Entscheidungsdatum
05.07.2018Index
90/01 StraßenverkehrsordnungNorm
StVO 1960 §53 Abs1 Z9cText
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin MMag. Dr. Salamun über die Beschwerde des Herrn J. D. vom 18.12.2017 gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, vom 12.12.2017, Zl.: …, betreffend eine Verwaltungsübertretung nach der Straßenverkehrsordnung
zu Recht e r k a n n t:
I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.
II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof durch die vor dem Verwaltungsgericht Wien belangte Behörde unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.
Das angefochtene Straferkenntnis richtet sich gegen den Beschwerdeführer als Beschuldigten und enthält folgenden Spruch:
„Sie sind am 31.07.2017 um 17:07 Uhr in Wien, S.-gasse als Lenker(in) des Fahrzeuges mit dem Kennzeichen W-2 die durch das Hinweiszeichen gemäß § 53 Abs. 1 Z. 9c StVO gekennzeichnete Wohnstraße, ohne zu- oder abzufahren, durchfahren.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:
Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:
Geldstrafe von € falls diese uneinbringlich ist, gemäß
Ersatzfreiheitsstrafe von
€ 90,- 1 Tag 0 Stunden § 99 Abs. 3 lit. a StVO
Weitere Verfügungen (zB Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):
Ferner hat der Beschuldigte gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG
zu zahlen:
€ 10,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe, jedoch mindestens € 10 für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).
€ als Ersatz der Barauslagen für
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher
€ 100,00.“
Das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren beruht auf einer Anzeige des Polizeikommissariates ….
In der Folge erging eine Anonymverfügung.
Nach einer Lenkererhebung wurde in Zusammenhang mit der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung gegen den Beschwerdeführer eine Strafverfügung erlassen.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Einspruch und führte im Wesentlichen aus, er wohne in unmittelbarer Nähe der S.-gasse und habe dort geparkt. Nach dem Ausparken sei er auf der Straße weitergefahren. Er sei nicht durch die Wohnstraße gefahren. Er müsse regelmäßig in der S.-gasse parken, weil meist - insbesondere wenn die A. Parteiverkehr habe - kein Parkplatz in der P.-gasse frei sei.
Sodann erstattete der Meldungsleger eine Stellungnahme, worin dieser im Wesentlichen angab, dass an der Örtlichkeit öfter ein Verkehrsschwerpunkt durchgeführt werde. Aufgrunddessen werde auch durch den Meldungsleger darauf Bedacht genommen, die gesamte Straße einblicken zu können. Der eigene Standort befinde sich daher in der S.-gasse … gegenüber. An dieser Örtlichkeit befinde sich eine Erhebung bzw. eine Bodenschwelle zum Zweck der Geschwindigkeitsverminderung der durchfahrenden Fahrzeuge. Auf der dortigen Erhöhung sei es sehr wohl möglich, Einsicht auf die gesamte Straße zu erhalten. Daher sei es auszuschließen, dass der Angezeigte in der S.-gasse lediglich sein Kfz ausparkte und die Straße durchfuhr. Der Meldungsleger befand sich auf der Erhöhung in einem Stkw (Streifenkraftwagen) auf dem Beifahrersitz und habe die Straße mittels Rückspiegel nach hinten und Windschutzscheibe nach vorne beobachtet. Dabei werde das Stkw in einem Abstand von ca. 1 m zum Gehsteig geparkt zwecks noch besserer Einsicht, um eben zu verhindern, dass eine Anzeige gegen ein Kfz erfolge, das in der S.-gasse lediglich ausgeparkt habe oder andere Tätigkeiten durchführe, die das Befahren bzw. Durchfahren einer Wohnstraße rechtfertigen würden.
In weiterer Folge übermittelte die Behörde an den Beschwerdeführer eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme.
Daraufhin brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst vor, die Frage bei der Observierung sei nicht unbedingt nur der Standort und eine um 20 cm erhöhte Sitzposition, sondern ob man während der gesamten Observation ständig in den Seitenspiegel sehe, um ein den Parkplatz verlassendes Fahrzeug von einem durchfahrenden Fahrzeug unterscheiden zu können. Im übrigen dürfte der Meldungsleger nicht in den Rückspiegel sehen, sondern müsste er in den rechten Außenspiegel schauen und könne außerdem mit dem Fahrzeug in der S.-gasse nicht 1 Meter vom Gehsteig entfernt stehen, dafür sei diese viel zu schmal. Der von ihm verwendete Wagen werde fast täglich in der S.-gasse geparkt. Dies sei auch am 31.7.2017 so gewesen, er sei um 17:07 Uhr weggefahren. Wenn der geparkte Wagen am Anfang der S.-gasse stehe und das Observationsfahrzeug fast am Ende der Straße, würden wenige Sekunden entscheiden, um das Kfz als ausparkendes oder durchfahrendes zu identifizieren, insbesondere wenn beim Ausparken reichlich Platz zum Wegfahren sei.
Sodann erging das angefochtene Straferkenntnis.
II.
In der gegen dieses Straferkenntnis fristgerecht erhobenen Beschwerde wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen die Ausführungen der vorangehenden Stellungnahmen. Er parke wahrscheinlich ca. 200 Tage im Jahr in der S.-gasse, so komme es glücklicherweise nicht oft vor, dass er irrtümlicherweise der Durchfahrt in dieser Spielstraße beschuldigt werde, ohne es getan zu haben, aber ordnungshalber wehre er sich dagegen. Der Aufwand dafür sei vergleichsweise hoch. Einfach eine Strafe zu bezahlen, ohne eine Straftat begangen zu haben, wäre aber auch nicht in Ordnung. Glücklicherweise gehe es hier nur um ein vergleichsweise geringfügiges Delikt, was aber wenn man eines schweren Deliktes beschuldigt werden würde?
III.
Am 26.06.2018 fand vor dem Verwaltungsgericht Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu welcher der Beschwerdeführer und der Zeuge, Herr Insp. K., erschienen. Die belangte Behörde hatte auf die Teilnahme ausdrücklich verzichtet.
Der Beschwerdeführer brachte vor:
Allseitige Verhältnisse:
Einkommen: ca. EUR 2.700,-- netto
Vermögen: keine Angabe
Sorgepflichten: keine
„Ich verweise auf mein bisheriges Vorbringen.
In der Früh war ich auf Baustellen. Dann war ich in der Firma. Die Firma befindet sich gegenüber von der S.-gasse. Ich habe in der S.-gasse 1 geparkt und bin dann weggefahren zu meiner Frau ins KH.“
Der Beschwerdeführer legte Kopien von Google map timeline vor, auf welchen der Bewegungsablauf am Tattag anhand des Standortes seines Handys ersichtlich ist. Darauf ist ersichtlich, dass sich der Beschwerdeführer zwischen 13:05 Uhr und 16:49 Uhr in der Firma D.-gesellschaft, P.-gasse befand. Um 16:51 Uhr bis 17:00 Uhr war der Beschwerdeführer beim B.. Von 17:05 Uhr bis 17:08 Uhr war er in der S.-gasse 1. Danach fuhr er mit dem Auto ins KH.
Die Kopien von Google map timeline wurden als Beilage ./A zum Akt genommen.
„Meine Wohnadresse ist die P.-gasse ….“
Der Zeuge, Herr Insp. K., gab nach Durchsicht der Kopien von Google map timeline zu Protokoll:
„Normalerweise stelle ich mich so auf, dass ich alles einsehe. Ich bin am Beifahrersitz gesessen und habe in den Rück- und Außenspiegel geschaut. Ich mache dort sehr oft einen Verkehrsschwerpunkt und bekomme eigentlich wenig bis gar keine Einsprüche. Ich habe es so gesehen, wie in meiner Stellungnahme ausgeführt.“
Über Befragen des Bf:
Sind die Spiegel für den Fahrer eingestellt?
„Nein, die Spiegel wurden für den Beifahrer umgestellt.“
Der Bf bringt vor:
„Ich glaube nicht, dass im speziellen der Rückblickspiegel für den Beifahrer umgestellt wird. Ob der rechte Außenspiegel umgestellt wird, ist fraglich. Das müsste der Fahrer tun.“
In seinen Schlussausführungen verwies der Beschwerdeführer auf sein bisheriges Vorbringen.
Der Beschwerdeführervertreter verzichtete auf die Durchführung der Verhandlung zur Verkündung des Erkenntnisses und erklärte sich mit einer schriftlichen Erledigung einverstanden.
IV. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
IV.1. Rechtliche Grundlagen:
Die maßgeblichen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159/1960 in der zum Tatzeitpunkt maßgeblichen Fassung (§ 76b idF BGBl. I Nr. 92/1998, § 99 idF BGBl. I Nr. 39/2013), lauten:
„§ 76b. Wohnstraße
(1) Die Behörde kann, wenn es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs, insbesondere des Fußgängerverkehrs, die Entflechtung des Verkehrs oder die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines Gebäudes oder Gebietes erfordert, durch Verordnung Straßenstellen oder Gebiete dauernd oder zeitweilig zu Wohnstraßen erklären. In einer solchen Wohnstraße ist der Fahrzeugverkehr verboten; ausgenommen davon sind der Fahrradverkehr, das Befahren mit Fahrzeugen des Straßendienstes, der Müllabfuhr, des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Feuerwehr in Ausübung des Dienstes sowie das Befahren zum Zwecke des Zu- und Abfahrens.
[…]
§ 99. Strafbestimmungen.
(1) bis (2e)[…]
(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen,
a)
wer als Lenker eines Fahrzeuges, als Fußgänger, als Reiter oder als Treiber oder Führer von Vieh gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs. 1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b, 2c, 2d, 2e oder 4 zu bestrafen ist,“
IV.2. Sachverhalt:
Aufgrund des Aktes der belangten Behörde, des gegenständlichen Aktes des Verwaltungsgerichts Wien sowie der Aussage des Zeugen wird folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt als erwiesen festgestellt:
Der Beschwerdeführer parkte am Tattag von 13:05 Uhr bis etwa 17:05 Uhr das Fahrzeug mit dem behördlichen Kennzeichen W-2 in der S.-gasse 1. Die S.-gasse ist eine durch das Hinweiszeichen gemäß § 53 Abs. 1 Z. 9c StVO gekennzeichnete Wohnstraße. Danach fuhr er ins KH.
Diese Feststellungen beruhen auf folgenden Erwägungen:
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich eindeutig aus dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Auszug aus google timeline, aus dem aufgrund der Ortung des Handys des Beschwerdeführers dessen Bewegungen am Tattag ersichtlich sind. Daraus ist auch ersichtlich, dass sich der Beschwerdeführer von 13:05 Uhr und 16:49 Uhr in der P.-gasse aufgehalten hat und er erst um 17:08 Uhr von der S.-gasse 1 ins KH fuhr.
Dass der Meldungsleger dennoch ein durchfahrendes Fahrzeug wahrnahm, kann sich auch daraus ergeben, dass der Beschwerdeführer sein Auto in der S.-gasse 1 geparkt hatte und somit am Anfang der Gasse, während der Streifenkraftwagen des Meldungslegers sich ungefähr in der Mitte der S.-gasse befand, sodass ein ausparkendes Fahrzeug durchaus auch als ein einfahrendes Fahrzeug wahrgenommen werden kann.
Im Übrigen ergibt sich der festgestellte Sachverhalt aus dem unbedenklichen Akteninhalt und den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und des Zeugen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht.
IV.3. Rechtliche Beurteilung:
Voraussetzung für die Verhängung einer Verwaltungsstrafe ist das Vorliegen eines Verhaltens, welches als tatbildlich gesetzt zu qualifizieren ist.
Gemäß § 76b Abs. 1 StVO kann die Behörde, wenn es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs, insbesondere des Fußgängerverkehrs, die Entflechtung des Verkehrs oder die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines Gebäudes oder Gebietes erfordert, durch Verordnung Straßenstellen oder Gebiete dauernd oder zeitweilig zu Wohnstraßen erklären. In einer solchen Wohnstraße ist der Fahrzeugverkehr verboten; ausgenommen davon sind der Fahrradverkehr, das Befahren mit Fahrzeugen des Straßendienstes, der Müllabfuhr, des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Feuerwehr in Ausübung des Dienstes sowie das Befahren zum Zwecke des Zu- und Abfahrens.
Das "Durchfahren" einer Wohnstraße erfüllt den objektiven Tatbestand des § 76 b Abs. 1 StVO, da es nicht unter die Ausnahmen des "Zu- und Abfahrens" subsumierbar ist, wobei es auf ein ursprünglich vom Fahrzeuglenker beabsichtigtes bloßes "Zufahren" (aus welchem Motto auch immer) nicht ankommt (vgl. VwGH 23.9.1988, 88/02/0056).
Aufgrund der unter Punkt IV.2. getroffenen Feststellungen ergibt sich eindeutig, dass der Beschwerdeführer die ihm angelastete Verwaltungsübertretung in objektiver Hinsicht nicht begangen hat.
Da somit die objektive Tatseite nicht erfüllt war, konnte von einer Prüfung, ob der Beschwerdeführer die subjektive Tatseite der ihm angelasteten Verwaltungsübertretung verwirklicht hat, abgesehen werden.
Gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen.
Das Verwaltungsstrafverfahren war daher gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 52 Abs. 8 VwGVG.
IV.4. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Es war vielmehr aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes festzuhalten, dass die Verwaltungsübertretung dem Beschwerdeführer nicht angelastet werden kann, da der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat.
Schlagworte
Wohnstraße; google map timeline; Bewegungsablauf; Parken; Nichterfüllung des objektiven TatbestandesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.031.085.1515.2018Zuletzt aktualisiert am
03.08.2018