Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. J***** P*****, 2. Mag. Dr. M***** P*****, beide vertreten durch Gabler Gibel & Ortner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. W***** S*****, vertreten durch Dr. Erich Kafka und Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, 2. DI Dr. J***** S*****, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 13. Dezember 2017, GZ 38 R 151/17p-24, womit über Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. März 2017, GZ 61 C 61/16x-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die klagenden Parteien sind Vermieter und die beklagten Parteien Mieter der Wohnung Top Nr ***** im Haus *****. Der Zweitbeklagte benützt diese Wohnung nicht mehr.
Zwischen der Rechtsvorgängerin der Kläger und den Beklagten war bereits im Jahr 1992 erstmals ein Aufkündigungsverfahren aufgrund der Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 4 und 6 MRG anhängig, welches mit einem gerichtlichen Vergleich beendet wurde, in dem sich die Beklagten zur Zahlung eines höheren Hauptmietzinses verpflichteten.
Im Jahr 2002 kam es zu einem weiteren Aufkündigungsverfahren, wiederum gestützt auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 4 und Z 6 MRG. In der in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung des Gerichts wurde die Kündigung als rechtsunwirksam aufgehoben und festgestellt, dass der Erstbeklagte Eigentümer eines Hauses in H***** sei, in welchem sich auch das Verkaufsgeschäft und die Büroräumlichkeiten seines Textilhandelsunternehmens befänden. Abhängig von der Geschäftslage sei der Erstbeklagte an zwei bis vier Tagen in der Woche in H*****; er habe häufig geschäftliche Termine in W***** wahrzunehmen. Weiters betreue der Erstbeklagte auch in W***** wohnhafte Kunden. Durchschnittlich übernachte der Erstbeklagte fast wöchentlich zweimal aus beruflichen Gründen in der aufgekündigten Wohnung.
Im nunmehrigen Verfahren machen die Kläger neuerlich die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 4 und Z 6 MRG geltend und bringen dazu vor, dass die aufgekündigte Wohnung von den Beklagten nicht mehr zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses benützt werde. Die Beklagten würden diese Wohnung – wenn überhaupt – lediglich gelegentlich für Urlaube und Ausflüge nach W***** verwenden.
Die Beklagten bestritten. Der Erstbeklagte brachte vor, die aufgekündigte Wohnung werde weiterhin regelmäßig von ihm und seiner Frau benützt. Im Zuge eines Kündigungsverfahrens im Jahr 1992 sei eine Erhöhung des Mietzinses um mehr als das Doppelte vereinbart worden. Damit sei „defacto ein Verzicht auf den Kündigungsgrund der nicht ständigen Benützung“ erfolgt. Die Benützungssituation sei seit vielen Jahrzehnten unverändert; die Kläger seien aufgrund von Vorverfahren in Kenntnis dieser Benützungssituation.
Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Dabei ging es im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Die Großhändler, die der Erstbeklagte etwa einmal in der Woche aufsuchen muss, befinden sich in W*****. Der Erstbeklagte hat auch viel im Textilviertel in W***** zu tun. Er ist auch öfters am Wochenende in W*****, wenn Messen stattfinden. Hin und wieder ist der Erstbeklagte auch bei Kunden. Seit dem Jahr 2014 hat sich der Gesundheitszustand des Vaters des Erstbeklagten sehr verschlechtert, sodass der Erstbeklagte nach seinen Terminen trotzdem noch am Abend oder in der Nacht nach Hause fuhr, um bei seinem Vater sein zu können. Seit Mai 2016 besteht für den Vater eine 24-Stunden-Pflege. Seit die 24-Stunden-Pflege für den Vater des Erstbeklagten besteht, übernachtet dieser wieder regelmäßig in W*****.
Der Beklagte und seine Frau nutzen die aufgekündigte Wohnung auch für private Übernachtungen. Die Wohnung wird auch von der Frau des Erstbeklagten benützt, wenn sie Ausbildungen, berufliche Termine oder Supervisionstermine in W***** hat. Fallweise wird die Wohnung auch von Verwandten und Bekannten der Frau des Erstklägers benützt.
Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass die geltend gemachten Kündigungsgründe nicht verwirklicht seien. Die Nutzung der Wohnung gehe über die eines bloßen Absteigquartiers hinaus, da der Erstbeklagte regelmäßig, nämlich einmal in der Woche, geschäftlich in W***** zu tun habe. Er habe auch keine andere Wohnmöglichkeit in W*****.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn ab. Die Wohnung werde weder regelmäßig zu Wohnzwecken verwendet, noch sei ein dringendes Wohnbedürfnis gegeben. Regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken im Sinne des § 30 Abs 2 Z 6 MRG erfordere, dass die aufgekündigte Wohnung von Gekündigten wenigstens während eines beachtlichen Zeitraums im Jahr als wirtschaftlicher und familiärer Mittelpunkt genützt werde. Bei bloßer Benützung der Wohnung als Absteigequartier, aus Bequemlichkeit oder als Freizeitwohnung liege der Kündigungsgrund vor. Im vorliegenden Fall sei die Wohnung nicht einmal in mancher Beziehung Mittelpunkt des familiären Lebens der Mitmieter. Der Zweitbeklagte benütze die gekündigte Wohnung gar nicht, beim Erstbeklagten liege der familiäre Mittelpunkt allein in dem in Niederösterreich gelegenen Haus. Die Wohnung werde regelmäßig nur als gelegentliches Absteigquartier verwendet; damit gehe das Interesse an ihr nicht über bloße Bequemlichkeit hinaus.
Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Frage, ob ein Bestandobjekt regelmäßig zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses benützt wurde, nur den Einzelfall betreffe.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass sich gemäß § 14 ZPO die Wirkung der Revisionserhebung durch den Erstbeklagten auch auf den Zweitbeklagten erstreckt (RIS-Justiz RS0013160)
1.1. Zutreffend ging das Berufungsgericht davon aus, dass die regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken im Sinne des § 30 Abs 2 Z 6 MRG erfordert, dass die aufgekündigte Wohnung vom Gekündigten wenigstens während eines beachtlichen Zeitraums im Jahr als wirtschaftlicher und familiärer Mittelpunkt genützt wird (Würth/Zingher/Kovanyi I23 § 30 MRG Rz 41; RIS-Justiz RS0079240).
1.2. Dabei reicht aus, dass die Wohnung zumindest in mancher Beziehung Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit und des Familienlebens des Mieters ist (RIS-Justiz RS0079240 [T1]). Bei bloßer Benützung der Wohnung als Absteigequartier, aus Bequemlichkeit oder als Freizeitwohnung ist der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG hingegen verwirklicht.
1.3. Wenn das Berufungsgericht beim festgestellten Sachverhalt davon ausging, dass die Wohnung zwar regelmäßig, aber nur als gelegentliches Absteigequartier verwendet werde, sodass kein dringendes Wohninteresse des Mieters bestehe, ist dies nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0103931).
2.1. Der Erstbeklagte hat sich jedoch auch auf einen Verzicht auf den Kündigungsgrund und den 1992 abgeschlossenen Prozessvergleich berufen. Mit diesem Einwand hat sich das Erstgericht ausgehend von seiner Rechtsansicht nicht näher befasst und dazu auch keine Feststellungen getroffen.
2.2. Der 1992 abgeschlossene Prozessvergleich hat zweifellos den damals anhängigen Räumungsprozess beendet. Ein Prozessvergleich kann jedoch nach völlig unbestrittener Ansicht auch über die im Verfahren anhängigen Ansprüche hinausgehen (Klicka in Fasching/Konecny3 § 204 bis 206 ZPO Rz 10 mwN). Dies ist im vorliegenden Fall anzunehmen. Zwar ist hinsichtlich der Annahme eines konkludenten Verzichts auf Kündigungsgründe (vgl Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 863 Rz 41) – wie bei Annahme eines konkludenten Verzichts überhaupt (Rummel aaO § 863 Rz 26 mwN) – Vorsicht geboten. Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass nach der damaligen Parteienabsicht die Rechtsvorgängerin der Kläger unmittelbar nach Beendigung des ersten Räumungsverfahrens durch Prozessvergleich eine weitere Aufkündigung gestützt auf dieselben Kündigungsgründe hätte einbringen können. Dies muss umso mehr gelten, als damals auch eine deutliche Erhöhung des Mietzinses vereinbart wurde, die denknotwendig für die Zukunft wirkt.
2.3. Wenngleich daher zwischen dem 1992 erhobenen und dem nunmehr erhobenen Räumungsbegehren keine Identität besteht (vgl Klicka in Fasching/Konecny3 III/2 § 411 ZPO Rz 47 mwN), kann in dem seinerzeit abgeschlossenen Vergleich auch ein Verzicht auf die künftige Geltendmachung des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 6 MRG zu erblicken sein. In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 131/17m im Rahmen der Zurückweisung einer außerordentlichen Revision die Rechtsansicht der Vorinstanzen gebilligt, die im Abschluss eines Vergleichs, in welchem sich die Mieterin zur Zahlung eines höheren Mietzinses verpflichtete, einen Verzicht auf die Geltendmachung bestimmter Kündigungsgründe erblickt hatten.
2.4. Für die Beurteilung, ob dies auch im vorliegenden Fall zutrifft, sind aber noch nähere Feststellungen erforderlich. Dabei wird insbesondere zu klären sein, ob zwischen den Beklagten und der Rechtsvorgängerin der Kläger über einen derartigen Verzicht auf die Geltendmachung von Kündigungsgründen gesprochen wurde oder welchen Hintergrund sonst die damals vereinbarte Erhöhung des Mietzinses verfolgte. Auf Tatsachenebene kann Art und Ausmaß der vereinbarten Mietzinserhöhung ein Hinweis darauf sein, in welchem Umfang die damalige Vermieterin auf gesetzliche Kündigungsgründe verzichten wollte, ob also auf bestimmte Kündigungsgründe generell verzichtet oder eine Minderbenützung nur in bestimmtem Ausmaß akzeptiert werden sollte. Dabei wird auch zu beachten sein, dass im Folgeprozess im Jahr 2002 offenbar nicht eingewendet wurde, dass auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG im Vergleich verzichtet worden war. Dies könnte – wenngleich nicht zwingend – ein Hinweis auf das von den Parteien damals dem seinerzeitigen Vergleich beigelegte Verständnis sein.
3. Damit erweist sich die Rechtssache aber noch nicht als endgültig spruchreif. Weil jedenfalls nähere Feststellungen zu den allenfalls zwischen den beklagten Parteien und der Rechtsvorgängerin der Kläger getroffenen Absprachen zu treffen sein werden, war mit Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts und Zurückverweisung an das Erstgericht vorzugehen, ohne dass es einer – bisher unterbliebenen – Erledigung der Beweisrüge der klagenden Parteien durch das Berufungsgericht bedurfte.
4. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Textnummer
E122163European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00058.18Z.0524.000Im RIS seit
08.08.2018Zuletzt aktualisiert am
08.08.2018