TE Vwgh Erkenntnis 2000/1/19 99/01/0345

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Veröffentlicht am 19.01.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 99/01/0361 E 7. Juni 2000 99/01/0362 E 7. Juni 2000

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Juni 1999, Zl. 206.555/0-XI/33/98, betreffend Asylgewährung (mitbeteiligte Partei: NA in S, geboren am 29. Juli 1974, vertreten durch Dr. Benno Wageneder und Dr. Claudia Schoßleitner, Rechtsanwälte in 4910 Ried/Innkreis, Adalbert-Stifter-Straße 16), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Der Kostenersatzantrag der belangten Behörde wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. November 1998 statt und gewährte ihr gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 4/1999 - AsylG, Asyl. Sie stellte gemäß § 12 AsylG fest, dass der Mitbeteiligten damit Kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Mitbeteiligte sei Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien, habe zuletzt in Kozhice, Kommune Skenderaj, in der Provinz Kosovo gewohnt, gehöre der albanischen Volksgruppe an und sei moslemischen Glaubens. Im Zuge der Kampfhandlungen der serbischen Sicherheitskräfte gegen ihr Heimatdorf im März 1998 sei ihr Bruder getötet worden. Die Mitbeteiligte sei mit ihrer Tochter zu ihren Eltern nach Prekaz geflüchtet. Dieser Ort sei mehrfach von den serbischen Sicherheitskräften angegriffen worden, die gesamte Familie Jashari sei umgebracht und das Dorf komplett zerstört worden.

In der Folge legte die belangte Behörde gestützt auf näher bezeichnete internationale Beweisquellen die Entwicklung im Kosovo seit Ende Februar 1998 dar, wobei sie auch die jüngste Entwicklung seit dem 9. Juni 1999 (Vereinbarung zwischen der NATO und der Bundesrepublik Jugoslawien über den Abzug der jugoslawischen Truppen aus dem Kosovo) einbezog.

In rechtlicher Sicht kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die Zerstörung des letzten Wohnortes der Mitbeteiligten, die Verwüstung der Provinz Kosovo sowie die Vertreibung des Großteils ihrer Bewohner schon im Hinblick auf die von der Mitbeteiligten geschilderten, ihr individuell widerfahrenen Ereignisse geeignet seien, einen weiteren Verbleib für die Asylwerberin unerträglich zu machen. Des Weiteren handle es sich bei der Situation im Kosovo jedenfalls bis zum 9. Juni 1999 um eine in zielgerichteter Weise durchgeführte ethnische Säuberung des Kosovo von Angehörigen der albanischen Volksgruppe ohne Unterscheidung durch serbische Einheiten. Angesichts der Verhältnisse im Heimatland der Mitbeteiligten sei "derzeit davon auszugehen, dass auch weiterhin zielgerichtet Maßnahmen der serbischen Behörden bzw. serbischer paramilitärischer Verbände gegen Angehörige der albanischen Volksgruppe aus Gründen ihrer Nationalität und Religion im Kosovo stattfinden". Die Mitbeteiligte sei im Entscheidungszeitpunkt jedenfalls der Gefahr ausgesetzt, allein wegen ihrer Angehörigkeit zur albanischen Volksgruppe und ihres moslemischen Glaubens in asylrechtlich relevanter Weise verfolgt zu werden.

Eine inländische Fluchtalternative stehe der Mitbeteiligten derzeit nicht offen. Es gebe noch kein stabiles, räumlich abgegrenztes Gebiet in Form eines von ihrer Bevölkerungsgruppe oder einer internationalen Schutzmacht kontrollierten Bereiches. Aus der Sachverhaltsfeststellung, dass es der Teilrepublik Montenegro an Aufnahmekapazität für Flüchtlinge fehle und die Haltung der serbischen gegenüber der albanischen Bevölkerung feindselig sei, ergebe sich überdies, dass die Existenz der Mitbeteiligten nicht nur im Kosovo, sondern in ihrem gesamten Heimatstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bedroht wäre.

Seit 9. Juni 1999 sei noch keine wesentliche Veränderung der Lage eingetreten, weil selbst beim Rückzug der jugoslawischen Verbände weiter "Besitz von Kosovo-Albanern zerstört" werde und "weitere Massaker an den Albanern auch nach der Unterzeichnung nicht ausgeschlossen werden" könnten, zumal auf Grund der Erfahrungen "mit der geringen Vertragstreue des serbischen Präsidenten" nicht mit einer vollständigen Erfüllung des Abkommens gerechnet werden könne. Vor allem seien auch die serbischen paramilitärischen Verbände ein Unsicherheitsfaktor in der Region, weil diese auf eigene Faust agierten, sich durch besondere Brutalität auszeichneten und deren Einverständnis zum Rückzug "bis jetzt" von niemandem bestätigt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gemäß § 38 Abs. 5 AsylG erhobene Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Es sei der angefochtene Bescheid nicht ausreichend begründet und es seien in die rechtliche Beurteilung Sachverhaltselemente eingebracht worden, die weder Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen seien, noch den Feststellungen des Bescheides zu entnehmen seien. Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen für die Vergangenheit. Diese hätten jedoch zum Entscheidungszeitpunkt eine wesentliche Änderung erfahren. Er behauptet, dass die "tatsächliche Umsetzung" des Abkommens der NATO mit der jugoslawischen Militärführung "zum Entscheidungszeitpunkt am 18. Juni 1999 fast (Anmerkung: Unterstreichung durch den Verwaltungsgerichtshof) zur Gänze abgeschlossen" gewesen sei.

Des Weiteren sei im angefochtenen Bescheid die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur inländischen Fluchtalternative unrichtig verwertet worden. Wieder unter Hinweis darauf, dass "zum Entscheidungszeitpunkt bereits die NATO einen bedeutenden Teil (Anmerkung: Unterstreichung durch den Verwaltungsgerichtshof) des Kosovo kontrolliert" und der "präsumtive frühere 'Verfolger' sich aus diesem Teil zurückgezogen" habe, sei dort eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung gestanden.

Die Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie sich der Ansicht der belangten Behörde anschloss und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrte.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Beschwerdeführer die Sachverhaltsfeststellungen und die rechtliche Würdigung der belangten Behörde bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Militärabkommens vom 9. Juni 1999 nicht in Frage stellt. Diesbezüglich kann auch der Verwaltungsgerichtshof keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erkennen, zumal die im angefochtenen Bescheid vertretene Ansicht der belangten Behörde im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht (vgl. zur individuellen Verfolgung im Kosovo bei Zerstörung des letzten Wohnortes das hg. Erkenntnis vom 21. April 1999, Zl. 98/01/0566, u.a., zur Verfolgung aller Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo seit Mitte März 1999 das hg. Erkenntnis vom 12. Mai 1999, Zl. 98/01/0300, u.a.).

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, seit 9. Juni 1999 sei eine wesentliche Änderung eingetreten bzw. stünde der Mitbeteiligten im Kosovo eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 24. November 1999, Zl. 99/01/0344, ausgeführt:

"Alleine das am 9. Juni 1999 abgeschlossene Militärabkommen zwischen der NATO und der Bundesrepublik Jugoslawien rechtfertigt aber noch nicht die Annahme, die ethnischen Säuberungen würden schlagartig mit diesem Tag enden. Wie allgemein bekannt ist, begann der Einmarsch der Sicherheitstruppe KFOR am 12. Juni 1999. Das Militärabkommen vom 9. Juni 1999 sah eine Frist von elf Tagen zur Durchführung der Verpflichtung der Bundesrepublik Jugoslawien zum Rückzug aller serbischen Soldaten, Sonderpolizisten, Antiterroreinheiten und Paramilitärs vor. Auf Grund der zuvor erfolgten ethnischen Säuberungen kann jedenfalls nicht vor dem Zeitpunkt der tatsächlichen Umsetzung des genannten Rückzuges und vollständig durchgeführtem Einmarsch der Sicherheitstruppe von einer wesentlichen Lageänderung ausgegangen werden, zumal auf Grund des Vorgeschehens mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Truppen (im Sinne des Militärabkommens) der Bundesrepublik Jugoslawien noch während ihres Rückzuges weiterhin gegen ethnische Albaner alleine auf Grund deren Volksgruppenzugehörigkeit in asylrelevanter Weise vorgehen werden."

Im gegenständlichen Fall erfolgte die Erlassung des angefochtenen Bescheides durch Telefaxzustellung an das Bundesasylamt am 18. Juni 1999 (die Zustellung an die Mitbeteiligte erfolgte am 22. Juni 1999). Da das Militärabkommen vom 9. Juni 1999 eine elftägige Durchführungsfrist vorsah, welche jedenfalls zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht abgelaufen war und weder aus dem Inhalt der von der belangten Behörde zu den Vorgängen seit 9. Juni 1999 zitierten Beweismittel - deren Inhalte der Beschwerdeführer auch nicht in Abrede stellt - noch aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu ersehen ist, dass die Bundesrepublik Jugoslawien etwa vorzeitig alle Truppen im Sinne des Militärabkommens abgezogen hätte und die KFOR bereits in das gesamte Gebiet des Kosovo eingerückt wäre, kann auch im gegenständlichen Fall noch nicht von einer wesentlichen Änderung der Lage ausgegangen werden.

Den Ausführungen des Beschwerdeführers zur inländischen Fluchtalternative auf Grund eines Teileinmarsches der KFOR-Truppe in den Kosovo kann schon deshalb kein Erfolg beschieden sein, weil der Beschwerdeführer gar nicht konkret behauptet, in welchem Teil des Kosovo zum Entscheidungszeitpunkt bereits von einer stabilen Übernahme der faktischen Ordnungsmacht durch die KFOR-Einheiten auszugehen sei. Die Annahme des Vorliegens einer inländischen Fluchtalternative setzt aber jedenfalls das Bestehen eines bestimmten derartigen Gebietes voraus, in dem einem Asylwerber keine Verfolgung (mehr) droht.

Dass eine solche inländische Fluchtalternative etwa in anderen Teilgebieten der Bundesrepublik Jugoslawien bestanden hätte, behauptet selbst der Beschwerdeführer nicht.

Der behauptete Begründungsmangel liegt nicht vor, zumal die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausgehend von einer - unbestrittenen - Wiedergabe des Inhaltes von Beweismitteln, beinhaltend die Entwicklung bis zur Bescheiderlassung, in nachvollziehbarer Weise ihre Beweiswürdigung und daran anschließend ihre rechtliche Würdigung dargelegt hat.

Zum behaupteten Verfahrensmangel, es seien Sachverhaltsergebnisse verwertet worden, die in der öffentlichen mündlichen Verhandlung nicht vorgekommen seien, braucht schon auf Grund der vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen Richtigkeit des Inhaltes dieser Beweismittel und der jedenfalls mangelnden Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels auf den Ausgang des Verwaltungsverfahrens nicht näher eingegangen zu werden.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der Kostenersatzantrag der belangten Behörde war abzuweisen, weil im Falle der Erhebung einer Amtsbeschwerde ein Kostenersatz zwischen Beschwerdeführer und belangter Behörde nicht vorgesehen ist.

Wien, am 19. Jänner 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999010345.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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