Entscheidungsdatum
19.07.2018Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
W131 2133935-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag Reinhard GRASBÖCK über die Beschwerde des XXXX, geb XXXX, StA Afghanistan, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.07.2016, Zl XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer (= Bf) am 04.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Anlässlich seiner am 06.06.2015 durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme gab der Bf, befragt nach seinen Fluchtgründen an, dass er mit Geschäftspartnern seines Schwagers in Pakistan Probleme bekommen habe. Sein Schwager habe bei seinen Geschäftspartnern hohe Schulden gehabt. Nachdem sie seinen Schwager nicht ausfindig machen haben können, seien sie zu ihm gekommen und hätten sich nach dessen Verbleib erkundigt. Da auch der Bf über den Verbleib seines Schwagers keine Angaben machen habe können, hätten sie ihm eine Woche Zeit gegeben um den Aufenthalt seines Schwagers herauszufinden und hätten widrigenfalls gedroht sowohl den Bf als auch dessen Familie umzubringen. Am 20.07.2016 fand die Einvernahme des Bf vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (= belangte Behörde) statt. Befragt zu seinen Fluchtgründen brachte der Bf im Wesentlich erneut jene Probleme mit den Geschäftspartnern seines Schwagers in Pakistan vor und führte zudem aus, dass er nicht nach Afghanistan gehen könne, da diese Geschäftspartner ihn auch dort suchen und vermutlich auch finden würden.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 27.07.2016 wies die belangte Behörde den Antrag des Bf auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch subsidiären Schutz zu und gewährte ihm eine entsprechende befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkte II. und III.). Gleichzeitig wurde dem Bf der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (= BVwG) amtswegig zur Seite gestellt.
3. Die dagegen - ausschließlich gegen Spruchpunkt I. - gerichtete Beschwerde, die vom Bf mit Unterstützung seines bevollmächtigten Rechtsberaters verfasst wurde, langte am 29.08.2016 bei der belangten Behörde ein.
4. Mit Schreiben vom 30.08.2016 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt dazugehörigen Verwaltungsakten dem BVwG zur Entscheidung vor und wurden diese nach anderweitiger gerichtsabteilungsmäßiger Vorzuständigkeit schließlich der hier erkennenden Gerichtsabteilung zugewiesen. Gleichzeitig teilte die belangte Behörde mit, auf die Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung zu verzichten.
5. Am 10.10.2017 fand schließlich vor dem BVwG unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an der auch der Bf in Begleitung seiner Rechtsberaterin, diese als Vertreterin gemäß Vollmacht vom 28.09.2017, teilnahm.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Bf
Der Bf ist afghanischer Staatsangehöriger. Er gehört der paschtunischen Volksgruppe an und bekennt sich selbst zum islamischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Der Bf wurde am XXXX in der afghanischen Provinz Kunduz geboren. Bereits im frühen Kindesalter hat der Bf Afghanistan verlassen und ist mit seiner Familie nach Pakistan gezogen. In Pakistan hat er acht Jahre lang die Schule besucht und war bis zu seiner Ausreise Betreiber eines Internet-Lokals.
Es kann nicht festgestellt werden, aus welchen Gründen die Eltern des Bf Afghanistan verlassen haben. Die Kernfamilie (Vater, Mutter und Geschwister) des Bf leben nach wie vor in Pakistan in wirtschaftlich guten Verhältnissen.
Der Bf ist ledig, gesund und arbeitsfähig. Er ist strafrechtlich unbescholten.
Bereits mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Bf der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine entsprechende befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
1.2. Zu den vorgebrachten Fluchtgründen des Bf
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bf im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen, wie seines langjährigen Aufenthalts in Pakistan und jüngst auch in Europa) zu erwarten hätte.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat
Unter Bezugnahme auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 29.06.2018), werden folgende entscheidungsrelevanten, die Person des Bf individuell betreffenden Feststellungen zur Lage in Afghanistan getroffen:
1.3.1. Kunduz
Kunduz liegt 337 km nördlich von Kabul und grenzt an die Provinzen Takhar im Osten, Baghlan im Süden, Balkh im Westen und Tadschikistan im Norden (NPS o.D.; vgl. Pajhwok o.D.a). Die Provinz hat folgende Distrikte: Imam Sahib/Emamsaheb, Dasht-e-Archi, Qala-e-Zal, Chahar Dara/Chardarah, Ali Abad/Aliabad, Khan Abad/Khanabad und Kunduz; die Hauptstadt ist Kunduz-Stadt (Pajhwok o.D.b; vgl. UN OCHA 4.2014). Gemäß einer Quelle wurden vor zwei Jahren in der Provinz drei neue Distrikte gegründet: Atqash, Gultapa, Gulbad (Pajhwok 11.2.2018).
Auch ist die Provinzhauptstadt Kunduz-Stadt etwa 250 km von Kabul entfernt (Xinhua 7.7.2017). Als strategischer Korridor wird Kunduz als bedeutende Provinz in Nordafghanistan erachtet - Sher Khan Bandar, die Hafenstadt am Fluß Pandsch, an der Grenze zu Tadschikistan, ist beispielsweise von militärischer und wirtschaftlicher Bedeutung (Khabarnama 22.8.2016; vgl. Pajhwok 2.1.2018, AN 21.12.2017).
Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.049.249 geschätzt (CSO 4.2017). In der Provinz leben Paschtunen, Usbeken, Tadschiken, Turkmenen, Hazara und Paschai (NPS o.D.).
Strategisch wichtig ist die Stadt Kunduz nicht nur für Afghanistan (DW 30.9.2015; vgl. Xinhua 7.7.2017), denn Kunduz war bis zum Einmarsch der US-Amerikaner im Jahr 2001 die letzte Hochburg der Taliban (RFE/RL 9.2015). Wer die Stadt kontrolliert, dem steht der Weg nach Nordafghanistan offen. Kunduz liegt an einer wichtigen Straße, die Kabul mit den angrenzenden nördlichen Provinzen verbindet (DW 30.9.2015). Kunduz-Stadt ist eine der größten Städte Afghanistans und war lange Zeit ein strategisch wichtiges Transportzentrum für den Norden des Landes. Kunduz ist durch eine Autobahn mit Kabul im Süden, Mazar-e Sharif im Westen, sowie Tadschikistan im Norden verbunden (BBC News 3.10.2016). Die Regierung plant u.a. die Turkmenistan-Afghanistan-Tadschikistan-Eisenbahnlinie, die Andkhoy, Sheberghan, Mazar-e-Sharif, Kunduz und Sher Khan Bandar verbinden und als Anbindung an China über Tadschikistan dienen soll (TD 5.12.2017).
Um Ordnung und Normalität in die Stadt Kunduz zu bringen, hat die Kommunalverwaltung im Februar 2018 eine Massenaufräum-Aktion gestartet. Ebenso wurden weitere Projekte implementiert: im Rahmen dieser werden Landstraßen und Wege gewartet, vier neue Parks errichtet - die insbesondere von Frauen und Kindern genutzt werden sollen, etc. Diese Projekte führten zusätzlich zur Schaffung von 550 Jobs - auch für Frauen. Das Erscheinungsbild der Stadt hat sich u.a. aufgrund der Errichtung von Straßenbeleuchtung verbessert (Tolonews 17.2.2018).
In Kunduz gibt es zahlreiche Unternehmen, die verschiedene Produkte wie Fruchtsäfte, Klopapier, Taschentücher und Sojabohnen produzieren. Die Sicherheitslage hatte mit Stand März 2017 jedoch negative Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wachstum in der Provinz (UNAMA 26.3.2017). In der Provinz wird ein Projekt im Wert von 9.5 Mio. USD für den Ausbau der ANA-Infrastruktur [Anmerkung:
der Infrastruktur der Afghan National Army] implementiert (SIGAR 30.1.2018).
Kunduz gehörte im November 2017 zu den Opium-freien Provinzen Afghanistans (UNODC 11.2017).
Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage in Kunduz
Kunduz zählt zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans, in der Aufständische aktiv sind (AJ 4.10.2017; vgl. Khaama Press 15.8.2017, Reuters 22.7.2017, Tolonews 24.5.2017). In den Jahren 2015 und 2016 fiel Kunduz-Stadt jeweils einmal an Taliban-Aufständische (Xinhua 8.7.2017); die Stadt konnte in beiden Fällen von den afghanischen Streitkräften zurückerobert werden (BBC 4.10.2016; vgl. Reuters 1.10.2015, NYT 14.1.2018, UNAMA 26.3.2017). Das deutsche Militär hat einen großen Stützpunkt in der Provinz Kunduz (Gandhara 7.3.2018; vgl. SZ 7.3.2018). Während des Jahres 2017 sank die Anzahl der zivilen Opfer in Folge von Bodenoffensiven u.a. in der Provinz Kunduz; ein Grund dafür war ein Rückgang von Militäroffensiven in von Zivilist/innen bewohnten Zentren durch die Konfliktparteien (UNAMA 2.2018).
Im Februar 2018 berichteten einige Quellen, die Sicherheitslage in der Provinzhauptstadt Kunduz hätte sich sehr verbessert; den Einwohnern in Kunduz-Stadt sei es aufgrund der Beleuchtung zahlreicher Straßen möglich, auch nachts in der Stadt zu bleiben (Tolonews 26.2.2018; vgl. Tolonews 17.2.2018).
Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 225 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert[.]
...
Im gesamten Jahr 2017 wurden 377 zivile Opfer (93 getötete Zivilisten und 284 Verletzte) in der Provinz Kunduz registriert. Hauptursache waren Bodenangriffe, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 41% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Aufgrund von Terrorbekämpfungsoperationen in der Provinz sind zahlreiche Familien nach Kunduz-Stadt vertrieben worden (Pajhwok 23.1.2018; vgl. Pajhwok 20.1.2018).
Nach dem US-amerikanischen Luftangriff auf das Médecins Sans Frontières (MSF)-Krankenhaus im Jahr 2015 wurde im Juli 2017 wieder eine Klinik von MSF in Kunduz-Stadt eröffnet (AJ 4.10.2017; vgl. Reuters 22.7.2017).
Militärische Operationen in der Kunduz
In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Pajhwok 23.1.2018; vgl. Pajhwok 20.1.2018, Tolonews 25.10.2017, Xinhua 24.9.2017, Khaama Press 22.1.2017, Z News 12.1.2017, Khaama Press 9.1.2017). Auch werden regelmäßig Luftangriffe durchgeführt (LWJ 27.1.2018; vgl. Khaama Press 20.1.2018, Xinhua 14.2.2018, Khaama Press 7.6.2017, TG 4.11.2017, Tolonews 18.10.2017); dabei werden Aufständische - u.a. tadschikische Kämpfer - (Khaama Press 7.6.2017) und manchmal auch Talibankommandanten getötet (Xinhua 14.2.2018). Manchmal werden Talibankämpfer (Xinhua 4.3.2018) verhaftet. In der Provinz kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (UNGASC 27.2.2018; vgl. Pajhwok 23.2.2018, NYT 16.1.2018, Khaama Press 27.1.2018, Khaama Press 15.8.2017, Tolonews 4.7.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in Kunduz
Talibankämpfer, insbesondere Mitglieder der "Red Unit", einer Taliban-Einheit, die in zunehmendem Ausmaß Regierungsstützpunkte angreift, sind in der Provinz Kunduz aktiv (NYT 16.1.2018; vgl. AT 17.1.2018; NYT 14.11.2017). Einige Distrikte, wie Atqash, Gultapa und Gulbad, sind unter Kontrolle der Taliban (Pajhwok 11.2.2018). Auch in Teilen der Distrikte Dasht-e-Archi und Chardarah sind Talibankämpfer zum Berichtszeitpunkt aktiv (UOL 9.3.2018; Pajhwok 16.1.2018; Xinhua 14.2.2018, Tolonews 25.10.2017, Xinhua 24.9.2017).
Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden IS-bezogene Sicherheitsvorfälle registriert, während zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 keine sicherheitsrelevanten Ereignisse mit Bezug auf den IS gemeldet wurden (ACLED 23.2.2018).
...
1.3.2. Drogenanbau
In den Jahren 2016 - 2017 haben sich die Flächen zum Mohnanbau für Opium um 63% vergrößert und kommen nun auf 328.000 Hektar; insgesamt verstärkte sich die Opiumproduktion um 87% und damit auf 9.000 metrische Tonnen - die größte Menge in der afghanischen Geschichte. Die stärkste Expansion der Mohanbauflächen war in der Provinz Helmand zu verzeichnen, die als Zentrum der Opiumproduktion erachtet wird: eine Fläche von 144.000 Hektar ist dort dem Mohnanbau gewidmet. Der Mohnanbau hat sich landesweit verstärkt, auch in nördlichen Provinzen, wie z.B. Balkh und Jawzjan (UNODC 11.2017).
Unterstützt von ihren internationalen Partnern führt die afghanische Regierung weiterhin Operationen zur Drogenbekämpfung durch. Im gesamten Jahr 2017 wurden von afghanischen Exekutivbehörden 445 solcher Einsätze durchgeführt. Beschlagnahmt wurden dabei: 391kg Heroin, 31kg Morphium, 8.141kg Opium, 2 kg Methamphitamine, 38.547 kg Haschisch, 1.256 kg fester Vorläuferchemikalien, 1.437 flüssige Vorläuferchemikalien und 1.590 Tabletten synthetischer Drogen (MDMA - 3,4-methylenedioxymethamphetamine); diese Beschlagnahmungen führten zu 531 Verhaftungen. Die beschlagnahmte Menge an Opiaten ist die höchste registrierte Menge seit dem Jahr 2012. Auch hat sich der Preis für Opium erheblich reduziert (-41%), was mit einer großen Ernte in Verbindung gebracht wird; reduziert hat sich auch der Heroinpreis (-7%) (UNGASC 27.2.2018).
Im letztem Quartal 2017 wurden 750 Hektar Mohnanbauflächen in den Provinzen Nangarhar, Kandahar, Badakhshan, Balkh, Kunar, Kapisa, Laghman, Ghor, Herat, Badghis, Nimroz, Takhar, und Kabul vernichtet. Der UN zufolge wurden in den letzten drei Jahren in den nördlichen Regionen keine Mohnanbauflächen vernichtet, außer in den Provinzen Sar-e Pul und Balkh im Jahr 2017 - wo insgesamt 25 Hektar zerstört wurden. Ebenso wurden im Jahr 2017 im Süden des Landes keine Mohnanbauflächen zerstört; die Ausnahme bildet Kandahar - dort wurden 48 Hektar zerstört (SIGAR 30.1.2018).
...
1.3.3. Paschtunen
Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 20.4.2018). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).
Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA Staatendokumentation 7.2016).
1.3.4. Meldewesen
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).
Das afghanische Bevölkerungsgesetz von 2014 beinhaltet u. a. Regelungen zur Bürgerregistrierung. Gemäß Artikel 9 des Gesetzes sollen nationale Personalausweise [Anm.: auch Tazkira genannt. Eine Tazkira gilt sowohl als Personenstandsregisterauszug als auch als Personalausweis] zum Zwecke des Identitätsnachweises und der Bevölkerungsregistrierung ausgestellt werden (NLB/NA 2014). Das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist jedoch kaum entwickelt. Ein Personenstandsregisterauszug (Tazkira) wird nur afghanischen Staatsangehörigen nach Registrierung und dadurch erfolgtem Nachweis der Abstammung von einem Afghanen ausgestellt. Er gilt sowohl als Nachweis für die Staatsangehörigkeit, sowie als Geburtsurkunde. In der Tazkira sind Informationen zu Vater und Großvater, jedoch nicht zur Mutter enthalten. Tazkiras können sowohl in der Hauptstadt Kabul als auch am jeweiligen Geburtsort, nicht jedoch von afghanischen Auslandsvertretungen ausgestellt werden. Sie können jedoch über eine afghanische Auslandsvertretung beim afghanischen Innenministerium beantragt werden (AA 5.2018). Allein die Auslandsvertretungen im Iran haben Ausnahmeregeln und können eine Tazkira vor Ort ausstellen. Es gibt Pläne dafür, dieselben Befugnisse auch afghanischen Auslandsvertretungen in Pakistan zu erteilen (BFA/Migrationsverket 10.4.2018). In der Regel erfolgt der Nachweis der Abstammung durch die Vorlage der Tazkira eines Verwandten 1. Grades oder durch Zeugenerklärungen in Afghanistan (AA 5.2018). Einer Quelle zufolge können Frauen Tazkiras und Pässe für sich und ihre Kinder ohne die Anwesenheit eines männlichen Zeugen beantragen (vertrauliche Quelle 9.5.2018).
Eintragungen in der Tazkira sind oft ungenau. Geburtsdaten werden häufig lediglich in Form von "Alter im Jahr der Beantragung", z. B. "17 Jahre im Jahr 20xx" erfasst, genauere Geburtsdaten werden selten erfasst und wenn, dann meist geschätzt (AA 5.2018). Insgesamt sind in Afghanistan im Moment sechs Tazkira-Varianten im Umlauf (AAN 22.2.2018). Die Vorlage einer Tazkira ist Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses. Es sind Fälle bekannt, in denen afghanische Auslandsvertretungen Reisepässe nach nur oberflächlicher Prüfung ausstellten, ohne Vorlage einer Tazkira und ggf. aufgrund der Aussage zweier Zeugen. Ein derart ausgestellter Reisepass stellt daher im Gegensatz zur Tazkira nur bedingt einen Nachweis der Staatsangehörigkeit dar (AA 5.2018). Nicht jeder afghanische Bürger besitzt eine Tazkira (AAN 27.5.2018).
Über die Einführung von elektronischen Personalausweisen, auch e-Tazkiras genannt, wurde lange Zeit diskutiert. Am 15.2.2018 beantragten Präsident Ghani, seine Ehefrau, Vizepräsident Muhammad Sarwar Danesh und weitere 200 Familien in Afghanistan die ersten elektronischen Personalausweise (AAN 22.2.2018).
...
1.3.5. Afghanische Flüchtlinge in Pakistan
Die pakistanische Regierung hat die Gültigkeit der PoR-Cards (Proof of Registration Cards) für die 1.4 Millionen afghanische Flüchtlinge im Land bis 30.6.2018 verlängert - vorbehaltlich der Prüfung nach den bevorstehenden Bundeswahlen in Pakistan und der Ernennung des neuen Kabinetts. Zusätzlich hat NADRA (National Database and Registration Authority) damit begonnen, die sogenannte Afghan Citizen Card (ACC) an 878.000 nicht registrierte Afghanen zu verteilen, die sich seit 16.8.2017 in 21 Registrierungszentren in Pakistan haben registrieren lassen; bis 28.2.2018 wurden der Registrierungsprozess für die ACC abgeschlossen, die Zentren bleiben nach wie vor offen, um die Karten zu verteilen. Die Karten sind bis 30.6.2018 gültig; deren Besitzer sind verpflichtet bis dahin nach Afghanistan zurückzukehren, um Dokumente zu beantragen (einen afghanischen Pass und ein Visum für Pakistan) bevor sie nach Pakistan zurückkehren. Die restlichen rund 200.000 nicht-registrierten Afghan/innen könnten möglicherweise einer Deportation ausgesetzt sein. Bis 12.3.2018 erhielten 175.321 ihre ACC (IOM 20.3.2018).
...
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des Verfahrensaktes des BVwG.
2.2. Die Feststellungen zu Identität, Volksgruppenzugehörigkeit, Religionsbekenntnis, familiären Verhältnissen sowie des schulisch und beruflichen Werdegangs des Bf beruhen auf seinen eigenen, gleichlautenden und insoweit unbedenklichen Angaben.
2.3. Eine individuelle Verfolgung oder Bedrohung wurde vom Bf in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan nicht substantiiert geltend gemacht und ist auch im Hinblick auf die sonstigen Merkmale des Bf, zB als Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen mit sunnitischen Glauben, nicht zu erkennen.
Aus einer Gesamtschau sowohl des Verfahrens vor der belangten Behörde als auch vor dem BVwG ergibt sich daher, dass der Bf trotz der zahlreichen Gelegenheiten nicht imstande war, eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen in Bezug auf seinen Herkunftsstaat (Afghanistan) geltend zu machen. Es konnte weder eine konkret gegen die Person des Bf gerichtete asylrelevante Verfolgung festgestellt werden, noch sind im Verfahren sonst irgendwelche Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung des Bf im Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen für wahrscheinlich erscheinen lassen hätten.
2.4. Abgesehen davon, dass sich das Vorbringen des Bf größtenteils nicht auf Vorkommnisse in seinem Herkunftsstaat, sondern auf Ereignisse in Pakistan bezog (vgl hierzu auch die rechtlichen Ausführungen unter Pkt 3.3.) wurde vom Bf die vermeintliche Bedrohungssituation durch die Geschäftspartner seines Schwagers im Laufe des Verfahrens widersprüchlich dargelegt und gelang es dem Bf somit nicht eine solche glaubhaft zu machen.
2.4.1. Eine erste Ungereimtheit ergibt sich bereits aus der Schilderung des Bf hinsichtlich der vermeintlichen Bedrohung durch die Geschäftspartner seines Schwagers. So gab dieser im Rahmen seiner Erstbefragung an, dass sich die ausgesprochene Drohung gegen die gesamte Familie gerichtet hätte ("Diese Personen sagten, entweder finde ich in dieser Woche meinen Schwager oder sie bringen die gesamte Familie um." AS 23). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung führte der Bf zunächst aus, dass sich seine Kernfamilie nach wie vor in Pakistan aufhalten würde. Zum einen ist nicht nachvollziehbar, warum der Bf wenn - wie behauptet - sich die Drohung gegen seine gesamte Familie gerichtet habe, er Pakistan alleine verlassen hat und seine restliche Familie trotz der auch gegen sie ausgesprochenen Drohung alleine zurückgelassen hat. Zum anderen versucht der Bf in der Verhandlung, befragt warum er glaube, dass sich nur er und nicht auch seine Familie vor den Geschäftspartnern seines Schwagers fürchten müsse seine zuvor getätigte Aussage dahingehend abzuschwächen, als er anführt: "Mit den Frauen, älteren[n] Menschen und Kindern haben sie nichts zu tun. Mein Vater ist alt und mein Bruder war damals ca. 12 Jahre alt. Diese Leute haben sich an mich gewendet bzw. mich aufgefordert, für die offenen Rechnungen meines Schwagers aufzukommen." (S 6 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Einen wirklich nachvollziehbaren und plausiblen Grund, weshalb die Familie des Bf nach wie vor ohne größere Probleme in Pakistan leben kann und lediglich er fliehen habe müssen, konnte vom Bf nicht vorgebracht werden.
2.4.2. Der Bf gab an, dass einer der Geschäftspartner der ihn mehrmals telefonisch belästigt und bedroht habe, den er selbst persönlich jedoch nicht gekannt habe, voriges Jahr getötet worden sei. Auf die Frage des Richters "Warum müssen Sie jetzt noch Angst haben, wenn dieser getötet worden ist?" antwortete der Bf "Das ist für mich noch gefährlicher geworden, weil es mir unterstellt wird, dass ich jemanden gegen Geld beauftragt hätte, ihn zu töten. Ich hatte mit dem Problem mit dem Geld auch nichts zu tun gehabt, aber er wollte unbedingt von mir das Geld haben oder dass ich ihm die Adresse meines Schwagers bekanntgeben soll. Er hat mir nicht geglaubt, als ich ihm gesagt habe, dass ich darüber nicht Bescheid weiß. So wie das Problem mit dem Geld unterstellen sie mir, dass ich bei seiner Tötung beteiligt sein soll. Was eigentlich nicht stimmt, aber das ist die Unterstellung." (S 7 und 8 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Den Auftragsmord würde ihm die Familie des toten Geschäftspartners seines Schwagers unterstellen, da sie gewusst hätten, dass der Getötete nach ihm und seinen Schwager gesucht habe. Einerseits ist es nur schwer nachvollziehbar, wie es der Bf geschafft haben soll zu einem Zeitpunkt an dem er sich bereits längst in Österreich aufgehalten habe den Mord des Geschäftspartners seines Schwagers zu planen und zu beauftragen, zumal er diesen nicht einmal persönlich gekannt, sondern lediglich telefonisch von diesem kontaktiert worden sei (vgl S 8 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Andererseits wurde die vom Bf geäußerte vage Vermutung einer von der Familie des getöteten Geschäftspartners seines Schwagers ausgehende möglichen Bedrohung bzw Verfolgung weder näher ausgeführt noch ergaben sich sonstige Hinweise, aus denen eine solche mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen hätte werden können. Wenn der Bf mit diesen Schilderungen andeuten möchte, dass er Angst hat, bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan Opfer einer Blutrache zu werden so ist hierzu auf die rechtlichen Ausführungen unter Pkt 3.4. zu verweisen.
2.4.3. Wenn der Bf gegen Ende der mündlichen Verhandlung und nach erfolgter Rückübersetzung im Verfahren erstmals von einem Vorfall berichtet, bei welchem ihm einer der Geschäftspartner seines Schwagers zwei Ohrfeigen gegeben und ihm dadurch beide Trommelfelle zerrissen habe, so legt nicht nur die Schilderung als solches sondern auch der Zeitpunkt (der Bf hätte diesen Vorfall bereits viel früher in der mündlichen Verhandlung erwähnen können bzw ergibt sich auch aus den vorgelegten Akten nicht, dass von ihm ein derartiger Vorfall bereits vor der belangten Behörde vorgebracht worden sei) die Vermutung nahe, dass der Bf auch dadurch seinem Fluchtvorbringen bzw der ihm drohenden Gefahr in seinem Herkunftsstaat mehr Aussagekraft verleihen wollte. Im vorliegenden Fall führt dies allerdings zum Gegenteil. So geht auch der VwGH davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250).
2.4.4. Nur der Vollständigkeit halber sei auch anzumerken, dass bei einer derzeit ohnedies nur hypothetisch möglichen Rückkehr des Bf nach Afghanistan, nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Familienangehörigen des getöteten Geschäftspartners - selbst wenn sein Vorbringen zutreffen würde - seiner mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in einer Millionenstadt wie zB Kabul (in der kein wie in Österreich vergleichbares Meldewesen existiert) habhaft werden könnten.
2.5. Die auszugsweise unter Pkt II. 1.3 wiedergegebenen Länderfeststellungen ergeben sich aus den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das BVwG kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zu Grunde gelegt werden konnten.
Dass sich seit der Erlassung des bekämpften Bescheides der belangten Behörde in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, kann in diesem Fall verneint werden. Die Lage in Afghanistan stellt sich diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (ua durch Einsicht in aktuelle Berichte, wie in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in seiner aktuellen Fassung) versichert hat.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.1. Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, mit dem der Antrag des Bf auf internationalen Schutz vom 04.06.2015 "hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" abgewiesen wurde.
3.2. § 3 Abs 1 AsylG 2005 verweist auf den Flüchtlingsbegriff (drohende Verfolgung im Herkunftsstaat) iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK (VwGH 24.6.2010, 2007/01/1199).
Flüchtling im Sinne der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 25.03.1999, 98/20/0431 uva).
Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mit-glied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen sei-ne Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151, mwN).
Nach § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die wohlbegründete Furcht im beschriebenen Sinn (zumindest) "glaubhaft" ist.
3.3. Was die vorgebrachte individuelle Fluchtgeschichte des Bf betrifft konnte, wie in der Beweiswürdigung und den darauf aufbauenden Feststellungen ausgeführt wurde, eine solche wohlbegründete Furcht nicht glaubhaft gemacht werden.
Sofern sich das Vorbringen des Bf auf Ereignisse in Pakistan bezieht, besteht eine asylrechtlich relevante Verfolgung schon deshalb nicht, da sich die begründete Furcht vor Verfolgung auf jenes Land beziehen muss, dessen Staatsangehörigkeit der Asylwerber besitzt, was im vorliegenden Fall Afghanistan ist (VwGH 08.11.1989, 89/01/0338; 02.03.2006, 2004/20/0240).
3.4. Zwar können auch von privater Seite ausgehende Verfolgungshandlungen eine asylrelevante Verfolgung im Lichte der GFK darstellen, jedoch kann dies nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann angenommen werden, wenn die Verfolgungshandlungen dem Verfolgerstaat in Folge Billigung der Verfolgungshandlungen Dritter zuzurechnen ist (vgl das Erkenntnis des VwGH vom 30.06.2005, 2002/20/0205), welcher Umstand vor allem dann Relevanz zeigen könnte, wenn die staatlichen Behörden nicht schutzwillig oder schutzfähig gegenüber solchen - aus den in der GFK genannten Gründen erfolgenden - Angriffen Dritter sind. An der Schutzwilligkeit würde es dann fehlen, wenn der Staat nicht gewillt ist, von Privatpersonen ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, sofern diesen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt werden- Asylrelevanz zukommen sollte (vgl die Erkenntnisse des VwGH vom 23.07.1999, 99/20/0208, sowie vom 21.09.2000, 2000/20/0226). An der Schutzfähigkeit würde es auch dann mangeln, wenn die von dritter Seite ausgehende Verfolgung von staatlichen Stellen in Folge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (vgl die Erkenntnisse des VwGH vom 07.07.1999, 98/18/0037; vom 06.10.1999, 98/01/0311, sowie vom 22.03.2000, 99/01/0256).
Unbedingte Voraussetzung der Annahme einer asylrelevanten Verfolgung im Lichte der GFK durch Dritte im Falle einer etwaigen Schutzunwilligkeit und Schutzunfähigkeit des Heimat-staates ist jedoch das Vorliegen der Anknüpfung an einen in der GFK normierten Verfolgungsgrund.
Hinsichtlich des Vorbringens, der Bf würde von der Familie des Geschäftspartners seines Schwagers beschuldigt werden, diesen getötet zu haben, könnte im vorliegenden Fall ein asylrelevanter Anknüpfungspunkt an die GFK insoweit gegeben sein, als sich aus diesem Grund die Zugehörigkeit des Bf zu einer bestimmten sozialen Gruppe, konkret auf die soziale Gruppe "Familie" ergeben könnte (vgl ua die Erkenntnisse des VwGH vom 31.01.2002, 99/20/0497; vom 19.12.2001, 98/20/0312, sowie vom 16.04.2002, 99/20/0483).
Gemäß der Judikatur des VwGH (vgl die Erkenntnisse vom 19.12.2001, 98/20/0330, sowie vom 24.06.2004, 2002/20/0165) können Verfolgungshandlungen gegen Verwandte eine Ursache für begründete Furcht vor Verfolgung bilden. Diese Form der "stellvertretenden" (oder - in anderen Fällen - zusätzlichen) Inanspruchnahme für ein Familienmitglied entspricht dem Modell des - oft als "Sippenhaftung" bezeichneten - "Durchschlagens" der Verfolgung eines Angehörigen auf den Asylwerber. Die entsprechende Asylrelevanz wird aus dem Verfolgungsgrund der "sozialen Gruppe" abgeleitet.
Der vom Bf vorgebrachte Verfolgungsgrund "Opfer der Blutrache zu werden" vermag zwar nicht dem herkömmlichen Bild der Sippenhaftung iSd einer Ausdehnung staatlicher Verfolgung auf Angehörige entsprechen, jedoch kommt gemäß der Judikatur des VwGH grundsätzlich eine Verfolgung aus einem in der GFK genannten Grund, und zwar in Form der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, nämlich jener der Familienangehörigen des Täters, in Frage (vgl die Erkenntnisse vom 26.02.2002, 2000/20/0517; vom 12.03.2002, 2001/01/0399; vom 03.07.2003, 2001/20/0219; vom 17.10.2006, 2005/20/0198, sowie vom 21.03.2007, 2006/19/0083).
Ein Kausalzusammenhang zwischen der vorgebrachten Verfolgungsgefahr, nämlich jener durch die Familienmitglieder des getöteten Geschäftspartners des Schwagers, und dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu der bestimmten sozialen Gruppe "der durch Blutrache bedrohten Familienmitglieder", liegt im gegenständlichen Fall jedoch nicht vor, da der Bf - seinen eigenen Schilderungen zufolge - deshalb verfolgt wird, weil er selbst verdächtigt werde, für den Tod des Geschäftspartners verantwortlich zu sein. Folglich beruht die vorgebrachte Verfolgungsgefahr auf den (vermeintlichen) "Taten" des Bf selbst und nicht auf den "Taten" seiner Angehörigen, weshalb der Bf nicht als Familienangehöriger eines "Täters", sondern als (vermeintlicher) "Täter" selbst verfolgt wird, wobei hierbei nicht entscheidend ist, ob er tatsächlich der "Täter" ist, oder ob ihm dies nur unterstellt wird (vgl das Erkenntnis des AsylGH vom 10.05.2010, C2 247916-0/2008/9E). Im vorliegenden Fall richtet sich die eigentliche Rache gegen den (vermeintlichen) "Täter" - nämlich den Bf - selbst. Die aus einer möglichen Blutrache resultierende Gefahr beruht daher gerade nicht auf einem der in der GFK genannten asylrelevanten Motiven (vgl die Erkenntnisse des VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0011, sowie vom 08.06.2000, 2000/20/0141).
Gemäß der Judikatur des VwGH (vgl die Erkenntnisse des VwGH vom 26.11.2014, Ra 2014/19/0059; vom 31.05.2006, 2004/20/0474, sowie vom 11.12.1997, 96/20/0045) ist eine nur auf kriminellen Motiven beruhende Verfolgung keine, die den in der GFK genannten Gründen zugeordnet werden kann. Grundsätzlich bedeutet dies aber nicht, dass in einer solchen Situation einem Begehren auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten keinesfalls Erfolg beschieden sein kann. Es kommt nämlich auch entscheidend darauf an, auf welche Ursachen allenfalls fehlender staatlicher Schutz zurückzuführen ist. Ist der Heimatstaat des Bf aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit, Schutz zu gewähren, käme einer primär kriminell motivierten Verfolgung nämlich asylrelevanter Charakter zu. Das folgt daraus, dass das Asylrecht als Ausgleich für fehlenden staatlichen Schutz konzipiert ist, sodass bei der Beurteilung des Vorliegens eines Konventionsgrundes letztlich auch der Frage nach den Ursachen des Unterbleibens eines solchen Schutzes Bedeutung beigemessen werden muss (vgl das Erkenntnis des VwGH vom 26.11.2014, Ra 2014/19/0059). Der Bf erstattete im gesamten Verfahren kein konkretes Vorbringen dahingehend, dass ihm von den staatlichen Behörden der entsprechende Schutz verwehrt worden wäre bzw dass ihm aus konkreten Gründen kein staatlicher Schutz zuteil werden würde, sondern beschränkte sich lediglich darauf anzumerken, dass die Geschäftspartner seines Schwagers in Afghanistan gut mit dem Staat vernetzt seien, ohne dies näher auszuführen und gab auf Nachfrage, inwiefern diese mit dem Staat vernetzt seien lediglich an "Ich kenne diese Leute nicht, daher weiß ich auch nicht, mit welchen staatlichen Stellen sie vernetzt sind. Ich habe aber von meinen Freunden erfahren, dass diese Leute in einer großen Mafia-Bande sind und keiner kann gegen sie etwas unternehmen" (S 8 und 9 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Vom Bf wurde somit im gesamten Verfahren nicht ins Treffen geführt, dass eine allfällige Schutzverweigerung durch die afghanischen Behörden aufgrund eines der in der GFK genannten Grundes erfolgt wäre oder mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass eine Verweigerung aus einem derartigen Grund erfolgen würde.
Die Annahme einer "sozialen Gruppe", welcher der Bf als verfolgte Person angehören könnte, scheidet daher im vorliegenden Fall aus.
3.5. Auch für eine Gruppenverfolgung (der Bf ist Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen) oder eine asylrelevante Verfolgung aus sonstigen Gründen ergaben sich im Laufe des Verfahrens keine ausreichenden Anhaltspunkte. Der Bf konnte sohin weder eine ihm drohende asylrelevante Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen noch wäre eine solche auf Grund des Ermittlungsverfahrens sonst wie hervorgekommen.
3.6. Zudem lässt sich auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan für den Bf eine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl etwa VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist (dies gilt gleichermaßen für die vom Bf angedeuteten Gefahren, die sich aus der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan ergeben).
3.7. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass einer allfälligen - nicht asylrelevanten - Gefährdung des Bf durch die derzeitige Sicherheitslage in Afghanistan im vorliegenden Fall bereits durch die Entscheidung der belangten Behörde (ihm wurde, wie bereits mehrfach erwähnt, mit angefochtenem Bescheid vom 27.07.2016 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte erteilt) ausreichend Rechnung getragen wurde.
Da nach Ansicht des BVwG das Fluchtvorbringen des Bf in seiner Gesamtheit nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl erfüllt, war die gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids erhobene Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
3.8. Der Vollständigkeit halber wird noch darauf hingewiesen, dass bei diesem Ergebnis eine abschließende Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative entfallen kann, da die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).
3.9. Klargestellt wird abschließend, dass eine weitere Verhandlung iZm der beim ersten Verhandlungstermin erwogenen verfassungs- bzw europarechtlichen Hinterfragung des § 33 BFA - VG iZm allfälligen Auslandsermittlungen unterbleibt, nachdem namens der Rechtsvertretung des Bf insoweit gemäß AV, OZ 13, ausdrücklich von einer Stellungnahme Abstand genommen wurde und die erkennende Gerichtsabteilung nunmehr davon ausgeht, dass das Datenübermittlungsverbot des § 33 Abs 4 BFA - VG auch bei privater Verfolgung dann sachlich ist, wenn wie in Afghanistan ausweislich der Länderberichte von einem nachhaltig mit Korruption durchsetzten Staatswesen auszugehen ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (s die unter Punkt II. zitierte Rechtsprechung) auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Glaubwürdigkeit, mangelnde Asylrelevanz, private Verfolgung, sozialeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W131.2133935.1.00Zuletzt aktualisiert am
06.08.2018