TE Bvwg Beschluss 2018/7/13 W244 2199786-1

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Veröffentlicht am 13.07.2018
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Entscheidungsdatum

13.07.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W244 2199798-1/2E

W244 2199790-1/2E

W244 2199793-1/2E

W244 2199796-1/2E

W244 2199786-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Verena JEDLICZKA-MESSNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von

1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX , 4.

XXXX , geb. XXXX , und 5. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Somalia, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen jeweils die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2018, Zlen. 1. 830548102-180432015, 2. 830555303-180432126, 3. 830555706-180432100, 4. 830555510-180432118 und 5. 830555804-180432070:

A) In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte I. der

bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung von neuen Bescheiden an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführer, somalische Staatsangehörige, reisten am 04.05.2018 legal mit gültigem Visum nach Österreich ein und stellten am 07.05.2018 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Es handelte sich um Anträge im Familienverfahren nach § 35 AsylG 2005, da dem Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und Vater der minderjährigen Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer, XXXX , geb. XXXX , mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.12.2011 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden war.

Am 07.05.2018 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch die niederschriftliche, formularhaft durchgeführte Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin statt. Darin gaben diese mittels Ankreuzen einer standardisierten Antwort an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben und den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz deswegen zu stellen, weil ihr Ehemann bzw. Vater in Österreich den Status des subsidiär Schutzberechtigten erlangt habe und sie in Österreich denselben Schutz wie dieser beantragten. In der niederschriftlichen Erstbefragung gaben die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin weiters formelhaft (mittels Ankreuzen) zu Protokoll, mit einer Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Basis dieser Angaben einverstanden zu sein und auf eine weitere Einvernahme zu verzichten. Die Erstbeschwerdeführerin führte schließlich hinsichtlich der Drittbis Fünftbeschwerdeführer als deren gesetzliche Vertreterin aaus, dass sie den gegenständlichen Antrag auch für diese stelle.

Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihnen gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 23.12.2019 erteilt (Spruchpunkt III.). In diesen Bescheiden stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates und zu ihrer Situation im Fall ihrer Rückkehr fest, dass die Beschwerdeführer selbst weder Gründe, die die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, noch Gründe, die subsidiären Schutz rechtfertigen würden, geltend gemacht bzw. keinen über das Vorbringen ihres Ehemannes bzw. Vaters hinausgehenden oder davon abweichenden Fluchtgrund behauptet hätten.

Gegen jeweils die Spruchpunkte I. dieser Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welche am 28.06.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In der Beschwerde wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass das Parteiengehör verletzt worden sei, weil eine Einvernahme der Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einem etwaigen Vorliegen eigener Fluchtgründe unterblieben sei. Dadurch hätten sie insbesondere kein Vorbringen zur Gefahr einer weiblichen Genitalverstümmelung hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin und Fünftbeschwerdeführerin als unbeschnittene Mädchen erstatten können.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 03.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

Zu A) Zurückverweisung:

1. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2014/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Gemäß § 18 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn es sich um einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) handelt.

Gemäß § 19 Abs. 2 AsylG 2005 ist ein Asylwerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und - soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird - zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Steht der entscheidungsrelevante Sachverhalt fest und hat sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen, so steht gemäß § 24 Abs. 3 AsylG 2005 die Tatsache, dass der Asylwerber vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht einvernommen wurde, einer Entscheidung nicht entgegen.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 AsylG 2005 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG 2005 gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Materialien zum AsylG 2005 gehen davon aus, dass Ziel der Bestimmungen des § 34 AsylG sei, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne ihnen ein Verfahren im Einzelfall zu verwehren. Wenn einem Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, solle "dieser allen anderen Familienmitgliedern - im Falle von offenen Verfahren zur gleichen Zeit von der gleichen Behörde - zuerkannt werden" (Erläuterungen zur RV 952 BlgNR XXII. GP).

2. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Ehefrau, die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer sind die minderjährigen Kinder von XXXX , geb. XXXX , dem in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt; es liegt unbestritten ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 vor.

Bereits aus § 34 Abs. 1 AsylG 2005 ergibt sich, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen - anders als nach dem Asylerstreckungsverfahren nach dem AsylG 1997 in der Fassung BGBl. I 101/2003 - ex lege als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes" gilt. Die Behörde hat somit bei einem Antrag eines Familienangehörigen in jedem Fall die Bestimmungen des Familienverfahrens anzuwenden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist (§ 34 Abs. 4 AsylG 2005). Unabhängig von der konkreten Formulierung ist jeder Antrag eines Familienangehörigen überdies in erster Linie auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gerichtet. Es sind daher für jeden Antragsteller allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln. Nur wenn solche - nach einem ordnungsgemäßen, also den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden, Ermittlungsverfahren - nicht hervorkommen, ist dem Antragsteller jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (vgl. Putzer/Rohrböck, Asylrecht, Rz 522 ff; Frank/Anerinhofer/Filzwieser, AsylG 20056, K 13 f zu § 34; Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 496 f; Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, Anm. 8 zu § 34 AsylG 2005; vgl. zur gesonderten Prüfung der Anträge von Familienangehörigen nach § 34 Abs. 4 AsylG 2005 etwa VwGH 21.10.2010, 2007/01/0164).

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei Letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).

Im vorliegenden Fall stützte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine Entscheidung bezüglich der Frage des Vorliegens asylrelevanter Verfolgung ausschließlich auf die kurzen, formularhaften Angaben in der niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in dem die Beschwerdeführer mittels Ankreuzen einer standardisierten Antwort angaben, keine eigenen Fluchtgründe zu haben. Davon ausgehend unterließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weitere Erhebungen zu dem im vorliegenden Verfahren maßgebenden Sachverhalt; es sah insbesondere davon ab, die Erstbeschwerdeführerin selbst einzuvernehmen und zu ihren eigenen Fluchtgründen und als gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Kinder zu deren Fluchtgründen zu befragen.

Damit übersieht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jedoch, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 die Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung "insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden [dient] und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen [hat]". Diese Regelung bezweckt den Schutz der Asylwerber davor, sich im direkten Anschluss an die Flucht aus ihrem Herkunftsstaat vor uniformierten Staatsorganen über traumatische Ereignisse verbreitern zu müssen, weil sie unter Umständen erst vor kurzem vor solchen geflohen sind (zum Verbot einer näheren Befragung zu den Fluchtgründen bei der Erstbefragung vgl. auch bereits VfGH 27.06.2012, U 98/12, unter Hinweis auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, RV 952 XXII. GP, S. 44). Daraus ergibt sich auch, dass an die dennoch bei der Erstbefragung erstatteten, in der Regel kurzen Angaben zu den Fluchtgründen im Rahmen der Beweiswürdigung keine hohen Ansprüche in Bezug auf Stringenz und Vollständigkeit zu stellen sind (vgl. VfGH 20.02.2014, U 1919/2013 ua.).

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, ist es auf dem Boden der gesetzlichen Regelung des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 zwar weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten der Erstbefragung zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, 0018; 13.11.2014, Ra 2014/18/0061 uva).

Vor diesem Hintergrund kann auch ein bloß formelhafter Verzicht der Beschwerdeführer auf eine weitere Einvernahme in der niederschriftlichen Erstbefragung das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht von seiner in § 19 Abs. 2 AsylG 2005 normierten Verpflichtung entbinden, die gebotene ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers - abgesehen von restriktiv auszulegenden Ausnahmen - nur auf der Grundlage einer Einvernahme durch die Behörde selbst vorzunehmen. Da weder ein Folgeantrag vorliegt (vgl. § 19 Abs. 1 dritter Satz AsylG 2005) noch in der Person der Erstbeschwerdeführerin gelegene Umstände erkennbar sind, aufgrund derer diese nicht in der Lage wäre, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen (vgl. § 19 Abs. 2 letzter Satz iVm § 24 Abs. 3 AsylG 2005), hätte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl somit auch dann, wenn eigene Fluchtgründe in den von den Beschwerdeführern gestellten Anträgen (noch) nicht enthalten waren, das allfällige Vorliegen solcher Gründe im Wege einer Einvernahme zu prüfen gehabt.

Mangels Durchführung einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde der Erstbeschwerdeführerin, auch als gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer, nicht mehr die Gelegenheit zu einem diesbezüglichen Vorbringen gegeben; insbesondere konnte sie kein Vorbringen zu der in der Beschwerde behaupteten asylrelevanten geschlechtsspezifischen Verfolgung (konkret zur Gefahr von Genitalverstümmelung betreffend die Zweitbeschwerdeführerin und die Fünftbeschwerdeführerin als unbeschnittene Mädchen) erstatten, das allenfalls zu einer abweichenden Beurteilung in Bezug auf den Status der Asylberechtigten führen hätte können.

Die angefochtenen Bescheide leiden daher unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen die Beschwerdeführerinnen gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität; der vorliegende Sachverhalt erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung der Beschwerdeführer unter dem Aspekt der Gewährung des Status der Asylberechtigten als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist, und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, waren in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird im fortgesetzten Verfahren die Erstbeschwerdeführerin, auch als gesetzliche Vertreterin der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer, einzuvernehmen und sich mit ihrem Vorbringen zu den Fluchtgründen im Wege einer ganzheitlichen Würdigung auseinanderzusetzen haben. Dabei wird insbesondere die individuelle Betroffenheit der Zweitbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführerin von der die Frauen und Mädchen in Somalia betreffenden Situation zu prüfen sein und werden im Lichte des Vorbringens der Beschwerdeführerinnen die allgemeinen Feststellungen zur Lage der Frauen und Mädchen in Somalia mit der konkreten Situation der genannten Beschwerdeführerinnen in Verbindung zu bringen sein.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig. Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Einvernahme, Ermittlungspflicht,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W244.2199786.1.00

Zuletzt aktualisiert am

03.08.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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