Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr.
Musger als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Veith, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** K*****, vertreten durch Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. O***** T*****, und 2. A*****AG, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Mayrhofer, Rechtsanwalt in Mauthausen, wegen 5.507,96 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 3.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. Juni 2017, GZ 14 R 84/17x-30, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Perg vom 6. März 2017, GZ 4 C 458/15a-25, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 30. März 2017, GZ 4 C 458/15a-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Am 25. 3. 2015 ereignete sich im Ortsgebiet von St. ***** an der Kreuzung der P***** Landesstraße mit der W*****straße ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Lenkerin ihres Fahrrads und der Erstbeklagte als Lenker des von ihm gehaltenen und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten Pkws beteiligt waren.
Die Klägerin fuhr auf einem durch das Vorschriftszeichen gemäß § 52 lit b Z 17a StVO gekennzeichneten Geh- und Radweg, der – in Fahrtrichtung W*****straße betrachtet – links von der durch einen 1,3 m breiten Wiesenstreifen getrennten Fahrbahn der Landesstraße geradlinig verläuft. Etwa 3,5 m vor der „Verschneidungslinie“ mit dem Mündungstrichter der W*****straße wird das Ende des Geh- und Radwegs durch das Zeichen gemäß § 52 lit b Z 22a StVO angezeigt. Nach der Kreuzung setzt sich der Geh- und Radweg fort.
Auf Höhe des Zeichens „Ende des Geh- und Radwegs“ endet auch der Wiesenstreifen. Die (zunächst) den Geh- und Radweg bildende Verkehrsfläche wird in einem Linksbogen in die W*****straße weitergeführt, wobei ein Informationsschild auf den Donau-(rad-)weg R1 verweist. Diese Verkehrsfläche ist von der Fahrbahn der W*****straße wieder durch einen Wiesenstreifen getrennt. Im Bereich der Rundung des Mündungstrichters ist die Begrenzung zwischen der asphaltierten Fahrbahn und der an den Geh- und Radweg anschließenden Verkehrsfläche durch eine Reihe Betonpflaster- bzw Granitsteine ausgeführt, die auf Fahrbahnniveau abgesenkt sind.
Der Erstbeklagte fuhr in der W*****straße auf die Kreuzung zu und wollte nach rechts in die Landesstraße einbiegen. Er hatte das noch vor der gedachten Verlängerung des Geh- und Radwegs angebrachte Vorrangzeichen „Vorrang geben“ zu beachten. Im Mündungstrichter hielt er an, um den von links kommenden Querverkehr abzuwarten. In dieser Stillstandposition war die Fahrzeugfront 1,3 m von der „Verschneidungslinie“ entfernt.
Unterdessen näherte sich die Klägerin – aus Sicht des Erstbeklagten – von rechts mit dem Fahrrad. Sie beabsichtigte die Kreuzung mit der W*****straße geradlinig zu überqueren. Der Erstbeklagte, der die Klägerin noch während des Stillstands erkennen hätte können, fuhr los, wobei er einen vorherigen Kontrollblick nach rechts unterließ. Gleich darauf kam es zur Kollision. Die Klägerin stürzte und erlitt diverse Verletzungen.
Die Klägerin begehrte Ersatz ihres zuletzt mit 5.507,96 EUR sA bezifferten restlichen Schadens und stellte auch ein Feststellungsbegehren. Der Erstbeklagte habe das für ihn geltende Vorrangzeichen missachtet und auf einen ihm allenfalls doch zukommenden Vorrang verzichtet.
Die beklagten Parteien wandten ein, dass die Klägerin selbst eine Vorrangverletzung zu verantworten habe. Da der Erstbeklagte sein Fahrzeug mit einem Blutalkoholgehalt von 0,5 mg/l gelenkt habe, sei im Hinblick auf eine allfällige Reaktionsverspätung von gleichteiligem Verschulden auszugehen. Eine Gegenforderung von 900 EUR werde aufrechnungsweise geltend gemacht.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt, weil der Erstbeklagte auf den ihm gemäß § 19 Abs 6a StVO grundsätzlich zukommenden Vorrang verzichtet habe.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige. Es ließ nachträglich die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass die an den Geh- und Radweg unmittelbar anschließende Verkehrsfläche möglicherweise als Gehsteig zu werten sei, was zu einer anderen Beurteilung des Verschuldens führen könnte.
Rechtliche Beurteilung
Die von den beklagten Parteien gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine erhebliche, für die Entscheidung auch präjudizielle Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:
1. Richtig ist zwar, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 124/16y die an einen Geh- und Radweg unmittelbar anschließende viertelkreisförmige, links von einer Mauer und rechts (fahrbahnseitig) durch eine doppelte Reihe von Pflastersteinen begrenzte Verkehrsfläche als Gehsteig iSd § 2 Abs 1 Z 10 StVO beurteilt hat. Der damalige Kläger musste, um als Radfahrer in den Kreuzungsbereich gelangen zu können, zunächst die als Gehsteig zu qualifizierende Verkehrsfläche in Längsrichtung befahren und danach seine Fahrt über die dann anschließende Sperrfläche hinweg gegen die durch die Einbahnregelung vorgeschriebene Fahrtrichtung fortsetzen. Unter diesen Umständen konnte sich der Kläger nicht auf einen ihm zukommenden Vorrang berufen.
2. Im vorliegenden Fall wäre für die beklagten Parteien, wollte man die an den Geh- und Radweg unmittelbar anschließende Verkehrsfläche ebenfalls als Gehsteig qualifizieren, aber nichts gewonnen. Denn im Gegensatz zu dem in der zitierten Entscheidung beurteilten Sachverhalt bildet diese Verkehrsfläche, wie auch den aktenkundigen Lichtbildern entnommen werden kann, eine Einheit mit jener, die entlang der von links einmündenden Fahrbahn der W*****straße verläuft und im Kreuzungsbereich – je nach Sichtweise – beginnt oder endet. Die Klägerin musste diese Verkehrsfläche, um in den Kreuzungsbereich zu gelangen, daher nicht in Längsrichtung befahren, sondern sie überqueren.
3. Nur ein Radfahrer, der entgegen § 68 Abs 1 Satz 3 StVO einen Gehsteig oder Gehweg in Längsrichtung befährt, kann sich nicht auf die Vorrangregel berufen (2 Ob 124/16y mwN; vgl auch RIS-Justiz RS0073375). Anderes gilt, wenn er einen Gehsteig gemäß § 8 Abs 4 Z 1 StVO auf der hiefür vorgesehenen Stelle erlaubtermaßen überquert. Zwar wird in der Rechtsprechung der Gehsteig dort, wo er iSd § 8 Abs 4 StVO von Fahrzeugen überquert werden darf, als benachrangte Verkehrsfläche iSd § 19 Abs 6 StVO qualifiziert (vgl 8 Ob 42/85 ZVR 1986/8). Der daraus resultierende Vorrang für Fahrzeuge im fließenden Verkehr kommt jedoch dann nicht zum Tragen, wenn der Berechtigte auf seinen Vorrang verzichtet hat (§ 19 Abs 8 StVO). Insoweit besteht kein Unterschied zu jenen Fällen, in denen der Radfahrer (direkt) von einer Radfahranlage kommt und nach § 19 Abs 6a StVO benachrangt ist.
4. Jedenfalls ein solcher Vorrangverzicht lag hier vor.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war die Begrenzung der an den Geh- und Radweg anschließenden Verkehrsfläche in der Rundung des Mündungstrichters auf das Niveau der Fahrbahn abgesenkt. Das deutet auf eine iSd § 8 Abs 4 Z 1 StVO für die Überquerung „vorgesehene Stelle“ hin, sofern die Verkehrsfläche tatsächlich als Gehsteig zu qualifizieren sein sollte. Auch in diesem Fall konnte der Erstbeklagte auf den für sich beanspruchten Vorrang wirksam verzichten, weshalb die Frage nach der rechtlichen Qualifikation dieser Verkehrsfläche, ob sie also Gehsteig oder – wovon die Vorinstanzen erkennbar ausgingen – noch dem Geh- und Radweg zugehörig ist, keine für die Entscheidung relevante Bedeutung hat. Denn die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der – wenngleich durch die eigene Wartepflicht des Erstbeklagten erzwungene – Stillstand des Pkws von einem (bloß) benachrangten Fahrzeuglenker als Vorrangverzicht aufgefasst werden durfte, wird in der Revision nicht mehr in Frage gestellt (§ 19 Abs 8 Satz 2 StVO; vgl 2 Ob 169/16s; RIS-Justiz RS0074876, RS0074916). Auf das Verhältnis der Vorrangregeln des § 19 Abs 4 und des § 19 Abs 6a StVO zueinander muss hier daher nicht eingegangen werden.
5. Da es der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E122352European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00183.17A.0730.000Im RIS seit
10.08.2018Zuletzt aktualisiert am
05.11.2018