TE OGH 2018/7/17 10Ob48/18h

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Veröffentlicht am 17.07.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann, Mag. Ziegelbauer und Dr. Faber in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Wilhelm Schlein, Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei 1. E***** und 2. G*****, beide vertreten durch Gabler Ortner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 250.000 EUR) und Herausgabe oder Löschung (Streitwert 50.000 EUR), hier: wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 18. April 2018, GZ 11 R 35/18z, 11 R 36/18x-42, womit infolge von Rekursen der beklagten Parteien die Beschlüsse des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien jeweils vom 16. Februar 2018, GZ 2 Cg 51/17k-30 und -31, abgeändert (ON 30) bzw ersatzlos behoben (ON 31) wurden, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

1. Der Beschluss des Rekursgerichts wird in seinem Spruchpunkt I. dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts (ON 30) über die Abweisung des Widerspruchs gegen die einstweilige Verfügung vom 28. 9. 2017 samt der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

2. Der Beschluss des Rekursgerichts wird hinsichtlich seines Spruchpunkts II. aufgehoben; dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 16. 2. 2018 (ON 31) aufgetragen.

Die gefährdete Partei hat im Widerspruchsverfahren die Kosten der Rekursbeantwortung und des Revisionsrekurses einstweilen selbst zu tragen. Die Gegnerinnen der gefährdeten Partei haben die Kosten ihrer Rekurse und der Revisionsrekursbeantwortung endgültig selbst zu tragen.

Die Kosten des Aufhebungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die klagende und gefährdete Partei (im Folgenden: Klägerin) ist eine „Projektentwicklungs-GmbH“. Die Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei (im Folgenden: Beklagte) sind je zur Hälfte Eigentümer von sechs im 11. Wiener Gemeindebezirk gelegenen Liegenschaften. Am 17. 12. 2015 schloss die Klägerin als Käuferin mit den beiden Beklagten als Verkäufer einen Kaufvertrag über Anteile an diesen Liegenschaften, und zwar über 854/1000 Anteile an jeder der Liegenschaften, während die Verkäufer Eigentümer von 146/1000 Anteilen blieben. Der Kaufpreis betrug 2.732.800 EUR. Geplant war die Errichtung einer Wohnhausanlage mit mehreren Baukörpern durch eine von den Parteien gemeinsam zu beauftragende Bauträger GesmbH und in weitere Folge die Begründung von Wohnungseigentum. Nach der dafür erforderlichen Umwidmung sollte eine Baubewilligung erreicht werden. Die Beklagten sollten eine Teilzahlung von 600.000 EUR in bar erhalten; nach Fertigstellung der Wohnhausanlage sollten ihnen Wohnungseigentumsobjekte in einem näher definiertem Ausmaß (etwa 15 bis 20 Eigentumswohnungen) zugewiesen werden. Unter Punkt 4. ist eine Treuhandabwicklung mit detaillierten Regelungen vereinbart. Der Kaufvertrag ist nach seinem Punkt 6. „aufschiebend bedingt bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Baubewilligung oder einer schriftlichen Erklärung der Käuferin beim Treuhänder auf das Vorliegen einer rechtskräftigen Baubewilligung zu verzichten“.

Die Klägerin steht im Wesentlichen auf dem Standpunkt, die Beklagten seien für sie seit Mitte September 2017 nicht mehr erreichbar gewesen. Zugleich habe sie seit Mitte September 2017 von dritter Seite Informationen erhalten, wonach die Beklagten eine Rückabwicklung des Kaufvertrags anstrebten und planten, mit Dritten zu kontrahieren. Am 20. 9. 2017 habe die Klägerin feststellen müssen, dass die Beklagten mehrere Veräußerungsrangordnungen erwirkt hätten. Die entsprechenden Beschlüsse seien aber nicht der gemeinsam bestellten Treuhänderin, sondern einer anderen Rechtsanwälte GmbH zugestellt worden.

Mit der am 27. 9. 2017 eingebrachten Klage fordert die Klägerin von den Beklagten die Unterlassung, bücherliche oder außerbücherliche Handlungen vorzunehmen, die den an die Klägerin erfolgten Verkauf der Liegenschaftsanteile beeinträchtigen könnten. Das zweite Klagebegehren zielt darauf ab, die Beklagten zu verpflichten, nach Wahl der Klägerin entweder die erwirkten Rangordnungsbeschlüsse an die Klägerin herauszugeben oder die Rangordnungsanmerkungen im Grundbuch löschen zu lassen.

Zur Sicherung des Anspruchs verlangt die Klägerin, gestützt auf § 381 Z 1 EO,

a) den Beklagten zu verbieten, die (näher bezeichneten) Liegenschaftsanteile zu belasten, zu veräußern oder zu verpfänden und diese Verbote im Grundbuch im Eigentumsblatt ersichtlich zu machen und im Lastenblatt anzumerken;

b) den Beklagten zu untersagen, die Rangordnungsbeschlüsse zur Verbücherung der Rechte Dritter zu verwenden und an Dritte herauszugeben, sowie

c) der G***** Rechtsanwälte GmbH und den dort tätigen Rechtsanwälten zu untersagen, die im Grundbuch angemerkten Rangordnungsbeschlüsse zur Verbücherung der Rechte Dritter an die Gegner der gefährdeten Partei herauszugeben.

Zur einstweiligen Verfügung brachte die Klägerin im Wesentlichen vor, Punkt 6 des Kaufvertrags verschaffe ihr eine Anwartschaft, die mit dem Eintritt der Bedingung zum Vollrecht werde. Die vom bedingten Kaufvertrag entfalteten Vorwirkungen könnten durch einstweilige Verfügung insofern gesichert werden, als sie dem Schutz des Schwebezustands dienten. Offensichtlich fühlten sich die Beklagten nicht mehr an den Vertrag gebunden und setzten Handlungen, die nur dann Sinn machten, wenn sie zu einem „Doppelverkauf“ führen. Trotz schriftlicher Aufforderung seien die Rangordnungsbeschlüsse nicht an die Treuhänderin der Kaufvertragsabwicklung zur treuhändigen Verwahrung herausgegeben worden. Der Geschäftsführer der Klägerin habe zudem von mehreren Kollegen aus der Immobilienbranche erfahren, dass die Beklagten eine Veräußerung der Liegenschafts(-anteile) an einen anderen Immobilienprojektentwickler anstreben. Es sei daher zu befürchten, dass die Beklagten die in Rede stehenden Liegenschaftsanteile einem gutgläubigen Dritten im Rang der erwirkten Ranganordnungsanmerkungen verkaufen könnten. Solange sich die Rangordnungsbeschlüsse nicht bei der gemeinsam bestellten Treuhänderin befänden, bestehe für die Klägerin die Gefahr, unwiederbringlich einen Anspruch auf Übereignung der Liegenschaft nicht mehr geltend machen zu können, weil ihr der zweite Käufer aufgrund des Rangordnungsbeschlusses mit einer Eintragung zuvorkommen könnte. Da bei Verlust einer Liegenschaft durch den möglichen gutgläubigen Erwerb eines Dritten Geldersatz nicht adäquat sei, sei ein drohender unwiederbringlicher Schaden gegeben. Zur Verhinderung der Gutgläubigkeit eines möglichen Erwerbers sei die Anmerkung des Veräußerungs- und Belastungsverbots geboten. Mittels Drittverbots sei den Rechtsanwälten zu verbieten, die Rangordnungsbeschlüsse den Gegnern der gefährdeten Partei herauszugeben.

Zur Sicherung des ersten Klagebegehrens verbot das Erstgericht den – vor Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht gehörten – Beklagten insgesamt bis zur rechtskräftigen Beendigung des Hauptverfahrens die Veräußerung der jeweils 854/1000-Liegenschaftsanteile und bewilligte die grundbücherliche Anmerkung des Veräußerungsverbots. Weiters untersagte es den Beklagten, bis zur rechtskräftigen Verfahrensbeendigung die Rangordnungsbeschlüsse in Ansehung der Liegenschaftsanteile zur Verbücherung der Rechte Dritter zu verwenden und an Dritte herauszugeben. Schließlich verbot das Erstgericht zur Sicherung des ersten Klagebegehrens Rechtsanwalt ***** bis zur rechtskräftigen Verfahrensbeendigung die im Grundbuch angemerkten Rangordnungsbeschlüsse zur Verbücherung der Rechte Dritter an die Beklagten herauszugeben. Im verbleibenden Umfang wies das Erstgericht den Sicherungsantrag ab (ON 3).

Infolge Rekurse beider Seiten änderte das Rekursgericht mit (unangefochten gebliebenem) Beschluss vom 8. 11. 2017 die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass zur Sicherung des mit dem ersten Klagebegehren geltend gemachten Unterlassungsanspruchs den Beklagten bis zur rechtskräftigen Beendigung des Hauptverfahrens verboten wurde, die näher bezeichneten Liegenschaftsanteile zu veräußern oder zu belasten. Diese Verbote sollten unwirksam werden, wenn die Klägerin nicht binnen 14 Tagen ab Zustellung der Rekursentscheidung eine Sicherheitsleistung von 100.000 EUR beim Erstgericht erlegt. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen (ON 13).

Rechtlich ging das Rekursgericht – soweit für das Revisionsrekursverfahren noch wesentlich – davon aus, infolge der von der Klägerin geltend gemachten Vorkommnisse sei zu befürchten, dass sich die Beklagten an den Kaufvertrag nicht mehr gebunden erachten und die Liegenschaftsanteile an gutgläubige Dritte veräußern könnten. Der Klägerin drohe dadurch eine Vereitelung ihres im Hauptverfahren geltend gemachten Unterlassungsanspruchs iSd § 381 Z 1 EO. Das Veräußerungs- und Belastungsverbot hindere die Beklagten daran, über die verfahrensgegenständlichen Liegenschaftsanteile bis zur rechtskräftigen Beendigung des Hauptverfahrens zu disponieren. Eine bücherliche Anmerkung der Verbote würde den Rahmen des Hauptverfahrens sprengen. Allerdings entspreche der den Beklagten drohende Schaden nicht dem Verkehrswert. Ein möglicher Vermögensnachteil bestehe vielmehr darin, dass die Beklagten vorübergehend nicht in der Lage seien, über einen etwaigen Veräußerungserlös zu verfügen und mit dem Entgang von Veranlagungszinsen oder mit Kreditzinsen für einen Überbrückungskredit konfrontiert sein könnten. Unter der Annahme einer Höchstdauer des Hauptverfahrens von zwei Jahren werde der Klägerin daher gemäß § 390 Abs 2 EO eine Sicherheitsleistung von 100.000 EUR auferlegt.

Gegen die Erlassung der einstweiligen Verfügung erhoben die Beklagten gleichzeitig mit ihrem Rekurs am 11. 10. 2017 Widerspruch und beantragten, zuerst über den Rekurs zu entscheiden.

Mit dem Widerspruch machen die Beklagten im Wesentlichen geltend, der Anspruch sei nicht gegeben, weil der Kaufvertrag nichtig bzw vernichtbar sei. Sie hätten mit dem Kaufvertrag ihre „Privatliegenschaften“ verkauft, die sie im Jahr 2011 geerbt hätten. Jedenfalls zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses seien sie nicht Unternehmer, sondern Verbraucher im Sinn der §§ 1 ff KSchG gewesen. Der Kaufvertrag widerspreche § 6 Abs 1 Z 1 KSchG, wonach eine Vertragsbestimmung unwirksam sei, wenn sich der Unternehmer eine unangemessen lange oder eine nicht hinreichend bestimmte Frist ausbedinge, während derer ausschließlich der Verbraucher an den Vertrag gebunden sei. Gemäß Punkt 6 des Kaufvertrags könne nämlich allein die Klägerin als Käuferin auf das Vorliegen einer rechtskräftigen Baubewilligung verzichten und damit möglicherweise einen Bedingungseintritt fingieren, die Beklagten als Verkäufer könnten gemäß Punkt 5.1 des Kaufvertrags nur dann zurücktreten, wenn die Ausführung des geplanten Bauvorhabens nicht binnen 48 Monaten nach Rechtswirksamkeit (= aufschiebende Bedingung) des Kaufvertrags begonnen werde. Andere Rücktrittsgründe seien ausgeschlossen. Dies bedeute, dass die gänzlich untätige Klägerin als Käuferin es in der Hand habe, durch Nichtbetreibung der Baubewilligung zu verhindern, dass die 48-monatige Frist zu laufen beginne. Dies habe zur Folge, dass die Beklagten niemals zurücktreten könnten (da der Fristlauf nicht beginne) und somit auf unbestimmte Zeit an den Vertrag gebunden wären, ohne dass sie eine Perspektive für die Gegenleistung (Erhalt der zu errichtenden Wohnungen) hätten, sodass Nichtigkeit nach § 6 Abs 1 Z 1 KSchG gegeben sei. Darüber, dass sie faktisch endlos an den Vertrag gebunden seien, seien sie von den Rechtsvertretern der Klägerin in die Irre geführt worden (sie selbst seien beim Kaufvertragsabschluss unvertreten gewesen). Es werde daher unter einem Irrtumsanfechtung geltend gemacht.

Die Klägerin bestritt und erwiderte zusammengefasst (soweit für das Revisionsrekursverfahren wesentlich), die Beklagten seien im Rahmen der Vertragsverhandlungen als Unternehmer aufgetreten und auch unternehmerisch tätig (AS 220).

Weiters beantragten die Beklagten am 15. 1. 2018 (ON 23) die Aufhebung der einstweiligen Verfügung (§ 399 EO). Dazu brachten sie vor, Punkt 6 und Punkt 5.1 des Kaufvertrags seien geltungserhaltend dahin zu reduzieren, dass für den Erhalt der Baubewilligung eine zumindest angemessene Frist vorzusehen sei. Nach Auffassung der Beklagten sei für den Erhalt einer Baubewilligung eine Frist von 18 Monaten mehr als ausreichend. Diese Frist sei bereits abgelaufen, sodass sie nach Erlassung der einstweiligen Verfügung bereits dreimal (und zwar am 13. 10. 2017 im Verfahren AZ 11 Cg 78/17h des Handelsgerichts Wien, mit Schreiben vom 18. 12. 2017 und auch schon mit Schreiben vom 19. 10. 2017) ausdrücklich den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt hätten. Der Rücktritt wirke jedenfalls ex tunc. Sei der Kaufvertrag ex tunc vernichtet, bestehe der Hauptanspruch nicht mehr und falle das Sicherungsbegehren dahin.

Das Erstgericht wies (mit den gesonderten Beschlüssen ON 30 und 31) den Widerspruch und den Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung ab.

Es nahm als bescheinigt an, dass der Zweitbeklagte vorerst die J***** GmbH beauftragt hatte, ein Bauprojekt zu entwickeln. Nach Umwidmung sollte ein höherer (als der für die Liegenschaft im damaligen Zustand erzielbare) Kaufpreis erreicht werden. Das zu diesem Zweck in Auftrag gegebene Gutachten über den Wert der Liegenschaften stand dem Zweitbeklagten zur Verfügung; die darin ausgewiesenen Werte wurden dem später zwischen den nunmehrigen Streitteilen abgeschlossenen Kaufvertrag zugrunde gelegt. Nachdem der Zweitbeklagte der J***** GmbH den Auftrag entzogen hatte, kam er in Kontakt mit einer Bauträger GmbH, die ein verbindliches Anbot legte, welches vom Zweitbeklagten letztlich unterfertigt wurde. Vereinbart war, dass eine neue Projektentwicklungs-Gesellschaft gegründet wird. Am 10. 10. 2015 wurde die Klägerin gegründet, die seit 3. 11. 2015 aktiv ist.

Die Beklagten ließen den Kaufvertragsentwurf über den Verkauf ihrer Liegenschaften an die Klägerin durch einen Notar überprüfen. Dessen Änderungsvorschläge wurden in den Kaufvertrag eingearbeitet. Der überarbeitete Kaufvertrag wurde vom Notar neuerlich überprüft; danach stimmten die Beklagten dem Entwurf zu. Neben dem – seinem gesamten Inhalt nach als bescheinigt angesehenen – Kaufvertrag Beilage /.B schlossen die Streitteile mit der Bauträger GmbH den Bauträgervertrag ab, weiters wurden eine Verrechnungsvereinbarung und ein interner Kreditvertrag abgeschlossen. Die Verträge sollten eine Einheit bilden. Gemeinsame Geschäftsgrundlage ist die erforderliche Umwidmung der Liegenschaften samt darauf beruhender Baubewilligung. Die Beklagten erhielten 600.000 EUR in bar, diese Zahlung sollte auf den Kaufpreis von 2.732.800 EUR angerechnet werden. Mit Schreiben der Klägerin vom 14. 4. 2016, welches von den Beklagten unterschrieben wurde, wurde um Umwidmung angesucht. Im Juli 2016 sicherte ein Vertreter der Stadt Wien die Umwidmung mündlich zu. Als die Beklagten in der Folge Angebote von dritter Seite erhielten, wollten sie an den Kaufvertrag nicht mehr gebunden sein. Sie versuchten, den Kaufvertrag aufzulösen, und suchten auch von sich aus Kaufinteressenten. Anfang September 2017 boten sie einem Dritten die Liegenschaften in zwei Varianten zum Kauf an, in einer Variante mit sofortigem Kauf und Übernahme des gegenständlichen Kaufvertrags und in einer anderen Variante mit Kauf nach Beseitigung des Kaufvertrags. Mitte September erwirkten die Beklagten Rangordnungen für die Veräußerung ihrer Liegenschaften, ohne die Klägerin oder die bestellte Treuhänderin darüber zu informieren.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, durch die Ergebnisse des Widerspruchsverfahrens habe sich an der Bescheinigung des Anspruchs und der Gefährdung nichts geändert. Nichtigkeit nach § 879 ABGB liege nicht vor, weil die Dauer und der Erfolg der notwendigen Umwidmung der Liegenschaften – ebenso wie die Baubewilligung – von der Stadt Wien als Drittem abhänge. Im Hinblick auf die weiters abgeschlossenen Verträge sei von einem gemischten Vertrag auszugehen. § 6 Abs 1 Z 1 KSchG komme nicht zur Anwendung, weil die Frist nicht unangemessen lang sei.

Der Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung sei abzuweisen, weil die von den Beklagten angeführten Rücktrittserklärungen zu einem Erlöschen des Anspruchs führten, der nur unter der Voraussetzung der Z 4 des § 399 Abs 1 EO – somit nur unter der Voraussetzung des Vorliegens einer rechtskräftigen Entscheidung – erfolgreich als Aufhebungsgrund geltend gemacht werden könne. Eine rechtskräftige Entscheidung liege aber noch nicht vor.

Mit Beschluss vom 16. 2. 2018 unterbrach das Erstgericht das Verfahren in der Hauptsache bis zur rechtskräftigen Beendigung der zu AZ 11 Cg 78/17h des Handelsgerichts Wien eingebrachten Klage der Beklagten gegen die Klägerin auf Feststellung der Unwirksamkeit des Kaufvertrags vom 17. 12. 2015.

Das Rekursgericht gab dem von den Beklagten erhobenen Rekurs gegen die Abweisung des Widerspruchs Folge und änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die einstweilige Verfügung des Erstgerichts vom 28. 9. 2018 (ON 3) in ihrem durch die Rekursentscheidung vom 8. 11. 2017 (ON 13) bestätigten Umfang aufhob. Dem Rekurs gegen die Abweisung des Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung (§ 399 EO) gab das Rekursgericht dahin Folge, dass es die Entscheidung des Erstgerichts ersatzlos aufhob. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Rechtlich ging das Rekursgericht davon aus, dass der Kaufvertrag zwischen der klagenden Partei als Unternehmerin und den Beklagten als Verbrauchern abgeschlossen worden sei und daher gemäß § 1 Abs 1 KSchG diesem Gesetz unterliege. Die in Punkt 6 des Kaufvertrags enthaltenen aufschiebenden Bedingungen einer von der Klägerin zu erwirkenden Baubewilligung oder eines von der Klägerin zu erklärenden Verzichts auf die Einholung einer Baubewilligung seien kalendermäßig nicht determiniert und lägen im alleinigen Einflussbereich der Klägerin. Punkt 6 des Kaufvertrags widerspreche daher dem Bestimmtheitsgebot des § 6 Abs 1 Z 1 KSchG. Da von dieser Klausel die Wirksamkeit der gesamten Vereinbarung abhänge, handle es sich um eine für das Vertragsgefüge wesentliche Norm. Ihre Unwirksamkeit ziehe deshalb die Nichtigkeit des gesamten Kaufvertrags nach sich. Werde eine einstweilige Verfügung bereits in Stattgebung des Widerspruchs aufgehoben, bleibe für den Aufhebungsantrag kein Raum mehr.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionrekurs der Klägerin. Zugleich wird der Antrag gestellt, dem Revisionsrekurs möge gemäß § 524 ZPO bis zur Entscheidung des Obersten Gerichtshof hemmende Wirkung zuerkannt werden, weil im Fall einer Veräußerung der streitgegenständlichen Liegenschaften der einstweiligen Verfügung der Zweck genommen würde. Diesen Antrag hat das Erstgericht bislang nicht behandelt.

In der den Beklagten freigestellten (richtig) Revisionsrekursbeantwortung beantragen diese, den Revisionsrekurs der Klägerin zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Klarstellung zulässig; er ist auch berechtigt.

I. Zum Widerspruchsverfahren:

1.1 Die im Revisionsrekurs angenommene Bindung des zweitinstanzlichen Gerichts an seine Entscheidung über den Rekurs gegen die Erlassung der einstweiligen Verfügung besteht nicht. Im Rekurs wurde
– offenbar im Hinblick auf das auch im Fall der Nichtanhörung des Gegners für dieses geltende Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0002445 [T4]) – nur die vom Erstgericht angenommene Gefahrenbescheinigung, nicht aber die angenommene Anspruchsbescheinigung bekämpft. Die Nichtigkeit von einzelnen Vertragspunkten oder des gesamten Vertrags wegen Vorliegens der Verbrauchereigenschaft wurde im Rekurs nicht behauptet. In diesem Fall durfte das Rekursgericht nicht von Amts wegen prüfen, ob die vorgelegten Bescheinigungsmittel auch tatsächlich geeignet waren, den Anspruch der Klägerin, wie sie ihn in der Klage dargestellt hatte, als bescheinigt anzusehen (RIS-Justiz RS0005259).

1.2 Demgegenüber konnten die Beklagten im Widerspruchsverfahren ua geltend machen, dass der behauptete Anspruch nicht bestehe (RIS-Justiz RS0005884). Da das Widerspruchsverfahren zu einer wesentlichen Änderung der Entscheidungsgrundlage führen kann (RIS-Justiz RS0005884 [T2]), liegen Abweichungen von einer zunächst auf einseitiger Grundlage gesetzten Provisorialmaßnahme in der Natur der Sache (9 Ob 116/06h). Hat sich das Rekursgericht im Widerspruchsverfahren mit dem behaupteten Nichtbestehen des Anspruchs befasst, hat es dadurch auch nicht seine Entscheidungsbefugnis überschritten. Der entsprechende Einwand im Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

2.2 Bei der Bescheinigung des Anspruchs kommt es darauf an, ob die gefährdete Partei gegenüber ihrem Gegner einen Anspruch auf Zuhaltung des Vertrags hat (RIS-Justiz RS0005097). Einen derartigen Anspruch bestreiten die Beklagten mit dem Vorbringen, sie seien Verbraucher, weshalb die Vertragspunkte 6 und 5.1 wegen Verstoßes gegen § 6 Abs 1 Z 1 KSchG nichtig seien. Weiters machen sie Irrtumsanfechtung geltend.

2.3 Treten die Beklagten dem Anspruch im Provisorialverfahren mit einer selbständigen materiellen Einwendung entgegen, ist eine Gegenbescheinigung zulässig (RIS-Justiz RS0005784 [T4]). In diesem Sinn konnten die Beklagten die Gegenbescheinigung antreten, dass der Anspruch auf Zuhaltung des Vertrags wegen dessen ursprünglicher Nichtigkeit nicht besteht (RIS-Justiz RS0005784; RS0005884). Im Hinblick darauf, dass sich ihre Eigenschaft als Verbraucher nicht ganz klar aus den Umständen ergibt, trifft sie die Bescheinigungslast dafür, dass auf ihrer Seite ein Verbrauchergeschäft iSd KSchG vorliegt (RIS-Justiz RS0065264; Krejci in Rummel³ § 1 KSchG Rz 44).

2.4 Dieser Bescheinigungspflicht sind die Beklagten nicht nachgekommen:

Zur Beurteilung der Anwendbarkeit der Vorschriften über das Verbrauchergeschäft muss das funktionelle Verhältnis zwischen den Vertragsparteien beurteilt werden (RIS-Justiz RS0065241 [T4]. In diesem Sinn muss konkret geprüft werden, ob sich eine wirtschaftliche Tätigkeit einer Person in Bezug auf das konkrete Rechtsgeschäft mit einer anderen Person, etwa wegen der hiezu erforderlichen dauernden Organisation, als unternehmerisch darstellt oder nicht (RIS-Justiz RS0065241). Eine bestimmte Betriebsgröße, ein Mindestkapital oder eine sonstige Mindestorganisation ist nicht erforderlich. Maßgeblich ist nur, dass eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit in Bezug auf das konkrete Rechtsgeschäft als unternehmerisch zu qualifizieren ist (RIS-Justiz RS0065309). Dabei sind jeweils die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0065317 [T3]).

3. Der im vorliegenden Fall als bescheinigt angenommene Sachverhalt ist dahin zu verstehen, dass die Beklagten von Anfang an nicht nur ihre im 11. Wiener Gemeindebezirk gelegenen „Privatliegenschaften“ zu verkaufen beabsichtigten, sondern mittels entsprechender Vertragsgestaltung an jenen Gewinnen teilhaben wollten, die durch die zukünftige Errichtung einer möglichst großen Wohnhausanlage und die Begründung von Wohnungseigentum entstehen. Um am Markt Erlöse zu erzielen, die den zum Verkaufszeitpunkt gegebenen Wert der unbebauten Liegenschaften übersteigen, musste eine Organisationsstruktur geschaffen werden, um einen Mehrwert durch „Aufzonung“ zu erreichen, dann die Gebäude zu bauen und im Anschluss zu vermarkten. Dies erforderte die Einschaltung anderer Unternehmer wie der Klägerin und einer Bauträgergesellschaft. Dabei wurden mehrere und längerfristig angelegte Vertragsbindungen eingegangen. Darauf, dass sie das wirtschaftliche Risiko tragen, indem sie nur einen Teil des Kaufpreises in bar erhalten haben und ihnen darüber hinaus als wirtschaftliche Gegenleistung
nach Fertigstellung des Projekts etwa 15 bis 20 Eigentumswohnungen zugewiesen werden sollten, weisen die Beklagten in ihrer Klagebeantwortung selbst hin und betonen, dass für sie der Erhalt der Baubewilligung und der Ausbau von wesentlichen wirtschaftlichem Interesse sei. Die Umsetzung des Projekts hat demnach mit dem Liegenschaftsverkauf nur begonnen und ist bis jetzt insoweit fortgeschritten, als bisher eine mündliche Zusage der Umwidmung erreicht werden konnte.

4. All diese Umstände deuten auf eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit im Sinn einer Projektentwicklung mit der dazu erforderlichen Organisation hin. Dafür, dass – entgegen diesem Anschein einer unternehmerischen Tätigkeit – dennoch ein Verbrauchergeschäft iSd KSchG vorliegt, weil eine auf Dauer ausgerichtete Tätigkeit und unternehmerische Organisation doch fehlt, träfe die Beklagten im Provisorialverfahren die Bescheinigungslast (9 Ob 22/07m). Dieser sind sie nicht nachgekommen.

5.1 Der Ansicht des Rekursgerichts, bereits im Provisorialverfahren sei der Vertrag als Verbrauchergeschäft (mit daraus abzuleitenden Konsequenzen) zu qualifizieren, kann daher nicht gefolgt werden. Damit ist dem Standpunkt, der Vertrag sei im Hinblick auf § 6 Abs 1 Z 1 KSchG (gänzlich) nichtig und die einstweilige Verfügung aufzuheben, der Boden entzogen.

5.2 Soweit behauptet wird, dass einzelne Vertragspunkte (zugleich) auch Verstöße gegen § 879 Abs 3 ABGB darstellten, so könnten auch derartige Verstöße nur die Nichtigkeit der betroffenen Vertragspunkte bewirken; der von der Sittenwidrigkeit nicht umfasste Restvertrag bliebe bestehen (1 Ob 222/15a mwN; RIS-Justiz RS0016420; siehe dazu auch Punkt 16.7 des Kaufvertrags, nach dem an die Stelle einer ungültigen Bestimmung eine solche zu treten hat, die dem wirtschaftlichen Sinn und Zweck der unwirksamen oder ungültigen Bestimmung am ehesten entspricht).

5.3 Im Hinblick auf den zum Abschluss des Kaufvertrags als bescheinigt angenommenen Sachverhalt ist es den Beklagten weiters nicht gelungen, den Anspruch auf Zuhaltung des Vertrags dadurch zu entkräften, dass sie die Voraussetzungen für eine Irrtumsanfechtung ausreichend bescheinigt hätten.

Dem Revisionrekurs war daher Folge zu geben und der Beschluss des Rekursgerichts dahin abzuändern, dass die (den Widerspruch abweisende) erstinstanzliche Entscheidung wieder hergestellt wird.

II. Zum Beschluss des Rekursgerichts über den Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung

Das Erstgericht wies den Antrag der Beklagten vom 15. 1. 2018 (ON 23) auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung nach § 399 EO ab.

Das Rekursgericht ging (infolge seiner Rechtsansicht, die einstweilige Verfügung sei aufzuheben) davon aus, dass für eine Entscheidung über einen Aufhebungsantrag kein Raum mehr bleibe und behob den Beschluss des Erstgerichts ersatzlos.

Die Rechtsmittelanträge der Klägerin in ihrem Revisionsrekurs sind auf die Aufhebung des zweitinstanzlichen Beschlusses, in eventu auf die Wiederherstellung der abweislichen erstinstanzlichen Entscheidung gerichtet. Da sich im Revisionsrekursverfahren der Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung letztendlich als erfolglos erwiesen hat und damit die Begründung für die Entscheidung des Rekursgerichts über die ersatzlose Behebung des erstinstanzlichen Beschlusses dahinfällt, war dem Revisionsrekurs im Sinn des Aufhebungsantrags Folge zu geben. Das Rekursgericht wird eine neuerliche (nunmehr inhaltliche) Entscheidung über den Rekurs der Beklagten gegen die Entscheidung des Erstgerichts über die Abweisung des Aufhebungsantrags zu treffen haben.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO (Klägerin) bzw auf § 402 Abs 4, § 78 EO und den §§ 50, 41 Abs 1 ZPO (Beklagten). Der Kostenvorbehalt betreffend das Aufhebungsverfahren beruht auf § 78 EO iVm § 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E122331

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00048.18H.0717.000

Im RIS seit

08.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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