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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BFA-VG 2014 §21 Abs7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über den Antrag des T G, vertreten durch Mag. Martin Corazza, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 9, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. Dezember 2017, Zl. G306 2171182-1/2E, betreffend Aufenthaltsverbot, sowie über die gegen das genannte Erkenntnis gerichtete Revision (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
1. Dem Revisionswerber wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Revision bewilligt.
2. Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist italienischer Staatsangehöriger und war bis Dezember 2015 selbständig in Österreich erwerbstätig. Er unterhält eine Beziehung zu einer im Bundesgebiet aufhältigen ungarischen Staatsbürgerin.
2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 25. April 2016 wurde über ihn wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels sowie des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 1 WaffG eine (unbedingte) dreijährige Freiheitsstrafe verhängt. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass der Revisionswerber zwischen Oktober 2015 und seiner Festnahme am 18. Dezember 2015 insgesamt 1.019 g Kokain von den Niederlanden über Deutschland nach Österreich eingeführt und Ende Oktober bzw. Anfang November 2015 rund 380 g Kokain anderen Personen überlassen hatte. Zudem hatte er am 18. Dezember 2015, wenn auch nur fahrlässig, unbefugt eine Selbstladepistole besessen. Der Strafvollzug hatte - unter Anrechnung der Vorhaft - am 18. Dezember 2015 begonnen.
3 Im Hinblick auf diese Straftaten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom 11. August 2017 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt. Einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Das BFA sah es in seiner Begründung - entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers - nicht als erwiesen an, dass sich dieser bereits seit dem Jahr 2002 in Österreich aufgehalten habe. Es billigte ihm aber einen Freundeskreis, weitere soziale Kontakte sowie eine Beziehung mit seiner ungarischen Lebensgefährtin zu, verneinte auf Grund deren geringen Intensität jedoch das Vorliegen eines schützenswerten Familienlebens.
4 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG), in der er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte. Er machte im Beschwerdeverfahren neuerlich insbesondere einen 15- jährigen Aufenthalt in Österreich (seit dem Jahr 2002), eine intensive auch während des Strafvollzuges (im Rahmen von Besuchen und als Freigänger) fortgesetzte Beziehung zu seiner Lebensgefährtin, bei der er nach der Haftentlassung wohnen könne, sowie weitere wirtschaftliche und soziale Kontakte im Bundesgebiet geltend. Dazu beantragte er die Einvernahme von Zeugen sowie seine Befragung als Partei.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG - unter Abstandnahme von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung und ohne die beantragten Beweise aufzunehmen - die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das BVwG aus, dass der Revisionswerber zwischen 11. Jänner 2005 und 1. April 2014 eine Nebenwohnsitzmeldung sowie seit seiner Anhaltung in Justizanstalten ab 19. Dezember 2015 eine Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet aufgewiesen habe. Es habe daher nicht festgestellt werden können, wie lange er sich durchgehend im Bundesgebiet aufhalte. Er verfüge zwar über soziale, jedoch über keine familiären Anknüpfungspunkte. Es habe nämlich nicht festgestellt werden können, dass er eine Lebensgemeinschaft mit der erwähnten ungarischen Staatsbürgerin in Österreich geführt habe. Weiters folge schon aus der Natur des Strafvollzuges die "Unmöglichkeit, solche zu intensivieren oder nachdrücklich aufrecht zu erhalten."
Auch sonst hätten keine Anhaltspunkte für eine tiefgreifende Integration des Revisionswerbers in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht erwiesen werden können. Aktuell werde er im Rahmen der Strafhaft als Freigänger beschäftigt, das "rechnerische Strafende" datiere auf 18. Dezember 2018.
Zur gemäß § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG angestellten Gefährdungsprognose verwies das BVwG auf die erwähnten massiven Straftaten des Revisionswerbers sowie darauf, dass es diesem nicht gelungen sei, glaubwürdige Reue zu vermitteln. Im Rahmen der Abwägung nach § 9 BFA-VG hob das BVwG das große öffentliche Interesse an der Verhinderung insbesondere von Suchtmitteldelikten hervor, das die privaten Interessen des Revisionswerbers überwiege. Auch die Dauer des Aufenthaltsverbotes sei angemessen, um der vom Revisionswerber ausgehenden Gefährlichkeit zu begegnen. Das Absehen von der beantragten mündlichen Verhandlung begründete das BVwG damit, dass der Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine.
7 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 26. Februar 2018, E 332/2018, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
8 Nach Zustellung dieses Beschlusses mit Wirksamkeit vom 1. März 2018 erhob der Revisionswerber mit dem beim BVwG im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) am 12. April 2018 um 18:46:00 Uhr eingebrachten Schriftsatz außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
Da die Einbringung somit am letzten Tag der Revisionsfrist nach Ablauf der Amtsstunden des BVwG erfolgte, erweist sich die Revision - zunächst - als verspätet. Zur Begründung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf den hg. Beschluss VwGH 17.11.2015, Ra 2014/01/0198, insbesondere dessen Pkt. 2, sowie die daran anknüpfende Judikatur wie etwa VwGH 3.4.2017, Ra 2016/18/0371, Rn. 10 bis 11, und VwGH 31.8.2017, Ra 2017/21/0142, mwN, verwiesen.
9 Nach entsprechendem Vorhalt durch den Verwaltungsgerichtshof beantragte der Revisionswerber am 26. April 2018 (fristgerecht) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist.
Dieser Antrag erweist sich als berechtigt:
10 Nach den - mit dem dazu erstatteten Vorbringen im Einklang stehenden - Ausführungen des einschreitenden Rechtsanwaltes und von zwei seiner Mitarbeiter/innen ist Folgendes bescheinigt: Der Rechtsvertreter hatte die Einbringung der gegenständlichen Revision vor dem Ablauf der (am 12. April 2018 um 15.00 Uhr endenden) Amtsstunden des BVwG, was zum Vermerk "spätestens um
14.30 Uhr" durch seine Kanzlei führte, gegenüber seiner seit 2009 bei ihm beschäftigten und bisher verlässlichen Kanzleileiterin, der davor noch nie eine Fristversäumung unterlaufen war, ausdrücklich beauftragt. Bei einer (wie regelmäßig gehandhabten) Kontrolle vor einem Auswärtstermin am Nachmittag desselben Tages hatte er sie an das bevorstehende Fristende erinnert. Die Kanzleileiterin hatte auf die konkrete Abfertigung dennoch, nachdem sie ab 14.00 Uhr ständig mit Telefonaten befasst war, in der Hektik vergessen. Sie hatte diese Einbringung erst zum erwähnten Zeitpunkt (18.46 Uhr) desselben Tages, an welchem dem einschreitenden Rechtsanwalt die Fristversäumung im Zuge einer neuerlichen Nachsicht aufgefallen war, nachgeholt.
11 Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei gemäß § 46 Abs. 1 VwGG auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Gemäß § 46 Abs. 3 VwGG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Revision beim Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision beim Verwaltungsgerichtshof binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen.
12 Nach ständiger hg. Rechtsprechung stellt ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund iSd § 46 VwGG für die Partei dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und wenn es sich hierbei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Das Versehen von Kanzleikräften begründet für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinn der obigen Ausführungen, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. etwa VwGH 22.3.2018, Ra 2018/01/0107, Rn. 7, mwN).
13 Auf Grund des bescheinigten erstmaligen Versehens einer langjährig erfahrenen und bisher verlässlichen Kanzleileiterin trotz der unmittelbar vorangegangenen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen kann dem Rechtsvertreter ein relevantes Verschulden nicht angelastet werden. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher stattzugeben.
14 Die vorliegende Revision ist somit - nachträglich - als rechtzeitig zu werten (§ 46 Abs. 5 VwGG). Sie erweist sich allerdings als unzulässig.
Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
15 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
16 Der Revisionswerber macht insoweit geltend, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es - ungeachtet seines Antrages sowie der (in Rn. 4 und 6 dargestellten) strittigen Tatsachenfragen - keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe.
17 Der Revision ist einzuräumen, dass das BVwG den Angaben des Revisionswerbers nur zum Teil folgte.
Es lagen nämlich hinsichtlich der Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG (mehr als zehn Jahre andauernder rechtmäßiger Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet, vgl. dazu im vorliegenden Zusammenhang etwa VwGH 24.3.2015, Ro 2014/21/0079) oder zumindest des vorgelagerten Erwerbs des unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts, das zur Anwendung des erhöhten Gefährdungsmaßstabs des § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG führt (vgl. VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181, Pkt. 2. und 3. der Entscheidungsgründe, und VwGH 15.3.2018, Ra 2017/21/0147, Rn. 14), des Vorliegens bzw. der Intensität des vom Revisionswerber in Österreich geführten Familienlebens mit der erwähnten ungarischen Staatsangehörigen sowie ins Treffen geführter weiterer sozialer und beruflicher Kontakte im Bundesgebiet mehrere Behauptungen des Revisionswerbers vor, die das BVwG nicht festzustellen vermochte.
18 Auch hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf hingewiesen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG kann bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, bei denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. neuerlich etwa VwGH 15.3.2018, Ra 2017/21/0147, Rn. 13, mwN).
19 Von einem solchen eindeutigen Fall ist hier allerdings im Hinblick auf das in Rn. 2 dargestellte massive Verbrechen des Suchtgifthandels, das zur rezenten Verhängung einer dreijährigen (im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses unbestritten noch in Vollzug befindlichen) Freiheitsstrafe geführt hatte, selbst bei Bejahung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG auszugehen, weil auch der dort normierte verschärfte Gefährdungsmaßstab als erfüllt anzusehen ist. Im Hinblick darauf ist, unbeschadet weiterer sozialer und beruflicher Kontakte des Revisionswerbers im Bundesgebiet, auch die Trennung von der ungarischen Freundin oder Lebensgefährtin in Kauf zu nehmen.
Der Revisionswerber lässt nämlich außer Acht, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug der Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat, und dass bei derart schweren Verbrechen nach dem SMG weder ein langjähriger Aufenthalt in Österreich noch eine sonst vollkommene soziale Integration im Inland einem Aufenthaltsverbot entgegenstehen (vgl. zu ähnlichen Konstellationen etwa VwGH 22.5.2014, Ra 2014/21/0014; VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0079; VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0233, Rn. 6 bis 10, und VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0219, Rn. 7 bis 8, jeweils mwN).
20 Insgesamt werden somit in der Zulässigkeitsbegründung der Revision keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG dargetan, sodass sie sich als unzulässig erweist. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 3. Juli 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210066.L00Im RIS seit
07.08.2018Zuletzt aktualisiert am
21.08.2018