TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/31 W241 2179019-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.07.2018
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Entscheidungsdatum

31.07.2018

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W241 2179019-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hafner als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2017, Zahl 1089744605-151481867, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.03.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär in Österreich ein und stellte am 03.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In seiner Erstbefragung am 03.10.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu im Wesentlichen Folgendes an:

Er stamme aus XXXX in der Provinz Kunduz (Afghanistan), sei Paschtune und ledig. Seine Eltern und zwei minderjährige Geschwister würden noch in Afghanistan leben. Zuletzt habe er als Landwirt gearbeitet.

Vor ca. einem Monat sei er von Kunduz über den Iran in die Türkei gereist. Danach sei er über ihm unbekannte Länder nach Österreich gelangt.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass sein Bruder Bodyguard eines Regierungskommandanten gewesen und deshalb von den Taliban getötet worden wäre. Dies wäre vor ca. drei Monaten passiert. Sein Leben sei auch gefährdet gewesen, weshalb er ausgereist sei.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 24.08.2017 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben und legte folgende Unterlagen vor:

* Brief an einen Talibanältesten, wonach der BF mit der Regierung zusammenarbeite und daher viele Taliban umbringe. Aus diesem Grund solle er festgenommen werden, die Strafe solle der Tod sein.

Absender: Islamische Emirate Afghanistan, Provinz Kunduz, am 05.06.2014

* Tazkira, ausgestellt durch die Provinz Kunduz, Distrikt XXXX , vom 22.08.2015

* Bestätigung der Dorfältesten über das Ableben des Bruders XXXX an die österreichischen Behörden

* Bestätigung des Dorfältesten über das Ableben des Bruders XXXX

* Ansuchen des Vaters an die Sicherheitsbehörden wegen einer Bestätigung über den Tod seines Sohnes. Der andere Sohn XXXX würde ebenfalls verfolgt werden und habe das Land verlassen.

* drei Deutschkursbestätigungen

* drei Lichtbilder, die den Bruder in Polizeiuniform zeigen.

In der Folge gab der BF im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"F [Frage]: Wann sind Sie aus Afghanistan ausgereist?

A [Antwort]: Etwa am 25.08.2015.

F: Sie haben sich Ihre Tazkira somit direkt vor der Ausreise ausstellen lassen?

A: Ja, weil man das brauchen kann. Es hatte nichts mit meiner Ausreise zu tun.

F: Handelt es sich bei dem Brief (Beil A 1) um ein Original oder um eine Kopie?

A: Original.

F: Es handelt sich hierbei um einen Brief an den regionalen Vorsteher der Taliban, nicht um einen an Sie gerichteten Drohbrief. Wie kamen Sie zu diesem Schreiben?

A: Eine mir unbekannte Person, vermutlich ein Taliban, brachte es meinem kleinen Bruder. Der brachte es zu uns.

F: Wann haben Sie dieses Schreiben bekommen?

A: Ich war schon geflüchtet. Ich weiß es nicht.

F: Wann war das?

A: Ich war bereits am Weg nach Europa.

F: Das Sendedatum des Briefes war bereits im Jahr 2014.

A: Ich bekam es erst später.

F: Wann haben Sie Afghanistan verlassen?

A: Im Februar 2015.

F: Sie kannten den Brief im Zeitpunkt Ihrer Ausreise somit nicht.

A: Nein, ich habe erst später davon erfahren.

F: Wie lange dauerte Ihre Flucht?

LA: Der AW wiederholt die Frage, antwortet nicht.

F: Sie gaben im Zuge der Erstbefragung an, dass Sie etwa Anfang September ausgereist seien. Was stimmt jetzt?

A: Ja, September stimmt.

F: Wann haben Sie Afghanistan verlassen?

A: Im Februar. Man hat mich bei der Erstbefragung womöglich missverstanden.

F: Wo wurden die vorgelegten Fotos aufgenommen?

A: Stützpunkt meines Bruders.

[...]

F: Wie ist Ihre schulische und berufliche Ausbildung?

A: Ich habe nie eine Schule oder eine Ausbildung besucht. Ich bin Analphabet.

F: Sie gaben in im Rahmen Ihrer Erstbefragung an, dass Ihr Beruf Landwirt sei. Haben Sie jemals als Landwirt gearbeitet?

A: Ich auf diversen Landwirtschaften in Kunduz zusammen mit meinem Vater gearbeitet. Zusammen haben wir die Familie ernährt. Einen anderen Beruf habe ich nie ausgeübt.

F: Weshalb steht dann in dem vorgelegten Schreiben, dass Sie mit der Regierung zusammengearbeitet haben?

A: Sie haben mich mit meinem Bruder zusammen gesehen und gingen davon aus, dass ein Spion der Regierung sei.

F: Schildern Sie bitte Ihre Lebensumstände vor Ihrer Flucht. Wo haben Sie bis zu Ihrer Flucht gelebt?

A: Kunduz, XXXX , im Dorf XXXX . Ich habe dort im Haus des Vaters gelebt. Ich lebte dort mit meinen Eltern, meinen beiden jüngeren Geschwistern und - bis zu seinem Tod, den Zeitpunkt des Todes weiß ich nicht mehr genau - auch mit meinem älteren Bruder. Ich gebe jetzt an, dass mein Bruder etwa zehn Tage vor meiner Ausreise getötet worden ist.

[...] F: Haben Sie zur Zeit Kontakt mit irgendjemandem zu Hause?

A: Ich telefoniere etwa einmal im Monat.

F: Nutzen Sie auch soziale Medien?

A: Nicht um mit der Familie zu kommunizieren.

F: Wovon bestreiten Ihre Angehörigen Ihren Lebensunterhalt?

A: Mein Vater unterhält die Familie. Sie warten jetzt, dass ich Ihnen helfe und sie finanziell unterstütze. Ich möchte sie auch hierher holen.

[...]

F: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen und einen Asylantrag gestellt haben von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß. [...]

A: Ich wurde bedroht von den Taliban. Sie hätten mich umgebracht, wäre ich nicht ausgereist. Sie haben mich beschuldigt, mit meinem Bruder zusammenzuarbeiten. Sie haben mich nicht direkt bedroht. Es kam der heute vorgelegte Brief zu uns nach Hause.

F: Das war ja erst nach Ihrer Ausreise.

A: Ich weiß nicht, wann das war.

F: Wurden Sie jemals persönlich bedroht?

A: Nein.

F: Woher wussten Sie dann zum Zeitpunkt Ihrer Ausreise, dass die Taliban Sie bedrohen würden?

A: Nachdem ich gegangen bin, sagten mir meine Eltern, dass der Brief gekommen sei.

F: Warum sind Sie dann gegangen?

A: Weil mich die Taliban bedroht haben.

Anmerkung: Der AW weicht den Fragen wiederholt aus. Insbesondere erklärt er nicht, wie er davon hätte ausgehen können, dass er von den Taliban bedroht worden sei.

A: Ich wurde bedroht, später kam dann der Brief. Die Taliban kamen aber nie zu mir.

F: Sie haben also nur befürchtet, dass die Taliban Sie ebenfalls bedrohen könnten?

A: Ich habe das alleine aufgrund des Todes meines Bruders befürchtet.

F: Wann wurde der Bruder getötet?

A: Ich weiß es nicht genau. Jedenfalls im Jahr 2014.

F: Sie sagten, Ihr Bruder sei 10 Tage vor der Ausreise getötet worden. Was stimmt jetzt?

A: Ich meinte circa.

F: Gab es nach dem Tod Ihres Bruders irgendeinen Kontakt zwischen Ihnen und den Taliban?

A: Nein.

F: Woher wissen Sie, dass die Taliban den Bruder getötet haben?

A: Er starb in einem größeren Gefecht mit den Taliban. Sie haben damals die Polizeidienststelle angegriffen.

F: Wie hieß Ihr getöteter Bruder? Wie alt war Ihr Bruder?

A: Er heiß XXXX , Alter unbekannt. Er war älter als ich.

F: Sie sagen heute, Ihr Bruder war Dorfpolizist, in der Erstbefragung gaben Sie an, dass er Bodyguard eines Kommandanten war.

A: Das macht keinen Unterschied.

F: Was war die Aufgabe Ihres Bruders?

A: Er war mit etwa zehn bis fünfzehn anderen Polizisten für die Sicherheit des Ortes zuständig.

F: Gab es wegen dieses Vorfalles ein Verfahren der Behörden oder Gerichte? Gab es Aktionen der Sicherheitskräfte?

A: Nein.

F: Wurden Sie jemals persönlich von den Taliban bedroht?

A: Nein.

F: Wurden Ihre Angehörigen jemals von den Taliban bedroht?

A: Nein.

F: Gab es irgendwelche Sie oder Ihre in Afghanistan lebenden Angehörigen betreffenden Vorfälle?

A: Nein.

F: Weshalb sollte Ihnen seitens der Taliban der Tod drohen? Sie sind ja kein Polizist. Warum sollten sich die Taliban für einen Landarbeiter interessieren?

A: Die bringen auch Kinder um.

F: Weshalb kann Ihre Familie weiterhin ungestört in Afghanistan leben?

A: Die interessieren nur die jüngeren Männer. Und ich war immer mit meinem Bruder zusammen.

F: Gab es seit Ihrer Ausreise irgendwelche Vorfälle?

A: Nein. Aber der Brief ist zu meinen Eltern gebracht worden.

F: Haben Sie sich aufgrund der geschilderten Befürchtungen jemals an die Behörden gewandt?

A: Nein.

LA: Sie haben nun mit der Erstbefragung insgesamt drei verschiedene Angaben zum Zeitpunkt des Todes Ihres Bruders gemacht (2014, drei

Monate vor Erstbefragung: Juli 2015, zehn Tage vor der Ausreise:

August/September 2015).

VP: Die Angaben in der Erstbefragung stimmen jedenfalls nicht. Ich kann keine Angaben über das Datum machen.

F: Wenn Sie befürchtet haben, von den Taliban bedroht zu werden, weshalb sind Sie nicht nach Kabul gegangen?

A: Sie finden dich überall.

F: Es gibt dort aber kein Meldewesen.

A: Den Taliban ist überall, möglich jemanden zu finden. Ich hätte nicht in Kabul untertauchen können. Wäre die Angst vor den Taliban nicht gewesen, hätte ich sehr wohl in Kabul oder meiner Heimatprovinz leben und arbeiten können.

LA: Sie konnten nicht schlüssig erklären, wann Sie dieses Schreiben (Beilage A 1) erhalten haben, noch weshalb Sie vor Erhalt des Schreibens vernünftigerweise befürchten hätten müssen, von den Taliban verfolgt zu werden. Auch konnten Sie nicht erklären, weshalb der Adressat auf diesem Schreiben eigentlich ein Talibankommandant, namens " XXXX " ist.

A: Das Schreiben war für mich.

F: Hatten Sie jemals Kontakte zu den Taliban oder haben Sie für die Taliban gearbeitet?

Anmerkung: Der AW verneint unaufgeregt und wiederholt sein Vorbringen hinsichtlich der Bedrohung aufgrund seines Bruders.

[...]

F: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint?

A: Ja.

F: Haben Sie den Dolmetscher einwandfrei verstanden?

A: Ja

[...]

Die Niederschrift wird Ihnen nun von der Dolmetscherin wortwörtlich rückübersetzt. Im Zuge dieser Rückübersetzung besteht die Möglichkeit, Berichtigungen oder Ergänzungen vorzunehmen. Mit Ihrer Unterschrift bestätigen Sie, dass Ihre Angaben richtig und vollständig wiedergegeben wurden.

Nach Übersetzung der Niederschrift von 12:00 bis 12:15

F: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen vorzubringen?

A: Nein."

1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 16.11.2017 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Seine Fluchtgeschichte habe der BF aufgrund der vagen Schilderung und angesichts mehrerer widersprüchlicher Aussagen nicht glaubhaft machen können.

In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die Begründung des Antrages keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) finde.

Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe. Dem BF sei eine Rückkehr in seine Heimatprovinz aufgrund der dortigen Sicherheitslage aktuell nicht zumutbar, allerdings komme eine Innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul oder Mazar-e Sharif infrage. Es sei dem BF zumutbar, dort selbstständig durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus eigenen Kräften für die Deckung der grundlegendsten Bedürfnisse aufzukommen.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde den BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

1.6. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben vom 29.11.2017 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein und beantragte die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen das Fluchtvorbringen wiederholt und Ausführungen zur schlechten Sicherheitslage in Afghanistan getätigt.

1.7. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 07.12.2017 beim BVwG ein.

1.8. Das BVwG führte am 26.03.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu durch, zu der der BF im Beisein eines gewillkürten Vertreters persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung.

Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"RI [Richter]: Geben Sie bitte die Aufenthaltsorte Ihrer näheren Angehörigen bekannt!

BF: Meine Angehörigen haben in meinem Heimatdorf in Kunduz gelebt. Seit drei Monaten habe ich keinen Kontakt zu meinen Angehörigen. Wenn ich die mir bekannte Telefonnummer anrufe, ist dieses Mobil-Telefon ausgeschaltet. Ich kann niemanden erreichen.

RI: Wer von Ihren näheren Angehörien ist noch im Heimatdorf aufhältig?

BF: Zu meinen Angehörigen zählen: Mein Vater, meine Mutter, mein siebenjähriger Bruder sowie meine 13-jährige Schwester.

RI: Haben Sie noch Onkel und Tanten? Wenn ja, wo leben diese?

BF: Ich habe zwei Onkel und eine Tante väterlicherseits. Sie leben im Heimatdorf. Ich habe eine Tante und einen Onkel mütterlicherseits, sie leben im Heimatdistrikt, in einem Dorf namens

XXXX .

RI: Haben Sie in Ihrem Heimatdorf noch Bekannte, Freunde oder Nachbarn?

BF: Im Dorf hatte ich nicht sehr viel Kontakt zu anderen Leuten.

RI: Haben Sie keine Kontaktadressen oder -telefonnummern von Ihren Onkel und Tanten?

BF: Ich habe die Telefonnummern meiner Verwandten nicht. Ich hatte nur die Telefonnummer meiner Eltern, unter der ich sie nicht mehr erreiche.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Berufsausbildung absolviert?

BF: Ich habe im Dorf als Bauer gearbeitet.

RI: Wie viele Jahre haben Sie diese Beschäftigung ausgeübt?

BF: Ich kann nicht genau sagen, wie alt ich gewesen bin, als ich begonnen habe, zu arbeiten. Ich schätze, dass ich ungefähr 10 Jahre in der Landwirtschaft tätig gewesen bin.

RI: Womit haben Ihre Eltern in Ihrem Herkunftsstaat den Lebensunterhalt verdient?

BF: Meine Mutter war Hausfrau. Mein Vater und ich haben auf fremden Grundstücken als Bauern gearbeitet. Während der Erntezeit haben wir einen Teil der Ernte für die geleistete Arbeit bekommen.

RI: Wurden Sie für Ihre Tätigkeit nicht entlohnt? Womit haben Sie die Lebenserhaltungskosten betritten? Haben Sie die erhaltenen Ernteanteile verkauft?

BF: Wir haben einen Teil der Ernte verkauft. Die eigentlichen Besitzer der Grundstücke haben ebenfalls einen Teil ihrer Ernteerträge verkauft. Mit dem Ertrag wurde die Miete für den Traktor bezahlt, oder neues Saatgut gekauft.

RI: Haben Ihre Eltern ein eigenes Haus oder Grundstücke in ihrem Besitz?

BF: Es war ein Eigentumshaus. Wir hatten auch ein eigenes landwirtschaftliches Grundstück in der Größe von ca. 3 bis 4 Jirib, auf dem wir ebenfalls Weizen angebaut haben.

RI Wie stellte sich Ihre finanzielle Situation bzw. die Ihrer Familie dar? Schätzen Sie sie als arm, mittelmäßig, gut oder sehr gut ein?

BF: Wir haben ein durchschnittliches Leben geführt. Wir hatten keine Ersparnisse. Das, was wir verdient bzw. eingekommen haben, haben wir für uns verbraucht.

RI: Wie viel hat Ihre Reise gekostet?

BF: Mein Vater hat mit jemanden gesprochen, der mich bis hierher gebracht hat. Ich weiß nicht, welchen Betrag mein Vater mit dieser Person ausgemacht hat.

RI: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung?

BF: Nein. Ich hatte einen Bruder, der bei den ARBAKI gearbeitet hat und von den Taliban getötet wurde. Aufgrund der Tätigkeit meines Bruders wurde mir von den Taliban Spionage für den Staat unterstellt, deshalb wurde ich bedroht.

RI: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat zuletzt genau verlassen? Auf welchem Weg sind Sie nach Österreich gelangt und wo waren Sie wielange aufhältig?

BF: Ich bin nicht gebildet und kann nicht sagen, wann ich meinen Herkunftsstaat verlassen habe. Ich bin im Jahr 2015 nach Ö gekommen. Mein Vater hat mich jemanden übergeben, der mich in verschiedenen Fahrzeugen auf dem Landweg bis nach Ö gebracht hat.

RI: Vorhalt: Bei der EB im Oktober haben Sie anggeben, dass Sie ca. einen Monat unterwegs waren. Ihre Ausreise aus Afghanistan würde dann auf September 2015 fallen. Ist es korrekt, dass Sie einen Monat unterwegs waren?

BF: Diese Aussage ist nicht richtig. Ich konnte bei der EB nicht angeben, wie lange ich unterwegs war. Auch heute kann ich es nicht sagen.

RI: Das Gericht versteht nicht, warum Sie bei der Befragung vor dem BFA das Datum August 2015 angegeben haben. Laut Ihrer jetzigen Aussage können Sie überhaupt kein Datum angeben. Was sagen Sie dazu?

BF: Ich habe noch nie ein genaues Datum angegeben. Wenn ich mit mich genauen Daten ausgekannt hätte, hätte ich gleich bei der EB Angaben dazu gemacht.

RI: Vorhalt: Sie haben angegben, im August 2015 ausgereist zu sein, dann haben Sie angegeben im Februar 2015 ausgereist zu sein. Zwischen diesen beiden Angaben liegen 6 Monate. Sie könnten also schon genaue Angaben machen.

BF: Eine nicht gebildete Person kann keine Angaben zu Daten oder bestimmten Zeitdauer machen. Ich weiß nicht, wie lange ich unterwegs gewesen bin.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF: Ein bisschen.

RI: Was haben sie heute gemacht?

BF: Ich mache hier ein Interview.

RI: Wie sind Sie hierher gekommen?

BF: Ich bin alleine mit dem Bus gekommen.

RI: Haben Sie Hobbies? Was machen Sie in der Freizeit?

BF: Ich gehe ins Fitness-Center.

RI: Was haben Sie heute gefrühstückt?

BF: Ich hatte ein bisschen Käse.

RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen teilweise verstanden und in gebrochenen Deutsch beantwortet hat.

Die Verhandlung wird wieder mit Übersetzung geführt.

RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF: Ich besuche derezit fünfmal die Woche, von Montag bis Freitag von 09.00 bis 13.00 Uhr, einen Deutschkurs.

RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF: Ich bin jung und habe die Kraft zu arbeiten. Ich möchte unbedingt arbeiten, um in der Lage zu sein, für mich selbst zu sorgen. Ich möchte nicht von staatlicher Unterstützung leben. Ich habe keine Arbeitserlaubnis und kann daher noch nicht arbeiten.

Ri: Welcher Beschäftigung würden Sie gerne nachgehen, wenn Ihnen dies erlaubt und möglich wäre?

BF: Ich möchte sehr gerne eine Ausbildung machen und entweder als Mechaniker oder auf einer Baustelle arbeiten.

RI: Trauen Sie sich die körperliche Arbeit auf einer Baustelle zu?

BF: Man muss sich seinen Herausforderungen stellen. Wenn ich möchte, kann ich jede Arbeit machen.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF: Ich besuche derzeit einen Vorbereitsungslehrgang für den Hauptschulabschluss. Ich bin kein Mitglied in einem Verein. Ich mache Fitness. Manchmal machen unsere Lehrer mit uns verschiedenen Ausflüge.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Nein.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI:Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe). Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF: Mein Bruder war ein ARBAKI. Er ist von den Taliban getötet worden, als die Taliban jenen Polizeiposten, in dem er gearbeitet hat, angegriffen haben. Insgesamt wurden bei diesem Angriff 15 Personen, u.a. der Kommandant meines Bruders getötet. Dieser Ort wird seither von den Taliban beherrscht. Nachdem mein Bruder getötet wurde, haben die Taliban mich bedroht. Sie haben mir unterstellt, für meinen Bruder gearbeitet zu haben. Sie würden mich deshalb töten. Ich habe mich nicht sicher gefühlt und bin deshalb geflüchtet.

RI: Was ist ein ARBAKI?

BF: ARBAKI sind Dorfpolizisten. Sie sind genauso wie andere Sicherheitsbehörden Staatsbedienstete.

RI: Wann hat sich der Vorfall mit der Tötung Ihres Bruders ereignet? Können Sie einen ungefähren Zeitpunkt angeben?

BF: Mein Bruder wurde während seiner Arbeit in seinem Polizeiposten getötet. Ich weiß nicht, wann das war.

RI: Sie haben in der EB und der EV immer ungefähre Zeitangaben machen. Hier vor Gericht, ist es Ihnen nicht möglich, auch nur ungefähre Zeitangaben zu machen. Ihre Schilderung erscheint daher unglaubwürdig. Dem Gericht ist bewusst, dass Sie keine, auch nur ungefähre Angaben machen. Es ist verständlich, ungefähre Angaben zu machen, aber Sie machen vor Gericht überhaupt keine Angaben. Ihre Angaben sind daher sehr schwer nachzuvollziehen bzw. zu glauben. Was sagen Sie dazu?

BF: Ich war damals in großer Gefahr. Ich war mit meiner Trauer und den Problemen beschäftigt. Deshalb habe ich mir nicht gemerkt, wann sich was zugetragen hat.

RI: Warum haben Sie vor dem BFA genaue Zeitangaben gemacht? Sind das erfundene Angaben?

BF: Beim BFA habe ich keine Zeitangaben gemacht.

RI: Es wurden Zeitangaben protokolliert. Sie haben das Protokoll mit Ihrer Unterschrift als richtig bestätigt. Die Zeitangaben sind festgehalten. Vor Gericht können Sie keine, auch nur ungefähren Angaben machen. Es ist daher sehr schwer zu glauben, dass Sie sich plötzlich auch nicht an die vor dem BFA gemachten Datumsangaben erinnern können. Was sagen Sie dazu?

BF: Die Dolmetscherin hat viele meiner Aussagen nicht richtig verstanden. Wenn ich ihr etwas gesagt habe, hat sie sich in meine Aussagen eingemischt. Diese Dame hat einen Paschto-Dialekt aus Kandahar gesprochen. Sie hat mein gesamtes Fluchtvorbringen "ruiniert".

RI: Zurück zum Vorfall mit Ihrem Bruder: Wo war der Posten, in dem Ihr Bruder tätig war, stationiert? War er in Ihrem Heimatdorf?

BF: Dadurch, dass unser Dorf immer wieder von den Taliban angegriffen wurde, haben die ARBAKI einen Polizeiposten auf landwirtschaftlichen Grundstücken gebaut. Dieses Gebiet war unter dem Namen " XXXX " bekannt. Dieses Gebiet war in der Nähe meines Heimatdorfes.

RI: Haben Sie persönlich etwas von dem Überfall mitbekommen?

BF: Dieser Vorfall hat sich in der Nacht ereignet. Am nächsten Tag haben wir im Dorf erfahren, dass dieser Polizeiposten angegriffen und alle Mitarbeiter getötet wurden.

RI: Wenn das Gericht das richtig versteht, war das ein allgemeiner Anschlag auf den Posten. Ihr Bruder war nicht das ursprüngliche Ziel. Stimmt das?

BF: Dieser Posten diente für die Sicherheit unseres Dorfes. Dieser Angriff galt allen Personen, die in diesem Posten gearbeitet haben. Seit diesem Vorfall gibt es in und um mein Dorf keine staatlichen Sicherheitskräfte mehr. Dieses Gebiet wird von den Taliban beherrscht. Es ist sehr schwer, unter der Herrschaft der Taliban zu leben. Sie gehen mit den Dorfleuten sehr schlecht um.

RI: Hat Ihnen Ihr Bruder vor seinen Tod davon berichtet, dass er Kontakt mit den Taliban hatte und durch sie bedroht wurde?

BF: Einmal hat mein Bruder erzählt, dass die Taliban ihn bedroht haben. Er hat auch gesagt, dass er seine Arbeit nicht aufgeben wird, weil er verpflichtet ist, die Familien und Kinder im Dorf zu beschützen.

RI: Was ist nach dem Tod Ihres Bruder geschehen? Was haben Sie dann gemacht?

BF: Ich hatte Angst um mein Leben. Ich war in Gefahr. Deshalb bin ich geflüchtet.

RI: Wie ist die Gefahr zum Ausdruck gekommen? Was war das fluchtauslösende Ereignis für Sie? Was ist Ihnen geschehen?

BF: Dieses Gebiet wird von den Taliban beherrscht. Sie nehmen junge Männer mit und zwingen sie, sich ihnen anzuschließen.

RI: Was ist Ihnen persönlich passiert?

BF: Die Taliban haben mir einen Drohbrief zukommen lassen. Dieses Schreiben hat mein Bruder nach Hause gebracht. In diesem Drohbrief steht, dass sie mich töten werden. Ich habe dieses Schreiben bereits vorgelegt. Den genauen Inhalt kenne ich nicht, da ich nicht lesen kann.

RI: Wer hat Ihnen gesagt, was in diesem Brief stand? An wen war der Brief adressiert? Ging der Brief an Sie persönlich oder an jemand anderen?

BF: Diesen Brief haben sie den Leuten im Dorf gezeigt. Mich hat mein Vater angerufen und mich gefragt, wo ich bin, weil ein Brief für mich abgegeben wurde. Ich habe meinem Vater gesagt, dass ich nicht zuhause bleiben, sondern fliehen werde.

RI: Kam der Brief vor oder nach Ihrer Ausreise?

BF: Ich war noch in Afghanistan.

RI: Waren Sie noch zuhause?

BF: Ich war noch im Heimatdorf. Nach dem Tod meines Bruders bin ich nicht immer zuhause gewesen. Ich hatte Angst davor, das die Taliban kommen und mich mitnehmen. Ich war mit Freunden unterwegs, als mein Vater mich anrief und von diesem Brief erzählt hat.

RI: Das Gericht weiß von Ihren Problemen mit der Dolmetscherin: Vor dem BFA haben Sie gesagt, dass der Brief erst kam, als Sie schon auf dem Weg waren. Wenn das Protokoll Fehler enthält, hätten Sie die Möglichkeit gehabt, diese zu korrigieren. Das haben Sie nicht getan, sondern mit Ihrer Unterschrift die Richtigkeit bestätigt. Was sagen Sie dazu?

BF: Es ist nicht meine Schuld, dass die D mich nicht verstanden hat. Ich habe meine Probleme immer klar und deutlich angegeben.

RI übergibt der D den im Akt einliegenden durch den BF vorgelegten Drohbrief, zwecks Einsichtnahme und Übersetzung.

D übersetzt wie folgt:

Datum 15.04.1393 = 06.07.2014

Briefkopf: Islamisches Emirat Afghanistan, Provinz Kunduz, Militärkommission

Dieses Schreiben ist gerichtet an: XXXX - Dem XXXX wird mitgeteilt:

Wie Ihnen bekannt ist, arbeitet der Sohn von XXXX , XXXX , für die ungläubige Regierung und er leistet offiziellen Dienst für die staatlichen Sicherheitsorgane. Er hat des Öfteren bei verschiedenen Angriffen unsere Taliban-Brüder getötet. Deshalb hat die Militärkommission beschlossen ihn festzunehmen und mit dem Tod zu bestrafen. Teilt uns mit, dass ....[unlesbar]

Stempel - Islamisches Emirat Afghanistan, Provinz Kunar, Distrikt XXXX , Islamische Bewegung der Taliban, Militärkommission.

RI: Sind Sie gleich nach Erhalt dieses Briefes ausgereist?

BF: Ja.

RI: Sie müssten ein Jahr und drei Monate unterwegs gewesen sein. Stimmt das?

BF: Während der Fluchtreise gab es nach jeder Etappe eine Wartezeit von ein bis zwei Monten. Es gab manchmal mehrere Tage lang nichts zu essen und zu trinken. Die Fluchtreise war sehr schlimm für mich. Manchmal wollte ich sogar sterben.

RI: Sie werden in diesem Brief bezichtigt, Taliban getötet zu haben und für die Regierung gearbeitet zu haben. Der Brief mit diesem Inhalt würde eher die Person Ihres Bruders betreffen als Sie persönlich.

BF: Ich habe nicht bei einer staatlichen Behörde gearbeitet. Mit diesem Vorwand wollten mich die Taliban töten. Es ist eine falsche Unterstellung, wegen der ich bedroht wurde.

RI: Nennen Sie den Namen Ihres getöteten Bruders.

BF: Sein Name lautete: XXXX .

RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in die Stadt Kabul zurückkehren müssten?

BF: Ich kenne mich in der Stadt Kabul nicht aus, weil ich dort nicht gelebt habe. Ich habe dort keine Angehörigen, die mich unterstützen könnten. Ich bin der Meinung, dass ich überall in Afghanistan gefährdet bin. Ich möchte auf keinen Fall zurückkehren, weil ich Angst habe, getötet zu werden. Bevor ich nach Afghanistan zurückgeschickt werde, möchte ich lieber hier sterben."

Abschließend legte der Vertreter zu den in der Verhandlung ins Verfahren eingebrachten Länderfeststellungen eine schriftliche Stellungnahme vor.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 03.10.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 24.08.2017 sowie die Beschwerde vom 29.11.2017

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 26.03.2018

* Einsicht in die vom BF vorgelegten Schriftstücke

* Einsichtnahme in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG zusätzlich eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, aktualisiert am 30.01.2018)

o Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom April 2016 sowie Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Die Muttersprache des BF ist Paschtu.

Der BF ist ledig und stammt dem Dorf XXXX , Distrikt XXXX , in der Provinz Kunar. Seine Eltern, zwei minderjährige Geschwister, zwei Onkeln und eine Tante väterlicherseits sind noch immer im Heimatdorf aufhältig, eine Tante und ein weiterer Onkel leben in einem anderen Dorf des Heimatdistriktes. Der Vater ist Landwirt, besitzt ein Haus und Grundstücke. Die Mutter ist Hausfrau.

Der BF selbst hat keine Schule besucht und in Afghanistan als Landwirt gearbeitet.

Die finanzielle Situation der Familie wurde vom BF als mittelmäßig beschrieben, aktuelle finanzielle Probleme wurden vom BF nicht behauptet.

3.1.2. Laut Angaben des BF besteht zu den Eltern aktuell kein Kontakt, Hinweise, dass sich diese dort nicht mehr aufhalten würden, haben sich im Verfahren jedoch nicht ergeben.

3.1.3. Der BF ist jung und gesund, Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten haben sich keine ergeben. Er ist im erwerbsfähigen Alter und hat Berufserfahrung als Landwirt.

3.1.4. Der BF verließ nach seinen Angaben Afghanistan 2014 oder 2015 (zu den diesbezüglichen Widersprüchen siehe Punkt 4.2.) und stellte am 03.10.2015 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

3.1.5. Der BF hält sich seit Oktober 2015 in Österreich auf und spricht nur gebrochenes Deutsch. Er geht keiner regelmäßigen Beschäftigung nach, besucht einen Vorbereitsungslehrgang für den Hauptschulabschluss und geht ins Fitnesscenter. Der BF lebt in einer Unterkunft für Asylwerber und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

3.2.1. Der BF hat sein Vorbringen, dass er aufgrund einer Bedrohung durch Taliban und der Tötung seines Bruders fliehen hätte müssen, nicht glaubhaft gemacht.

3.2.2. Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

3.2.3. Grund für die Ausreise des BF aus seinem Herkunftsstaat waren die dortige unsichere persönliche und allgemeine Situation und die Suche nach besseren - auch wirtschaftlichen - Lebensbedingungen im Ausland.

3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

3.3.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen - etwa durch die Bedrohung durch Taliban - ausgesetzt wäre.

3.3.2. Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und männlich. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat der BF im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonst bekannt geworden.

3.3.3. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung außerhalb seiner Herkunftsprovinz, insbesondere in der Stadt Kabul, droht dem BF kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Der BF lebte bisher nicht in der Stadt Kabul, und es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF dort über familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte verfügt. Dem BF ist jedoch aus eigenem der Aufbau einer Existenzgrundlage in Kabul möglich. Der BF kann seine Existenz in Kabul - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei festzuhalten ist, dass der BF bereits jahrelang als Landwirt gearbeitet hat und in der Verhandlung vor dem BVwG angab, jegliche Arbeit annehmen zu können. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, dass ihm seine noch im Heimatdorf aufhältige Familie - zumindest zu Beginn als Starthilfe - finanzielle Unterstützung zukommen lässt, zumal sein Vater als Landwirt tätig ist. Auch kann der BF Rückkehrunterstützung in Anspruch nehmen und damit eine weitere finanzielle Hilfe erhalten. Als alleinstehender gesunder leistungsfähiger Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf liefe der BF auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF leidet an keinen Erkrankungen.

3.3.4. Der BF kann die Hauptstadt Kabul von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

3.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", Schreibfehler teilweise korrigiert):

[...]

2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannun

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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