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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BFA-VG 2014 §9;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15. März 2018, G314 2165641-1/17E, betreffend ersatzlose Behebung eines Bescheides (insbesondere) in Angelegenheiten Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (mitbeteiligte Partei: D D, zuletzt in P), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte ist albanischer Staatsangehöriger. Er wurde am 31. Juli 2016 in Italien wegen in Österreich begangener Straftaten verhaftet und in der Folge nach Österreich ausgeliefert. Hier erging dann ein rechtskräftiges Strafurteil, mit dem der Mitbeteiligte wegen im Mai 2013 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zusammen mit anderen Mitgliedern dieser Vereinigung begangenen (zum Teil versuchten) 34 Wohnungseinbrüchen wegen des Verbrechens des teils vollendeten und teils versuchten schweren und gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls nach den §§ 127 ff StGB zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Diese verbüßte der Mitbeteiligte - unter Anrechnung der Vorhaft - im Ausmaß von zwei Dritteln; am 30. November 2017 wurde er gemäß § 46 Abs. 1 StGB bedingt entlassen und reiste am 1. Dezember 2017 - vor dem Hintergrund der sogleich darzustellenden behördlichen Entscheidung - freiwillig nach Albanien aus.
2 Mittlerweile hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 3. Juli 2017 gegen den Mitbeteiligten "gemäß § 52 Abs. 5 FPG" iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 2 FPG ein dreijähriges Einreiseverbot erlassen. Unter einem hatte das BFA festgestellt, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Albanien zulässig sei und ausgesprochen, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt werde und dass die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung aberkannt werde. Schließlich sprach das BFA noch aus, dass ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde.
3 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) Folge und es behob den genannten Bescheid des BFA ersatzlos. Außerdem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.
4 Das BVwG stellte fest, dass der seit 2004 in Italien lebende Mitbeteiligte über eine unbefristete italienische Aufenthaltsgenehmigung verfüge; er sei verheiratet und habe einen am 20. Februar 2016 in Italien geborenen Sohn; bis zu seiner Verhaftung habe er gemeinsam mit Ehefrau und Sohn in einer Mietwohnung in Pistoia gewohnt, auch andere Angehörige lebten in Italien. Von April 2016 bis zu seiner Festnahme sei der Mitbeteiligte als Maurer beschäftigt gewesen, bei einer Rückkehr nach Italien könne er wieder für seinen früheren Arbeitgeber arbeiten. In Österreich habe der Mitbeteiligte keinerlei Anknüpfungspunkte. Abgesehen von der österreichischen Verurteilung sei der Mitbeteiligte strafrechtlich unbescholten.
5 In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG aus, dass der vom BFA spruchgemäß herangezogene Rückkehrentscheidungstatbestand (§ 52 Abs. 5 FPG) im vorliegenden Fall nicht einschlägig sei. Maßgeblich sei vielmehr § 52 Abs. 6 FPG, wonach ein nicht rechtmäßig in Österreich aufhältiger Drittstaatsangehöriger, der im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates (siehe dazu VwGH 22.5.2013, 2013/18/0021, VwSlg. 18629 A) sei, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben habe. Nur wenn er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkomme oder seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich sei, habe eine Rückkehrentscheidung zu ergehen.
6 Die erste Konstellation des § 52 Abs. 6 FPG setze voraus, dass ein Fremder aufgefordert werde, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedstaates zu begeben. Eine derartige Aufforderung sei gegenüber dem Mitbeteiligten nicht ergangen. Eine Rückkehrentscheidung könne aber auch nicht darauf gestützt werden, dass seine sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich sei. Zwar bestehe - so das BVwG zusammenfassend - ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Eigentumskriminalität (zu ergänzen: insbesondere in der vom Mitbeteiligten verwirklichten Ausprägung), doch greife eine Rückkehrentscheidung bei gewichtender Abwägung aller Umstände unverhältnismäßig in das Privat- und Familienleben des seit langem rechtmäßig in Italien aufhältigen Mitbeteiligten ein. Sein Interesse an einem Verbleib in Italien überwiege das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn gemäß § 52 Abs. 1 und 6 FPG iVm § 9 BFA-VG nicht zulässig sei. Damit komme auch ein Einreiseverbot nicht in Betracht, weshalb der Bescheid des BFA insgesamt habe ersatzlos behoben werden müssen.
7 Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG begründete das BVwG schließlich damit, dass keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu vorliege, welche Kriterien "insbesondere im Hinblick auf eine Aufenthaltsverfestigung oder eine besonders lange Aufenthaltsdauer iSd § 9 Abs. 4 bis 6 BFA-VG" bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 6 iVm Abs. 1 FPG gegen einen in einem anderen Mitgliedstaat langjährig rechtmäßig niedergelassenen Drittstaatsangehörigen maßgeblich seien.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des BFA, in der - damit die Zulässigkeitsausführungen des BVwG der Sache nach übernehmend - geltend gemacht wird, der Verwaltungsgerichtshof habe sich noch nicht damit auseinandergesetzt, inwieweit die Kriterien des § 9 BFA-VG auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbar seien.
9 Diese Revision erweist sich entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG indes als nicht zulässig.
10 Zu der für klärungsbedürftig erachteten Rechtsfrage hat sich der Verwaltungsgerichtshof nämlich bereits mehrfach geäußert, und zwar dahingehend, dass die bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu beurteilende Frage nach dem Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen - im Sinn der Überlegungen des BVwG - nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden darf, sondern dass auch die Situation in den anderen Mitgliedstaaten in den Blick zu nehmen ist (so grundlegend VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237, VwSlg. 18295 A, Punkt 3. der Entscheidungsgründe). Das hat der Verwaltungsgerichtshof erst jüngst bestätigt, indem er - wenn auch fallbezogen nur in Bezug auf ein Einreiseverbot - darauf hingewiesen hat, "dass die privaten Bindungen des Revisionswerbers zur Slowakei ... im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG ... zu berücksichtigen gewesen wären" (VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0023, Rn. 15). Was aber die vom BVwG spezifisch angesprochenen Verfestigungstatbestände nach § 9 Abs. 4 bis 6 BFA-VG anlangt, so wären einerseits die Tatbestände des Abs. 4 auch übertragen auf die Situation des Mitbeteiligten in Italien von vornherein nicht erfüllt und hindern andererseits die Konstellationen der Absätze 5 und 6 der genannten Bestimmung die Erlassung einer Rückkehrentscheidung für sich betrachtet, selbst wenn man hinsichtlich ihrer Voraussetzungen hypothetisch auf Italien abstellte, im vorliegenden Fall nicht. Demgemäß hat sich das BVwG auch nicht darauf berufen, die Absätze 4, 5 oder 6 des § 9 BFA-VG stünden der Erlassung einer Rückkehrentscheidung entgegen. Insoweit ist die aufgeworfene Problematik daher nicht entscheidungsrelevant.
11 Der gegenständlichen Entscheidung des BVwG liegt aber eine einzelfallbezogene Beurteilung zugrunde, in derem Rahmen zutreffend die Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG - mit der gebotenen Bedachtnahme auf die Verhältnisse des Mitbeteiligten in Italien - Berücksichtigung gefunden haben. Insbesondere hat das BVwG im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 6 BFA-VG auch die Straftaten des Mitbeteiligten und die daraus ableitbare, von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit maßgeblich berücksichtigt. Wenn das BFA in der Revision im Übrigen in Bezug auf die zu beurteilende Gefährlichkeit des Mitbeteiligten bemängelt, das BVwG habe nicht alle Aspekte seines strafgerichtlichen Fehlverhaltens miteinbezogen und es wäre aus der, aus seiner Straffälligkeit resultierenden, "Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit unmittelbar eine Rückkehrentscheidung zu erlassen" gewesen, so verkennt es aber, dass es im Kontext des § 52 Abs. 6 FPG nicht schlichtweg auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ankommt, sondern darauf, ob angesichts einer solchen Gefährdung die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen aus dem Bundesgebiet erforderlich ist. Indem das BFA dieses zusätzliche Kriterium außer Acht lässt, beruhen seine Überlegungen zur vom BVwG anzustellenden Gefährlichkeitsprognose von vornherein auf einer falschen Prämisse. Davon ausgehend vermag es nicht aufzuzeigen, weshalb die Entscheidung des BVwG im Ergebnis (zumal die Straftaten des Mitbeteiligten nahezu fünf Jahre zurückliegen und er auch vor seiner Verhaftung mehr als drei Jahre nicht deliktisch in Erscheinung getreten ist) nicht zumindest vertretbar wäre. Damit ist insgesamt nicht zu erkennen, dass sich fallbezogen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG stellen würden, weshalb die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen ist.
Wien, am 3. Juli 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018210007.J00Im RIS seit
07.08.2018Zuletzt aktualisiert am
20.08.2018