Entscheidungsdatum
12.07.2018Index
41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
NAG §11 Abs1 Z5Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerde der H. J. (geb.: 1994, StA: Republik Korea) gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 24. April 2018, Zl. …, mit welchem der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Studierende" gemäß § 64 Abs. 1 iVm § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 iVm § 11 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG abgewiesen wurde, nach mündlicher Verhandlung am 11. Juli 2018
zu Recht erkannt:
I. Gemäß § 64 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 145/2017, wird der Beschwerdeführerin die Aufenthaltsbewilligung für Studierende für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
II. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Mit dem gegenständlichen Antrag vom 8. März 2018 begehrt die Beschwerdeführerin beantragte die Beschwerdeführerin die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für Studierende.
2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wies die belangte Behörde den Antrag mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. April 2018 gemäß § 64 Abs. 1 iVm § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 iVm § 11 Abs. 3 NAG ab.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die – rechtzeitig erhobene – Beschwerde.
4. Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien samt der Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
II. Sachverhalt
1. Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:
Die 1994 geborene Beschwerdeführerin ist Staatsbürgerin der Republik Korea. Ihr Reisepass ist bis 20. Oktober 2014 gültig.
Die Beschwerdeführerin ist im Sommersemester 2018 als ordentliche Studierende an der A. Privatuniversität im Masterstudium … zugelassen. Die Beschwerdeführerin hat ihr Studium bislang noch nicht aufgenommen, hat aber vor, dieses tatsächlich zu betreiben.
Die Beschwerdeführerin hat sich im Jahr 2018 zwischen dem 10. Februar 2018 und dem 8. Mai 2018 (88 Tage) und seit dem 15. Mai 2018 bis zum Entscheidungszeitpunkt (ca. 60 Tage) im Bundesgebiet aufgehalten. Sie hatte in dieser Zeit kein Visum oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung inne. Der gegenständliche Antrag wurde persönlich von ihr am 8. März 2018 bei der belangten Behörde gestellt.
Die Beschwerdeführerin hat mit der "V." einen Mietvertrag über ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft in Wien, H.-gasse, abgeschlossen. Diese Wohngemeinschaft besteht aus fünf Zimmern zuzüglich Gemeinschaftsflächen, ist ca. 130 m² groß und wird von fünf Personen bewohnt; jede Person bewohnt ein eigenes Zimmer. Der Mietvertrag wurde mit Laufzeit bis zum 21. Februar 2019 abgeschlossen und kann von der Beschwerdeführerin zeitnah zum Auslaufen des Vertrags entsprechend verlängert werden. Der monatliche Mietzins für das Zimmer beträgt € 300,— inklusive Betriebskosten und Ausgaben für Strom, Gas etc.
Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Girokontos bei der Sparkasse …, auf diesem Konto befindet sich derzeit ein Guthaben von € **.***,**. Dieses Geld hat die Beschwerdeführerin von ihrer berufstätigen Mutter, welche ihre Ausbildung finanziert; die Geldmittel stehen der Beschwerdeführerin zum alleinigen Ge- und Verbrauch zur Verfügung.
Die Beschwerdeführerin ist bei der Wiener Gebietskrankenkasse gemäß § 16 ASVG selbstversichert, die monatliche Prämie beträgt € 58,39.
Die Beschwerdeführerin ist nicht vorbestraft, es besteht gegen sie kein Einreise- oder Aufenthaltsverbot oder eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz oder eine Rückkehrentscheidung. Die Beschwerdeführerin weist auch keine verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen auf.
2. Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:
Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, Würdigung des Beschwerdevorbringens und Einholung verschiedener Registerauszüge betreffend die Beschwerdeführerin (Fremdenregister, Zentrales Melderegister, Strafregister, Sozialversicherungsdaten) sowie Einvernahme der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung.
Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ergibt sich im Wesentlichen aus den vorgelegten für das Verwaltungsgericht Wien unbedenklichen Unterlagen. Aktuelle Kontoauszüge der Beschwerdeführerin lassen das festgestellte Guthaben sowie eine Überweisung eines größeren Betrags aus jüngerer Zeit von E. B. – der Mutter der Beschwerdeführerin – erkennen. Das Verwaltungsgericht Wien hat angesichts der Angaben der Beschwerdeführerin zur Beschäftigung und zum Einkommen ihrer Mutter und den dazu vorgelegten Unterlagen keine Bedenken, dass die Mutter der Beschwerdeführerin auf Grund ihres Einkommens ihre Tochter tatsächlich finanziell unterstützen kann und ihr den auf dem Konto der Beschwerdeführerin verfügbaren Betrag zur eigenen Verfügung überlassen hat.
Die Feststellungen zu den Wohnverhältnissen der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem von ihr vorgelegten Mietvertrag und ergänzend aus den dazu von der Beschwerdeführerin gemachten glaubhaften Angaben über die Größe und Raumaufteilung des Objekts. Das Verwaltungsgericht Wien hegt keine Zweifel daran, dass der Beschwerdeführerin die Verlängerung ihres Mietvertrags über die aktuell vereinbarte Laufzeit hinaus tatsächlich möglich sein wird und ihr die Unterkunft somit auch längerfristig zur Verfügung steht.
Die Feststellungen zu den bisherigen Aufenthaltszeiten der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet ergeben sich aus deren eigenen Angaben und den damit übereinstimmenden Stempeln im Reisepass.
Die übrigen Feststellungen – aufrechtes Studium, Sozialversicherung, Nichtbestehen fremdenrechtlicher Verbote etc. – lassen sich aus den im Akt erliegenden Unterlagen entnehmen.
III. Rechtliche Beurteilung
1. Anzuwendende Rechtsvorschriften:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 145/2017, lauten:
"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel
§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn
1. gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;
2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;
3. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;
4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;
5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder
6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.
(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn
1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;
2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;
3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;
4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;
5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;
6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und
7. in den Fällen der §§ 58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs. 5 mehr als vier Monate vergangen sind.
[…]
Verfahren bei Erstanträgen
§ 21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.
(2) Abweichend von Abs. 1 sind zur Antragstellung im Inland berechtigt:
1. bis 4.
5. Fremde, die zur visumfreien Einreise berechtigt sind, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;
[…]
(6) Eine Inlandsantragstellung nach Abs. 2 Z 1, Z 4 bis 9, Abs. 3 und 5 schafft kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Ebenso steht sie der Erlassung und Durchführung von Maßnahmen nach dem FPG nicht entgegen und kann daher in Verfahren nach dem FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.
[…]
Studierende
§ 64. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende ausgestellt werden, wenn sie
1.die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
2. ein ordentliches oder außerordentliches Studium an einer Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität, Pädagogischen Hochschule, anerkannten privaten Pädagogischen Hochschule oder einen anerkannten privaten Studiengang oder anerkannten privaten Hochschullehrgang absolvieren und im Fall eines Universitätslehrganges dieser nicht ausschließlich der Vermittlung einer Sprache dient.
Eine Haftungserklärung ist zulässig."
Das Abkommen zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Republik Korea über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht vom 27. März 1979, BGBl. 212/1979, lautet auszugsweise:
"Artikel 1
Inhaber eines gültigen koreanischen oder österreichischen Reisepasses dürfen sichtvermerksfrei in das Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates einreisen und sich dort neunzig Tage aufhalten.
[…]
Artikel 4
Die sonstigen Rechtsvorschriften der Vertragsstaaten über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern bleiben durch dieses Abkommen unberührt.
Artikel 5
Jeder Vertragsstaat behält sich das Recht vor, Personen, die er als unerwünscht ansieht, die Einreise in sein Hoheitsgebiet oder den Aufenthalt in diesem zu verweigern.
[…]"
2. Die Beschwerdeführerin beantragte vor der belangten Behörde die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für Studierende nach § 64 Abs. 1 NAG. Sie absolviert an einer inländischen Universität ein ordentliches Studium und erfüllt damit die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 64 Abs. 1 Z 2 NAG. Für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung muss sie darüber hinaus auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des 1. Teiles des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes erfüllen.
3. Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen:
3.1. Gegen die Beschwerdeführerin liegt kein Einreise- oder Aufenthaltsverbot und auch keine Rückführungsentscheidung oder eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vor, die Beschwerdeführerin ist zudem strafgerichtlich und verwaltungsstrafrechtlich unbescholten. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Z 1, 2, 3 und 6 NAG sind damit erfüllt; § 11 Abs. 1 Z 4 NAG ist in der vorliegenden Verfahrenskonstellation nicht einschlägig.
3.2. Fraglich ist im Beschwerdefall aber, ob die Beschwerdeführerin die Voraussetzung des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG erfüllt.
3.2.1. Die Beschwerdeführerin hat ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unzweifelhaft nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts gestellt (vgl. § 21 Abs. 2 Z 5 NAG). Sie ist in der Folge 88 Tage nach der Einreise ausgereist, nach einer Woche allerdings neuerdings nach Österreich eingereist und hält sich seither durchgehend im Bundesgebiet auf. Damit hat sie sich zwar nie länger als drei Monate im Inland aufgehalten, während der letzten 180 Tage war sie jedoch während ca. 150 Tagen im Inland aufhältig.
3.2.2. Gemäß Art. 1 Abs. 2 iVm Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind, in ihrer konsolidierten Fassung (ab hier: VO 539/2001) sind südkoreanische Staatsangehörige von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit. Diesen Zeitraum hat die Beschwerdeführerin unzweifelhaft überschritten, sie erfüllt auch keine der weiters in Art. 1 der VO 539/2001 genannten Ausnahmen von der Visumpflicht.
Nebst dieser unmittelbar anwendbaren unionsrechtlichen Bestimmung ist im Beschwerdefall das Abkommen zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Republik Korea über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht vom 27. März 1979, BGBl. 212/1979, (ab hier: Abkommen) und insbesondere dessen Art. 1 einschlägig. Demnach dürfen Inhaber eines gültigen koreanischen oder österreichischen Reisepasses sichtvermerksfrei in das Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaats einreisen und sich dort neunzig Tage aufhalten. Das Abkommen legt dabei – anders als Art. 1 Abs. 2 VO 539/2001 – keinen 180 Tage dauernden Beobachtungszeitraum fest, innerhalb dessen die 90 Tage nicht überschritten werden dürfen, sondern gestattet seinem Wortlaut nach einen wiederholt 90-tägigen Aufenthalt, solange dazwischen jeweils eine Ausreise erfolgte. Lediglich bei einer beabsichtigten dauerhaften Niederlassung wird bei einer wiederholten Unterbrechung des inländischen Aufenthalts der Aufenthalt nach Ablauf von neunzig Tagen dennoch rechtswidrig sein (vgl. zumindest implizit in diese Richtung gehend VwGH 20.1.2009, 2006/18/0151).
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien kann sich die Beschwerdeführerin, welche sich bislang ca. 150 Tage mit einer einmaligen Unterbrechung im Inland aufgehalten hat, auf das Abkommen berufen und hat demnach ihre visumfreie Zeit nicht überschritten.
3.2.3. Im Beschwerdefall stellt sich die Lage somit derart dar, dass die Beschwerdeführerin zwar nach Art. 1 Abs. 2 VO 539/2001 aktuell nicht von der Visumpflicht befreit ist und unter Missachtung dieser Visumpflicht im Inland verblieben ist, dieser Aufenthalt auf Grund des Abkommens aber von Österreich völkerrechtlich gestattet wird.
Es kann nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien dahingestellt bleiben, in welchem Konkurrenzverhältnis die VO 539/2001 und das Abkommen stehen, bzw. welche Rechtsvorschrift vorrangig anzuwenden ist. Für das Verwaltungsgericht Wien ist nämlich keine unionsrechtliche Norm ersichtlich, welche es gebieten würde, einer Drittstaatsangehörigen, welche die nach Art. 1 Abs. 2 VO 539/2001 erlaubte visumfreie Zeit überschritten hat, die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu versagen. Selbst bei einer grundsätzlich gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung der §§ 21 Abs. 6 und 11 Abs. 5 NAG ist es daher nicht erforderlich, das Abkommen und einen daraus erfließenden Rechtsanspruch außer Acht zu lassen. Es ist daher im Beschwerdefall davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin ihren visumfreien Aufenthalt zum Entscheidungszeitpunkt bzw. auch zu einem früheren Zeitpunkt nicht überschritten hat.
Die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG ist damit erfüllt.
3.3. Der Aufenthalt der unbescholtenen Beschwerdeführerin widerstreitet nicht öffentlichen Interessen, die Beschwerdeführerin ist in Österreich bei der Wiener Gebietskrankenkasse selbstversichert. Die Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 1 und 3 NAG sind damit erfüllt; § 11 Abs. 2 Z 5, 6 und 7 NAG sind im Beschwerdefall nicht einschlägig.
3.4. Hinsichtlich des Erfordernisses eines Rechtsanspruchs auf eine ortsübliche Unterkunft hat sich die Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde wie auch vor dem Verwaltungsgericht Wien auf einen Mietvertrag über ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft in Wien gestützt. Für das Verwaltungsgericht Wien ist diese Unterkunft – ca. 130 m², bewohnt von fünf Personen, jede hat ein eigenes Zimmer – in einem studentischen Umfeld und in Wien nicht als ortsunüblich zu erkennen.
Fraglich ist, ob angesichts der Mietdauer bis 21. Februar 2019 für die gesamte Dauer des beantragten Aufenthaltstitels – zwölf Monate gemäß § 20 Abs. 1 NAG – ein Rechtsanspruch darauf vorliegt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist hier in einer Prognoseentscheidung zu beurteilen, ob begründete Aussicht besteht, dass der Fremde in der Lage sein wird, seine Wohnbedürfnisse befriedigen zu können, ohne wegen Obdachlosigkeit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darzustellen oder eine Gebietskörperschaft finanziell zu belasten (VwGH 9.9.2014, Ro 2014/22/0032).
Das Verwaltungsgericht Wien geht im Beschwerdefall prognostisch davon aus, dass es der Beschwerdeführerin möglich sein wird, ihren Mietvertrag über den vereinbarten Zeitraum hinaus zu verlängern. Dies auch vor dem Hintergrund, dass es in studentischen Wohnanlagen auf Grund der fehlenden Permanenz der Lebensverhältnisse nicht unüblich ist, nur kurze Mietdauern – etwa von einem Jahr – zu vereinbaren und diese bei Bedarf regelmäßig zu verlängern. Die Beschwerdeführerin erfüllt daher die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 2 NAG.
3.5. Die belangte Behörde hat als Abweisungsgrund für den Antrag der Beschwerdeführerin den nicht ausreichend nachgewiesenen Lebensunterhalt herangezogen.
Bei der für § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG relevanten Beurteilung der zur Verfügung stehenden Mittel ist eine Prognoseentscheidung zu treffen. Es ist nicht allein auf den Entscheidungszeitpunkt abzustellen. Daher kann für die Ermittlung des für die Deckung der Lebenshaltungskosten erforderlichen Betrags (Richtsatzes) nichts anderes gelten. Demzufolge ist bei einer Ausgangslage, bei der hinsichtlich des – nach dem System des § 293 Abs. 1 ASVG maßgeblichen – Richtsatzes während der Gültigkeitsdauer des zu erteilenden Aufenthaltstitels eine Änderung eintreten wird, weil der Fremde das 24. Lebensjahr vollenden wird, diese absehbare Änderung entsprechend zu berücksichtigen. Die für eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen erforderlichen Unterhaltsmittel sind nicht statisch nach dem Alter der Antragstellerin zum Entscheidungszeitpunkt zu ermitteln, sondern danach, welche Beträge nach dem System des ASVG während der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels als zur Deckung der monatlichen Lebenshaltungskosten jeweils notwendig angesehen werden (VwGH 22.3.2018, Ra 2017/22/0177).
Die Beschwerdeführerin wird am … 2018 24 Jahre alt, für die Ermittlung des maßgeblichen Richtsatzes sind daher – gerundet – vier Monate des Richtsatzes gemäß § 293 Abs. 1 lit. b sublit. aa ASVG und acht Monate des Richtsatzes gemäß § 293 Abs. 1 lit. b sublit. bb ASVG heranzuziehen. Daraus errechnet sich ein erforderlicher jährlicher Lebensunterhalt von ca. € 9.285,—.
Im Beschwerdefall hat die Beschwerdeführerin ein Kontoguthaben von € **.***,** vorgelegt; nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf der gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG 2005 geforderte Unterhalt grundsätzlich auch durch Sparguthaben gedeckt werden, sofern diese Guthaben nicht aus illegalen Quellen stammen (vgl. unter vielen VwGH 10.9.2013, 2013/18/0046). Die Beschwerdeführerin hat dieses Guthaben von ihrer berufstätigen Mutter erhalten, Hinweise auf eine illegale Herkunft der Geldmittel sind nicht hervorgekommen, das Guthaben steht zudem der Beschwerdeführerin – alleinig – tatsächlich zur Verfügung.
Im Beschwerdefall sind regelmäßige Ausgaben in Höhe der Mietzahlungen (monatlich € 300,—) und der Beiträge für die Krankenversicherung (monatlich € 58,39) zu berücksichtigen. Von diesen Ausgaben ist der Wert der freien Station (§ 292 Abs. 3 zweiter Satz ASV) in der Höhe von € 288,87 einmal abzuziehen. Es verbleiben somit jährlich zu berücksichtigende Belastungen in der Höhe von € 834,24.
Das der Beschwerdeführerin zur Verfügung stehende Guthaben abzüglich der zu berücksichtigenden Belastungen beträgt somit € **.***,** und übersteigt auch unter Annahme geringfügiger Abweichungen durch Rundungsfehler den erforderlichen Betrag von jährlich ca. € 9.285,—. Das Erfordernis des § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG ist damit im Beschwerdefall ohne weiteres Eingehen auf die von der Beschwerdeführerin vorgelegte Haftungserklärung erfüllt.
4. Infolge des Vorliegens aller allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen für den von der Beschwerdeführerin beantragten Aufenthaltstitel ist dieser in Stattgebung der Beschwerde gemäß § 20 Abs. 1 NAG für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen.
5. Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ist zulässig, weil – soweit für das Verwaltungsgericht Wien überblickbar – bislang keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu vorliegt, ob von Österreich geschlossene völkerrechtliche Verträge die in Art. 1 Abs. 2 VO 539/2001 normierte visumfreie Zeit erweitern können bzw. ob eine solche Erweiterung bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Zuge der Beurteilung nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG zu berücksichtigen ist. Diese Frage lässt sich nicht eindeutig aus dem Gesetzeswortlaut beantworten und stellt auch kein bloße Wertungsfrage im Einzelfall dar; es liegt nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien somit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG vor.
Schlagworte
Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Visumpflicht, sichtvermerksfreier Aufenthalt, Überschreitung des visumfreien Aufenthalts, rechtmäßiger AufenthaltAnmerkung
VwGH v. 14.11.2019, Ro 2018/22/0016; AufhebungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.151.032.6694.2018Zuletzt aktualisiert am
12.12.2019