TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/30 W264 2178112-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.07.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

30.07.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W264 2168271-1/12E

W264 2168272-1/12E

W264 2178112-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Einzelrichterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER über die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin (BF1) XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.7.2017, Zahl: 831766204-1761352, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AslyG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Einzelrichterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER über die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin (BF2) XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch die von der obsorgeberechtigten Großmutter XXXX bevollmächtigte ARGE Rechtsberatung Diakonie, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.7.2017, Zahl: 1031799301-14996041/BMI-EAST-WEST, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AslyG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Einzelrichterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER über die Beschwerde des Drittbeschwerdeführers (BF3) XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch XXXX , diese wiederum vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 7.11.2017, Zahl: 1163411808-170930099, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AslyG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Die BF1 reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 2.12.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der LPD Wien unter Beiziehung eines Dolmetsch für die Sprache Dari wurde von der BF1 angegeben, dass sie eine Tochter namens XXXX habe, welche bei den Eltern der BF1 in Griechenland befindlich sei. Als Fluchtgrund gab sie an, dass ein entfernt Verwandter namens XXXX sie haben ehelichen wollen und sie jedoch am 20.10.2011 den XXXX geehelicht habe. XXXX habe den XXXX bei einer Messerstecherei getötet. Die Familie des XXXX habe daraufhin verlangt, dass die BF1 die Zweitfrau des Bruders des XXXX werde. Das habe die BF1 verweigert, woraufhin die Familie des XXXX den Vater und den Bruder der BF1 verprügelt habe. Auch XXXX habe wiederholt die Eheschließung mit der BF1 gefordert, andernfalls er sie töten werde. Aus Angst sei dann die gesamte Familie der BF1 aus Afghanistan geflüchtet.

1.2. Die BF war vom 17.2.2014 bis 20.2.2014 stationär im Landesklinikum XXXX in der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufhaltig.

1.3. Am 5.3.2014 wurden Untersuchungen zur Altersfeststellung durchgeführt und ergaben diese laut Gutachten Dris. XXXX vom 19.3.2014, dass eine Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Asylantragstellung vom 2.12.2013 nicht mit dem erforderlichen Beweismaß ausgeschlossen werden kann.

1.4. Am 26.3.2014 wurde die Niederschrift vor dem BFA mit der BF1 aufgenommen und gab sie ihre Personalia an und schilderte die bereits vorgetragenen Fluchtgründe, jedoch detaillierter. Die Schwiegerfamilie habe ihr unterstellt, etwas mit dem Tod des XXXX zu tun zu haben. Sie verneinte Probleme mit der Polizei, den Behörden oder anderen staatlichen Stellen in Afghanistan betreffend ihre Person und sei sie dort nie Mitglied einer Partei, einer parteiähnlichen Organisation gewesen. Sie sei nie in Haft gewesen und auch nicht vorbestraft. Sie werde dort auch nicht mit einem Haftbefehl gesucht. In der Niederschrift ist protokolliert "AW erscheint ohne Kopftuch zur Einvernahme". Da zwischenzeitig durch Familienzusammenführung auch die Tochter XXXX nach Österreich gekommen war, wurde die BF1 gefragt, o sie auch diese vertrete und bejaht sie dies unter der Angabe, dass XXXX die gleichen Fluchtgründe habe. Die BF1 gab auf Nachfrage zu einem Schreiben des AMS an, dass sie als Friseurin habe arbeiten wollen. Sie gab an, neuerlich schwanger zu sein und sei der Kindesvater XXXX (IFA XXXX), welchen sie traditionell in einer Moschee geheiratet habe. Sie wiederholte ihre bisher vorgetragenen Fluchtgründe und präzisierte diese. Auf die Frage "Gibt es noch andere Gründe, warum Sie ihren Herkunftsstaat verlassen haben?" antwortete sie "Das ist alles, ich habe die Nase voll gehabt von meinem Leben dort". Auf die Frage nach Befürchtungen für die Rückkehr nach Afghanistan, gab sie unter anderem an: "Wenn ich in Afghanistan wäre, hätte ich nichts aus meinem Leben machen können".

1.5. Im die BF1 betreffenden Fremdakt liegt eine Teilnahmebestätigung über einen Erste-Hilfe-Kurs ein, ein Prüfungszeugnis Deutsch A1 (341 Punkte von 400 erreicht), zwei Teilnahmebestätigungen über die Basiskurse Mathematik, IKT, Deutsch und Englisch vom 12.6.2017 und vom 27.3.2015, eine Unterschriftenliste für die Unterstützungserklärung (8 Unterschriften), eine Unterstützungserklärung der Bereichskoordinatorin "Bildung Jungend im Verein XXXX ", wonach die BF1 "großes Interesse an den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen in Österreich zeige und sie ihr Ziel "externer Pflichtschulabschluss" mit viel Konsequenz verfolge. Weiters liegen zwei Bestätigung über die Teilnahme am Deutschkurs für Jugendliche - Stufe 2 und Stufe 1+ ein, ein Schreiben des AMS mit Terminen im Jahr 2015 sowie ein Ausdruck über "Projekt für junge Menschen als Brücke zum Berufseinstieg". Einliegend ist ebenso eine vom Islamischen Kulturverein Al-Rahman in

4020 Linz Kellergasse 12 ausgestellte Trauungsurkunde über die Eheschließung zwischen der BF1 und XXXX .

1.6. Die BF2 reiste gemeinsam mit ihren Großeltern mütterlicherseits in das Bundesgebiet ein und stellte am 22.9.2014 den Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am 23.9.2014 gab die Großmutter mütterlicherseits für die BF2 als Fluchtgrund an, dass es Probleme mit dem Neffen des Mannes - da dieser die Tochter XXXX habe heiraten wollen - gegeben habe und ebenso mit der Familie des Schwiegersohnes gegeben habe, da der Mann der XXXX vom Neffen getötet wurde. Die Eltern des Schwiegersohnes hätten die Familie aus Rache töten wollen und sei die Familie daher geflüchtet.

1.7. Der BF3 kam am XXXX in XXXX zur Welt.

1.8. Mit den im Spruch näher bezeichneten Bescheiden wurden die Anträge der BF1 bis BF3 auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten und hinsichtlich Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkte I und II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

1.9. Dagegen richtet sich die Beschwerde und wurde darin dazu näher ausgeführt.

1.10. Der bezughabenden Akte wurde dem BVwG zur Entscheidung vorgelegt.

1.11. Am 14.3.2018 wurde die öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in welcher im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari und im Beisein der Rechtsvertretung ARGE Rechtsberatung - Diakonie die BF1 angehört wurde.

Die BF1 wurde zu ihren Fluchtgründen befragt und beschrieb sie diese - wie bisher im Verfahren - und beantwortete Fragen der Richterin zu dem Fluchtvorbringen. Ihren ersten Mann XXXX haben sie auf Nachfrage seiner Schwester XXXX geheiratet, weil "meine Familie sehr streng war. Mein Vater war sehr streng. Ich konnte keine kurze Kleidung tragen, Schminken war nicht erlaubt. Sogar zuhause musste ich ein Kopftuch tragen".

Die BF1 trug zwei sichtbare Tattoos, eines am rechten Unterarm " XXXX " (Anm: Name des nunmehrigen Ehemannes) sowie eines am linken Unterarm. Diese habe sie sich in Österreich stechen lassen.

Ihr Leben in Afghanistan beschrieb sie als "die Hölle" und führte auf Nachfrage dazu zur Behandlung der Schwiegerfamilie und ihres ersten Mannes näher aus. Nach dessen Tod sei "Blut gegen Blut" im Raum gestanden - sie hätte den Bruder des Ehemannes heiraten sollen und brachte sie vor, während ihrer Schwangerschaft mit der Tochter XXXX mitbekommen zu haben, wie der Bruder ihres Mannes mit dem Onkel geredet habe. Sie habe gehört, dass der Onkel geraten habe, die BF1 mit einem Messer am Bein so zu verletzen, sodass sie an der Flucht gehindert wäre und "nach der Geburt können wir mit ihr machen was wir wollen. Dann sagen wir den anderen, dass sie bei der Geburt ums Leben gekommen ist". Der Schwager habe sie während der Schwangerschaft mit XXXX auch mit einer Holzstange geschlagen.

Auf Deutsch gab sie an: "Wenn mein neues Kind geboren, werde ich selbst bezahlen die XXXX . Ich wollte schon vor der neuen Schwangerschaft Schule gehen und arbeiten. Ich wollte für Führerschein lernen und ein Auto kaufen. Hab ich soviel Wunsch. Aber nicht so wie vor vier, fünf Jahren: damals nur gedacht: kurze Hose, T-Shirt, ein bisschen schminken".

Sie habe in Afghanistan vier, fünf Jahre die Schule (nicht reguläre Schule, Alphabetisierungskurs) besucht. Eine Berufsausbildung habe sie nicht gemacht. Und sie gehe jeden Mittwochabend zum Sprachcafè, sie brauche keine Bestätigung, sie wolle nur reden und verstehen.

Die erkennende Richterin begehrte eine Antwort auf die Frage "Wenn Sie zurückdenken an Ihr Leben als Frau in Afghanistan verglichen mit dem Leben hier in Österreich als Frau, was haben Sie an sich selbst festgestellt seither?" und gab sie dazu zur Antwort: "Das kann man nicht vergleichen. Das ist wie tot sein und am Leben zu sein. Es gibt viele Sachen, die hier normal sind und dort nicht möglich war. zB mich so anzuziehen wie ich möchte, Schminken war überhaupt nicht möglich. Radfahren war unmöglich. Rausgehen war nicht möglich."

Die erkennende Richterin begehrte eine Antwort auf die Frage "Wie ist es mit Ihrem Vater? Behandelt er Sie anders als in Afghanistan?" und gab sie dazu an: "Jetzt haben wir nicht viel miteinander. Er lässt mich in Ruhe. Wir leben nicht gemeinsam. Lernen - so eine Möglichkeit gibt es nicht. Arbeiten ist für eine Frau unmöglich. Urlaub kommt nicht vor."

Die erkennende Richterin hielt der BF1 vor im Länderbericht gelesen zu haben, es gäbe in Afghanistan Programme, welche Frauen dazu animieren sollten, arbeiten anzufangen. Die BF1 gab dazu an: "Das ist sehr gut, aber ich glaub nicht dass eine Frau dort auf eigenen Beinen stehen kann. Befragt warum, gebe ich an: Ich habe selbst dort gelebt und weiß, dass viele Frauen nur zuhause waren. Ein paar wenige Frauen haben gearbeitet, da sie zu gebildeten Familien gehört haben und wir haben diese Frauen nie gesehen. Wenn Frauen dort arbeiten, dann meist nur zuhause, von Handarbeit und alles Mögliche, aber nur zuhause. Außerdem ist es unmöglich in Afghanistan zu sagen, dass jemand nicht mehr glaubt oder Atheist oder Konvertit ist. In dem Fall wird man sofort getötet."

Auf die Frage ob sie bei Rückkehr nach Afghanistan sagen würde, dass sie Atheistin ist, gab sie an: "Nein. Nämlich aus Angst. Wenn man so etwas sagt, wird man sofort getötet. Ein Mädchen in Kabul wurde gesteinigt, getötet weil ein Mullah nur behauptet hat, dass sie den Koran zerrissen hat. Dabei hatte sie das nicht gemacht. Sie wurde mit voller Brutalität umgebracht. Sie hieß Farhonda. Ich kannte sie nicht. Ich weiß es aus dem Fernsehen".

Auf die Frage "Haben Sie den nunmehrigen Ehemann selbst ausgesucht?" gab sie an, diesen auf Facebook kennengelernt zu haben. XXXX sei daraufhin aus dem Iran zu ihr nach Österreich gekommen.

Sie habe dem Vater gesagt, dass sie wieder heiraten wolle. Der Vater habe gesagt "nein ist besser bleibst du bei XXXX und ich sagte ich wollte heiraten".

Die BF1 beschrieb, dass sie zur türkischen Moschee gegangen sei und danach mit XXXX zum Magistrat XXXX Rathaus und habe sie gesagt ich habe keine Religion und will heiraten. Sie sagten hast du keine Geburtsurkunde, keinen Reisepass. Dann habe sie mit XXXX einen Mullah aufgesucht, welcher sie traute.

R: Wie geht es Ihnen mit Ihrem Ehemann?

BF1 auf Deutsch: Gut, ich habe schon zweimal gestritten. Dann ich rufen die Polizei. Dann die Polizei ist gekommen und Wegweisung, das

1. x wissen nicht, das 2x vorletztes Jahr.

Wenn XXXX ist nach Österreich, er hat getrunken. Dann ich gesagt:

Hier ist Österreich, du kannst mir nicht sagen "hier sitzen" oder "kommst du mit mir" oder was. Dann er mich geschlagen und dann ich rufen Polizei.

Auf Befragen ob die BF1 die Telefonnummer der Polizei weiß:

BF1: 133.

Bei einem Streit ist einer meiner Kunstnägel abgebrochen und es kam Blut. Ich habe gerufen die Polizei und XXXX muss rausgehen bis 14 Tage.

XXXX war bei Bahnhof und bei Freunden.

Aber ich rufe wieder XXXX an und sagte er er hat kein Essen und keine Platz. Ich sagte kommst du zu meiner Mutter essen und duschen, weil er durfte nicht zu mir nachhause.

Die Polizei sagt nur er durfte nicht 14 Tage nach Hause kommen. Wenn er wieder kommt nach Hause in den 14 Tagen dann kommt Polizei und kommt in Haft.

Wenn die 14 Tage ist fertig ich gehe wieder zu Polizei und nehme die Anzeige zurück und er darf wieder nach Hause. Aber sonst auch gut, XXXX hat keine Problem. Er hat kein Problem mit der Religion und mit dem Kopftuch.

R: Hatten Sie schon einen Wertekurs?

BF1 auf Dari : Ja.

R: Was haben Sie da gelernt?

BF1: Dass die Männer nicht die Frauen schlagen dürfen und dass die Frauen nicht die Kinder schlagen dürfen. Stehlen ist verboten. Über Sauberkeit haben wir gelernt. Ich erinnere mich nicht mehr. Wir haben alles Mögliche gelernt. Es waren viele Minderjährige dabei, aber ich erinnere mich nicht.

R: Sind Sie noch in Behandlung bei einem Psychologen oder Psychiater?

BF1 (deutsch): Ja. Jedes Monat oder wenn es mir geht ganz schlecht rufe ich an und sage brauch ich einen schnellen Termin. Letztes Mal mit dem XXXX gehen zum Kaffee. Frau XXXX ist sehr nett, manchmal sitzen vier Stunden und reden.

Sie ist ganz ganz nett. Sie versteht ganz klar mir. Wenn ich gehen zu Frau XXXX hab ich viel Stress. Und sie sagt kommst du zu mir XXXX und dann ich weiß was ist passiert und sonst noch.

R: Wenn Ihr Mann XXXX Sie öfter etwas machen würde, was Ihnen nicht gefällt, was würden Sie dann machen?

BF auf Deutsch: Dann ich kann ganz Ruhe geschieden.

Auf Dari: Hier habe ich Unterstützungen gibt Leute, die hinter mir stehen.

Deutsch: Ich gehen in Neustart.

R: Wer hat Ihnen Neustart empfohlen?

BF Deutsch: Ich bin einmal mit XXXX gestritten. Polizei gibt mir Papier mit Neustart und eine Männer und eine Frau mit uns gesprochen. Dem XXXX gesagt Du darfst hier nicht Frauen schlagen.

Die bei Neustart sagen wenn Du brauchst Hilfe dann rufst du an. Wenn XXXX macht noch etwas, dann bin ich dabei wenn du sagst ich wollte geschieden und zu Frauenzentrum gehen. Und ich sagen "passt".

R: Wie ist XXXX zu XXXX ?

BF1 auf Deutsch: Ist ganz gut. Weil XXXX lieben XXXX . Seit XXXX ist geboren XXXX gar nicht mit mir gestritten.

R: Wie alt ist XXXX ? BF1 auf Deutsch: So wie ich. Er ist nur ein Monat größer als mir.

R: Kennen Sie sonst noch eine afghanische Frau die Tattoos hat?

BF1 (Dari): Ich habe nicht viel Kontakt mit Leuten aus Afghanistan. Meine Freunde sind aus Österreich, USA und Kanada.

Die aus den USA und aus Kanada arbeiten bei der Kirche. Die leben hier seit 5 Jahren, fliegen nach Hause und kommen wieder. XXXX und Gatte XXXX , XXXX , XXXX .

Auf Deutsch: Eine so viel älter als mir. Frau XXXX sie ist beim Sozialarbeiten, sie auch eine nette Frau, meine Mutter immer gehen zu Frau XXXX . Und noch XXXX und XXXX .

Nach dem Namen der Kirche befragt gibt die BF1 auf Deutsch an:

Herz-Jesu-Kirche. Das steht neben Kreuz.

Die BF1 verneinte, in Afghanistan wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit und / oder der damaligen Religionszugehörigkeit bedroht oder verfolgt worden zu sein und gab sie an, sie habe dort den Unterschied zwischen Sunnit und Schiit nicht gekannt. Sie sei auch nie Mitglied einer Partei gewesen und habe auch nie Probleme mit Behörden, den Gerichten oder der Polizei gehabt. Auch sei sie nie inhaftiert gewesen. Die BF1 verneinte, in Afghanistan je aufgrund dessen, dass sie eine Frau ist, Probleme gehabt zu haben oder aus diesem Grunde verfolgt oder bedroht worden zu sein. Die Frage nach ihrem Lebensalter im Zeitpunkt der ersten Eheschließung in Afghanistan beantwortete sie mit "14". Auf die Frage ob sie sich für ihre Tochter wünschen würde, dass diese mit 14 heiratet, beantwortete sie ohne Übersetzung auf Deutsch: "Nein, nein, überhaupt nicht" und bekam eine tränenerstickte Stimme.

1.12. Folgende Unterlagen wurden dem Gericht am 14.3.2018 vorgelegt:

* Vollmacht der ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe

* Prüfungszeugnis A1 - Fit für Österreich vom 13.12.2016 (341 Punkte von 400)

* Kurzarztbrief Psychiatrie2 der Nervenklinik XXXX über stationäre Aufnahme der BF vom 2.6.2015 bis 3.6.2015 (selbstverletzendes Verhalten; mittelgradige depressive Episode in Remission, posttraumatische Belastungsstörung)

* Ambulanzbefund der Nervenklinik XXXX über die Untersuchung am 27.7.2015

* Ambulanzbefund der Nervenklinik XXXX über die Untersuchung am 5.11.2015

* Unterstützungserklärung der Mag. (FH) XXXX , " XXXX " vom 12.3.2018, wonach neben Bildungserwerb die Förderung von Selbstwertüberzeugung und Bewältigungskompetenz wichtige Ziele der BF sind und die BF "das Potential aktiv und selbstbestimmt ein Leben in Österreich aufzubauen" sei

* Unterschriftenliste für die Unterstützungerklärung mit weiteren 7 Unterstützern

* Mutter-Kind-Pass mit errechnetem Geburtstermin für den Nasciturus:

22.9.2018

Über die Tattoos der BF1 wurden nach Rückfrage bei der BF1 Fotos angefertigt und der Verhandlungsschrift als Beilage angeschlossen.

1.13. Eine Obsorgevereinbarung über die Obsorgeberechtigung der Großmutter XXXX für die BF2 liegt im Fremdakt der BF2 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Nach ganzheitlicher Würdigung des individuellen Vorbringens wird unter Berücksichtigung des unbestrittenen Inhalts der die Beschwerdeführer BF1 bis BF3 betreffenden Fremdakte und der in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben sowie der dem Gericht vorgelegten Beweismitteln festgestellt wie folgt:

1.1. Feststellungen zur Person der jeweiligen Beschwerdeführer BF1 bis BF3 und deren Fluchtgründen:

1.1.1. Die Identität der Beschwerdeführer BF1 bis BF3 steht mit der für das Verfahren ausreichenden Sicherheit fest. Die Beschwerdeführer BF1 bis BF3 sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan.

1.1.2. Die BF1 hat den Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt. Die BF2 ist im Iran geboren und reiste in Begleitung ihrer Großeltern in das Bundesgebiet ein, welche am 22.9.2014 den Antrag auf internationalen Schutz für die BF2 - somit vor dem 15.11.2015 - stellte.

1.1.3. Der BF3 ist am XXXX in XXXX zur Welt gekommen.

1.1.4. Die BF1 bis BF3 sind aus Kabul stammend. Die BF1 bis BF3 sind der Volksgruppe der Hazara zugehörig. Die BF1 ist ohne Glaubensbekenntnis. Die BF1 ist die leibliche Mutter der unmündigen minderjährigen BF2, welche von der obsorgeberechtigten Großmutter vertreten wird. Die BF1 ist die leibliche Mutter des unmündigen minderjährigen BF3 und ist für diesen obsorgeberechtigt.

1.1.5. Die BF1 ist schwanger (voraussichtlicher Geburtstermin im September 2018) und leidet weder an chronischen Krankheiten, noch nimmt sie Medikamente ein. Die BF1 geht in die Gesprächstherapie zu XXXX (Familientherapeutin und Säuglings-, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin).

1.1.6. Die BF2 und der BF3 sind gesund und handelt es sich bei den beiden um Kinder unter 6 Jahren.

1.1.7. Die BF2 und der BF3 haben die gleichen Fluchtgründe wie die BF1. Die BF1 wurde in Afghanistan weder wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara, noch aufgrund der damaligen Religionszugehörigkeit (Schiitin) bedroht oder verfolgt. Sie war in Afghanistan nie Mitglied einer Partei und hatte dort auch nie Probleme mit Behörden, den Gerichten oder der Polizei. Die BF1 war in Afghanistan niemals inhaftiert gewesen. Die BF1 flüchtete über den Iran nach Europa. Sie gab als fluchtauslösend an, dass sie in Afghanistan als Witwe von der Familie ihres verstorbenen ersten Ehemannes, dem Vater der BF2, schlecht behandelt und in Zusammenhang mit dem Tod des Ehemannes stehend bezichtigt worden sei und diese von der BF1 gefordert hätten im Wege von "Blut gegen Blut" die Zweitfrau ihres Schwagers zu werden.

1.1.8. Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Es liegen keine Gründe vor, nach denen die Beschwerdeführer von der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten auszuschließen wären.

1.1.9. Die Mutter der beiden unmündigen minderjährigen BF2 und BF3 - die BF1 - bemüht sich sehr um ihre Integration in Österreich. Die BF1 hat Deutschkurse besucht und konnte ihre Deutschkenntnisse in der Verhandlung sehr gut unter Beweis stellen. Die BF1 hat Freunde aus Österreich, den USA und Kanada. Die BF2 lebt bei den Großeltern mütterlicherseits, da sie nach der Flucht der BF1 bei den Großeltern mütterlicherseits im Iran zurückblieb, mit diesen gemeinsam flüchtete und inzwischen die Obsorgeberechtigung der Großmutter mütterlicherseits zugesprochen wurde.

Die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ergab, dass die BF1 eine auf Selbständigkeit und künftig eigene Erwerbstätigkeit bedachte Frau ist, der es daran liegt, ihrer Tochter BF2 das eigene Schicksal einer frühen Eheschließung im Jugendalter zu ersparen. Die BF1 ist in ihrer Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert: so hat sie das im Werte- und Orientierungskurs Erlernte verinnerlicht ("Dass die Männer nicht die Frauen schlagen dürfen") und auf ihr Leben umgemünzt: wenn ihr Ehemann etwas machen würde, was ihr nicht gefalle, dann habe sie hier Unterstützung, es gäbe Leute die hinter ihr stehen, sie würde zu Neustart gehen. Bei zwei Streitigkeiten, als ihr Ehemann getrunken hatte, sagte die BF1 zu ihm: "Hier ist Österreich, du kannst mir nicht sagen ‚hier sitzen' oder ‚kommst du zu mir' oder was". Als der Ehemann sie daraufhin schlug, rief die BF1 - welche auch in der Verhandlung auf Befragen durch die Richterin sofort die Notrufnummer der Polizei wusste - die Polizei und wurde so die Wegweisung des Ehemannes in die Wege geleitet. Sie gab an, dass der Ehemann während des Betretungsverbots für 14 Tage nicht zurückkehren durfte und sie ihm auf seine Aussage er habe kein Essen und keinen Platz antwortete, dass er zu ihrer Mutter gehen könne, nicht aber zu ihr nachhause. Dass die BF1 das Potential hat, aktiv und selbstbestimmt ein Leben in Österreich aufzubauen, wird von unterstützenden Mitarbeitern (Lehrerinnen) des Vereins " XXXX " attestiert. Die BF1 brachte vor, ihr Vater habe in Österreich nach der Ankunft von XXXX gesagt, es sei besser wenn sie nicht heirate, sondern bei der BF2 bleibe und dennoch suchte die BF1 den Magistrat XXXX auf sowie eine Moschee, um die von ihr gewünschte Eheschließung in die Wege zu leiten. Dass die BF1 auf ihre Eigenständigkeit bedacht ist, brachte sie aber auch damit zum Ausdruck, dass sie über ihre Pläne rund um Weiterbildung (Kosmetikerin in Kombination mit Friseurin) und Kontrazeptivum berichtete und in Vergleich setzte, was sie damals in Afghanistan als für sie erstrebenswerte Ziele angesehen habe und was sie nun als solche ansehe: während sie in Afghanistan den Wunsch nach anderer Kleidung und Schminke verspürte, gehe sie hier in Österreich zum Schwimmen, hat sie das Radfahren für sich entdeckt und hegte sie schon vor der Schwangerschaft mit dem BF3 den Wunsch die Schule zu besuchen, zu arbeiten, den Führerschein zu machen. Sie kann sich nicht mehr vorstellen, dass sie bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wieder ein Kopftuch tragen müsse [Anm: die BF1 war nach Afghanistan in den Iran gegangen, wo sie die BF2 gebar und von wo aus sie sich nach Europa aufmachte] und wegen des Schminkens Probleme bekomme. Sie kann sich nicht vorstellen, dass sie nicht Radfahren oder zum Einkaufen gehen dürfe. Wenn sie ihr Leben als Frau in Afghanistan mit dem Leben hier in Österreich als Frau vergleiche, dann könne man dies nicht vergleichen: Das sei wie tot sein und am Leben zu sein, so die BF1. Es gäbe viele Sachen, die hier normal sind und dort nicht möglich waren und führte sie als Beispiele hierfür Kleidung nach eigenem Wunsch ("so anzuziehen wie ich möchte, Schminken war überhaupt nicht möglich") ins Treffen, dort sei Radfahren unmöglich und auch das Rausgehen war nicht möglich, so die BF1. "Lernen - so eine Möglichkeit gibt es nicht. Arbeiten ist für eine Frau unmöglich. Urlaub kommt nicht vor.", so die BF1 beim Vergleich des Lebens einer Frau in ihrem Herkunftsstaat mit dem Leben einer Frau in Österreich. Dies brachte sie auch im Zusammenhang damit vor, als ihr vorgehalten wurde, dass der Länderbericht darlegt, dass in Afghanistan Programme die Erwerbstätigkeit von Frauen forcieren. Sie habe dort selbst gelebt und wisse, dass viele Frauen nur zuhause waren. Einige wenige gebildete Frauen seien erwerbstätig gewesen, aber solche habe man nie gesehen. Frauen würden meist nur zuhause arbeiten und Handarbeit erledigen, so die BF1.

Es sei in Afghanistan auch nicht möglich, zu sagen, dass man nicht mehr glaube, ein Atheist oder Konvertit sei. Man würde sofort getötet werden. Daher würde sie im Falle der Rückkehr aus Angst verschweigen, dass sie nun nicht mehr gläubig sei. Wenn man so etwas sagt, würde man sofort getötet, so die BF1.

1.1.10. Die BF1 lebt nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition und lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan sowie die dort aufoktroyierten Kleidungsvorschriften ab. Es liegt ihr sehr daran, den Lebensstil, den sie in Österreich führt, fortzuführen, einen Beruf zu ergreifen und die Empfängnisverhütung selbst in die Hand zu nehmen. Es liegt ihr auch daran, ihre Ehe partnerschaftlich und nicht fremdbestimmt zu gestalten.

Die BF1 lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab. Es liegt ihr sehr daran den Lebensstil, den sie in Österreich führt, fortzuführen. Die BF1 hat bereits Deutschkurse absolviert, kann in deutscher Sprache bereits verständlich kommunizieren und möchte auch künftig die Kenntnisse der deutschen Sprache verbessern.

Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden und auch entsprechend verfestigten Änderung ihrer Lebensführung würde die BF1 im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat wird festgestellt:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.6.2018:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Konkrete Informationen zu Zahlen und Tätern können dem Subkapitel "Regierungsfeindliche Gruppierungen" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Weiterführende Informationen zu den regierungsfreundlichen Gruppierungen können dem Kapitel 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten