Index
41/02 Melderecht;Norm
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde der A P, geboren am 1. Oktober 1970, vertreten durch Dr. Gerhard Seidel, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Zollergasse 8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Mai 1999, Zl. SD 133/99, betreffend Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 11. Mai 1999 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, einer slowakischen Staatsangehörigen, vom 15. Juli 1998 auf Aufhebung des von dieser Behörde am 22. Dezember 1995 gegen sie erlassenen befristeten Aufenthaltsverbotes "gemäß § 44 iVm § 114 Abs. 3" des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin sei im Jahr 1979 zusammen mit ihrer Familie nach Österreich eingereist. In weiterer Folge sei ihr Asyl zuerkannt und mit Bescheid vom 1. April 1994 wieder aberkannt worden. Am 20. Jänner 1995 habe sie einen österreichischen Staatsbürger geheiratet.
Am 21. April 1993 sei die Beschwerdeführerin wegen des Vergehens gemäß § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat rechtskräftig verurteilt worden. Am 23. September 1993 sei sie wegen des Verbrechens gemäß § 12 Abs. 1 und Abs. 3 Z. 3 und § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Aufgrund der zu Grunde liegenden Straftaten sei es zur rechtskräftigen Verhängung des Aufenthaltsverbotes (gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992 (im Folgenden: FrG 1992)) gekommen.
Dieses Aufenthaltsverbot finde auch in den Bestimmungen des FrG Deckung. Da die Beschwerdeführerin erst mit neun Jahren nach Österreich gekommen sei, stehe § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen. Das Aufenthaltsverbots-Verbot gemäß § 48 Abs. 1 zweiter Satz FrG komme deshalb nicht zum Tragen, weil die Beschwerdeführerin noch nicht fünf Jahre mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet sei.
Die Beschwerdeführerin sei aufgefordert worden, zum Beweis ihres zehnjährigen ununterbrochenen ordnungsgemäßen und dauernden Wohnsitzes im Bundesgebiet vor Erlassung des Aufenthaltsverbotes ihre Wohnsitze bzw. Meldedaten bekannt zu geben. Sie habe daraufhin als ihren ersten Wohnsitz "1981: Dresdner Straße" angegeben. Es habe eruiert werden können, dass sie auch an einer weiteren Adresse in Wien von 16. März 1987 bis 15. Dezember 1988 polizeilich gemeldet gewesen und dann an eine andere Wiener Adresse verzogen sei. Dort sei sie jedoch erst am 21. März 1989 zur Anmeldung gelangt. Am 8. Mai 1989 habe sie sich neuerlich abgemeldet, jedoch erst am 22. Mai 1989 an der neuen Anschrift angemeldet. Daraus ergebe sich eindeutig, dass die Beschwerdeführerin keinen durchgehenden Wohnsitz seit zehn Jahren vor Verhängung des Aufenthaltsverbotes gehabt habe. Die Erteilung der Staatsbürgerschaft wäre daher alleine aus diesem Grund nicht möglich gewesen. Die Bestimmung des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG wäre somit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegengestanden.
Eine Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 114 Abs. 3 FrG komme aus diesen Gründen nicht in Betracht. Mangels Verschiebung der Interessenlage seit Verhängung des Aufenthaltsverbotes zu Gunsten der privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin komme auch eine Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 44 FrG nicht in Betracht.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 114 Abs. 3 FrG gelten Aufenthaltsverbote, deren Gültigkeitsdauer bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (am 1. Jänner 1998) noch nicht abgelaufen sind, als nach diesem Bundesgesetz erlassene Aufenthaltsverbote mit derselben Gültigkeitsdauer. Solche Aufenthaltsverbote sind auf Antrag oder - wenn sich aus anderen Gründen ein Anlass für die Behörde ergibt, sich mit der Angelegenheit zu befassen - von Amts wegen aufzuheben, wenn sie nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht erlassen hätten werden können.
Danach kommt es also darauf an, ob der von der Behörde zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogene Sachverhalt auch bei fiktiver Geltung des FrG im Zeitpunkt der Verhängung des Aufenthaltsverbotes diese Maßnahme gerechtfertigt hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Juli 1999, Zl. 99/18/0097).
Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Dieser Aufenthaltsverbots-Verbotsgrund wurde insoweit geändert, als es, anders als nach § 20 Abs. 2 FrG 1992, für seine Anwendung auf die tatsächlich verhängte Strafe und nicht auf die Strafdrohung ankommt. Vorliegend wurde die Beschwerdeführerin zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren (und nicht mehr) verurteilt. Das Aufenthaltsverbot hätte daher nach den Bestimmungen des FrG nicht erlassen werden dürfen, wenn der Beschwerdeführerin vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG hätte verliehen werden können. Dazu ist zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin vor Verwirklichung des ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogenen Umstände, das ist die der Verurteilung vom 21. April 1993 zu Grunde liegende Straftat, die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erfüllte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0170).
Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG kann einem Fremden die Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat.
1.2. Die belangte Behörde stellte fest, dass sich die Beschwerdeführerin seit 1979 im Bundesgebiet aufhalte und ihr "in weiterer Folge" (aktenkundig mit Bescheid vom 5. Oktober 1979) Asyl gewährt und mit Bescheid vom 1. April 1994 aberkannt worden sei. Die Beschwerdeführerin befand sich danach im fraglichen Zeitraum berechtigt im Bundesgebiet. Die belangte Behörde vertrat jedoch die Ansicht, aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführerin der Nachweis einer ununterbrochenen polizeilichen Meldung nicht gelungen sei, ergebe sich "eindeutig, dass die Berufungswerberin keinen durchgehenden Wohnsitz seit zehn Jahren vor Verhängung des Aufenthaltsverbotes gehabt hatte. Die Erlassung der Staatsbürgerschaft wäre daher alleine aus diesem Grund nicht möglich gewesen."
Aus dieser Formulierung ist ersichtlich, dass nach Ansicht der belangten Behörde das Bestehen eines Wohnsitzes zur Voraussetzung habe, dass die betreffende Person auch gemeldet sei und daher schon dann kein ununterbrochener Hauptwohnsitz im Sinn von § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG vorliege, wenn der Fremde nicht während des gesamten Zeitraumes von zehn Jahren durchgehend gemeldet gewesen sei. Dies erhellt im Übrigen auch aus dem Vorbringen in der Gegenschrift, wonach sich die Beschwerdeführerin schon deshalb nicht auf einen ununterbrochenen zehnjährigen Hauptwohnsitz berufen könne, weil sie in der Zeit vom 16. Dezember 1988 bis 20. März 1999 nicht polizeilich gemeldet gewesen sei.
Gemäß § 1 Abs. 7 Meldegesetz 1991, BGBl. Nr. 9/1992 idF des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994, (MeldeG), ist der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat.
Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung ist für das Bestehen eines Hauptwohnsitzes an einer bestimmten Unterkunft der tatsächliche Aufenthalt und die Absicht, die Unterkunft zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu machen, erforderlich. Diese Voraussetzungen können aber auch bei Verletzung der Meldepflicht gemäß § 3 MeldeG - die gemäß § 22 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. zur Bestrafung führen kann und allenfalls sogar eine Gefährdung von öffentlichen Interessen im Sinn von § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG darstellen könnte - gegeben sein. (Vgl. die zu der in § 5 Abs. 1 StbG idF vor dem Hauptwohnsitzgesetz enthaltenen - mit § 1 Abs. 7 MeldeG insoweit vergleichbaren - Definition des "ordentlichen Wohnsitzes" vertretene Ansicht von Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II (1990) Seite 114 mwN.)
Die polizeiliche Meldung ist zwar ein wichtiges Indiz für das Bestehen eines inländischen Hauptwohnsitzes, nicht aber notwendige Voraussetzung. Die belangte Behörde hat also insoweit die Rechtslage verkannt, als sie die Ansicht vertrat, die Beschwerdeführerin erfülle schon mangels nachgewiesener durchgehender polizeilicher Meldung nicht die Voraussetzung des zehnjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitzes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG.
2. Die Beschwerdeführerin hat im Verwaltungsverfahren über Aufforderung durch die Behörde erster Instanz, den zehnjährigen ununterbrochenen und ordnungsgemäßen Wohnsitz im Bundesgebiet nachzuweisen, mit Schriftsatz vom 30. Dezember 1998 vorgebracht, sich seit 1979 ausschließlich in Österreich aufgehalten zu haben. Nach vorübergehender Unterbringung in Ramsau habe sie sich nach Wien begeben und dort in der Oberen Donaustraße gewohnt. Die weiteren Wohnorte lauteten wie folgt:
1981: Dresdner Straße
1982: ... (es folgen weitere Adressangaben für die Jahre bis 1998).
Entgegen der Meinung der belangten Behörde hat die Beschwerdeführerin somit nicht als "ersten Wohnsitz" jenen im Jahr 1981 in der Dresdner Straße bekannt gegeben.
Aufgrund der oben dargestellten Verkennung der Rechtslage hat sich die belangte Behörde mit diesem Vorbringen nicht ausreichend auseinander gesetzt, sondern schon aufgrund der fehlenden Meldedaten das Bestehen eines mindestens zehnjährigen ununterbrochenen inländischen Hauptwohnsitzes verneint.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde daher den Zeitpunkt der Begehung der der Verurteilung vom 21. April 1993 zu Grunde liegenden Tat und die Frage zu klären haben, ob sich die Beschwerdeführerin im Zeitraum von zehn Jahren vor dieser Tat an einer inländischen Unterkunft in der Absicht niedergelassen hat, diese Unterkunft zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu machen.
3. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4. Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 18. Jänner 2000
.matPolizeirecht (FrG 1997)
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999180249.X00Im RIS seit
20.11.2000