Entscheidungsdatum
25.07.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W233 2176880-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, vertreten durch Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie - MA 11, diese vertreten durch RA Dr. Christian SCHMAUS, 1060 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.10.2017, Zl. 1094847510 - 151774605, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.04.2018 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 05.10.2017 auf internationalen Schutz vom 14.11.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 05.10.2018 (Spruchpunkt III.).
In Bezug auf sein Fluchtvorbringen im Hinblick auf seinen Antrag auf Gewährung des Asylstatus stellt das Bundesamt fest, dass seine vorgebrachten Fluchtgründe nicht asylrelevant und auch nicht glaubhaft seien. Ebenso könne nicht festgestellt werden, dass er im Falle seiner Rückkehr einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre.
Subsidiärer Schutz wurde ihm zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan gegeben sei.
1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der vertretene Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 10.1.2017 das Rechtsmittel der Beschwerde, mit dem Spruchpunkt I. des ihm am 13.10.2017 zugestellten Bescheides angefochten wird.
1.4. Vor dem BVwG wurde durch den erkennenden Richter in der gegenständlichen Rechtssache am 24.04.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durchgeführt, zu der der BF in Begleitung seiner gewillkürten Vertretung persönlich erschien. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben. Die Verhandlungsschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.
Dem BF wurden der bisherige Verfahrensgang und der Akteninhalt erläutert und zur Akteneinsicht angeboten.
Im Zuge dieser Einvernahme wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen von ihm vorgebrachten Gründen für das Verlassen seines Heimatstaates befragt und gab Auskunft zu seinen Familienverhältnissen und seinem Leben in Österreich. Auch wurden in dieser Verhandlung zwei Zeugen einvernommen. Des Weiteren wurde vom erkennenden Richter das aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan, mit Stand vom 30.01.2018 und ein Auszug aus einer Zusammenfassung der UNHCR Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 inklusive eines Auszugs aus Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Inneren vom Dezember 2016 in das Verfahren eingebracht und mit dem vertretenen Beschwerdeführer erörtert.
1.5. Mit Schriftsatz vom 07.05.2018 hat der Beschwerdeführer durch seine gewillkürte Vertretung eine Stellungnahme eingebracht und mit weiteren Eingaben vom 22.05.2018 und vom 26.06.2018 eine Bestätigung über den Beginn eines Lehrverhältnisses ab 01.08.2018 bzw. ein Zeugnis über den erfolgreichen Abschluss über die Pflichtschulabschluss-Prüfung vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen mündigen minderjährigen Staatsangehörigen von Afghanistan, der der Volksgruppe der Paschtunen angehört und sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt. Seine Muttersprachen sind Dari und Paschtu, er spricht auch Deutsch, Englisch und Urdu.
Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Mazar-e Sharif, in der Provinz Balkh und besuchte dort sechs Jahre die Grundschule.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer wurde als ältester Sohn seiner verwitweten Mutter, die sich nach dem Tod ihres Ehemanns und Vaters des Beschwerdeführers weigerte, den Bruder ihres verstorbenen Ehemanns und Onkel des Beschwerdeführers zu heiraten, von diesem mit dem Tode bedroht.
Es konnte vom Beschwerdeführer glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seiner Mutter, die sich weigert den Bruder ihres verstorbenen Ehemanns zu heiraten, von diesem Onkel väterlicherseits aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.
Es liegen keine Gründe vor, nach denen der Beschwerdeführer von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen ist.
Der Beschwerdeführer hat sehr beachtliche Bemühungen zur Integration in Österreich gesetzt.
3.5. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:
Vorbemerkung: Da dem BF mit rechtskräftig gewordenem Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Zahl:
1094847510 - 151774605, der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, werden hier nur jene Informationen über die aktuelle Lage in Afghanistan, die für die darüberhinausgehende Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten von Relevanz sind, aufgenommen:
3.5.1. Auszug aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan:
"Frauen
Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018). Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).
Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung:
Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016).
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 5.2018). Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden (USDOS 20.4.2018). Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016). Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinisch Behandlung nachverfolgen. Im Jahr 2017 existierten 208 FRU im Land (USDOS 12.2107).
EVAW-Gesetz
Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt (AA 5.2018). Das EVAWGesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig (Pajhwok 11.11.2017; vgl. UNN 22.2.2018); und bietet rechtlichen Schutz für Frauen (UNAMA 22.2.2018).
Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen:
Vergewaltigung, Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018). Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 5.2018).
Frauenhäuser
Nichtregierungsorganisation in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, zu denen auch Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen, zählen. Alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Gruppen angewiesen - diese Einrichtungen
werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan. Oftmals versuchen Väter ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018). Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z. B. Frauenhäuser) (UNAMA/OHCHR 5.2018).
Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft für die Notlage (mit)verantwortlich ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 5.2018). Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte (AA 5.2018; vgl. NYT 17.3.2018). Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 5.2018). Die EVAW-Institutionen konsultieren in der Regel die Familie und das Opfer, bevor sie es in ein Frauenhaus bringen (UNAMA/OHCHR 5.2018).
Gewalt gegen Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 5.2018). Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden, Anm.) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden, Anm.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 4.12.2017). Dem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018). Soziale Medien in Afghanistan haben Frauen und Mädchen neue Möglichkeiten eröffnet, um ihr Schicksal zu teilen. In den Medien ist der Kampf afghanischer Frauen, Mädchen und Buben gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt in all ihren Formen tiefgründig dokumentiert. Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet und die Rekrutierung von Frauen in der Polizei verstärkt. Mittlerweile existieren für Frauen 205 Spezialeinsatzeinheiten, die hauptsächlich von weiblichen Mitarbeiterinnen der afghanischen Nationalpolizei geleitet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018)."
3.5.2. Auszug aus der vom Beschwerdeführer bereits im Administrativverfahren eingebrachten ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von Witwen (Schutz, Arbeit, Wohlfahrtsstrukturen); [a-9795], vom 26.08.2016:
"Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) hält in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016 Folgendes bezüglich der Gefährdungslage und Existenzmöglichkeiten von Witwen fest:
"Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben." (UNHCR, 19. April 2016, S. 72)
Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) schreibt in ihrem im Februar 2015 erschienenen Jahresbericht zum Schutz von ZivilistInnen im bewaffneten Konflikt (Berichtsjahr 2014), dass Frauen, die nach dem Tod bzw. der Verwundung ihrer Ehemannes als Alleinverdienende zurückgelassen würden, an langfristigen negativen sozioökonomischen Folgen leiden würden und zudem anfällig seien, Opfer von anderen Formen von Gewalt bzw. Misshandlung zu werden. UNAMA habe eine Umfrage unter 60 Witwen durchgeführt. Mehr als ein Viertel von diesen habe angegeben, nach dem Tod ihres Ehemannes zum Ziel von Gewalt (seitens der Verwandtschaft und der weiteren Gemeinschaft) geworden zu sein. Zu den am häufigsten berichteten Formen von Gewalt hätten gezählt: Beschimpfungen, Vertreibung aus dem Familienhaus, erzwungene Wiederverheiratung, körperliche Gewalt und gesellschaftliche Ausgrenzung. In vielen Fällen habe diese Gewalt bereits wenige Tage nach dem Tod des Ehemannes eingesetzt und sei am häufigsten von der Familie des verstorbenen Ehemannes ausgegangen. Interviewpartnerinnen hätten UNAMA gegenüber erklärt, dass die Gewaltbereitschaft darauf zurückzuführen sei, dass Frauen und deren Kinder nach dem Tod der Ehemänner (bzw. des Vaters) als ökonomische Last empfunden würden. Nach demselben Muster würden Verwandte Witwen dazu zwingen, ihre Töchter zu verheiraten. Obwohl mehr als die Hälfte der interviewten Witwen erklärt hätten, dass sie in der Lage seien, ihr Haus ohne Begleitung zu verlassen, hätten viele andere erwähnt, dass sie seit dem Tod ihres Ehemannes in ihrer Bewegungsfreiheit stärker eingeschränkt seien und nur in Begleitung eines männlichen Verwandten außer Haus gehen könnten. Mehrere Witwen hätten erklärt, dass sie den Eindruck hätten, dass sie seit dem Tod ihres Ehemannes innerhalb der Gemeinschaft bzw. der Gesellschaft an Ansehen verloren hätten und als Last wahrgenommen würden. Trotz dieser Einschränkungen hätten mehrere Witwen berichtet, dass ihr Umfeld Verständnis für ihre neue Situation zeige. Die meisten Interviewpartnerinnen hätten angegeben, dass sie von ihrer Umgebung geduldet bzw. unterstützt würden. Einige der Frauen hätten jedoch berichtet, dass ihre Umgebung ihnen gegenüber mit großer Mehrheit ablehnend eingestellt sei. Ein Viertel der befragten Frauen habe angegeben, bei einer Einrichtung bzw. karitativen Organisation um Unterstützung angesucht zu haben. Doch nur eine Frau habe berichtet, dass sie eine positive Antwort auf ihr Ansuchen erhalten habe. Auf die Frage, welche Formen der Unterstützung sie am dringendsten benötigen würden, hätten die interviewten Frauen geantwortet, dass sie (in absteigender Priorität) finanzielle Unterstützung, Nahrungsmittel, Heizmittel bzw. Feuerholz, Wohnraum und Unterstützung für die Ausbildung der Kinder benötigen würden. (UNAMA, Februar 2015, S. 15-16)
Bezüglich der Rolle von Verwandten des verstorbenen Ehemannes in Bezug auf Witwen und deren Kinder schreibt Matt Zeller, Fellow an der in Washington ansässigen Denkfabrik Truman National Security Project, in einem im September 2012 veröffentlichten Artikel für die US-amerikanische Onlinezeitung Huffington Post, dass wenn ein afghanischer Mann sterbe, die Verantwortung, sich um dessen Kinder zu kümmern, an den nächsten lebenden Verwandten des Mannes, für gewöhnlich einen der Brüder, übergehe (Zeller, 12. September 2012).
Mehrere Quellen berichten über die (auch zwangsweise) Wiederverheiratung von Witwen mit einem männlichen Verwandten des verstorbenen Ehemannes (Levirat). So bemerkt ein älterer UNAMA-Bericht vom Dezember 2010, dass Frauen als Eigentum ihrer eingeheirateten Familie gelten würden und die Zwangsheirat einer Witwe mit einem Verwandten ihres verstorbenen Ehemannes teilweise auf diese Haltung zurückzuführen sei. Eine solche Heirat sei aber oftmals auch ein Mittel, um die Erbschaft der Witwe in der Familie zu behalten. Im Gegensatz zu nationalem und internationalem Recht sowie zum Scharia-Recht, wo beidseitiges Einverständnis als Voraussetzung für eine Ehe vorgesehen sei, müsse die betroffene Frau daher gegen ihren Willen heiraten. Wenn eine Witwe nicht erneut innerhalb der gleichen Familie heirate, würde sie oft riskieren, ihre Kinder zu verlieren. Nach dem afghanischen Zivilgesetzbuch liege die Vormundschaft für die Kinder ab einem gewissen Alter (neun Jahre für Mädchen und sieben Jahre für Burschen) beim Vater. Im Fall von Scheidung oder Tod des Vaters verfüge die Familie des Vaters über die Vormundschaft der Kinder. Aufgrund der mangelnden Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der eigenen Zukunft von Frauen hätten diese nur begrenzt andere Möglichkeiten. In einigen Provinzen sei berichtet worden, dass Witwen ihr Erbe entzogen worden sei, in der Regel durch Zwangsverheiratung mit einem anderen männlichen Verwandten. (UNAMA, 9. Dezember 2010, S. 27)
Auch der UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes (UN Committee on the Rights oft he Child, CRC) erwähnt in einem Bericht vom April 2011, dass Kinder nach Verlust ihres Vaters oftmals als Waisen angesehen würden und es vorkommen könne, dass diese Kinder von ihrer Mutter getrennt würden, insbesondere dann, wenn diese nicht bereit sei, ein männliches Mitglied der Familie ihres verstorbenen Ehemannes zu heiraten (CRC, 8. April 2011, S. 9)."
4. Beweiswürdigung:
Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:
Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des Bundesamtes und des BVwG.
4.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
4.1.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben vor dem Bundesamt und im Beschwerdeverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.
Die Feststellungen zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Lebensumständen, stützen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren vor dem Bundesamt und im Beschwerdeverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari und die Kenntnis der geographischen Gegebenheiten Afghanistans.
Die Identität des Beschwerdeführers steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.
4.1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu den Gründen des Beschwerdeführers für das Verlassen seines Heimatstaates stützen sich auf die von ihm vor dem Bundesamt und im Beschwerdeverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG getroffenen Aussagen und auf das Ergebnis des geführten Ermittlungsverfahrens.
Der Ermittlungspflicht der Behörden steht eine Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers gegenüber. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat in ständiger Judikatur erkannt, dass es für die Glaubhaftmachung der Angaben erforderlich ist, dass der Beschwerdeführer die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert, und dass diese Gründe objektivierbar sind, wobei zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des "Glaubhaft-Seins" der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt. Damit ist die Pflicht des Antragstellers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen und für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern. Insoweit trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 11.11.1991, 91/12/0143, VwGH 13.04.1988, 86/01/0268). Der Antragsteller hat daher das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (u.a. VwGH 26.06.2997, 95/18/1291, VwGH 17.07.1997, 97/18/0336, VwGH 05.04.1995, 93/180289). Die Mitwirkungspflicht bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann.
Als eines seiner fluchtauslösenden Ereignisse brachte der Beschwerdeführer vor, dass er als ältester Sohn seiner verwitweten Mutter, die sich nach dem Tod ihres Ehemanns und Vaters des Beschwerdeführers weigerte, den ältesten Bruder ihres verstorbenen Ehemanns und Onkel des Beschwerdeführers zu heiraten, von diesem als Rache für diese Weigerung seiner Mutter mit dem Tode bedroht wurde. In diesem Zusammenhang führte der Beschwerdeführer näher aus, dass das Gesetz der Paschtunen, das sogenannte "Paschtunwali" vorschreibe, dass sich nach dem Tod eines verheiraten Mannes ein Bruder dieses verstorbenen Mannes um die Familie kümmern müsse und die verwitwete Ehefrau verpflichtet sei, einen Bruder ihres verstorbenen Ehemanns zu heiraten. Seine Mutter, eine Lehrerin, sei damit aber nicht einverstanden gewesen, da der älteste Bruder ihres verstorbenen Ehemanns mit den Taliban zusammenarbeite. Daraufhin habe dieser Onkel bzw. dessen Familie seine Mutter und ihn mit dem Tode bedroht, weshalb sie des Öfteren auch ihren Aufenthaltsort gewechselt hätten. Nach dem Tod diesen ältesten Bruder seines verstorbenen Vaters habe sein jüngster Onkel noch mehr Druck auf seine Mutter ihn zu heiraten ausgeübt und sie beide ebenfalls mit dem Tode bedroht, wobei die Drohungen des jüngsten Bruders seines verstorbenen Vaters auch von dessen Frau ausgesprochen worden seien. Seine Mutter und er seien nicht in der Lage gewesen, sich gegen diese beiden mächtigen Männer zur Wehr zu setzen.
Der Beschwerdeführer hat zu diesem Vorbringen durchgehend im Verfahren recht detaillierte, konkrete und vor allem konsistente Angaben gemacht. Sein Vorbringen wies keine erheblichen Unstimmigkeiten oder Widersprüche auf.
Auch die Ausführungen in den maßgeblichen Erkenntnisquellen sind mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers vereinbar und stützen seine Ausführungen. Dort wird ausgeführt, dass Frauen, nach dem Tod ihres Ehemanns Opfer von Gewalt, dazu zählt am häufigsten die erzwungene Widerverheiratung, betroffen seien. In vielen Fällen habe diese Gewalt bereits wenige Tage nach dem Tod des Ehemanns eingesetzt und sei am häufigsten von der Familie des verstorbenen Ehemanns ausgegangen. Frauen gelten als Eigentum ihrer eingeheirateten Familie und die Zwangsheirat einer Witwe mit einem Verwandten ihres verstorbenen Ehemannes sei teilweise auf diese Haltung zurückzuführen. Im Gegensatz zu nationalem und internationalem Recht sowie zum Scharia-Recht, wo beidseitiges Einverständnis als Voraussetzung für eine Ehe vorgesehen sei, müsse die betroffene Frau daher gegen ihren Willen heiraten. Wenn eine Witwe nicht erneut innerhalb der gleichen Familie heirate, würde sie oft riskieren, ihre Kinder zu verlieren. Im Fall von Scheidung oder Tod des Vaters verfüge die Familie des Vaters über die Vormundschaft der Kinder. Aufgrund der mangelnden Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der eigenen Zukunft von Frauen hätten diese nur begrenzt andere Möglichkeiten (siehe oben Punkt 3.5.2.).
Hinsichtlich der Lage von Frauen in Afghanistan führen die einschlägigen Länderinformationen aus, dass die staatlichen Akteure aller drei Gewalten häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt sind, Frauenrechte zu schützen bzw. eine Verteidigung ihrer Rechte in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich ist und viele Gewaltfälle gegenüber Frauen nicht vor Gericht gelangen, sondern durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt werden. Dies führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden (siehe oben Punkt 3.5.1.).
Der Beschwerdeführer hat glaubhaft dargelegt, dass er als Sohn seiner verwitweten Mutter aufgrund dieser familiären Bindung von der Drohung gegen seine unmittelbar betroffene Mutter miteinbezogen ist und somit wegen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seiner Mutter ebenfalls von Racheakten seines Onkels bedroht ist.
Auch die Beurteilung der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer vom erkennenden Richter gewonnenen persönlichen Glaubwürdigkeit ergibt keinen Anlass, das Vorbringen des Beschwerdeführers in Frage zu stellen.
Aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer glaubhaft dargelegt hat, dass er aus wohlbegründeter Furcht aus dem Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, konkret der Familie seiner Mutter, vor der Verfolgung seines Onkels aus seinem Herkunftsstaat flüchten musste, weil ihn dieser Onkel wegen der Weigerungen seiner Mutter, ihn nach dem Todes ihres Ehemanns und Vaters des Beschwerdeführers zu ehelichen, mit dem Tode bedroht, war eine Erörterung der von ihm im Verfahren noch zusätzlich vorgebrachten Fluchtgründe im Detail obsolet und erübrigt sich daher eine weitere Auseinandersetzung mit diesen.
4.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:
Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen (siehe oben Punkt 3.5.) gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben.
Die Verfahrensparteien haben diese Feststellungen nicht bestritten.
5. Rechtliche Beurteilung:
5.1. Anzuwendendes Recht:
Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG, BGBl I. Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem BFA, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem BVwG gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG bleiben unberührt.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Gemäß § 28 Abs. 5 sind dann, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt, die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.
Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
5.2. Rechtlich folgt daraus:
Zu Spruchteil A):
5.2.1. Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde am 13.11.2017 beim Bundesamt eingebracht und ist nach Vorlage am 17.11.2017 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.
5.2.2. Das BVwG stellt weiters fest, dass die belangte Behörde das Verwaltungsverfahren in wesentlichen Punkten rechtmäßig durchgeführt hat, wenngleich es bezüglich der Frage der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens zu einem anderen Ergebnis gelangt ist.
5.2.3. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl):
5.2.3.1. Gemäß § 3 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist.
Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.
Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.
Die mit 01.01.2016 in Kraft getretenen Abs. 4 bis 4b des § 3 AsylG, die gemäß § 75 Abs. 24 für Asylanträge gelten, die nach dem 15.11.2015 gestellt worden sind, lauten:
"(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.
(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.
(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet."
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.
Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).
Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503 und 98/01/0648).
Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, 98/20/0399; VwGH 03.05.2000, 99/01/0359).
5.2.3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Unter "Verfolgung" im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist nach der hg. Rechtsprechung ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2016, Ra 2016/18/0083). Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als "Verfolgung" im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH vom 15. Dezember 2015, Ra 2014/18/0118).
Die Verfolgung aus dem Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe entspricht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes der Form der "stellvertretenden" oder in anderen Fällen der zusätzlichen Inanspruchnahme eines Familienmitglieds dem Modell des als "Sippenhaftung" bezeichneten "Durchschlagens" der Verfolgung eines Angehörigen auf den Asylwerber (vgl. VwGH vom 14. Jänner 2003, 2001/01/0508).
Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist im Übrigen, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH vom 22.03.2017, Ra 2016/19/0350 mwN).
§ 2 Abs. 1 Z 12 AsylG 2005 umschreibt den Begriff des "Verfolgungsgrundes" als einen in Art. 10 der Statusrichtlinie genannten Grund. Gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. d der Statusrichtlinie liegt eine bestimmte soziale Gruppe insbesondere vor, wenn "- die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird."
Nach dieser Definition gilt eine Gruppe somit insbesondere als eine "bestimmte soziale Gruppe", wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Zum einen müssen die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. das Urteil des EuGH vom 7. November 2013 in den verbundenen Rechtssachen C-199/12 bis C- 201/12). Bei der sozialen Gruppe handelt es sich um einen Auffangtatbestand. Eine soziale Gruppe kann aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (vgl. VwGH vom 22.03.2017, Ra 2016/19/0350 mwN).
Um das Vorliegen einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe beurteilen zu können, bedarf es daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen bzw. zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung (ibid).
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer glaubhaft gemacht, dass er wegen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seiner Mutter, die sich weigert nach dem Tod ihres Ehemanns den Bruder ihres Ehemanns zu ehelichen, von diesem mit dem Tode bedroht wird.
Es ist nicht hervorgekommen, dass es der afghanischen Zentralregierung möglich wäre, für die grundsätzliche Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich des Beschwerdeführers Sorge zu tragen. Er kann mit gewisser Wahrscheinlichkeit nicht damit rechnen, dass er angesichts des ihn betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen - von Seiten des jüngsten Bruders seines verstorbenen Vaters- zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann. Angesichts der dargestellten Umstände kann im Fall des Beschwerdeführers nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass er in Afghanistan den Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus der befürchteten Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat.
Die asylrechtliche Relevanz des Vorbringens des Beschwerdeführers ist auch nicht etwa deshalb zu verneinen, weil es sich um Übergriffe von Privatpersonen - eines Onkels väterlicherseits - handelt. Für die Asylgewährung nicht von entscheidender Bedeutung ist, dass die mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Eingriffe nicht direkt von staatlicher, sondern von dritter Seite drohen oder dass diese von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet werden. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohl begründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256, VwGH 14.05.2002, 2001/01/0140; siehe weiters VwGH 24.05.2005, 2004/01/0576, VwGH 26.02.2002, 99/20/0509).
Da dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.10.2017 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gewährt worden ist, ist das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, nicht zu prüfen. Eine solche Prüfung steht im Widerspruch zu einer bereits erfolgten Gewährung von subsidiärem Schutz, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme der inländischen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH vom 15.10.2015 Ra 2015/20/0181).
5.2.3.3. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlings