Entscheidungsdatum
20.07.2018Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
W230 2196376-1/8E
Schriftliche Ausfertigung des am 03.07.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Philipp CEDE, LL.M., über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BH XXXX , diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am 17.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu erfolgte am selben Tag seine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und am 31.01.2018 seine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde).
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 24.04.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers "hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Zusätzlich stellte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer einen Rechtsberater für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite.
3. Über die dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde fand vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.07.2018 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu eine mündliche Verhandlung statt, an der der Beschwerdeführer in Begleitung seines (bevollmächtigten) Rechtsberaters teilnahm. Der Ladung zur Verhandlung war das Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation zu Afghanistan (Gesamtaktualisierung 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018) beigelegt, in der mündlichen Verhandlung wurde das zwischenzeitig neu gefasste Länderinformationsblatt dargelegt (Gesamtaktualisierung 29.06.2018).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, wurde am XXXX in der Stadt XXXX in Pakistan geboren, wo er vier Jahre lang (vom 10. bis zum 14. Lebensjahr) eine Schule besucht und sich beruflich mit Viehzucht beschäftigt hat. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, spricht Paschtu und bekennt sich zum Islam sunnitischer Ausrichtung. Seine Familie stammt aus Jalalabad (Provinz Nangarhar). Der Beschwerdeführer selbst war noch nie in Afghanistan. Es kann nicht festgestellt werden, aus welchen Gründen die Familie des Beschwerdeführers Afghanistan verlassen hat.
Der Beschwerdeführer hat weder in Österreich noch im sonstigen Europa Verwandte. Zwei Onkel des Beschwerdeführers leben in Saudi Arabien. Der Vater des Beschwerdeführers verstarb ein Jahr vor seiner Ausreise aus Pakistan. Gemeinsam mit seiner Mutter und seinen jüngeren Geschwistern lebte der Beschwerdeführer bei einem Onkel mütterlicherseits in Pakistan. Auch wenn der Beschwerdeführer bereits längere Zeit keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter hat(te), steht er dennoch in regelmäßigem Kontakt zu seinem Onkel mütterlicherseits namens XXXX .
1.2. Zum individuellen Fluchtvorbringen
1.2.1. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit (in Afghanistan) eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) zu erwarten hätte.
1.2.2. Im Besonderen kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Jalalabad beispielsweise einer Zwangsrekrutierung durch Taliban ausgesetzt wäre. Zwar finden in der Provinz Nangarhar Kämpfe statt und in einigen Distrikten sind die Taliban stark. In der Provinzhauptstadt Jalalabad und im Umkreis haben sich viele Binnenvertriebene und Rückkehrer aus Pakistan angesiedelt. In der Stadt finden Anschläge und Angriffe zwischen Aufständischen und Regierungskräften statt, eine Domination durch Taliban ist dort aber nicht feststellbar.
1.3. Zur Lage in Afghanistan (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Gesamtaktualisiert am 29.06.2018):
1.3.1. Allgemeine Sicherheitslage
...
Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).
Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).
Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).
• Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).
• Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)
• Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).
• Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).
• Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).
• Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).
• Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).
• Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
• Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).
• Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).
• Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
• Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:
Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).
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Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).
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Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).
Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).
Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).
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Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:
das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).
Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).
Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).
Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).
Taliban
Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).
Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).
Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).
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1.3.2. Nangarhar
Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar und an den Gebirgszug Spinghar im Süden (Pajhwok o.D.g). Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 Kilometer von Kabul entfernt (Xinhua 10.2.2017). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.573.973 geschätzt (CSO 4.2017).
Die Provinz Nangarhar besteht, neben der Hauptstadt Jalalabad aus folgenden Distrikten: Ghani Khil/Shinwar, Sherzad, Rodat, Kama, Surkhrod, Khogyani, Hisarak/Hesarak, Pachiragam/Pachir Wa Agam, DehBala/Deh Balah/Haska Mina, Acheen/Achin, Nazyan, Mohmand Dara/Muhmand Dara, Batikot, Kot, Goshta, Behsood/Behsud, Kuz Kunar/Kuzkunar, Dara-e Noor/Dara-e-Nur, Lalpora/Lalpur, Dur Baba/Durbaba und Chaparhar (UN OCHA 4.2014; vgl. EASO 12.2017).
Nangarhar zählte 2017 zu den Provinzen mit der höchsten Opium-Produktion (UNODC 11.2017).
Allgemeine Information zur Sicherheitslage
In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar verschlechtert (Khaama Press 2.1.2018; vgl Reuters 14.5.2018); Nangahar war seit dem Sturz des Taliban-Regimes eine der relativ ruhigen Provinzen im Osten Afghanistans, jedoch versuchen bewaffnete Aufständische in den letzten Jahren ihre Aktivitäten in der Provinz auszuweiten (Khaama Press 11.3.2018; vgl. Khaama Press 4.3.2018, GT 22.1.2018). Begründet wird das damit, dass seit dem Fall des Talibanregimes von weniger Vorfällen berichtet worden war (Khaama Press 28.1.2018). In den letzten Jahren versuchen Aufständische der Taliban und des IS in abgelegenen Distrikten Fuß zu fassen (Khaama Press 11.3.2018; vgl. Khaama Press 4.3.2018, Khaama Press 3.2.2018, Khaama Press 5.10.2017, GT 22.1.2018, SD 22.2.2018). Befreiungsoperationen, in denen auch Luftangriffe gegen den IS getätigt werden, werden in den unruhigen Distrikten der Provinz durchgeführt (Pajhwok 16.3.2018; vgl. Khaama Press 14.1.2018a). Angriffe auch auf lokale Beamte und Sicherheitskräfte in der Provinz werden regelmäßig von Aufständischen der Taliban und dem IS durchgeführt (RFERL 12.3.2018).
Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 795 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert[.]
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Nangarhar war die Provinz mit den meisten im Jahr 2017 registrierten Anschlägen (Pajhwok 14.1.2018).
Im gesamten Jahr 2017 wurden in Nangarhar 862 zivile Opfer (344 getötete Zivilisten und 518 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 1% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen in Nangarhar
In der Provinz werden regelmäßig militärische Operationen ausgeführt (VoA 11.1.2018), um gewisse Distrikte von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 4.3.2018; vgl. Khaama Press 3.2.2018, Khaama Press 14.1.2018, Khaama 7.1.2018, Khaama Press 13.5.2017). Ebenso werden Luftangriffe durchgeführt (ABNA 16.3.2018; vgl. Khaama Press 11.3.2018, GT 22.1.2018, Khaama Press 1.3.2018, Khaama Press 14.1.2018a, Khaama Press 2.1.2018); in manchen Fällen wurden Aufständische getötet (Tolonews 26.5.2018; vgl. Khaama Press 11.3.2018, SD 22.2.2018, Khaama Press 1.3.2018, Khaama Press 2.3.2018, Khaama Press 7.1.2018, Khaama Press 13.5.2017); darunter auch IS-Kämpfer (Tolonews 31.5.2018; vgl. ABNA 16.3.2018, GT 22.1.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in Nangarhar
Anhänger der Taliban, als auch des IS haben eine Präsenz in gewissen Distrikten der Provinz (Pajhwok 16.3.2018; vgl. Khaama Press 4.3.2018); zu diesen werden mehrere südliche Distrikte gezählt (VoA 11.1.2018). Nachdem die Grausamkeit des IS ihren Höhepunkt erreicht hat, sind die Taliban in Nangarhar beliebter geworden und haben an Einfluss gewonnen. Auch ist es dem IS nicht mehr so einfach möglich, Menschen zu rekrutieren (AN 6.3.2018).
Obwohl militärische Operationen durchgeführt werden, um Aktivitäten der Aufständischen zu unterbinden, sind die Taliban in einigen Distrikten der Provinz aktiv (Khaama Press 12.1.2018). In Nangarhar kämpfen die Taliban gegen den IS, um die Kontrolle über natürliche Minen und Territorium zu gewinnen; insbesondere in der Tora Bora Region, die dazu dient, Waren von und nach Pakistan zu schmuggeln (AN 6.3.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und IS fanden statt, dabei ging es um Kontrolle von Territorium (UNGASC 27.2.2018). In einem Falle haben aufständische Taliban ihren ehemaligen Kommandanten getötet, da ihm Verbindungen zum IS nachgesagt wurden (Khaama Press 20.1.2018).
Seit dem Jahr 2014 tauchen immer mehr Berichte zu einem Anstieg von Aktivitäten des IS in manchen abgelegenen Teilen der Provinz - dazu zählt auch der Distrikt Achin (Pajhwok 16.3.2018; vgl. Khaama Press 14.1.2018, Khaama Press 20.1.2018). Der IS zeigte weiterhin große Widerstandsfähigkeit, wenngleich die afghanischen und internationalen Kräfte gemeinsame Operationen durchführten. Die Gruppierung führte mehrere Angriffe gegen die zivile Bevölkerung und militärische Ziele aus - insbesondere in Kabul und Nangarhar (UNGASC 27.2.2018).
Eine Anzahl Aufständischer der Taliban und des IS haben sich in der Provinz Nangarhar dem Friedensprozess angeschlossen (Khaama Press 5.10.2017; vgl. Khaama Press10.1.2018).
Im Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Nangharhar IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen Zivilisten, Auseinandersetzungen mit den Streitkräften und Gewalt) gemeldet (ACLED 23.2.2018).
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1.3.3. Ethnische Minderheiten/Paschtunen
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).
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Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 20.4.2018). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).
Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA Staatendokumentation 7.2016).
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1.3.4. Wehrdienst, Wehrdienstverweigerung/Desertion
Afghanistan kennt keine Wehrpflicht. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre (CIA 2018; vgl. AA 5.2018). Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, erscheint die Notwendigkeit für Zwangsrekrutierungen jedoch eher unwahrscheinlich (AA 5.2018).
Gemäß dem afghanischen militärischen Strafverfahrenskodex von 2008 wird die permanente Desertion mit einer Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren bedroht. Bei Desertionen während einer Sondermission beträgt die maximale Haftstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren. Eine Abwesenheit von mehr als 24 Stunden wird als unerlaubt definiert [Anm.: Absent without official leave, AWOL]. In der Praxis werden Deserteure jedoch in der Regel nicht rechtlich verfolgt. Im Jahr 2016 wurde ein Soldat wegen Desertion in erster Instanz zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt; Berichten zufolge wurde dies zu einem Medienfall, was u.a. auf die Seltenheit solcher Verurteilungen hinweist und auf die Absicht schließen lässt, ein Exempel zu statuieren (SEM 31.3.2017).
2015 musste die afghanische Armee ca. ein Drittel ihrer 170.000 Soldaten wegen Desertion, Verlust bzw. dem niedrigen Anteil an Weiterverpflichtungen ersetzen (Reuters 18.1.2016). Im Jahr 2017 wurde vom Special Inspector General for Afghanistan (SIGAR) festgestellt, dass ca. die Hälfte der afghanischen Soldaten (83 von 152), die in den USA Fortbildungen besuchten, sich während ihres Aufenthalts unerlaubt vom Dienst entfernten; dies könne u.a. negative Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft der ANSDF haben (SIGAR 30.10.2017). Dem Kommandanten der US-amerikanischen Truppen in Afghanistan zufolge ist die Zahl der Desertionen im Land gestiegen: Monatlich verlassen mindestens 4.000 Soldaten die ANDSF; diese Aussage wurde am nächsten Tag vom Verteidigungs- und Innenministerium dementiert. Desertionen sind in Afghanistan seit ca. 40 Jahren an der Tagesordnung (SEM 31.3.2017).
Als Gründe für Desertion und unerlaubtes Fernbleiben gelten Korruption, die Angst vor den Taliban, niedrige Gehälter, schlechte Lebensbedingungen (FP 20.10.2017; vgl. SEM 31.3.2017). Das Problem der Abwesenheit in der ANA wird ebenso damit begründet, dass Soldaten oftmals nicht in ihrer Heimatprovinz dienen. Viele von ihnen müssen einen langen Reiseweg auf sich nehmen, um in ihre Heimatdörfer zu gelangen und ihren Familien die Löhne geben zu können (CRS 13.12.2017; vgl. USDOD 6.2016, AA 5.2018). Diese Deserteure werden schon aufgrund der sehr hohen Zahlen bezüglich vorübergehender Abwesenheiten nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen (AA 5.2018). Allerdings ist die Zahl der unerlaubt Abwesenden in den letzten Jahren etwas gesunken, da nun fast jede Bezahlung der ANA-Soldaten elektronisch durchgeführt wird (CRS 13.12.2017).
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2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
2.2. Die Feststellungen zu Volksgruppenzugehörigkeit und Religionsbekenntnis des Beschwerdeführers sowie hinsichtlich seiner familiären Verhältnisse beruhen auf seinen eigenen, gleichlautenden und insoweit unbedenklichen Angaben.
2.3. Eine individuelle Verfolgung oder Bedrohung wurde vom Beschwerdeführer in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan nicht substantiiert geltend gemacht und ist auch im Hinblick auf die sonstigen Merkmale des Beschwerdeführers, zB als Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen mit sunnitischen Glauben, nicht zu erkennen.
Es liegen nicht genug Anhaltspunkte dafür vor, dass es - wie vom Beschwerdeführer befürchtet - auch bei Anwesenheit in Jalalabad zu einer zwangsweisen Rekrutierung durch Taliban käme, geschweige denn, dass jene Taliban-Angehörigen, die ihn in Pakistan zur Mitarbeit aufgefordert hätten, ihm dort nachstellen könnten oder er dort wiedererkannt werden würde, dies unabhängig davon, dass die Glaubwürdigkeit in diesem Punkt aufgrund diverser Diskrepanzen in den Aussagen fraglich blieb.
2.4. Abgesehen davon, dass sich das Vorbringen des Beschwerdeführers größtenteils nicht auf Vorkommnisse in seinem Herkunftsstaat, sondern auf Ereignisse in Pakistan bezog (vgl. hierzu auch die rechtlichen Ausführungen unter Pkt. 3.3.), vermittelte der Beschwerdeführer keinen persönlich glaubwürdigen Eindruck.
So gab der Beschwerdeführer beispielsweise in der Erstbefragung einen Namen an, der nicht mit dem Namen übereinstimmt (und nicht einmal phonetische Ähnlichkeiten mit dem Namen hat), den der Beschwerdeführer im weiteren Verfahren zu führen behauptete. Ausweislich der Erstbefragungsniederschrift erhielt der Beschwerdeführer am Ende der Erstbefragung eine Kopie der Niederschrift. Zudem erfolgte laut Verwaltungsakt am 19.09.2016 ein sog. "Family Tracing", dh. ein Versuch von Asylwerberbetreuern, im Zusammenwirken mit dem Beschwerdeführer seine Angehörigen ausfindig zu machen; nach dem Akteninhalt führte der Beschwerdeführer auch bei diesem Termin noch den ursprünglich angegebenen Namen und korrigierte diesen nicht auf den später behaupteten Namen. Der Beschwerdeführer hätte sohin seit Aushändigung der Kopie der Niederschrift über die Erstbefragung (17.09.2016), aber auch am 19.09.2016, jedenfalls aber die ganze Zeit hindurch bis zum Termin seiner Einvernahme (31.01.2018) Gelegenheit gehabt, seinen ursprünglich angegebenen Namen, zumindest gegenüber des für ihn zuständigen Trägers der Kinder- und Jugendhilfe richtig zu stellen, was er unterließ. Auch von einem Minderjährigen (der Beschwerdeführer war im relevanten Zeitpunkt 15-16 Jahre), kann - besonders unter Berücksichtigung der im Asylverfahren erfolgenden Wahrheitsbelehrungen - die richtige Angabe des eigenen Namens oder zumindest eine möglichst frühzeitige Richtigstellung eines allenfalls falsch protokollierten Namens erwartet werden. Der Beschwerdeführer konnte weder bei der belangten Behörde noch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung plausibel erklären, warum er im Verfahren einerseits in der Erstbefragung den einen Namen angab (und bei der Einvernahme durch die belangte Behörde sogar ausdrücklich bestätigte), später aber bei der Einvernahme behauptete, einen anderen Namen zu führen. Dass der Name nur "falsch geschrieben" worden sei, ist schon angesichts der völlig unterschiedlichen Phonetik, aber auch im Lichte der zunächst abgegebenen Bestätigung des zuerst angegebenen Namens unplausibel.
2.5. Darüber hinaus wurde die vermeintliche Bedrohungssituation einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban vom Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens widersprüchlich dargelegt und gelang es dem Beschwerdeführer somit nicht, eine solche glaubhaft zu machen. So können an dieser Stelle beispielhaft folgende Diskrepanzen zwischen den Aussagen des Beschwerdeführers angeführt werden:
Bei der Einvernahme durch die belangte Behörde behauptete der Beschwerdeführer, die Taliban seien ca. 15 Tage vor seiner Ausreise in die Koranschule gekommen, um die Koranschüler (darunter den Beschwerdeführer) aufzufordern, die Taliban zu unterstützen (AS 77, 78). Sie seien auch "zweimal zu uns nach Hause gekommen zum Onkel mütterlicherseits" und hätten diesen aufgefordert, dass der Beschwerdeführer mit den Taliban in den Jihad gehen müsse. Dies sei ca. eine Woche vor der Ausreise des Beschwerdeführers gewesen, der zweite Besuch sei am darauf folgenden Tag gewesen. Auf die Frage, wieviele Taliban in der Koranschule "mit [ihm] gesprochen" hätten, gab er bei der belangten Behörde an, es seien "4 Personen" gewesen (AS 79), was sich widersprüchlich zu seiner Angabe in der mündlichen Beschwerdeverhandlung verhält, in der er behauptete, es seien drei Taliban in der Koranschule aufgetreten, dies auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er (erst) auf Vorhalt seiner früheren Aussage hinzufügte, drei hätten mit ihnen gesprochen, der andere habe an der Tür Wache gehalten. In Widerspruch zu seiner früheren Aussage schilderte der Beschwerdeführer anlässlich der Beschwerdeverhandlung auch nur einen einzigen Besuch der Taliban bei seinem Onkel zuhause. Auch wenn es sich bei diesen Besuchen der Taliban im Haus des Onkels um Umstände gehandelt habe, die dem Beschwerdeführer jeweils im Nachhinein vom Onkel erzählt worden seien (er selbst sei währenddessen im Haus versteckt gewesen), ist es auch unter Berücksichtigung seines damaligen und heutigen Alters nicht zuviel verlangt, gerade diesen besonders bedrohenden und für die Ausreise letztlich ausschlaggebenden Umstand konsistent zu schildern. Auch der beschriebene zeitliche Ablauf scheint nicht konsistent, wenn der Beschwerdeführer in der Verhandlung angibt, der Besuch der Taliban beim Onkel zuhause sei 15 Tage vor seiner Ausreise gewesen, obwohl der bei der belangten Behörde noch vorbrachte, zwischen dem Besuch in der Koranschule und jenem zuhause sei eine Woche gelegen und der Auftritt in der Koranschule sei ca. 15 Tage vor seiner Ausreise gewesen. Wenig glaubhaft wirkt es auch, wenn der Beschwerdeführer einerseits vor der belangte Behörde von vier langhaarigen und vollbärtigen Angehörigen der Taliban spricht, an anderer Stelle aber angibt, diese Personen seien so vermummt gewesen, dass man lediglich die Augen sehen habe können. Konfrontiert mit diesen widersprüchlichen Angaben, war der Beschwerdeführer sichtlich bemüht, seine getätigten Aussagen dahingehend abzuändern, um diese miteinander in Einklang bringen zu können, was die Glaubhaftigkeit aber nicht verstärkt (S 7 und 8 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).
Soweit der Beschwerdeführer im Beschwerdeschriftsatz auf diverse Berichte hinweist, die das typische Auftreten von Taliban-Angehörigen beschreiben (bärtig, mit schweren Waffen ausgerüstet etc), wird dies nicht in Zweifel gezogen. Es ändert aber nichts daran, dass allein der Umstand, dass sich ein Asylwerber bei Schilderung von Personen, die ihm gegenüber angeblich aufgetreten seien, auf derartige allgemein als typische Erkennungszeichen von Taliban bekannte Merkmale beruft, für sich genommen noch keine besondere Bedeutung für den Beweiswert einer solchen Beschreibung besitzt.
2.6. Aus dem Vorstehenden folgt, dass nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass der Beschwerdeführer schon bisher ins "Visier" der Taliban genommen wurde. Derartiges kann auch für die Zukunft nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Dabei wird insbesondere auch berücksichtigt, dass die Rekrutierungsmethoden der Taliban, wie sich aus dem in der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 09.02.2018 zu dieser Frage ausdrücklich zitierten Länderberichtsdokument ergibt, auf ideologischer Mobilisierung über Moscheen, Madrassas (=Koranschulen) und zunehmend über Internet stützen, dass die ethnische Zugehörigkeit eine Rolle spielt ("viele Söhne, Cousins von ...") aber auch nach lokal unterschiedlichen Mustern (Proporz nach Familien, manchmal Weilern) erfolgt. Es wird nicht verkannt, dass - wie in der Beschwerde geltend gemacht - Taliban-Gruppierungen wie etwa das "Haqqani-Netzwerk" grenzüberschreitend zwischen Pakistan und dem südöstlichen Afghanistan aktiv und vernetzt sind. Ungeachtet dessen wäre es angesichts des Vorgesagten trotz der behaupteten Vernetzung eine Gefahr u.a. der Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers auch nicht bei seiner - gedachten - Anwesenheit in Jalalabad (einer Stadt, wo ihn niemand kennt, wo er auch in kein für Rekrutierungsversuche im Sinne des Vorgesagten anfälliges Milieu eingebunden ist und wo die Taliban auch nicht dominierend sind) spekulativ, eine aktuell drohende Zwangsrekrutierung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Die unter Pkt. 2.1.2 getroffene Feststellung beruht auf dem Länderinformationsblatt in Kombination mit dem in der Verhandlung dargelegten Auszug aus einem EASO-Bericht / (S. 111-118 des EASO-Berichts "Afghanistan Security Situation - Update" (Mai 2018)
https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan-security_situation_2018.pdf).
2.7. Die auszugsweise unter Pkt. II.1.3 wiedergegebenen Länderfeststellungen ergeben sich aus den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zu Grunde gelegt werden konnten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
3.1. Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 17.09.2016 "hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" abgewiesen wurde.
3.2. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 verweist auf den Flüchtlingsbegriff (drohende Verfolgung im Herkunftsstaat) iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199).
Flüchtling im Sinne der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 25.03.1999, 98/20/0431 u.v.a.).
Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151, mwN).
Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die wohlbegründete Furcht im beschriebenen Sinn (zumindest) "glaubhaft" ist.
3.3. Was die vorgebrachte individuelle Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers betrifft konnte, wie in der Beweiswürdigung und den darauf aufbauenden Feststellungen ausgeführt wurde, eine solche wohlbegründete Furcht weder für die Vergangenheit noch für den gedachten Fall einer künftigen Anwesenheit in Jalalabad glaubhaft gemacht werden (vgl. insb. die Ausführungen in Pkt. 2.4., 2.5. und 2.6. der Beweiswürdigung).
Sofern sich das Vorbringen des Beschwerdeführers auf Ereignisse in Pakistan bezieht, besteht eine asylrechtlich relevante Verfolgung schon deshalb nicht, da sich die begründete Furcht vor Verfolgung auf jenes Land beziehen muss, dessen Staatsangehörigkeit der Asylwerber besitzt, was im vorliegenden Fall Afghanistan ist (VwGH 08.11.1989, 89/01/0338; 02.03.2006, 2004/20/0240).
3.4. Auch für eine Gruppenverfolgung (der Beschwerdeführer ist Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen) oder eine asylrelevante Verfolgung aus sonstigen Gründen ergaben sich im Laufe des Verfahrens keine ausreichenden Anhaltspunkte. Da der Beschwerdeführer sohin weder glaubhaft machen konnte noch auf Grund des Ermittlungsverfahrens hervorgekommen wäre, dass ihm asylrelevante Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, war der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.
3.5. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass einer allfälligen - nicht asylrelevanten - Gefährdung des Beschwerdeführers durch die derzeitige Sicherheitslage in Afghanistan im vorliegenden Fall bereits durch die Entscheidung der belangten Behörde (ihm wurde, wie bereits mehrfach erwähnt, mit angefochtenem Bescheid vom 24.04.2018 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte erteilt) ausreichend Rechnung getragen wurde.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die vorliegende Entscheidung ist in erster Linie durch die auf der Beweiswürdigung aufbauenden Feststellungen begründet, unklare Rechtsfragen wurden weder in der Beschwerdeaufgeworfen, noch sind solche im Verfahren hervorgekommen. In rechtlicher Hinsicht weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter Pkt. II. angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Übrigen hängt die Entscheidung über strittige Fragen hier nur vom Ergebnis der Beweiswürdigung ab, die grundsätzlich nicht revisibel ist. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Glaubwürdigkeit, Herkunftsstaat, mangelnde Asylrelevanz,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W230.2196376.1.00Zuletzt aktualisiert am
03.08.2018