolgen kann.
Laut "Gutachterfiebel - Bundespflegegeld", Stand Mai 2017, S. 41, P. 2.1.3.2.25., ist zu "Mobilitätshilfe im weiteren Sinn" Folgendes amtsbekannt:
"Die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn umfasst Hilfeleistungen außerhalb des Wohnbereiches bei allen Abläufen, die zur Führung eines menschenwürdigen Lebens erforderlich sind. Insbesondere zählt dazu die Begleitung des Betroffenen bei Verrichtungen außer Haus, wie z.B. Begleitung zu Ärzten oder Therapeuten, Begleitung bei der Beschaffung von Bedarfsgütern, Begleitung zu Behörden oder Banken, Begleitung zum Arbeitsplatz, Begleitung zu kulturellen Veranstaltungen bzw. zur Wahrnehmung sozialer Kontakte.
Die Notwendigkeit einer Hilfestellung ist anhand der konkreten Lebens- und Wohnsituation zu beurteilen, wobei insbesondere zu hinterfragen ist, ob der Betroffene noch imstande ist, selbständig am öffentlichen Verkehr teilzunehmen."
Im den beiden Sachverständigengutachten vom 11.04.2018 und 06.11.2017 auch zugrunde gelegten Pflegegeldgutachten vom 19.09.2016 wurde eine altersunabhängige "Mobilitätshilfe im weiteren Sinn" für erforderlich erachtet.
Laut Stellungnahme des allgemeinmedizinischen Sachverständigen im Sachverständigengutachten vom 11.04.2018 kann der nunmehr sechsjährige im nunmehrigen Beschwerdeverfahren durch seine Mutter vertretene BF "nur in Begleitperson" - somit "nicht ohne fremde Hilfe" - öffentliche Verkehrsmittel benützen.
Da, wie in angefochtenem Bescheid festgehalten wurde, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel "dann unzumutbar" ist, "wenn eine kurze Wegstrecke" (300 bis 400 Meter) "nicht" aus eigener Kraft und "ohne fremde Hilfe", auch unter Verwendung der zweckmäßigsten Behelfe, ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann, steht dem vom BVwG eingeholten Sachverständigengutachten vom 11.04.2018 zufolge fest, dass dem auf "Mobilitätshilfe im weiteren Sinn" angewiesene BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel "nur in Begleitung" - somit "nicht ohne fremde Hilfe" - möglich ist und demzufolge die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar ist. Die Grundvoraussetzung für die Erlangung des vom BF angestrebten Behindertenparkausweis ist somit gegeben.
Da der BF dem seitens des BVwG eingeholten Sachverständigengutachten vom 11.04.2018 im Rahmen des ihm bzw. seiner Mutter, durch welche der BF im gegenständlichen Beschwerdeverfahren gesetzlich vertreten ist, dazu gewährten Parteiengehörs nicht entgegengetreten ist, wird dieses in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 des Bundesbehindertengesetzes genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des Bundesbehindertengesetzes anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
3.2. Zu Spruchteil A):
Gemäß § 1 Abs. 2 Z 3 der am 01. Jänner 2014 in Kraft getretenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
§ 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
Das seitens des erkennenden Gerichtes eingeholte ärztliche Gutachten von Dr. XXXX vom 11.04.2018, erfüllt den Anspruch der Schlüssigkeit im vollen Umfang. Das Gutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch.
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass beim BF die Voraussetzungen für die Feststellung, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, vorliegen. Mit vom BVwG eingeholten Sachverständigengutachten vom 11.04.2018 wurde von einer Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausgegangen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der Beschwerde stattzugeben.
Soweit der im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch seine Mutter gesetzlich vertretene BF in seiner Beschwerde auf § 29b StVO Bezug nimmt, wird darauf hingewiesen, dass das gegenständliche Verfahren nur die vom BF beantragte Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel betrifft, mit der gegenständlichen Stattgebung der Beschwerde betreffend Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in den Behindertenpass des BF jedoch jedenfalls die Grundvoraussetzung für die Erlangung eines Behindertenparkausweises vorliegt.
3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht bestrittenen Sachverständigengutachtens von Dr. XXXX vom 11.04.2018, welches als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei erachtet wird, geklärt.
3.4. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.
Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Zulassung der Revision war gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zudem zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung in Wesentlichen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:G304.2186444.1.00Zuletzt aktualisiert am
17.08.2018