Entscheidungsdatum
30.07.2018Norm
BBG §42Spruch
W162 2192728-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ulrike LECHNER, LL.M. als Vorsitzende und die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER, BA MA als Beisitzerinnen aufgrund des Vorlageantrags über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch RA Dr. Johannes Hübner und RA Dr. Gerhard Steiner, Brucknerstraße 8/3, 1040 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 09.01.2018, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 07.03.2018, betreffend die Abweisung des Antrags auf Vornahme einer der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, in nicht-öffentlicher Sitzung beschlossen:
A)
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer beantragte unter Vorlage eines Konvoluts an medizinischen Unterlagen am 05.09.2017 (einlangend) beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.
2. Im Auftrag der belangten Behörde erfolgte am 14.11.2017 eine Begutachtung aufgrund persönlicher Untersuchung durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin. Dabei wurde im Sachverständigengutachten vom selben Tag Folgendes festgehalten:
"1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Aus allgemeinmedizinischer Sicht ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar. Es liegt zwar ein neurologischer und orthopädischer Befund vor, in dem eine lumbale Spondylarthrose mit Claudikatio spinalis und Gonarthrose beidseits angeführt werden, es sind aber keine motorischen Defizite bzw. Lähmungserscheinungen zu verzeichnen, die eine maßgebliche Mobilitätseinschränkung bedingen. Ebenso ist die behinderungsbedingte Notwendigleit eines ständigen Gebrauches einer Stützkrücke befundmäßig nicht abgedeckt. Da bedarfsweise Schmerzmedikamente eingenommen werden, ist davon auszugehen, dass die Beschwerden nicht permanent in hohem Ausmaß bestehen und daher die Mobilität nicht andauernd maßgeblich eingeschränkt ist.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein"
3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.01.2018 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen. Verwiesen wurde auf das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens.
4. Gegen diesen Bescheid wurde durch die bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers fristgerecht am 23.02.2018 Beschwerde erhoben. Darin wurde insbesondere moniert, dass das allgemeinmedizinische Gutachten dem Inhalt des Gutachtens aus dem Jahr 2015 von derselben Sachverständigen widerspreche. Der Beschwerdeführer könne nur 50 Meter gehen, seit den damaligen Leidenszuständen habe sich bisher nichts verbessert. Verwiesen wurde auf einen neurologischen Befundbericht vom 27.07.2017, auf einen orthopädischen Befund vom 25.01.2018, auf ein psychiatrisches Attest vom 31.01.2018 und ein allgemeinmedizinisches Attest vom 31.01.2018. Er habe massive Schmerzen bei längeren Gehstrecken. Beantragt wurde die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens.
5. Im Auftrag der belangten Behörde erfolgte am 28.02.2018 eine neuerliche aktenmäßige Begutachtung durch dieselbe Ärztin für Allgemeinmedizin. Dabei wurde Folgendes ausgeführt:
"Es liegen keine Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten und der Wirbelsäule vor, welche die Mobilität erheblich einschränken. Die mäßige Einschränkung der Beweglichkeit im Bereich der Knie und in der rechten Schulter führt zwar zu einer Einschränkung der Gelenke, das objektivierbare Ausmaß des Defizits kann jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen. Kurze Wegstrecken können allein ohne Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung eines Gehbehelfs, zurückgelegt werden. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet ist. Im Bereich der oberen Extremitäten liegen keine relevanten Funktionseinschränkungen vor, das Erreichen von Haltegriffen und das Festhalten sind nicht eingeschränkt. Kraft und Koordination sind ebenfalls zufriedenstellend und stellen kein Hindernis dar. Art und Ausmaß allfälliger Schmerzzustände (bedarfsweise Einnahme von Voltaren), die speziell mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einhergehen, können nur indirekt erfasst werden. Anhand des beobachteten Gangbildes, etwas kleinschrittig und flüssig, und des Untersuchungsergebnisses mit ausreichender Beweglichkeit sämtlicher Gelenke der unteren Extremitäten, ergibt sich kein Hinweis auf höhergradige Schmerzzustände, welche das Erreichen und Benützen öffentlicher Verkehrsmittel unmöglich bzw unzumutbar machen. Laut den geltenden Richtlinien muss die für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" relevante Diagnose (Klaustrophobie, Sozialphobie und phobische Angst vor Kontrollverlust) Hauptdiagnose sein und das therapeutische Angebot ausgeschöpft sein, sowie die Therapie nachweislich mindestens ein Jahr erfolgen. Da dies im gegenständlichen Fall nicht zutrifft, ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar."
6. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 07.03.2018 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 09.01.2018 abgewiesen. Verwiesen wurde auf das Ermittlungsverfahren.
7. Mit Vorlageantrag vom 21.03.2018 wurde um Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht ersucht und im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt.
8. Die Beschwerde wurde samt den Bezug habenden Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht am 13.12.2017 zur Entscheidung vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 19b Abs. 1 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG), BGBl. Nr. 22/1970 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des § 14 Abs. 2 durch den Senat. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Gemäß § 19 Abs. 1 BEinstG beträgt die Beschwerdefrist bei Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt bei Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen bei Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG. (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm. 11). § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze klargestellt:
• Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
• Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
• Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:
Der Beschwerdeführer hat bereits mit seinem Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass medizinische Unterlagen betreffend seine neurologischen bzw. psychiatrischen sowie orthopädischen Leiden in Vorlage gebracht.
Die belangte Behörde hat zur Überprüfung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers jedoch lediglich ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt und hat es unterlassen, im Verfahren ein neurologisches bzw. psychiatrisches sowie ein orthopädisches Gutachten jeweils nach erfolgter fachärztlicher Untersuchung einzuholen.
Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes, jedoch ist im vorliegenden Fall das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten zur Beurteilung des beim Beschwerdeführer vorliegenden neurologischen bzw. psychiatrischen und orthopädischen Beschwerdebildes nicht geeignet. So hat der Beschwerdeführer bereits im Rahmen der Antragstellung neurologische bzw., psychiatrische und orthopädische Leiden vorgebracht, und er hat auch medizinische Beweismittel in diesem Zusammenhang vorgelegt. Aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass zusätzlich zur erfolgten Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Allgemeinmedizin auch die Einholung eines Gutachtens der Fachrichtungen Neurologie/Psychiatrie und Orthopädie unbedingt erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers zu gewährleisten. Hinreichende Ausführungen zum aktuellen neurologischen bzw. psychischen und orthopädischen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sind dem vorliegenden Gutachten nicht zu entnehmen. Eine qualifizierte Beurteilung des neurologischen bzw. psychischen und orthopädischen Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ist somit im angefochtenen Verfahren nicht erfolgt. Die alleinige Heranziehung eines Sachverständigen der Fachrichtung Allgemeinmedizin durch die belangte Behörde ist somit offensichtlich sachwidrig erfolgt.
Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.
Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens und unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen zusätzlich zu dem bereits eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten ein ärztliches Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Neurologie/Psychiatrie und Orthopädie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, einzuholen und die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.
Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens keine Möglichkeit gegeben wurde, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer hatte sohin keine Gelegenheit, der sachverständigen Beurteilung konkret und substantiiert entgegenzutreten, und auszuführen ob, gegebenenfalls welche, gutachterlichen Ausführungen dem tatsächlichen Leidensausmaß widersprechen.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
In den rechtlichen Ausführungen zu Punkt A) wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt, dass im Verfahren vor der belangten Behörde gravierende Ermittlungslücken bestehen. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG wurde auf die aktuelle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) Bezug genommen.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W162.2192728.1.00Zuletzt aktualisiert am
14.08.2018