TE OGH 2018/8/3 14Os61/18d

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Veröffentlicht am 03.08.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. August 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieser als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des Peter H***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 16. Februar 2018, GZ 181 Hv 44/17g-197, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant – Peter H***** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er zwischen 5. April und Juni 2014 in Graz und andernorts unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer schweren paranoiden Persönlichkeitsstörung, andere dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt hat, dass er sie von Amts wegen zu verfolgender, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohter Handlungen falsch verdächtigte, wobei er wusste (§ 5 Abs 3 StGB), dass die Verdächtigungen falsch waren, indem er in zahlreichen E-Mails an eine Vielzahl von Personen und Behörden, darunter auch an gemäß § 78 StPO zur Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft verpflichtete „Personen und“ Behörden, die Kriminalbeamten Tanja M*****, Johann T***** und Daniela G***** des Einbruchs und Diebstahls von Sachen aus seinem Haus, mithin des Vorwurfs des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs 2 Z 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112 und des Platzierens von belastendem Material, mithin des Vorwurfs des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB, und den im Ermittlungsverfahren AZ 16 St 42/14i der Staatsanwaltschaft Graz zum Sachverständigen bestellten DI Dr. Franz F***** des Einbruchs in das Haus seiner Mutter und des Diebstahls ihrer Wertsachen, mithin des Vorwurfs des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs 2 Z 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112, und des Zurücklassens pornografischer Darstellungen von Kindern aus dessen Sammlung, mithin des Vorwurfs der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster und zweiter Fall StGB, bezichtigte;

sohin Taten begangen hat, die als Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB mit ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen, die ihr Ziel verfehlt.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) bestreitet das Vorliegen konkreter Gefahr einer behördlichen Verfolgung mit der (bloßen) Behauptung, die Anschuldigungen des Betroffenen seien „derart übertrieben und absurd“ gewesen, dass ihre Unhaltbarkeit für die Behörden unschwer erkennbar gewesen sei. Dabei setzt sie sich nicht mit den Konstatierungen zum Inhalt der Anschuldigungen und den Umständen ihrer Äußerungen (US 7 f) auseinander und legt nicht dar, warum einerseits die (per se nicht gegen jede Logik und Empirie verstoßenden) Behauptungen (unter anderem) gegenüber zur Strafverfolgung zuständigen Behörden oder deren Organen derart unglaubwürdig oder unsubstantiiert gewesen sein sollen, dass ausnahmsweise mangels Anfangsverdachts (§ 1 Abs 3 StPO) eine behördliche Verfolgung nicht unmittelbar zu erwarten gewesen wäre (vgl dazu 14 Os 15/17p mwN), und warum andererseits (bei Verneinung des Tatbildmerkmals der Verfolgungsgefahr unter dem Aspekt der Versuchsstrafbarkeit) die Verwirklichung der Verleumdung auf die vorgesehene Art bei generalisierender Ex-ante-Betrachtung, somit losgelöst von den Besonderheiten des Einzelfalls, nach der Art der gegenständlichen Handlungen geradezu denkunmöglich sein soll, demzufolge unter keinen wie immer gearteten Umständen erwartet werden konnte (RIS-Justiz RS0115363, RS0096594; Pilnacek/?widerski in WK2 StGB § 297 Rz 41).

Unter Berufung auf mehrere Passagen des psychiatrischen Sachverständigengutachtens und eigene Erwägungen zum Krankheitsbild des Betroffenen bezeichnet die Beschwerde (nominell Z 11 erster Fall iVm Z 5 und 5a) die Beweiswürdigung (US 12 ff) zum konstatierten (US 8 f) Wissen um die Falschheit der Verdächtigungen als „haarsträubend, nicht nachvollziehbar und aktenwidrig“, „schlicht absurd“ und „völlig lebensfremd“. Damit wird ein Begründungsmangel iSd Z 5 nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht, sondern Beweiswürdigungskritik nach Art einer im Schöffenverfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung geübt (RIS-Justiz RS0098471). Erhebliche Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (Z 5a) werden durch das Vorbringen ebenfalls nicht geweckt (RIS-Justiz RS0119583, RS0118780).

Indem die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) behauptet, eine „bloße Verleumdung, die keine Gewalt beinhaltet und mit keiner Gefahr für Leib oder Leben verbunden ist“, dürfe nicht Anlasstat iSd § 21 Abs 1 StGB sein, legt sie mit Blick auf § 21 Abs 3 StGB, der – vom Erfordernis einer ein Jahr Freiheitsstrafe übersteigenden Strafdrohung (§ 21 Abs 1 StGB) abgesehen – eine generelle Einschränkung des Vorliegens einer Anlasstat nur für mit Strafe bedrohte Handlungen gegen fremdes Vermögen vorsieht, nicht dar, warum das Schöffengericht durch die Anordnung der Unterbringung seine Befugnis überschritten haben soll (vgl Ratz, WK2 StGB § 21 Rz 4 mwN).

Der gegen die Feststellungen zum Vorliegen einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad erhobene Einwand von Aktenwidrigkeit (Z 11 erster Fall iVm Z 5 fünfter Fall) trifft nicht zu. Das Erstgericht konstatierte eine schwere paranoide Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F 60) und stützte sich dabei auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen (US 9 und 13). Dieser änderte sein Gutachten in der Hauptverhandlung allerdings dahingehend ab, dass eine „anhaltend wahnhafte Störung (ICD-10: F22)“ anzunehmen sei. Da der Experte dabei von einem zumindest gleich schwerwiegenden Erkrankungsbild, ja sogar von einer „Verschlechterung“ des Zustandes ausging (ON 196 S 11 f), ist die Abweichung bei der Wiedergabe des Verfahrensergebnisses nicht erheblich im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0099408; Ratz, WK-StPO Rz 466).

Die Prognosetaten mit schweren Folgen in Abrede stellende Rüge (Z 11 zweiter Fall) vernachlässigt, dass neben den (vom Beschwerdeführer als nicht ausreichend gravierend erachteten) Verleumdungen und pornografischen Darstellungen Minderjähriger auch gefährliche Drohungen mit dem Tod und schwere Körperverletzungen als zu erwartende mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen konstatiert wurden (US 9, 14; RIS-Justiz RS0099810). Im Übrigen können die mit Strafe bedrohten Handlungen, deren Begehung zu befürchten ist, völlig anderer Natur als die Anlasstat(en) sein, sofern – wie hier (US 9) – die Kausalität der geistigen oder seelischen Abartigkeit iSd § 21 Abs 1 StGB bejaht wird (Ratz, WK2 StGB § 21 Rz 24).

Soweit die Beschwerde (nominell Z 11 erster Fall iVm Z 5 und 5a) vermeint, die Annahme gefährlicher Drohungen mit dem Tod als Prognosetaten fände „in den Beweisergebnissen keinerlei Grundlage“, erstattet sie bloß ein Berufungsvorbringen, weil die zu den im Gesetz genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) getroffenen Sachverhaltsannahmen zu den Prognosetaten aus (richtig:) Z 11 zweiter Fall nicht bekämpft werden können (RIS-Justiz RS0113980, RS0099869 [T25], RS0127354; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 680, 693, 717 f).

Entgegen der weiteren Rüge (Z 11 zweiter Fall) bringen die erstrichterlichen Konstatierungen, wonach die im Urteil genannten Prognosetaten „konkret zu befürchten“ seien (US 9, 14), die in § 21 StGB angesprochene Bejahung einer hohen Wahrscheinlichkeit der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung mit schweren Folgen unter dem Einfluss der geistigen oder seelischen Abartigkeit (vgl RIS-Justiz RS0090401, RS0089988) unmissverständlich zum Ausdruck (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19).

Der Einwand des Fehlens einer Begründung für die Ablehnung bedingter Nachsicht der vorbeugenden Maßnahme bringt lediglich ein Berufungsvorbringen zur Darstellung (RIS-Justiz RS0099865).

Dass – wovon der Beschwerdeführer offensichtlich selbst ausgeht (BS 11) – ausschließlich die zu II./ genannten Anlasstaten der Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB zugrunde liegen, ist dem Urteil unmissverständlich zu entnehmen (US 2 f, 9, 16), weshalb auf das „aus advokatorischer Vorsicht“ erstattete Vorbringen zur sexuellen Deviation des Betroffenen nicht einzugehen ist.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Textnummer

E122402

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00061.18D.0803.000

Im RIS seit

16.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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