TE OGH 2018/7/24 9ObA57/18z

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.07.2018
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Roland Seeger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. D***** T*****, 2. N***** T*****, beide vertreten durch Dr. Christian Pichler, Rechtsanwalt in Reutte, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 76 Cga 111/15t des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht (Streitwert: 17.440 EUR sA), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. April 2018, GZ 13 Ra 45/17s-17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. Oktober 2017, GZ 76 Cga 21/17k-11, als nichtig aufgehoben und die Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 1.149,73 EUR (darin 191,62 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 23. 3. 2017 eingebrachten Wiederaufnahmsklage die Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 76 Cga 111/15t des Erstgerichts iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO und die Stattgabe des dort gestellten Begehrens, die Beklagten zur Unterlassung verschiedener Behauptungen (betreffend das „Ausnehmen“ von Mitarbeitern) zu verpflichten.

In diesem Vorverfahren sei ua die Frage thematisiert worden, wann das Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Erstbeklagten und der Klägerin als seiner Arbeitgeberin begonnen hätte (Standpunkt des Erstbeklagten: 27. 10. 2015; Standpunkt der Klägerin: 2. 11. 2015 als dem Tag, an dem der Erstbeklagte zur Sozialversicherung angemeldet worden sei). Das Erstgericht habe in seinem Urteil vom 22. 6. 2016 unter Hinweis auf das Straferkenntnis der Bürgermeisterin der Stadt ***** vom 19. 2. 2016, wonach im Zuge der Kontrolle am 26. 11. 2015 drei anwesende Mitarbeiter der Klägerin den Beschäftigungsbeginn des Erstbeklagten mit 27. 10. 2015 bestätigt hätten, keinen Grund zur Annahme gesehen, dass diese Mitarbeiter gegenüber der Finanzpolizei falsche Angaben gemacht hätten. Es habe deshalb die Angaben des Geschäftsführers der Klägerin als unglaubwürdig erachtet und das Klagebegehren abgewiesen. Das Berufungsgericht sei der Beweiswürdigung gefolgt. Infolge der Beschwerde des Geschäftsführers der Klägerin gegen das Straferkenntnis beim Landesverwaltungsgericht Tirol habe am 22. 2. 2017 eine Verhandlung stattgefunden, bei der sich durch die Aussage der zwei amtshandelnden Finanzpolizistinnen herausgestellt habe, dass – entgegen der Annahme im Straferkenntnis – nicht drei Mitarbeiter der Klägerin, sondern nur der Erstbeklagte den strittigen Beginn seines Dienstverhältnisses bestätigt gehabt habe. Durch diese Aussagen am 22. 2. 2017 sei die Klägerin an neue Beweismittel gelangt, deren Benützung im erstinstanzlichen Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung im Sinn einer Klagsstattgebung herbeigeführt hätte. Ihr wäre volle Glaubwürdigkeit zugekommen, es wäre kein „Ausnehmen“ von Mitarbeitern festgestellt worden. Zweifelsfrei sei die Klägerin außer Stande gewesen, dieses neue Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung (im Vorverfahren) geltend zu machen, da nicht davon auszugehen gewesen sei, dass sich die Ausführung im Straferkenntnis diametral von den Ausführungen der erhebenden Beamtinnen unterscheide und zudem diese Beamtinnen der Verschwiegenheitsverpflichtung gegenüber dem Geschäftsführer der Klägerin unterlegen wären. Die Frist zur Einbringung der Wiederaufnahmsklage sei gewahrt. Erstmalig habe die Klägerin vom Wiederaufnahmsgrund am 22. 2. 2017 Kenntnis erlangt. Eingebracht wurde die Klage am 23. 3. 2017, „sohin binnen der 4-wöchigen Frist“. Zur Bescheinigung ihres Vorbringens bot die Klägerin den bezughabenden Akt des Landesverwaltungsgerichts Tirol an, dessen amtswegige Einholung sie beantragte.

Die Beklagten bestritten und beantragten Klagsabweisung, weil die Klage unschlüssig sei und die Klägerin schon im Vorverfahren durch Akteneinsicht in der Lage gewesen wäre, die Finanzpolizistinnen als Zeuginnen zu benennen.

Das Erstgericht wies nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, Einsichtnahme (ua) in den Akt des Landesverwaltungsgerichts Tirol und Einschränkung des Verfahrens auf das Aufhebungsbegehren das Klagebegehren ab. Es erachte sich an dessen Entscheidung vom 31. 5. 2017 gebunden, in der der Beschäftigungsbeginn des Erstbeklagten mit 27. 10. 2015 bestätigt worden sei. Das neu angebotene Beweismittel sei konkret daher nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit des Geschäftsführers der Klägerin anders zu beurteilen und somit eine ihr günstigere Entscheidung zu bewirken.

Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung der Klägerin das Ersturteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Wiederaufnahmsklage zurück. Wenngleich sich aus dem verwaltungsgerichtlichen Akt das Datum einer Verhandlung erst am 23. 2. 2017 ergebe (bei dessen Zugrundelegung die Klage rechtzeitig wäre), sei die Klage einerseits verspätet, weil die Klägerin als den Tag, an dem nach ihrem Vorbringen eine mündliche Streitverhandlung beim Landesverwaltungsgericht Tirol stattgefunden habe und den sie ihrer Berechnung zugrundegelegt habe, nur den 22. 2. 2017 behauptet habe. Andererseits habe es die Klägerin unterlassen, ein taugliches Vorbringen zu ihrem mangelnden Verschulden zu erstatten.

In ihrem dagegen gerichteten Rekurs beantragt die Klägerin, den Beschluss des Berufungsgerichts ersatzlos zu beheben und diesem aufzutragen, über die Berufung der Klägerin zu entscheiden; in eventu den Beschluss des Berufungsgerichts ersatzlos zu beheben und der Klägerin einen Verbesserungsauftrag zur Ausführung zum Termin der mündlichen Verhandlung beim Landesverwaltungsgericht Tirol zu erteilen. Die Klägerin stellt auch noch drei weitere Evenualbegehren, die alle auf eine Klagsstattgabe bzw Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht abzielen.

Die Beklagten beantragen, den Rekurs zurück-, in eventu abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO kann ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, auf Antrag einer Partei wieder aufgenommen werden, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde.

Gemäß § 534 Abs 1 ZPO ist die Klage binnen der Notfrist von vier Wochen zu erheben. Im Fall des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO ist diese Frist von dem Tag an zu berechnen, an welchem die Partei imstande war, die rechtskräftige Entscheidung zu benützen oder die ihr bekannt gewordenen Tatsachen und Beweismittel bei Gericht vorzubringen (§ 534 Abs 2 Z 4 ZPO).

Gemäß § 536 Z 3 ZPO muss die Klage die Angabe der Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist für die Klage ergibt, und die Bezeichnung der hiefür vorhandenen Beweismittel enthalten.

Gemäß § 538 Abs 1 ZPO hat das Gericht vor Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung zu prüfen, ob die Klage auf einen der gesetzlichen Anfechtungsgründe gestützt und in der gesetzlichen Frist erhoben sei. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist sie als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet durch Beschluss zurückzuweisen.

Die Wiederaufnahmsklage ist danach ein außerordentliches Rechtsmittel, das den Parteien grundsätzlich nicht zu dem Zweck an die Hand gegeben ist, von ihnen in der Prozessführung begangene Fehler im Wege der Wiederaufnahmsklage zu beheben (s RIS-Justiz RS0044359, RS0044354). Eine Wiederaufnahme wegen neu aufgefundener Beweismittel kommt grundsätzlich nur dort in Frage, wo im Hauptprozess eine bestimmte Tatsache zwar behauptet wurde, aber nicht bewiesen werden konnte, und die neu aufgefundenen Beweismittel eben den Beweis dieser Tatsache erbringen sollen (RIS-Justiz RS0040999).

2. Die Klägerin meint zunächst, das Berufungsgericht sei zu Unrecht mit der Begründung von einer Unschlüssigkeit der Wiederaufnahmsklage ausgegangen, dass aus ihr nicht hinreichend verlässlich erkennbar werde, auf welche Beweismittel sich die Klägerin stütze. Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden, führte doch das Berufungsgericht aus, „aus der Gesamtschau der Ausführungen in der Klage, insbesondere der dort enthaltenen Beweisanbote auf Einvernahme der Zeuginnen ***** und *****, der beiden amtshandelnden finanzbehördlichen Mitarbeiter, wird aber mit ausreichender Deutlichkeit klar, dass die Klägerin als Wiederaufnahmsgrund zwei neue Beweismittel heranzieht, nämlich die Einvernahme dieser beiden Zeuginnen“ (Beschluss des Berufungsgerichts S 9 Pkt. 2.).

3. Die Klägerin richtet sich auch gegen die Annahme einer Verfristung der Wiederaufnahmsklage. Ihr sei bei der Anführung des Datums der Verhandlung mit 22. 2. 2017 ein Schreibfehler unterlaufen. Aus dem (beigeschafften) Akt des Landesverwaltungsgerichts Tirol sei richtig der 23. 2. 2017 hervorgegangen. Bei objektiver Würdigung der Klage in ihrer Gesamtheit ergebe sich zweifelsfrei die Rechtzeitigkeit der Klagseinbringung. Das Übergehen des Beweismittels werde als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend gemacht. Vor Zurückweisung der Rechtsmittelklage hätte jedenfalls ein Verbesserungsauftrag erteilt werden müssen.

Dieser Einwand ist berechtigt: Selbst wenn man dem Berufungsgericht darin folgt, dass das Klagsvorbringen aus sich heraus, sohin ohne die Hinzuziehung eines amtswegig beizuschaffenden Akts, zu interpretieren ist, wäre es in diesem Punkt jedenfalls unschlüssig, weil die Klägerin einerseits vorbringt, vom Wiederaufnahmegrund am 22. 2. 2017 Kenntnis erlangt zu haben, und andererseits, die Klage am 23. 3. 2017, „sohin binnen der vierwöchigen Frist“ eingebracht zu haben. Da sich dieser Schluss aber gerade nicht aus den vorgetragenen Daten ziehen lässt, wäre nach Lage des Falls insoweit von einer verbesserbaren (vgl Jelinek in Fasching/Konecny, ZPG § 536 Rz 28) Unschlüssigkeit auszugehen gewesen.

4. Damit ist für die Klägerin jedoch nichts gewonnen. Sie richtet sich gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass sie es unterlassen habe, ein taugliches Vorbringen zu ihrem mangelnden Verschulden zu erstatten. Die Frage eines Verschuldens des Wiederaufnahmsklägers sei jedoch im Vorprüfungsverfahren nicht zu entscheiden. Ein Verstoß gegen die prozessuale Diligenzpflicht sei auch nur dann gegeben, wenn eine Partei nicht die ihr zumutbaren Erhebungen pflege, um die zur Dartuung ihres Prozessstandpunkts erforderlichen Zeugen und Beweismittel auszuforschen. Die beiden Zeuginnen im Vorprozess wären aber nicht ohne Weiteres zwecks Untermauerung ihres Prozessstandpunkts erkennbar gewesen.

Nach der Rechtsprechung liegt ein Verstoß gegen die prozessuale Diligenzpflicht dann vor, wenn eine Partei nicht die ihr zumutbaren Erhebungen pflegt, um die zur Dartuung ihres Prozessstandpunkts erforderlichen Zeugen und Beweismittel auszuforschen, etwa wenn sie im Hauptprozess Zeugen zu führen unterlässt, von denen sie voraussetzen musste, dass ihnen die zu erweisenden Tatsachen bekannt sind, ebenso wenn die Partei nichts unternommen hat, um während des Verfahrens den Aufenthalt eines Zeugen zu ermitteln (s RIS-Justiz RS0044619 [insbes T4; T7]; RS0109743). Schon benützbare Beweismittel dürfen nicht einem Wiederaufnahmsverfahren vorbehalten werden. Dies gilt auch dann, wenn eine Verdichtung der Beweislage erhofft bzw erwartet wird (RIS-Justiz RS0117483). Mit einer nachträglich erkannten Fehleinschätzung des Beweiswerts der unterbliebenen Beweisaufnahme lässt sich eine Wiederaufnahme gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO nicht erfolgreich begründen (RIS-Justiz RS0117483 [T2]; zuletzt 4 Ob 139/17w). Die Voraussetzung, dass der zu beseitigende Nachteil ohne Verschulden der Partei entstanden sei, ist streng zu nehmen (s RIS-Justiz RS0044623).

Eine Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage wegen Verschuldens des Klägers im Sinne des § 530 Abs 2 ZPO ist nur dann möglich, wenn sich das Verschulden des Wiederaufnahmsklägers bereits aus den – als richtig angenommenen – Tatsachenbehauptungen der Klage ergibt oder wenn in der Klage jede Behauptung fehlt, dass die Geltendmachung des als Wiederaufnahmsgrund angeführten Beweismittels im Vorprozess ohne Verschulden unmöglich war (RIS-Justiz RS0044558).

Die Klägerin brachte zu diesem Punkt vor, es habe nicht davon ausgegangen werden können, „dass sich die Ausführung im Straferkenntnis diametral von den Ausführungen der erhebenden Beamtinnen unterscheidet und zudem diese Beamtinnen im zivilgerichtlichen Verfahren der klagenden Partei der Verschwiegenheitsverpflichtung gegenüber dem Geschäftsführer der klagenden Partei unterlegen wären. Aus diesem Vorbringen ergibt sich, dass der Klägerin das Straferkenntnis und sein Inhalt schon vor Schluss der Verhandlung im Vorverfahren bekannt waren, damit aber auch, dass die finanzpolizeilichen Aufsichtsorgane über Befragungsergebnisse zum Beschäftigungsbeginn des Erstbeklagten verfügten. Dass sie von der Klägerin im Vorverfahren nicht als Zeugen geführt wurden, ist danach nur damit begründbar, dass deren Beweiswert von ihr unrichtig eingeschätzt wurde. Nach der dargelegten Rechtsprechung reicht dieser Umstand aber nicht aus, um mangelndes Verschulden an der verspäteten Geltendmachung der neuen Beweismittel zu begründen.

Die Klägerin beruft sich auch darauf, dass das Verwaltungsverfahren keine Bindungswirkung, auch betreffend das Beweissubstrat, für das vorliegende Verfahren entfalte, weil es nicht gegen die Klägerin, sondern gegen ihren Geschäftsführer geführt worden war. Ungeachtet der Frage der Bindungswirkung ist diesbezüglich auf die Ausführung des Berufungsgerichts zu verweisen, dass sich die Klägerin das Wissen ihres Geschäftsführers aus dem Verwaltungsverfahren zurechnen lassen muss, zumal er im Verwaltungsverfahren nur in seiner Eigenschaft als Vertretungsbefugter der Klägerin für ihr auch hier verfahrensgegenständliches Verhalten belangt wurde.

Da der Rekurs damit im Ergebnis nicht berechtigt ist, ist ihm keine Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E122392

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00057.18Z.0724.000

Im RIS seit

16.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

16.08.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten