Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §18 Abs1 Z1;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 96/21/0433 E 24. März 2000Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des N in Matrei am Brenner, geboren am 31. Jänner 1949, vertreten durch Dr. Josef R. Harthaller und Dr. Berndt Schön, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Anichstraße 24/I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 5. Februar 1996, Zl. III 436/95, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 19, 20 und 21 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
In ihrer Begründung verwies die belangte Behörde vorerst in allgemeiner Form auf die (im erstinstanzlichen Bescheid detailliert dargestellten) rechtskräftigen Bestrafungen des Beschwerdeführers (seit dem Jahr 1983 wegen Übertretungen nach dem KFG und nach der StVO) und ging näher auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers nach § 83 Abs. 1 StGB aus dem Jahr 1990 sowie auf eine weitere rechtskräftige Verurteilung (durch das Landesgericht Innsbruck) vom 7. August 1995 nach den §§ 142 Abs. 1, 143, 12 StGB ein. Die letztgenannte Verurteilung, mit der eine Freiheitsstrafe von drei Jahren - davon zwei Jahre auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen - ausgesprochen worden sei, erfülle den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 erster und zweiter Fall FrG. Dieser Verurteilung liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer und zwei namentlich genannte Mittäter im November 1989 in Matrei am Brenner und Innsbruck zusammen mit drei weiteren, abgesondert verfolgten Personen unter Verwendung einer Waffe einen schweren Raub begangen hätten, bei dem unter Vorhalt einer Pistole sowie unter anderem durch Fesselung des Filialleiter-Stellvertreters, sohin mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, nach Abnahme des Tresorschlüssels dem Verfügungsberechtigten eine fremde bewegliche Sache, und zwar ein Geldbetrag von ca. 80.000,--, mit dem Vorsatz weggenommen worden sei, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern. Der Beitrag des Beschwerdeführers habe darin bestanden, dass er sich bei der einige Tage vor Tatbegehung in Matrei am Brenner durchgeführten Besprechung mit der Tatausführung einverstanden erklärt, die Tatausführenden im Entschluss bestärkt und dann vereinbarungsgemäß als Mitarbeiter eines Putztrupps den Zutritt durch die von außen nicht zu öffnende Eingangstür ermöglicht habe.
Infolge der Häufigkeit und Schwere der Übertretungen bzw. des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers komme deutlich seine negative Einstellung gegenüber der österreichischen Rechtsordnung zum Ausdruck, wodurch der Eindruck entstehe, dass der Beschwerdeführer offensichtlich nicht gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften in erforderlicher Weise zu achten und sein Verhalten den österreichischen Gesetzen anzupassen, woraus sich wiederum die berechtigte Folgerung ergebe, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit darstelle.
Es liege zwar ein relevanter Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 19 FrG vor, dieser Eingriff mache das Aufenthaltsverbot aber nicht unzulässig. Die sich in den vielen und schwer wiegenden Übertretungen manifestierende Neigung des Beschwerdeführers, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, lasse das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung und zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen (Art. 8 Abs. 2 EMRK) notwendig erscheinen.
Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers am weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet seien von großem Gewicht:
Der Beschwerdeführer halte sich seit 1970 im Bundesgebiet auf; hier sei seine Großfamilie, insbesondere seine Ehegattin und seine beiden namentlich genannten Enkel, zu welchen der Beschwerdeführer eine intensive familiäre Bindung habe; es bestehe daher eine dementsprechende Integration und Bindung des Beschwerdeführers in Österreich. Dies wiege jedoch im Hinblick auf die Neigung des Beschwerdeführers zu Straftaten, insbesondere in Anbetracht des Verbrechens des schweren Raubes im Jahre 1989, höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, weshalb die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch im Grund des § 20 Abs. 1 FrG zulässig sei.
§ 20 Abs. 2 FrG komme beim Beschwerdeführer schon deshalb nicht zum Tragen, weil dieser wegen einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung verurteilt worden sei. Die Dauer des Aufenthaltsverbotes entspreche den für seine Erlassung maßgeblichen Umständen. Die belangte Behörde sei der Ansicht, dass bis zum Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes, nämlich der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit, das Verstreichen von zehn Jahren erforderlich sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, mit der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Vorweg ist anzumerken, dass der angefochtene Bescheid angesichts der Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe offensichtlich in den Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75, eine Grundlage fände und somit nicht gemäß § 114 Abs. 4 leg. cit. außer Kraft getreten ist (vgl. den hg. Beschluss vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird), zumal der Beschwerdeführer kein begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 47 Abs. 3 Z. 3 iVm § 49 leg. cit. ist, weil nicht behauptet wird, dass ihm von seiner (der Beschwerde zufolge) die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Tochter Unterhalt gewährt wird.
Gemäß § 18 Abs. 1 FrG ist gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2). Gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist .
Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 18 Abs. 1 FrG ist somit die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder die in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen erheblich gefährdet. § 18 Abs. 1 FrG ordnet sohin an, dass bei Vorliegen eines der in Abs. 2 aufgezählten Tatbestände auf der Grundlage des entsprechenden Sachverhaltes eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen ist, ob in concreto die umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Um diese Gefährlichkeitsprognose treffen zu können, ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen. (Vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 1997, Zl. 95/21/0234.)
Der Beschwerdeführer bestreitet in seiner Beschwerde nicht, wegen (zahlreicher) Übertretungen nach der StVO und dem KFG rechtskräftig bestraft sowie im Jahr 1990 nach § 83 Abs. 1 StGB und im Jahr 1995 nach den §§ 142 Abs. 1, 143, 12 StGB (Beteiligung an einem schweren Raub unter Gebrauch einer Waffe) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, davon zwei Jahre auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen, rechtskräftig verurteilt worden zu sein.
Durch die strafgerichtlichen Verurteilungen wurde der Tatbestand nach § 18 Abs. 2 Z. 1 erster und vierter Fall FrG erfüllt und es besteht angesichts seines Fehlverhaltens kein Zweifel an der Verwirklichung der in Abs. 1 leg. cit. umschriebenen Annahme.
Gemäß § 19 FrG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes jedoch nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Weiters darf gemäß § 20 Abs. 1 FrG ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist nach der letztgenannten Gesetzesstelle auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.
Die belangte Behörde verkennt in ihren Ausführungen nicht, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines bereits 25-jährigen Aufenthaltes in Österreich hier weitgehend integriert ist. Auch die familiären und privaten Beziehungen des Beschwerdeführers in Österreich, insbesondere im Hinblick auf das Familienleben mit seiner Ehegattin und seinen beiden Enkelkindern, wurden von der belangten Behörde berücksichtigt.
Wenn die belangte Behörde aber angesichts der besonderen Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last fallenden Straftaten (vor allem des Beitrags zu einem schweren Raub unter Gebrauch einer Waffe) und des daraus abgeleiteten hohen Grades der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch den Beschwerdeführer das Aufenthaltsverbot als dringend geboten iSd § 19 FrG erachtete und bei der Abwägung nach § 20 Abs. 1 FrG den öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes zumindest gleich großes Gewicht beimaß als seinen gegenläufigen privaten und familiären Interessen, so begegnet dies seitens des Verwaltungsgerichtshofes keinen Bedenken. Gegenüber einem derart gravierenden und, wenn auch in leichterer Form, bereits seit 1983 andauernden Fehlverhalten und der daraus abzuleitenden Prognose einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit haben die zweifellos ebenfalls gewichtigen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers zurückzutreten.
Der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Entscheidungen des EGMR vom 18. Februar 1991, 31/1989/191/291, im Fall Moustaquim gegen Belgien (ÖJZ 1991, 452 ff), vom 26. März 1992, 55/1990/246/317, im Fall Beldjoudi gegen Frankreich (ÖJZ 1992, 773 ff) und vom 13. Juli 1995, 18/1994/465/546, im Fall Nasri gegen Frankreich (ÖJZ 1995, 908 ff) vermag die Beschwerde nicht zum Erfolg zu führen. Die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte waren nämlich in wesentlichen Punkten anders gelagert.
Im Fall Beldjoudi wertete der EGMR als entscheidend, dass der (1950) in Frankreich geborene Fremde und seine Eltern bis 1. Jänner 1963 die französische Staatsbürgerschaft hatten. Er war seit über 20 Jahren mit einer Französin verheiratet, der eheliche Wohnsitz war stets in Frankreich. Der EGMR nahm primär auf die persönlichen Verhältnisse der Ehefrau des Fremden (die auch Mitbeschwerdeführerin war) Bedacht. Würde sie (die französische Staatsbürgerin) ihrem Gatten nach seiner Ausweisung folgen, müsste sie sich im Ausland (vermutlich in Algerien) niederlassen. Sie würde entwurzelt werden und hätte große Schwierigkeiten, sich anzupassen. Der EGMR erblickte darin eine Gefährdung der Ehe. Im Fall Moustaquim war von Bedeutung, dass der Beschwerdeführer bereits im Alter von zwei Jahren nach Belgien gelangt ist und die ihm zur Last gelegten Straftaten in seiner Jugendzeit begangen hat. Im Fall Nasri wurde vor allem auf die Behinderung des Beschwerdeführers - er ist seit seiner Geburt taubstumm - Bedacht genommen.
Anders als in den aufgezeigten Fällen weist der Beschwerdeführer zwar einen langen inländischen Aufenthalt und familiäre Beziehungen in Österreich auf, kann aber nicht auf einen so durchschlagenden, für seinen Weiterverbleib in Österreich sprechenden Umstand verweisen, dass trotz seiner Gefährlichkeit von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand genommen werden müsste.
Ob der Beschwerdeführer in "Restjugoslawien" über Vermögen oder soziale Beziehungen verfügt, ist im gegebenen Zusammenhang unbeachtlich, weil mit dem angefochtenen Bescheid nicht ausgesprochen wurde, dass der Beschwerdeführer in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er allenfalls abgeschoben werde.
Soweit der Beschwerdeführer den angefochtenen Bescheid infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften für rechtswidrig hält, ist die Beschwerde ebenfalls nicht berechtigt. Der Beschwerdeführer wirft in dieser Hinsicht der belangten Behörde vor, dass sie ihre Feststellungen ohne weitere Ermittlungen über seine Beziehungen im Inland und ohne eine weitere Vernehmung des Beschwerdeführers getroffen habe. Die belangte Behörde hätte berücksichtigen müssen, dass die Kinder des Beschwerdeführers größtenteils in Österreich die Schule besucht hätten, seine Tochter die österreichische Staatsbürgerschaft besitze und er Vormund seiner Enkel sei. Dieser Mängelrüge kommt keine Relevanz zu, weil auch bei Zutreffen dieser Umstände die vorgenommene Interessenabwägung nicht zu seinen Gunsten hätte ausgehen können. Im Übrigen hat die belangte Behörde ohnehin festgestellt, dass die persönlichen und "intensiven" familiären Beziehungen des Beschwerdeführers in Österreich (zu seiner Ehegattin und seinen Enkeln) sehr stark seien und der Beschwerdeführer im Inland integriert sei.
Soweit er letztlich eine Verletzung des Parteigehörs rügt, legt er nicht dar, welches Vorbringen zu erstatten ihm verwehrt worden sei.
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 12. Jänner 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1996210182.X00Im RIS seit
20.11.2000