TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/17 W187 2163835-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.07.2018
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Entscheidungsdatum

17.07.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2163835-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass seine Eltern von Feinden der Familie getötet worden seien, als er ein Jahr alt gewesen sei. Seine Tante mütterlicherseits habe ihn aufgezogen. Als er herangewachsen sei, habe sie ihm geraten, die Heimat zu verlassen, da sie Angst um das Leben des Beschwerdeführers gehabt habe. Sie haben sich immer verstecken müssen und hätten stets Angst gehabt, entdeckt zu werden.

2. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und schiitischer Moslem zu sein. Er sei im Iran geboren worden und habe nach der Rückkehr nach Afghanistan bei seiner Tante mütterlicherseits sowie seinem Onkel väterlicherseits in Herat gelebt. Er habe bei einem Elektrizitätswerk, bei einer Tankstelle sowie bei der ansässigen XXXX Firma gearbeitet. Er habe zu Hause noch diese Tante und diesen Onkel sowie einen weiteren Onkel mütterlicherseits, die allesamt in Herat lebten. Seine Eltern und Geschwister lebten alle im Iran, seine Geschwister seien wie er dort geboren. Er sei traditionell verheiratet und habe die Trauung in Österreich selbst vollzogen, standesamtlich sei er nicht verheiratet. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, die Vereinbarung die Tochter seiner Tante zur Frau zu nehmen getroffen habe. Aufgrund der generellen Situation in Afghanistan habe er sich allerdings entschieden, in den Iran zurückzukehren, woraufhin die Tante dafür gesorgt habe, dass der Beschwerdeführer ihre Tochter nicht mehr zu sehen bekam. Daraufhin habe sich der Beschwerdeführer vermehrt im Haus seines Onkels aufgehalten und im Zuge dessen eine Beziehung mit dessen Tochter begonnen. Davon habe er seinem anderen Onkel berichtet und in dessen Haus mit seiner Cousine Sex gehabt. Danach sei er zum Haus der Tante gegangen, wo er auf den Onkel, mit dessen Tochter er ein Verhältnis gehabt habe, getroffen sei. Er habe begonnen, ihn zu schlagen und dem Beschwerdeführer dabei die Nase gebrochen. Der Onkel habe ihm mit dem Tod gedroht und in weiterer Folge ein Messer gezogen, er habe ihn töten wollen. Der Beschwerdeführer habe sich daraufhin bei entfernten Verwandten versteckt. Er habe von seinem Onkel und seiner Tante Drohanrufe erhalten. Es seien auch seine im Iran lebenden Geschwister und Eltern bedroht worden. Er sei nicht zur Polizei gegangen, weil seine Familie gute Kontakte zur selbigen pflege. In Österreich sei er nicht erwerbstätig und besuche keine Schule. In Österreich sei er zweimal mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Einmal habe er ein Stück Holz zerbrochen und ein anderes Mal sei er wegen einer Bedrohung verurteilt worden. Er sei in einem sehr schlechten psychischen Zustand gewesen und habe sehr viel Alkohol getrunken, weshalb diese Ereignisse passiert seien. Weil er kein Geld gehabt habe, habe der Beschwerdeführer zudem zweimal Alkohol gestohlen. Der Beschwerdeführer erwähnte, im Iran homosexuelle Kontakte gehabt zu haben, über die er nicht erzählt habe, weil sie nicht seinen Fluchtgrund darstellen würden.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

4. Mit Eingabe vom XXXX erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch seine Rechtsberaterin, fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid. Darin wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer homosexuell orientiert sei, weshalb ihm Verfolgung drohe.

5. Am 8.2.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines Rechtsberaters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag und seiner Beschwerde einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete schriftlich auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

[...]

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: ich wurde am XXXX (Dolmetscherin: entspricht XXXX) in XXXX im Iran geboren. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Geburtsdatum hier in Österreich richtig umgerechnet wurde.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich kann Farsi lesen und schreiben. Deutsch habe ich schreiben gelernt aber ich kann nicht gut sprechen.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin schiitischer Moslem und Tadschike. Ich bin verheiratet, ich habe hier traditionell geheiratet. Meine Frau sitzt hinter mir.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Meine Ehefrau ist schwanger.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich im Iran und in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich wurde in XXXX geboren. Ich glaube, bis zu meinem 20. oder 21. Lebensjahr habe ich in XXXX gelebt. Danach ging ich nach Afghanistan, da ich im Iran gar nichts machen durfte. Ich war sehr erschöpft vom Leben im Iran. Ich ging nach XXXX . Etwa zwei Jahre habe ich in der Stadt XXXX gelebt. Aufgrund der Vorfälle war ich gezwungen in den Iran zurückzukehren. Drei Jahre habe ich im Iran gelebt. Ich hatte keine Dokumente im Iran. Danach bin ich ausgereist und kam hier her.

Richter: Wie haben Sie im Iran und in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Ich habe mich bei meiner Tante und bei meinem Onkel mütterlicherseits und väterlicherseits aufgehalten.

Richter: Was haben Sie im Iran und in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Im Iran habe ich auf Baustellen gearbeitet. In Afghanistan habe ich eine Zeit lang in einer Elektrofirma gearbeitet und kurze Zeit habe ich bei XXXX gearbeitet.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: Acht Jahre habe ich die Schule besucht.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Meine Angehörigen leben im Iran in XXXX .

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Ja, gelegentlich.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Ich habe Angehörige in Afghanistan, aber sie haben alle die Absicht mich zu töten.

Richter: Wollen Ihre Eltern und Geschwister auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Das weiß ich nicht.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Eine Zeit lang habe ich einen Deutschkurs besucht. Ich habe mich für einen Deutschkurs eingeschrieben und bin auf der Warteliste. Zu Hause lerne ich selbstständig von YouTube die Sprache. Gelegentlich arbeite ich für die Gemeinde.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich habe keine Freunde.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Was war bei den Vorfällen los, wegen derer sie verurteilt wurden?

Beschwerdeführer: Ich wurde wegen Alkohol verurteilt und deswegen, weil jemand mir vorgeworfen hat, dass ich ihn bedroht habe, obwohl das nicht so war. Ich wurde aber dennoch verurteilt.

Richter: Trinken Sie regelmäßig Alkohol?

Beschwerdeführer: Ja. Ich habe vor das zu ändern.

Richter: Haben Sie schon etwas dagegen unternommen?

Beschwerdeführer: Vom Gericht wurde ich nach XXXX zu einem Psychologen geschickt. Ich war auch dort. Mir wurde vom Gericht ein Bewährungshelfer zugesagt, ich habe aber noch keinen bekommen.

Richter: Ich halte Ihnen vor, dass der XXXX geschrieben hat, dass Sie an der Bewährungshilfe teilnehmen. Wie können Sie sagen, dass Sie noch keinen Bewährungshelfer zugeteilt bekommen haben?

Beschwerdeführer: Vom Gericht wurde ich nach XXXX geschickt. Dort habe ich mit meinem Bewährungshelfer gesprochen. Dieser Bewährungshelfer hat mir gesagt, dass ich einen neuen Bewährungshelfer bekommen werde.

Rechtsvertreterin an Beschwerdeführer: Was bedeutet das Schreiben von einer Bewährungshilfe vom XXXX ?

Beschwerdeführer: Ich war am XXXX bei meinem Bewährungshelfer. Er hat mir aber gesagt, dass er mir eine weitere Person zur Seite stellen wird, die mich unterstützen wir. Von dieser habe ich auch die Telefonnummer.

Der Beschwerdeführer weist die Visitenkarte vor.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Ich habe mit meinen Angehörigen, nämlich mit meiner Tante, mit dem Onkel mütterlicherseits und väterlicherseits, Probleme. Ich bin im Iran geboren und ging nach Afghanistan. Ich wollte mir die Situation in Afghanistan ansehen. Eine Zeit lang war ich in Afghanistan. Meine Tante mütterlicherseits hat ihre Tochter mit mir verlobt. 6 Monate waren wir verlobt. Nachdem wir verlobt wurden, hat sich das Verhalten meiner Tante mir gegenüber geändert. Sie hat mich sehr schlecht behandelt. Ich durfte meine Verlobte nicht mehr sehen und sie sagte mir, dass ich nicht mehr in ihr Haus kommen soll. Ich bin danach zu meinem Onkel mütterlicherseits gegangen. Eine Zeit lang habe ich bei meinem Onkel mütterlicherseits gelebt. Ich habe mich dann mit seiner Tochter angefreundet. Ohne dass ihre Eltern davon erfuhren, hatten wir ein Verhältnis. Wenn mein Onkel mütterlicherseits und seine Frau das Haus verlassen haben, sind wir uns auch näher gekommen und hatten Geschlechtsverkehr. Ich habe meinem Onkel väterlicherseits von meinem Verhältnis zu meiner Cousine erzählt und fragte ihn, ob ich mit meiner Cousine zu ihm nach Hause kommen darf. Ich konnte bei meinem Onkel mütterlicherseits meiner Cousine nicht nahe kommen, deshalb fragte ich meinen Onkel väterlicherseits, ob ich mit meiner Cousine zu ihm kommen darf. Ich war bei meinem Onkel väterlicherseits. Meine Cousine und ich hatten dort Geschlechtsverkehr. Eine Zeit lang später hatte ich mit meinem Onkel väterlicherseits eine Diskussion. Es ging um meinen Vater. Mein Vater und mein Onkel väterlicherseits waren verfeindet. Plötzlich hat mein Onkel väterlicherseits begonnen, meinen Vater zu beschimpfen. Er beleidigte mich auch. Wir haben diskutiert. Plötzlich hat er begonnen, mich mit einem Holzstück zu schlagen. Daraufhin habe ich sein Haus verlassen. Ich bin dann zu unseren weitschichtigen Verwandten gegangen. Meine Tante mütterlicherseits hat davon erfahren und hat mich am nächsten Tag angerufen und mir gesagt, dass ich zu ihr kommen soll, sie hätte etwas mit mir zu besprechen. Ich war bei meiner Tante. Ich habe einen Tee getrunken. Plötzlich kam der Sohn meiner Tante mütterlicherseits und sagte mir, dass ich hinauskommen soll, denn mein Onkel mütterlicherseits würde vor der Türe auf mich warten. Ich bin hinausgegangen und grüßte meinen Onkel. Plötzlich hat er mich mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Ich hatte einen Nasenbeinbruch und habe aus der Nase und dem Mund geblutet. Ich fragte ihn, warum er mich schlägt, was passiert ist. Er sagte mir "Du hattest Sex mit meiner Tochter." Ich fragte ihn, woher er das weiß. Er antwortete, dass mein Onkel väterlicherseits ihm das gesagt hätte. Er hat weiterhin auf mich geschlagen. Plötzlich zückte er ein Messer. Als ich das Messer gesehen habe, bin ich davongelaufen. Ich bin zu unseren weitschichtigen Verwandten geflüchtet. Das waren Verwandte meines Vaters. Ich habe sie um Hilfe gebeten und erzählte ihnen von dem Vorfall. Sie sagten mir, hier ist Afghanistan und nicht der Iran und ich nicht machen und lassen kann, was ich will. Sie sagten mir, sie können mir nicht helfen. Die einzige Hilfe, die sie mir geben könnten, wäre, dass sie mich hier bei ihnen versteckt halten könnten und für mich einen Schlepper organisieren. Ich bin dann in den Iran geflüchtet. Als ich noch in Afghanistan versteckt bei den Verwandten gelebt habe, bekam ich Anrufe. Sie haben mich am Telefon bedroht, dass sie mich finden werden. Sie werden mich finden, egal wo ich bin, und mich töten. Letztendlich habe ich die SIM-Karte weggeworfen. Da ich zwei Jahre lang nicht mehr im Iran war, waren alle meine Dokumente für den Iran ungültig. Ohne Dokumente musste ich im Iran leben. Wenn ich gearbeitet habe, musste ich schwarz arbeiten. Aus Angst von den iranischen Behörden erwischt zu werden und nach Afghanistan abgeschoben zu werden, bin ich Richtung Europa gereist. Ich bin dann hier her gekommen.

Richter: Sind Sie jemals persönlich von irgendeiner staatlichen Stelle bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Von staatlichen Behörden wurde ich nicht bedroht, aber ich weiß, dass meine Verwandten dort Kontakte zu der Polizei dort haben und ich weiß auch, dass mein Onkel mütterlicherseits gute Kontakte zur Polizei hat. Wenn man mich dort auch tötet würde niemand es herausfinden, wer mich getötet hat.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Mein Leben ist in Gefahr. Ich bin mir sicher, dass sie mich töten werden. Alle meine Angehörigen in Afghanistan, sowohl meine Tante mütterlicherseits, als auch mein Onkel mütterlicherseits und mein Onkel väterlicherseits, haben die Absicht mich zu töten.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Illegal.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Von meinen Ersparnissen, ich habe gearbeitet.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Ich habe eine negative Entscheidung bekommen. Mir wurde gesagt, dass mein Leben dort nicht in Gefahr ist. Meine Rechtsberatung hat mir gesagt, dass ich die negative Entscheidung bekommen habe, weil ich verurteilt wurde. Wegen dem Diebstahl wurde ich verurteilt, ich war aber alkoholisiert. In Afghanistan ist mein Leben in Gefahr und ich will wirklich nicht zurückkehren. Sowohl das Gericht, als auch die ganze Welt, weiß über die Lage in Afghanistan Bescheid. Außer, dass die Lage dort schlecht ist, ist mein Leben in Gefahr, weil ich dort Feinde habe.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Tod.

Der Beschwerdeführer legt keine weiteren Beweisanträge vor.

[...]"

6. Mit Beschwerdeergänzung vom XXXX brachte der Beschwerdeführer vor, dass er mit seiner Lebensgefährtin gemeinsam lebe und diese ein Kind von ihm erwarte. Es bestehe ein geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

1.1.1 Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger, geboren am XXXX und somit volljährig. Er stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.2 Der Beschwerdeführer wurde im Iran geboren und ist im Alter von ca. 22 Jahren nach XXXX , Afghanistan übersiedelt, wo er zumindest zwei Jahre bei Verwandten gelebt hat. Im Iran hat er auf Baustellen gearbeitet, in Afghanistan bei einer Elektrofirma sowie bei XXXX . Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer spricht Farsi und kann diese Sprache auch lesen und schreiben. Der Beschwerdeführer hat keine Kinder. Er ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und mit den afghanischen Sitten und Traditionen vertraut. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2015 reiste der Beschwerdeführer nach Europa.

1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

1.2.1 Der Beschwerdeführer hat Afghanistan Jahr XXXX verlassen und reiste nach Europa.

1.2.2 Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich weder bedroht noch verfolgt.

1.2.3 Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan weder auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Tadschike noch auf Grund seiner Religionszugehörigkeit als schiitischer Moslem eine konkret gegen ihn gerichtete psychische bzw physische Gewalt.

1.2.4 Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt war oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan, zu befürchten hätte.

1.2.5 Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw der Gefährdung seines Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

1.2.6 Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer homosexuellen Orientierung verfolgt wird.

1.2.7 Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte hat.

1.2.8 Zudem konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Kabul oder Herat nicht im Stande wäre, für ein ausreichendes Auskommen und eine Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

1.3 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

1.3.1 Der Beschwerdeführer hält sich seit Juni 2015 in Österreich auf. Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

1.3.2 Der Beschwerdeführer geht keiner Beschäftigung nach, er absolviert keine Deutschkurse.

1.3.3 In Österreich leben keine nahen Verwandten oder sonstige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hat in Österreich traditionell geheiratet, die Eheschließung hat er selbst vorgenommen. Standesamtliche Heirat ist keine erfolgt. Die Partnerin des Beschwerdeführers ist schwanger. Sie stammt aus Afghanistan und subsidiär schutzberechtigt. Der Beschwerdeführer lebt mit ihr und ihrer Tochter aus einer früheren Beziehung in einem gemeinsamen Haushalt. Es gibt keine in Österreich geborenen Kinder des Beschwerdeführers.

1.3.4 Der Beschwerdeführer wurde mehrfach strafrechtlich verurteilt:

1. LG für Strafsachen XXXX XXXX vom XXXX RK XXXX wegen §§ 107 (1), 125 StGB, Datum der Tat XXXX , Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit drei Jahre zu LG für Strafsachen XXXX XXXX vom XXXX RK

XXXX Probezeit verlängert auf insgesamt fünf Jahre BG XXXX XXXX vom

XXXX

2. BG XXXX XXXX vom XXXX RK XXXX § 15 § 127 StGB Datum der (letzten) Tat XXXX , Freiheitsstrafe drei Monate, bedingt, Probezeit drei Jahre zu BG XXXX XXXX vom XXXX RK XXXX Probezeit verlängert auf insgesamt fünf Jahre BG XXXX XXXX vom XXXX

3. BG XXXX XXXX vom XXXX vom XXXX RK XXXX § 15, § 127 StGB Datum der (letzten) Tat XXXX Freiheitsstrafe vier Monate, bedingt, Probezeit drei Jahre, Anordnung der Bewährungshilfe

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, zuletzt aktualisiert am 30.1.2018):

1.4.1 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q4.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017). Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT11.12.2017). Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sichvon einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindliche Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahreine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017). Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahrschwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017). (Guardian 7.11.2017)

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der ISzu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe "Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017). Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personalim Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017)

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

1.4.2 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q3.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017). Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderem gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017). Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017).

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

1.4.3 Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004). Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017). Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl. auch: CRS 12.1.2017). Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu- Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016). Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015). Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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