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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §67a Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des GM in S, vertreten durch Dr. Eckart Fussenegger, Dr. Alexander Hacker und Dr. Andreas Arnold, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Mirabellplatz 6/II, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 21. März 1997, Zl. UVS-6/77/8-1997, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit der am 4. Oktober 1996 beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Salzburg eingelangten "Maßnahmenbeschwerde" beantragte der Beschwerdeführer, seine Festnahme durch Organe der Bundespolizeidirektion Salzburg am 25. August 1996 um 13.20 Uhr und seine nachfolgende Anhaltung bis 20.15 Uhr sowie die von 13.20 Uhr bis 13.50 Uhr erfolgte Fesselung durch Handschellen für rechtswidrig zu erklären.
Die belangte Behörde wies diese Beschwerde mit Bescheid vom 21. März 1997 "gemäß §§ 67a Abs. 1 Z. 2 und 67c Abs. 3 AVG" als unbegründet ab. Dabei ging sie von folgendem Sachverhalt aus:
Am 25. August 1996 um 11.45 Uhr sei der Schwager des Beschwerdeführers (Bruder seiner Ehefrau) mit seinem Freund als Dolmetscher im Wachzimmer Gnigl erschienen. Er habe angegeben, dass seine Schwester (Ehefrau des Beschwerdeführers) um etwa 10.05 Uhr bei ihm angerufen und geäußert hätte, vom Beschwerdeführer gegen ihren Willen zu Hause festgehalten zu werden; das Telefonat wäre unterbrochen worden, wobei die Unterbrechung so gewirkt hätte, als hätte der Beschwerdeführer seine Ehefrau an der Fortsetzung des Telefonates gehindert; kurz darauf hätte der Beschwerdeführer selbst angerufen und sinngemäß mit folgenden Worten gedroht: "Wenn du deine Schwester abholst oder ihr zu Hilfe eilst, dann bringe ich dich um". Außerdem habe der Schwager des Beschwerdeführers - der sehr nervös gewesen sei, ganz rote Lippen gehabt und den Eindruck vermittelt habe, es würde bei mangelndem Einschreiten der Exekutive etwas passieren - angegeben, dass seiner Schwester am Vortag vom Beschwerdeführer ein Zahn ausgeschlagen worden wäre.
Nach Feststellung des Sachverhaltes und einer umfassenden Zeugenbelehrung sei ab 12.30 Uhr mit dem Schwager des Beschwerdeführers eine Niederschrift aufgenommen worden. Zwischenzeitig sei von anderen Beamten des Wachzimmers Gnigl nach Rücksprache mit dem zuständigen Journalbeamten und auf Grund dessen Auftrags ein Einsatz vorbereitet und das mobile Einsatzkommando informiert worden. Da sich ergeben habe, dass der Beschwerdeführer im Besitz von zwei Faustfeuerwaffen gewesen sei, seien vor dem Einsatz schusssichere Westen angelegt worden. Dieser Einsatz habe um 13.20 Uhr begonnen; nachdem von einem der vier Kinder des Beschwerdeführers die Tür geöffnet worden sei, hätten ca. 6 bis 8 Polizeibeamte der Bundespolizeidirektion Salzburg die Wohnung des Beschwerdeführers betreten. Im Hinblick auf die von dessen Schwager geäußerte Gewaltbereitschaft, den erhobenen Besitz von Faustfeuerwaffen und auf Grund der Statur des Beschwerdeführers seien ihm bei seiner Festnahme etwa um 13.30 Uhr Handschellen angelegt worden. Er sei über den Grund des Einschreitens in Kenntnis gesetzt und betreffend die von ihm angeblich geäußerte Drohung befragt worden. Auf die Frage, wo sich seine Ehefrau befinde, habe er geantwortet, dies nicht zu wissen. Im Rahmen der ihm gemachten Vorhalte habe er sich "nicht besonders konstruktiv" gezeigt und diese abgestritten. In der Folge seien die Waffen des Beschwerdeführers sichergestellt worden. Im Hinblick darauf und weil der Beschwerdeführer keine Anzeichen von Aggression habe erkennen lassen, seien ihm nach einer knappen halben Stunde die Handschellen abgenommen worden. Anschließend sei er zum Kriminaldauerdienst verbracht worden, während Beamte des Wachzimmers Gnigl die Wohnung seines Schwagers aufsuchten, wo sich wie vermutet die Ehefrau des Beschwerdeführers befunden habe.
"Im unmittelbaren Anschluss daran" - so die belangte Behörde weiter - sei von Beamten des Wachzimmers Gnigl um 15.21 Uhr mit dem Verfassen einer Anzeige begonnen worden. Diese sei schließlich zum Kriminaldauerdienst gebracht worden und dort gegen 19.00 Uhr eingelangt. Dort habe dann zwischen 19.15 Uhr und 20.15 Uhr die Einvernahme des Beschwerdeführers stattgefunden; sie sei deshalb nicht früher möglich gewesen, weil Sicherheitsbeamte nicht über die erforderliche Ausbildung zur Vernehmung verfügten und weil man dem Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme (zu ergänzen: durch Mitarbeiter des Kriminaldauerdienstes) entsprechende Vorhalte habe machen wollen, die nur bei Vorliegen einer ordnungsgemäß verfassten Anzeige möglich seien. Nach der Einvernahme sei der Sachverhalt dem - nicht sofort erreichbaren - Journalstaatsanwalt vorgetragen worden, der um 21.20 Uhr die Anzeige des Beschwerdeführers "auf freiem Fuß" verfügt habe. Dieser sei dann um 21.20 Uhr entlassen worden.
Rechtlich folgerte die belangte Behörde aus diesem Sachverhalt, dass die einschreitenden Beamten davon ausgehen konnten, dass der Beschwerdeführer bezüglich der Delikte nach § 99 StGB (Freiheitsentziehung) und § 105 StGB (Nötigung) - seitens seines Schwagers - glaubwürdig der Täterschaft iSd § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO beschuldigt worden sei; die Sicherheitswachebeamten des Wachzimmers Gnigl hätten allein auf Grund der durch sie, offenbar als Vorsichtsmaßnahme, erfolgten Wahrheitserinnerung von wahrheitsgetreuen Angaben des Anzeigers ausgehen dürfen; gerade in Ansehung seiner "nicht österreichischen Herkunft" sowie seiner offensichtlichen Unkundigkeit im Umgang mit Behörden habe nicht angenommen werden können, dass er in dem Bewusstsein eine Falschaussage tätige, trotz Belehrung rechtlich nicht der Wahrheitspflicht zu unterliegen. Ausgehend von einer nach 10.00 Uhr angeblich ausgesprochenen Drohung und einer zumindest zu diesem Zeitpunkt angeblich vorliegenden Freiheitsentziehung sei zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung auch die gesetzlich geforderte Unmittelbarkeit in Bezug auf diese Delikte gegeben gewesen; im Hinblick auf die mangelnden deutschen Sprachkenntnisse des pakistanischen Anzeigers und die damit verbundene Notwendigkeit, einen Dolmetscher zur Übersetzung der Anzeige zu finden, sei die Voraussetzung des gesetzlich vorgesehenen engen zeitlichen Zusammenhanges zwischen Tat und Festnahme "der Situation angepasst" auszulegen. Abgesehen davon habe sich auf Grund der Schilderung des Anzeigers der Schluss aufgedrängt, dass seine Schwester noch immer festgehalten werde. An dieser rechtlichen Würdigung ändere der Umstand nichts, dass zwischen Beginn der Anzeigeerstattung (11.45 Uhr) und tatsächlichem Einschreiten (13.20 Uhr) eineinhalb Stunden verstrichen seien; gerade um ein voreiliges Einschreiten zu vermeiden, habe es einer genauen Sachverhaltsermittlung und der Prüfung bedurft, ob ausreichende Anhaltspunkte für die berechtigte Annahme des Vorliegens einer gerichtlich strafbaren Handlung vorlägen. Diese Erhebungen benötigten in Ansehung der mangelnden Sprachkenntnisse des Anzeigers naturgemäß Zeit, wobei ohnehin parallel zu dessen zeugenschaftlicher Einvernahme ab etwa 12.30 Uhr mit der Vorbereitung des Einsatzes begonnen worden sei.
Der Verdacht der Freiheitsentziehung sei in der Folge nicht schon deshalb weggefallen, weil sich die Ehefrau des Beschwerdeführers nicht in der ehelichen Wohnung aufgehalten habe; der Beschwerdeführer habe keine Angaben zu deren Aufenthalt gemacht und sich auch sonst nicht "konstruktiv" gezeigt, er hätte seine Ehefrau auch an einem anderen Ort festhalten können. Jedenfalls sei zu diesem Zeitpunkt die gefährliche Drohung noch immer aufrecht gewesen; der Ansicht des Beschwerdeführers, dass diese durch die Abwesenheit des Schwagers "sinnentleert" worden sei, könne nicht gefolgt werden. Die weitere Verwahrung des Beschwerdeführers sei des Weiteren auch nach Auffinden seiner Ehefrau in der Wohnung des Schwagers indiziert gewesen, weil eine Kontaktaufnahme mit ihr infolge ihrer unzureichenden Deutschkenntnisse schwierig gewesen sei, weil sie zumindest teilweise die Behauptungen des Anzeigers bestätigt habe und weil bei der Verworrenheit der Situation insgesamt jedenfalls eine nähere Prüfung nahe gelegen sei.
Das kurzfristige Anlegen der Handfesseln bis zur Einschätzbarkeit der Lage sei aus Gründen der Eigensicherung der einschreitenden Beamten und zur Vermeidung einer Eskalation - auch ohne Vorliegen von Widerstand des Beschwerdeführers - gerechtfertigt gewesen, weil auf Grund der Anzeige davon ausgegangen habe werden müssen, dass der Beschwerdeführer gewalttätig sei und weil sich herausgestellt habe, dass er über zwei Faustfeuerwaffen verfüge. Im Übrigen seien dem Beschwerdeführer nach Sicherstellung der Faustfeuerwaffen und mangels weiterer Anzeichen auf Aggressivität die Handfesseln nach einer knappen halben Stunde ohnedies wieder abgenommen worden, sodass ungeachtet der Anwesenheit der Kinder des Beschwerdeführers nicht von einer Verletzung des Art. 3 EMRK ausgegangen werden könne. Es liege aber auch keine unverhältnismäßig lange Dauer der Anhaltung des Beschwerdeführers vor; die mit dem Vorfall von Anfang an betrauten Beamten seien nach der Verbringung des Beschwerdeführers zum Kriminaldauerdienst sofort in die Wohnung des Anzeigers gefahren, wo sie die Ehefrau des Beschwerdeführers vermuteten; danach hätten sie sich sofort wieder zu ihrer Dienststelle begeben, um die Anzeige zu verfassen; erst nach deren Vorliegen sei eine zweckentsprechende Einvernahme des Beschwerdeführers durch eigens dafür geschulte Kriminalbeamte möglich gewesen; dass der Beschwerdeführer (erst) nach einer Stunde nach Abschluss seiner Einvernahme enthaftet worden sei, sei schließlich damit zu erklären, dass der Staatsanwalt nicht sofort habe erreicht werden können, und stelle keine unverhältnismäßige Verzögerung dar. Abschließend sei auszuführen, dass die seinerzeitigen falschen Angaben des Anzeigers aus der Sicht der einschreitenden Beamten die gegenständliche Amtshandlung (dennoch) erforderlich gemacht hätten, um eine berechtigterweise vermeinte Gefährdung von Personen hintanzuhalten und ein Verbrechen aufzuklären; auf die "tatsächliche Tatbegehung" komme es dagegen nicht an. Entgegen seiner Ansicht sei der Beschwerdeführer daher weder im Recht auf persönliche Freiheit noch im Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 8. Juni 1998, B 1074/97-7, ablehnte und sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Vor diesem begehrt der Beschwerdeführer die Aufhebung des bekämpften Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde zufolge wurde der Beschwerdeführer von seinem Schwager der Begehung der Delikte nach § 99 StGB (Freiheitsentziehung) und nach § 105 StGB (Nötigung), allenfalls in Form der Qualifikation nach § 106 Abs. 1 Z. 1 StGB, bezichtigt. In der Folge wurde er von Organen der Bundespolizeidirektion Salzburg im Dienste der Strafjustiz ohne Vorliegen eines richterlichen Haftbefehles verhaftet. Die Rechtmäßigkeit dieser, vom Beschwerdeführer bei der belangten Behörde mit seiner "Maßnahmenbeschwerde" bekämpften Verhaftung ist daher an § 177 Abs. 1 StPO zu messen, wonach die vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen zum Zwecke der Vorführung vor den Untersuchungsrichter in den Fällen des § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO sowie in den Fällen des § 175 Abs. 1 Z. 2 bis 4 und Abs. 2 leg. cit. dann, wenn die Einholung des richterlichen Befehls wegen Gefahr im Verzug nicht tunlich ist, ausnahmsweise auch durch Organe der Sicherheitsbehörden ohne schriftliche Anordnung vorgenommen werden kann.
Im vorliegenden Fall hat die Bundespolizeidirektion Salzburg (in ihrer im Verfahren vor der belangten Behörde erstatteten Gegenschrift) die in Frage stehende Verhaftung des Beschwerdeführers auf die erste Alternative der genannten Bestimmung gestützt; auch die belangte Behörde prüfte dessen Festnahme ausschließlich vor dem Hintergrund des § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO. Diese Bestimmung lautet wie folgt:
"§ 175. (1) Auch ohne vorangegangene Vorladung kann der Untersuchungsrichter die Vorführung oder vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen anordnen:
1. wenn der Verdächtige auf frischer Tat betreten oder unmittelbar nach Begehung eines Verbrechens oder Vergehens glaubwürdig der Täterschaft beschuldigt oder mit Waffen oder anderen Gegenständen betreten wird, die vom Verbrechen oder Vergehen herrühren oder sonst auf seine Beteiligung daran hinweisen;
..."
Unter dem Blickwinkel dieses Haftgrundes steht zunächst fest, dass der Beschwerdeführer bezüglich der ihm zur Last gelegten Delikte nicht auf frischer Tat betreten wurde. Betretung auf frischer Tat setzt nämlich voraus, dass die Tatbegehung unmittelbar von den Sicherheitsorganen selbst wahrgenommen wird, ohne dass es noch weiterer Erhebungen bedarf (vgl. dazu etwa VfSlg. 10.327 und VfSlg. 13.255). Die einschreitenden Sicherheitsorgane haben im gegenständlichen Fall aber weder eine Entziehung der Freiheit der Ehefrau des Beschwerdeführers beobachten noch die ihm vorgeworfene Nötigungshandlung wahrnehmen können. Da der Beschwerdeführer auch nicht mit Waffen oder anderen Gegenständen betreten wurde, die vom Verbrechen oder Vergehen herrührten oder sonst auf seine Beteiligung daran hinwiesen, wäre seine Festnahme unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO demnach nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn neben einem Tatverdacht (Einleitungssatz des § 175 StPO) das Tatbestandsmerkmal "unmittelbar nach Begehung eines Verbrechens oder Vergehens glaubwürdig der Täterschaft beschuldigt" vorgelegen hätte. Diesbezüglich hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass nicht bloß im Fall der Betretung auf frischer Tat, sondern auch in den anderen von § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO umfassten Fällen ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Tat und dem behördlichen Einschreiten gegen den Verdächtigen vorliegen muss
(vgl. VfSlg. 7244 und VfSlg. 8816); es bedarf also nicht nur eines direkten Zusammenhanges zwischen präsumtiver Tatbegehung und Beschuldigung, sondern auch zwischen Tatbegehung und Verhaftung.
In Foregger/Kodek, StPO 7 (1997), Anm. II zu § 175, wird zum Haftgrund des § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO allgemein dargelegt, dass er nur im ersten Zugriff, im engsten zeitlichen Zusammenhang mit der Tat angenommen werden könne. Dearing, Die polizeiliche Verwahrung nach § 177 StPO, Anwbl. 1981, 514, umschreibt die Voraussetzungen dergestalt, dass der genannte Haftgrund das Betreten "in flagranti" umfasst. Insoweit wird daher das in Frage stehende Tatbestandsmerkmal dem Betreten auf frischer Tat angenähert.
Eine historische Analyse bestätigt diese Ansicht. § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO hatte vor seiner Novellierung durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1971, BGBl. Nr. 273/1971, folgende Fassung:
"§ 175. (1) Der Untersuchungsrichter kann auch ohne vorgängige Vorladung die Vorführung und vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen anordnen:
1. Wenn er auf frischer Tat betreten oder unmittelbar nach der Tat durch amtliche Nacheile oder öffentlichen Nachruf als des Verbrechens oder Vergehens verdächtigt bezeichnet oder mit Waffen oder anderen Gegenständen betreten wird, die vom Verbrechen oder Vergehen herrühren oder sonst auf seine Teilnahme daran hinweisen.
2. ..."
Mit diesem Haftgrund wurde der Fall erfasst, dass der Täter, wenn nicht augenblicklich bei Begehung der Tat ergriffen, doch so bis zur Ergreifung verfolgt wurde, dass der durch sinnliche Wahrnehmung bekundete unmittelbare Zusammenhang zwischen dieser Person und der eben verübten Tat sich als ein unzweifelhafter darstellt (so illustrativ schon Mayer, Commentar zu der Oesterreichischen Strafproceß-Ordnung (1881), 477, 645). Durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1971 erhielt die in Frage stehende Bestimmung ihre heutige Fassung. Das Strafrechtsänderungsgesetz 1971 verfolgte - u.a. - die erklärte Zielsetzung, Vorhaften einzudämmen (39 BlgNR 12. GP, 9 und 22). Im Hinblick darauf kann die - in den Materialien (aaO., 24) nicht näher begründete - Umformulierung des § 175 Abs. 1 Z. 1 ZPO jedenfalls nicht so verstanden werden, dass sie eine Erweiterung der Möglichkeiten zur vorläufigen Verwahrung vorsehen wollte.
Ungeachtet dieser historischen Überlegungen bestätigt § 177 Abs. 1 StPO die Annahme, dass § 175 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. auch in der hier interessierenden Alternative ("unmittelbar nach Begehung eines Verbrechens oder Vergehens glaubwürdig der Täterschaft beschuldigt") nur die sofortige Reaktion auf ein vermeintliches Delikt - zur sofortigen Sachverhaltsfeststellung (vgl. Art. 2 Abs. 1 Z. 2 lit. a des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit) und zur Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens - im Auge hat. Während nämlich bei den Haftgründen des § 175 Abs. 1 Z. 2 bis Z. 4 StPO die ausnahmsweise vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen zum Zwecke der Vorführung vor den Untersuchungsrichter durch Organe der Sicherheitsbehörden ohne schriftliche Anordnung nur dann statthaft ist, wenn sich die Einholung eines richterlichen Befehls wegen Gefahr in Verzug als untunlich erweist, wird letzteres Erfordernis in Bezug auf den Haftgrund des § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO nicht aufgestellt. Will man der Regelung des § 177 Abs. 1 leg. cit. keinen Wertungswiderspruch unterstellen, so kann das nur bedeuten, dass in einem solchen Falle die Einholung des richterlichen Befehls schon der Natur der Sache nach nicht in Betracht kommt, weil jede Verzögerung zur Vereitelung dieses Haftgrundes führte (vgl. auch Foregger/Kodek, aaO., Anm. I zu § 177, wonach den Fällen des § 177 Abs. 1 Z. 1 StPO das Moment der Gefahr in Verzug innewohnt).
Kommt man auf den vorliegenden Fall zurück, so zeigt sich, dass die Verhaftung des Beschwerdeführers - der nach den Angaben der Bundespolizeidirektion Salzburg in ihrer Gegenschrift vor der belangten Behörde eine schon im Zuge der Einsatzvorbereitung eingeholte (!) dahingehende Anordnung des polizeilichen Journalbeamten vorausging - auf dem Boden des festgestellten Sachverhaltes weder bezüglich der behaupteten (versuchten) Nötigung noch bezüglich der dem Beschwerdeführer angelasteten Freiheitsentziehung als Maßnahme des "ersten Zugriffs" bzw. als sofortige, eine Kontaktaufnahme mit dem Untersuchungsrichter ausschließende unmittelbare Reaktion auf die vorgeworfenen Delikte verstanden werden kann. Das ist bei der der Nötigungshandlung zugrunde liegenden gefährlichen Drohung im Hinblick auf die verstrichene Zeitspanne bis zur Verhaftung (3 1/4 Stunden) evident, ergibt sich aber auch bezüglich des Dauerdelikts der Freiheitsentziehung daraus, dass bei Eintreffen der Sicherheitswachebeamten in der Wohnung des Beschwerdeführers nach den getroffenen Feststellungen kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich war, der Beschwerdeführer habe bis unmittelbar vor deren Eintreffen seine Ehefrau festgehalten oder entziehe ihr gar noch immer die Freiheit; die von der belangten Behörde ins Spiel gebrachte Möglichkeit, der Beschwerdeführer hätte seine Ehefrau an einem anderen Ort festhalten können, wäre auch aus damaliger Sicht reine Spekulation gewesen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kommt es auch nicht darauf an, welche Umstände die zeitliche Spanne zwischen der als glaubwürdig erachteten Beschuldigung und der Festnahme durch die Organe der Bundespolizeidirektion Salzburg verursacht haben; im Rahmen des § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO ist eben allein die in engen zeitlichen Grenzen zu beurteilende Unmittelbarkeit von Relevanz. Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang argumentiert, es habe gerade zur Vermeidung eines voreiligen Einschreitens einer genauen Sachverhaltsermittlung bedurft, so mag ihr zuzustimmen sein; in einem solchen Fall ist aber dem Haftgrund des § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO, der wie oben gezeigt ein unverzügliches reaktives Tätigwerden vor Augen hat, von vornherein der Boden entzogen. Ob allenfalls ein anderer Haftgrund vorgelegen hätte, kann im Hinblick darauf, dass sich die Bundespolizeidirektion Salzburg ausschließlich auf jenen des § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO berufen hat, dahinstehen (vgl. VfSlg. 12.853, m. w.N.). Der Vollständigkeit halber sei freilich angemerkt, dass bei der dann zu prüfenden Frage, ob Gefahr in Verzug bestand, ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. für viele VfSlg. 12.701).
Nach dem Gesagten ergibt sich, dass die Verhaftung des Beschwerdeführers durch Organe der Bundespolizeidirektion Salzburg im Dienste der Strafjustiz ohne Einholung eines richterlichen Befehls nicht dem Gesetz entsprach. Damit fehlt aber auch der nachfolgenden Anhaltung (vgl. VfSlg. 6102) und dem überdies vor der belangten Behörde in Beschwerde gezogenen Anlegen von Handfesseln die rechtliche Deckung. Dies hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 19. Jänner 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998010451.X00Im RIS seit
05.04.2001