TE Lvwg Erkenntnis 2018/8/8 LVwG-340-23/2018-R3

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Veröffentlicht am 08.08.2018
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Entscheidungsdatum

08.08.2018

Norm

MSG Vlbg 2010 §8 Abs3
MSV Vlbg 2010 §9 Abs4 liti
ASVG §330a

Text

Im Namen der Republik!

Erkenntnis

Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat durch sein Mitglied Dr. Böhler über die Beschwerde der C K, F, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Frank Philipp, Feldkirch, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft F vom 19.06.2018, zu Recht erkannt:

Gemäß § 28 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Beschwerde Folge gegeben, wobei der Spruch wie folgt zu lauten hat:

„Für Frau C K werden die Unterkunfts- und Verpflegskosten der Wohngemeinschaft W im Haus K der S G GmbH ab 01.01.2018 übernommen.

Frau C K muss von den eigenen Einkünften einsetzen:

a)      80 % der monatlichen Pension;

b)      das Pflegegeld, soweit es 10 % der Stufe 3 übersteigt;

c)      100 % allfälliger Vermögenserträge.

Rechtsgrundlagen: §§ 1, 5 Abs 3 und § 8 Mindestsicherungsgesetz iVm § 1 Abs 3, § 5 Abs 1 und 4, § 6 Abs 3 und § 9 Mindestsicherungsverordnung“

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.

Begründung

1.   Mit angefochtenem Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin zur Übernahme der Unterkunfts- und Verpflegskosten in der Wohngemeinschaft W im Haus K der S G GmbH mangels finanzieller Hilfsbedürftigkeit abgewiesen. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin die gesetzlichen Schenkungszinsen aus einer am 21.03.2013 erfolgten Schenkung von Miteigentumsanteilen an einer Liegenschaft an ihre beiden Töchter in der Höhe von monatlich 1.200 Euro einzufordern habe. Die derzeit anfallenden Kosten für die Unterbringung und Verpflegung im Haus K würden sich auf 2.346,24 Euro brutto monatlich belaufen (Heimeinstufung 2). Mit den von der Beschwerdeführerin einzusetzenden Eigenleistungen aus der Pension (1.055,30 Euro monatlich), dem Pflegegeld (244,82 Euro monatlich) sowie den Schenkungszinsen (1.200 Euro monatlich Euro) in der Höhe von insgesamt 2.500,12 Euro monatlich, könnten die anfallenden Kosten abgedeckt werden, womit keine finanzielle Hilfsbedürftigkeit gegeben sei.

2.   Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin rechtzeitig Beschwerde erhoben. In dieser bringt sie im Wesentlichen vor, sie sei seit 15.03.2017 in Pflege im Heim Wohngemeinschaft W der S Gs GmbH. Grundlage ihres Aufenthaltes sei der Heimvertrag. Ursprünglich sei sie in Bezug auf das Pflegegeld in der Pflegestufe 2 mit 108 Stunden monatlich Pflegebedarf eingestuft gewesen, wobei aufgrund einer zwischenzeitlich eingetretenen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ab 01.03.2018 eine Einstufung in die Pflegestufe 3, die einen monatlichen Pflegebedarf von zumindest 120 Stunden unterstelle, erfolgt sei. Beim Pflegeheim, in welchem ihre Pflege erfolge, handle es sich, wie im Heimvertrag dokumentiert, um eine Wohngruppe, in der die Pfleglinge von sechs bis sieben ausgebildeten Pflegekräften betreut würden. Die Leitung erfolge durch eine diplomierte Pflegekraft. Der Umzug ins Pflegeheim sei nur nach Anmeldung möglich. Dieses Heim sei daher eine stationäre Pflegeeinrichtung iSd § 330a ASVG. Ein Zugriff auf ihr Vermögen bzw jenes ihrer Angehörigen, Erben und Geschenknehmer im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten sei unzulässig. Aufgrund des zur Deckung der Pflegekosten nicht ausreichenden Einkommens aus der Pension und dem Pflegegeld wäre ihrem Antrag vollinhaltlich stattzugeben gewesen. Letztlich würden auch die Sachverhaltsannahmen im bekämpften Bescheid zur Höhe der angenommenen gesetzlichen Zinsen aus der Schenkung auf verfehlten und nicht nachvollziehbar begründeten Annahmen der Behörde beruhen. Der angesetzte Verkehrswert sei in Anbetracht dieser Umstände um mindestens 100 % überhöht. Selbst wenn es sich im vorliegenden Fall beim gegenständlichen Pflegeheim um keine stationäre Pflegeeinrichtung handeln würde, wäre der Pflegeregress bei verfassungskonformer Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen unzulässig, weil damit eine sachlich ungerechtfertigte Schlechterstellung der häuslichen Pflege gegenüber der stationären Pflege erfolgen würde, die gegen das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Einschreiterin auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz verstieße. Die Gleichheits- und damit auch Verfassungswidrigkeit der Gesetzesauslegung habe auch der Gesetzgeber erkannt, der im Sozialausschuss des Vorarlberger Landtages am 27.06.2018 einstimmig beschlossen habe, über eine entsprechende Regierungsvorlage den Vermögensregress im Falle ambulanter Pflege nun explizit für unzulässig zu erklären. Die Behörde hätte daher also auch unabhängig von der Annahme des Vorliegens stationärer oder ambulanter Pflege bei ihr auf Grundlage der getroffenen Feststellungen zu ihren Einkünften zum Ergebnis gelangen müssen, dass finanzielle Hilfsbedürftigkeit bestehe.

3.   Folgender Sachverhalt steht fest:

Die Marktgemeinde G hat ihre Sozialeinrichtungen aus der direkten Gemeindeverwaltung in die S G GmbH, deren Eigentümerin zu 100 % die Marktgemeinde G ist, ausgelagert. Geleitet wird die S G GmbH durch die Geschäftsleitung „H d G“. Von dieser wird ua im Haus K die Wohngemeinschaft W geführt. Dort leben 12 Personen mit der Pflegestufe 1 bis 3. Voraussetzung für die Aufnahme in der Wohngemeinschaft ist die Einstufung zumindest in der Pflegestufe 1. Im Pflegeheim W sind tagsüber (7.00 Uhr bis 21.00 Uhr) jeweils zwei Pflegefachkräfte anwesend. In den Nachtstunden besteht eine Rufbereitschaft für eine diplomierte Pflegefachkraft. Die Leitung des Pflegeheimes obliegt einer diplomierten Pflegefachkraft. Die Zimmer der Wohngemeinschaft sind ausgestattet wie in einem Pflegeheim; es besteht ein gemeinsamer Wohnbereich, in welchem auch eine Betreuung stattfindet.

Die Beschwerdeführerin, die sich seit 15.03.2017 in der Wohngemeinschaft W aufhält, bewohnt dort ständig (Tag und Nacht) ein Einzelzimmer. Die Beschwerdeführerin hat sich vom 01.01.2018 bis Ende Februar 2018 in der Pflegestufe 2 befunden, seit 01.03.2018 ist sie in der Pflegestufe 3.

Das Entgelt für die Unterkunft und Verpflegung in der Wohngemeinschaft W richtet sich nach der Einstufung in eine Pflegestufe entsprechend dem jeweiligen Betreuungs- und Pflegebedarf, wobei die Tagsätze sich nach den Tagsätzen der Landesregierung für die Heimabrechnungen bemessen. Von der Betreiberin wird ua die für die Bewohner angemessene Pflege und Behandlungspflege durch geeignetes Personal erbracht.

Die monatlichen Kosten der Wohngemeinschaft W betragen in der Pflegestufe zwei 2.346,24 Euro und in der Pflegestufe drei 3.011,74 Euro.

Die monatliche Pension der Beschwerdeführerin beträgt 1.319,13 Euro, das Pflegegeld der Stufe zwei 290 Euro, das Pflegegeld der Stufe drei 451,80 Euro.

4.   Dieser Sachverhalt wird auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere auf Grund des Akteninhaltes und der ergänzenden Erhebungen, als erwiesen angenommen. Dieser Sachverhalt ist insoweit unstrittig.

5.1. Gemäß § 8 Abs 1 Mindestsicherungsgesetz ist das Ausmaß der Mindestsicherungsleistung im Einzelfall unter Berücksichtigung eines zumutbaren Einsatzes der eigenen Kräfte, insbesondere der eigenen Arbeitskraft, und Mittel zu bestimmen.

Gemäß § 8 Abs 3 Mindestsicherungsgesetz, idF LGBl Nr. 17/2018, ist bei Personen, die in stationären Pflegeeinrichtungen untergebracht sind, das Vermögen überhaupt nicht zu berücksichtigen (Inkrafttretensdatum: 01.01.2018).

Gemäß § 9 Abs 1 lit c Mindestsicherungsverordnung sind nach Maßgabe der Abs. 2 bis 6 bei der Ermittlung des Anspruchs auf Leistungen der Mindestsicherung in einer stationären Pflegeeinrichtung die Einkünfte der hilfsbedürftigen Person sowie die ihr zur Verfügung stehenden Leistungen Dritter zu berücksichtigen.

Gemäß § 9 Abs 4 lit i Mindestsicherungsverordnung dürfen bei der Ermittlung des Anspruchs gemäß Abs 1 Vermögen nicht berücksichtigt werden, wenn durch deren Verwertung eine Notlage erst ausgelöst, verlängert oder deren Überwindung gefährdet werden könnte. Dies gilt für Vermögen von Personen, die in einer stationären Pflegeeinrichtung untergebracht sind.

5.2. Gemäß § 330a ASVG idF BGBl I Nr 125/2017 ist ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten unzulässig.

Gemäß § 707a Abs 2 leg cit tritt § 330a samt Überschrift in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 125/2017 mit 1. Jänner 2018 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustellen. Insoweit Landesgesetze dem entgegenstehen, treten die betreffenden Bestimmungen zu diesem Zeitpunkt außer Kraft.

In dem entsprechenden Abänderungsantrag ist in der Begründung zu diesen beiden Bestimmungen wie folgt festgehalten (vgl Nationalrat, XXV. GP, 190. Sitzung, S 185ff):

„Zu Art 1 lit a (§ 330a ASVG):

Die in den landesgesetzlichen Vorschriften verankerten Regelungen, die einen Zugriff auf das Vermögen pflegebedürftiger Personen, die in stationären Pflegeeinrichtungen betreut werden, bzw ihrer GeschenknehmerInnen ermöglichen, führen beim betroffenen Personenkreis oftmals zur gänzlichen Verwertung sämtlicher oft mühsam erworbener Vermögenswerte, wie etwa eines Eigenheimes oder Sparguthabens.

Dadurch kann die im Rahmen des österreichischen Pflegevorsorgesystems intendierte Wahlmöglichkeit für die Betroffenen insofern eingeschränkt werden, als dadurch ein allfällig sachlich gebotener oder von der betroffenen Person gewünschter Umzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung oftmals nicht realisierbar ist.

Durch die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung soll der Pflegeregress verboten werden.

...

Zu Art 1 lit c (§ 707a Abs 2 ASVG):

Mit dieser Bestimmung soll sichergestellt werden, dass ab dem Inkrafttreten sowohl laufende gerichtliche als auch verwaltungsbehördliche Verfahren eingestellt werden. Ebenso dürfen keine neuen Rückersatzverpflichtungen auferlegt werden.

Es wird eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Fall vorgesehen, dass sich nähere Regelungen betreffend den Übergang zur neuen Rechtslage als erforderlich erweisen.

Selbstverständlich treten die entgegenstehenden landesgesetzlichen Bestimmungen (zum Beispiel die §§ 26 und 27 des Wiener Sozialhilfegesetzes) nur insoweit außer Kraft, als sie sich auf den Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen und ihrer Erben/Erbinnen und GeschenknehmerInnen zur Abdeckung der Pflegekosten beziehen.“

5.3. Die Behörde hat die Auffassung vertreten, dass die Wohngemeinschaft W nicht eine „stationäre Pflegeeinrichtung“ darstelle, da es sich hiebei nicht um ein Pflegeheim nach dem Pflegeheimgesetz handle.

Dieser Auffassung kann sich das Landesverwaltungsgericht nicht anschließen. Vielmehr vertritt das Landesverwaltungsgericht die Rechtsmeinung, dass es sich bei der gegenständlichen Wohngemeinschaft um eine „stationäre Pflegeeinrichtung“ iSd § 330a ASVG handelt.

Der Begriff Pflege ist im Pflegegeldrecht definiert und umfasst Betreuungs- und Hilfeleistungen. Stationär bedeutet jedenfalls eine Unterbringung während des Tages und der Nacht sowie einen Anspruch des Betroffenen auf Pflegegeld wegen der Abdeckung der Pflegekosten.

Die Beschwerdeführerin lebt in einer Wohngemeinschaft, ist somit in einer Einrichtung stationär aufgenommen, wobei in dieser Einrichtung (für die Pflegestufen 1 bis 3) nur Personen aufgenommen werden, die sich zumindest in der Pflegestufe 1 des Bundespflegegeldgesetzes befinden. Die Beschwerdeführerin selbst befindet sich in der Pflegestufe 2 und seit dem 1.3.2018 in der Pflegestufe 3. In der Einrichtung sind tagsüber zwei Pflegefachkräfte anwesend und in der Nacht besteht eine Rufbereitschaft für eine diplomierte Pflegefachkraft. Es ist somit davon auszugehen, dass für die gegenständliche Wohngemeinschaft das Verbot des Pflegeregresses gilt (vgl Josef Müllner, Von der Abschaffung des Pflegeregresses und was daraus folgt, JRP 2017, S 182; Walter J. Pfeil, Umsetzungsfragen für das „Verbot des Pflegeregresses“, ÖZPR 2017, S 184), weshalb keine Schenkungszinsen für den von der Beschwerdeführerin übergebenen Anteil an dem GST-NR XXX, KG K, eingefordert werden dürfen.

6. Die Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im konkreten Fall zu der Frage fehlt, was unter einer „stationären Pflegeeinrichtung“ iSd § 330a ASVG zu verstehen ist.

Schlagworte

Pflegeregressverbot, stationäre Pflegeeinrichtung

Anmerkung

Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof (30.04.2019, Ro 2018/10/0035) als unbegründet abgewiesen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGVO:2018:LVwG.340.23.2018.R3

Zuletzt aktualisiert am

19.06.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Vorarlberg LVwg Vorarlberg, http://www.lvwg-vorarlberg.at
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