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32/01 Finanzverfahren allgemeines AbgabenrechtNorm
BAO §212a Abs1 idF 2013/I/014Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des K in G, vertreten durch die Prof. Dr. Thomas Keppert Wirtschaftsprüfung GmbH & Co KG, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1060 Wien, Theobaldgasse 19, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 30. Juni 2016, Zl. RV/7101327/2015, betreffend Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es den Bescheid des Finanzamtes vom 5. März 2015 (Abweisung des Antrages auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO vom 1. Oktober 2013) betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Bei der X KG und bei der Y KG, an welchen der Revisionswerber seit 1999 (X KG) bzw. 2000 (Y KG) beteiligt war, wurden ab 2002 Außenprüfungen betreffend die Jahre 1999 und 2000 durchgeführt.
2 Im Anschluss an die Außenprüfung erließ das für die Kommanditgesellschaften zuständige Finanzamt als Feststellungsbescheide gemäß § 188 BAO und als Nichtfeststellungsbescheide gemäß § 92 Abs. 1 lit. b BAO und § 190 Abs. 1 BAO intendierte Erledigungen, in denen ausgesprochen wurde, dass für den Revisionswerber kein Anteil am Ergebnis der X KG und der Y KG in die einheitliche und gesonderte Gewinnermittlung der Einkünfte gemäß § 188 BAO der Jahre 1999 und 2000 einzubeziehen sei.
3 Aufgrund dieser Erledigungen erließ das für den Revisionswerber zuständige Finanzamt am 14. Dezember 2006 abgeleitete Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1999 und 2000 (§ 295 Abs. 1 BAO).
4 Gegen die auf Gesellschaftsebene ergangenen behördlichen Erledigungen wurden sowohl von der X KG als auch von der Y KG Berufungen erhoben. Der Revisionswerber beantragte unter Bezugnahme auf diese Berufungen die Aussetzung der Einhebung von Einkommensteuernachforderungen 1999 und 2000 gemäß § 212a BAO, wobei das Finanzamt den Anträgen laut Aktenlage auch Folge gab.
5 Mit Berufungsentscheidungen vom 13. November 2012 (Y KG) bzw. 28. November 2012 (X KG) wies der unabhängige Finanzsenat die Berufungen gegen die auf Gesellschaftsebene ergangenen behördlichen Erledigungen als unzulässig zurück, weil diese Erledigungen keine Bescheidqualität aufwiesen. Die Berufungsentscheidungen ergingen in Umsetzung eines Erkenntnisses, mit dem der Verwaltungsgerichtshof in einem gleichgelagerten Fall ausgesprochen hatte, dass das Finanzamt mit der Erlassung von „Feststellungsbescheiden“ mit Zuweisung von Einkünften an die Komplementäre und davon getrennten „Nichtfeststellungsbescheiden“, mit denen ausgesprochen werde, dass die Feststellung von Einkünften der Kommanditisten zu unterbleiben habe, gegen das bei Grundlagenbescheiden im Sinne des § 188 BAO geltende Gebot der Einheitlichkeit verstoße (siehe VwGH 5.9.2012, 2011/15/0024, VwSlg. 8743/F).
6 Infolge Erledigung der Rechtsmittel, die gegen die als „Feststellungsbescheide“ und „Nichtfeststellungsbescheide“ intendierten Erledigungen erhoben worden sind, verfügte das für den Revisionswerber zuständige Finanzamt im Dezember 2012 den Ablauf der Aussetzung der Einhebung und setzte Anspruchs- und Aussetzungszinsen fest.
7 Der Revisionswerber beantragte am 18. Dezember 2012 - unter Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. September 2012 - die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 1999 und 2000 (Bescheide jeweils vom 14. Dezember 2006) gemäß § 303 BAO. Am 25. Juli 2013 brachte er zudem - unter Verweis auf die Berufungsentscheidungen des unabhängigen Finanzsenats betreffend die X und Y KG vom November 2012 - einen Antrag auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 vom 14. Dezember 2006 beim Finanzamt ein (§ 295 Abs. 4 BAO).
8 Das Finanzamt wies die Anträge mit Bescheiden vom 25. April 2013 (Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO) und 19. September 2013 (Antrag auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide gemäß § 295 Abs. 4 BAO) zurück, wogegen der Revisionswerber jeweils am 25. Mai 2013 bzw. am 1. Oktober 2013 das Rechtsmittel der Berufung erhob. Der am 25. Mai 2013 eingebrachten Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid vom 25. April 2013 gab das Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung vom 2. Juli 2013 keine Folge, woraufhin der Revisionswerber am 25. Juli 2013 einen Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz stellte (Vorlageantrag vom 25. Juli 2013). Eine Erledigung der Rechtsmittel gegen die beiden Zurückweisungsbescheide erfolgte bis zur Erhebung der gegenständlichen Revision nicht.
9 Am 27. Mai 2013 beantragte der Revisionswerber - unter Verweis auf die Berufung gegen die Zurückweisung des Antrages auf Wiederaufnahme vom 25. Mai 2013 - die Aussetzung der Einkommensteuer 1999 und 2000 sowie von Anspruchs- und Aussetzungszinsen. Im Vorlageantrag betreffend die Berufung gegen die Zurückweisung des Antrages auf Wiederaufnahme vom 25. Juli 2013 und in der Berufung gegen die Zurückweisung des auf § 295 Abs. 4 BAO gestützten Antrages vom 1. Oktober 2013 stellte der Revisionswerber ebenfalls den Antrag auf Aussetzung von Einkommensteuer 1999 und 2000 sowie von Anspruchs- und Aussetzungszinsen gemäß § 212a BAO.
10 Die im Zusammenhang mit der begehrten Wiederaufnahme gestellten Anträge auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO vom 27. Mai 2013 und vom 25. Juli 2013 wies das Finanzamt zunächst zurück. Nach Stattgabe der vom Revisionswerber dagegen erhobenen Rechtsmittel durch das Bundesfinanzgericht wies es die Anträge mit Bescheiden vom 18. November 2014 als unbegründet ab. Die Abweisung des Antrages vom 1. Oktober 2013 erfolgte (ohne vorherige Zurückweisung) mit Bescheid des Finanzamts vom 5. März 2015.
11 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht Beschwerden des Revisionswerbers gegen die Bescheide des Finanzamts vom 18. November 2014 und vom 5. März 2015, mit welchen die Anträge auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO abgewiesen worden sind, keine Folge und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig.
12 Zur Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, Sache der anhängigen Beschwerdeverfahren, auf die der Revisionswerber in den Anträgen auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO verwiesen habe, seien jeweils die Zurückweisungsbescheide vom 25. April 2013 und vom 19. September 2013. Gegenstand der Beschwerdeentscheidung sei somit jeweils nur die Frage, ob das Finanzamt dem Revisionswerber zu Recht eine Sachentscheidung verweigert habe. Selbst im Falle einer dem Begehren des Revisionswerbers Rechnung tragenden Erledigung hänge die Höhe der Einkommensteuer 1999 und 2000 nicht von der Erledigung der Beschwerden gegen die Zurückweisungsbescheide ab, weil sie weder von Amts wegen noch auf Antrag des Abgabepflichtigen zwingend herabzusetzen oder deren Festsetzung überhaupt aufzuheben sei. Es sei lediglich über die Anträge auf Bescheidaufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO sowie auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO meritorisch zu entscheiden.
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit (nur) ausgeführt wird, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, „ob ein gegen die Zurückweisung eines gem § 295 Abs. 4 BAO gestellten Antrags auf Bescheidaufhebung geführtes Beschwerdeverfahren eine mittelbare Abhängigkeit einer Abgabenhöhe von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde iSd § 212a BAO begründet“.
14 Das Bundesfinanzgericht legte die Verwaltungsakten vor. Vom belangten Finanzamt wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
16 Die Revision ist zulässig und begründet.
17 § 295 Abs. 4 BAO idF des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetzes (VwG-AnpG), BGBl I Nr. 70/2013, lautet:
„(4) Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines
- Feststellungsbescheides (§ 188) oder eines
- Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,
gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, so sind auf das Dokument gestützte Änderungsbescheide (Abs. 1) auf Antrag der Partei (§ 78) aufzuheben. Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen.“
18 Nach § 212a Abs. 1 BAO in der Fassung nach dem FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, ist die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, auf Antrag des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zu Grunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Beschwerdeerledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld.
19 Zu den Abgaben, deren Höhe mittelbar im Sinne des § 212a BAO von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, gehören nach herrschender Ansicht all jene, die im Falle einer dem Begehren des Beschwerdeführers Rechnung tragenden Beschwerdeerledigung entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Abgabepflichtigen herabzusetzen sind oder deren Festsetzung diesfalls überhaupt aufzuheben ist (so bereits Stoll, BAO-Kommentar, 2268, zur inhaltlich gleichen Bestimmung des § 212a BAO in der Fassung vor dem FVwGG 2012; ebenso Ritz, BAO6, § 212a Tz 7; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 212a Anm 2).
20 Der Revisionswerber hat mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2013 gegen die Zurückweisung seines auf § 295 Abs. 4 BAO gestützten Antrages auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 berufen und gleichzeitig die Aussetzung der Einhebung von Einkommensteuer 1999 und 2000 sowie von Anspruchs- und Aussetzungszinsen gemäß § 212a BAO beantragt. Der Antrag auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO wurde vom Finanzamt mit Bescheid vom 5. März 2015 abgewiesen.
21 Die gegen den Abweisungsbescheid gerichtete Beschwerde wies das Bundesfinanzgericht mit der Begründung ab, dass Sache des Beschwerdeverfahrens, auf das der Revisionswerber seinen Antrag auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO stütze, ein Zurückweisungsbescheid (betreffend den Antrag gemäß § 295 Abs. 4 BAO vom 25. Juli 2013) sei. Gegenstand der Beschwerdeentscheidung sei somit nur die Frage, ob das Finanzamt dem Revisionswerber zu Recht eine Sachentscheidung verweigert habe. Selbst im Falle einer dem Begehren des Revisionswerbers Rechnung tragenden Erledigung hänge die Höhe der Einkommensteuer 1999 und 2000 nicht von der Erledigung der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid ab, weil sie weder von Amts wegen noch auf Antrag des Abgabepflichtigen zwingend herabzusetzen oder deren Festsetzung überhaupt aufzuheben sei. Es sei lediglich über den Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO meritorisch zu entscheiden.
22 Um dem rechtsstaatlichen Prinzip gerecht zu werden, müssen Rechtsschutzeinrichtungen ein bestimmtes Maß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf ein Revisionswerber nicht einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung solange belastet sein, bis seine Beschwerde endgültig erledigt ist (vgl. VfGH 11.12.1986, G 119/86, VfSlg. 11196). Vor diesem Hintergrund ging der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 17. Dezember 1998, 97/15/0085, VwSlg. 7340/F, davon aus, dass § 212a BAO die Aussetzung der Einhebung des Streitgegenstandes des Hauptverfahrens (Berufung gegen den Abgabenbescheid) auch für die Zeit ermöglicht, während der in einem Nebenverfahren geprüft wird, ob die Voraussetzungen einer Berufung vorliegen.
23 Auf Nichtbescheide gestützte Änderungsbescheide sind gemäß § 295 Abs. 4 BAO auf Antrag der Partei aufzuheben. Der Antrag ist ein Anbringen zur Geltendmachung von Rechten im Sinne des § 85 Abs. 1 BAO und unterliegt der Entscheidungspflicht (vgl. Ritz, BAO6, § 295 Tz 21f). Die Aufhebung eines Änderungsbescheides gemäß § 295 Abs. 4 BAO liegt nicht im Ermessen der Abgabenbehörde und kann - wie im Revisionsfall - zu einer Herabsetzung, aber auch zu einem gänzlichen Wegfall einer Abgabenschuld führen. Wird ein auf § 295 Abs. 4 BAO gestützter Antrag vom Finanzamt abgewiesen und vom Abgabepflichtigen dagegen Beschwerde erhoben, hängt die Einhebung der im Falle einer stattgebenden Erledigung in Wegfall kommenden Abgabenschuld mittelbar von der Erledigung der gegen den Abweisungsbescheid gerichteten Bescheidbeschwerde ab. Nichts anderes kann für den Fall gelten, dass ein auf § 295 Abs. 4 BAO gestützter Antrag vom Finanzamt zurückgewiesen wird (vgl. idS nochmals VwGH 17.12.1998, 97/15/0085).
24 Das Bundesfinanzgericht hat damit die Rechtslage verkannt, wenn es den Aussetzungsantrag abgewiesen hat, weil die Höhe der Einkommensteuer 1999 und 2000 selbst im Falle einer dem Begehren des Revisionswerbers Rechnung tragenden Erledigung nicht im Sinne des § 212a BAO von der Erledigung der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid im Verfahren nach § 295 Abs. 4 BAO abhängig sei.
25 Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit es den Bescheid des Finanzamtes vom 5. März 2015 (Abweisung des Antrages auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO vom 1. Oktober 2013) betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
26 Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
27 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. Juli 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016130044.L00Im RIS seit
21.06.2021Zuletzt aktualisiert am
21.06.2021