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L34009 Abgabenordnung Wien;Norm
BAO §289 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde der B GmbH, vertreten durch Dr. P und Dr. H, Rechtsanwälte in G, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission Wien vom 20. Oktober 1995, Zl. MD-VfR-B 27/95, betreffend Abwassergebühr und Umweltabgabe auf Abwasser, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Partei hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom 30. Juni 1994 richtete die beschwerdeführende Partei an den Magistrat der Stadt Wien unter dem Betreff "Gebühren-Abgabenbescheid" und der Anführung einer Kontonummer ein Schreiben folgenden wesentlichen Inhaltes:
"Im Jahre 1992 lag bei uns ein Rohrgebrechen vor. Da das Gebrechen außerhalb des Gebäudes in einem Schacht passierte, wurde dieses erst viel zu spät und nur durch Zufall entdeckt. Weiters ist diese Menge an Wasser nicht in da(s) öffentliche Kanalnetz eingeflossen sondern im Boden versickert.
Wir ersuchen um eine kulante Behandlung im Bezug auf den oben angeführten Abgabenbescheid bzw. um einen neuen Abgabenbescheid in Berücksichtigung unseres Gebrechens."
Dieses Schreiben bezog sich auf einen endgültigen Gebühren- und Abgabenbescheid vom 17. Juni 1994, mit dem eine Gebühren- und Abgabenfestsetzung für die Zeit vom 12. September 1991 bis zum 30. März 1994 vorgenommen worden war.
Mit Bescheiden vom 25. Juli bzw. vom 26. Juli 1994 wurden die nach Ansicht der Behörde in dem erwähnten Schreiben enthaltenen Anträge auf Herabsetzung der Abwassergebühr und der Umweltabgabe auf Abwasser für die Zeit vom 12. September 1991 bis zum 31. Dezember 1991 (Bescheid vom 25. Juli 1994) und vom 1. Jänner 1992 bis zum 31. Dezember 1992 (Bescheid vom 26. Juli 1994) zurückgewiesen. Anträge gemäß § 13 Abs. 1 Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetz 1978, LGBl. für Wien Nr. 2, bzw. nach § 10 Abs. 1 Umweltabgabengesetz, LGBl. für Wien Nr. 43/1989, seien bei sonstigem Anspruchsverlust für in einem Kalenderjahr oder in einem kürzeren Zeitraum nicht eingeleitete Wassermengen bis zum Ende des folgenden Kalenderjahres einzubringen. Eine fristgerechte Antragstellung hätte daher bis zum 31. Dezember 1992 bzw. zum 31. Dezember 1993 erfolgen müssen. Da der Antrag erst im Kalenderjahr 1994 eingebracht worden sei, sei die Antragstellung verspätet erfolgt.
Die beschwerdeführende Partei erhob gegen beide Bescheide jeweils Berufung. In den Schriftsätzen ging sie übereinstimmend davon aus, dass sie Anträge auf Herabsetzung der Abwassergebühr und der Umweltabgabe gestellt habe, die durch die jeweils bekämpften Bescheide zurückgewiesen worden seien. Es sei jedoch eine frühere Antragstellung als im Kalenderjahr 1994 nicht möglich bzw. für sie aus näher dargelegten Gründen nicht zumutbar gewesen.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 14. April 1995 wies der Magistrat der Stadt Wien die Berufungen der beschwerdeführenden Partei als unbegründet ab. Der Herabsetzungsantrag für die genannten Zeiträume (12. September 1991 bis 31. Dezember 1991 und 1. Jänner 1992 bis 31. Dezember 1992) sei erst mit Schreiben vom 30. Juni 1994 und somit außerhalb der Ausschlussfrist eingebracht worden.
Die beschwerdeführende Partei beantragte die Vorlage ihrer Berufungen.
Mit ihrem Bescheid vom 20. Oktober 1995 wies die belangte Behörde die Berufungen als unbegründet ab. Der Antrag auf Herabsetzung der Abwassergebühr bzw. der Umweltabgabe auf Abwasser für die Kalenderjahre 1991 und 1992 hätte bis 31. Dezember 1992 bzw. 31. Dezember 1993 eingebracht werden müssen. Die Antragstellung am 30. Juni 1994 sei verspätet.
Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 30. September 1997, B 3798/95-6, die Behandlung der dagegen zunächst an ihn gerichteten Beschwerde ab und trat diese im Sinne des Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Die beschwerdeführende Partei bekämpft in ihrer - ergänzten - Beschwerde den Bescheid der Abgabenberufungskommission Wien vom 20. Oktober 1995 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Sie erachtet sich "in den gesetzlich gewährleisteten Rechten, und zwar gemäß § 240 Wiener Abgabenordnung (WAO), LGBl. für Wien Nr. 21/1962, in das Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. auf das Recht einer Nachsicht im Falle der Unbilligkeit gemäß § 182 WAO iVm § 25 Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetz 1978, LGBl. für Wien Nr. 2" verletzt.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattet, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die beschwerdeführende Partei geht vor dem Gerichtshof davon aus, dass sie mit ihrem Schreiben vom 30. Juni 1994 konkludent die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend § 240 WAO beantragt habe; auch die Berufung vom 19. August 1994 gegen den Bescheid vom 26. Juli 1994 sei als Antrag gemäß § 240 WAO auszulegen. Unschädlich sei, dass die Schreiben nicht als Antrag gemäß § 240 WAO bezeichnet worden seien. Sollte der Verwaltungsgerichtshof jedoch zur Ansicht kommen, dass kein Wiedereinsetzungsantrag und Wiedereinsetzungsgrund vorliege, liege jedoch "zumindest ein konkludenter Antrag auf Nachsicht ... gemäß § 182 WAO" vor. Der Magistrat der Stadt Wien sei verpflichtet gewesen, das Schreiben vom 30. Juni 1994 und die Berufung vom 19. August 1994 als Antrag auf Nachsicht einzustufen; diese Anträge seien auch fristgerecht gestellt worden. Darin, dass die Abgabenbehörden nicht vom Vorliegen der genannten Anträge ausgegangen seien, liege die Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ebenso wie die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
Gemäß § 47 der Wiener Abgabenordnung, LGBl. Nr. 21/1962, ist als Abgabenbehörde erster Instanz der Magistrat zuständig, soweit die Abgabenvorschriften nicht anderes anordnen. Als Abgabenbehörde zweiter Instanz ist die Abgabenberufungskommission zuständig (§ 48 leg. cit.).
Gemäß § 49 leg. cit. haben die Abgabenbehörden ihre Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen. Langen bei ihnen Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig sind, so haben sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen.
Gemäß § 240 Abs. 3 erster Satz WAO muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen Monatsfrist nach Aufhören des Hindernisses bei der Abgabenbehörde eingebracht werden, bei der die Frist wahrzunehmen war. Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 242 Abs. 1 leg. cit. die Abgabenbehörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war, bei Versäumung einer Berufungsfrist die Abgabenbehörde erster Instanz.
Es kann im Beschwerdefall dahinstehen, ob tatsächlich im Schreiben vom 30. Juni 1994 bzw. in der in der Beschwerde erwähnten Berufung Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. auf Nachsicht im Sinne des § 182 WAO zu erblicken sind; jedenfalls lag in diesen Eingaben ein Antrag auf Herabsetzung, über den die Behörde abzusprechen hatte. Die belangte Behörde hat nämlich - wovon auch die beschwerdeführende Partei bei der Anführung ihres Beschwerdepunktes ausgeht - keine Entscheidung über Anträge auf Wiedereinsetzung bzw. Abgabennachsicht getroffen. Ebenso wenig hat aber - worauf die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend verweist - die Abgabenbehörde erster Instanz über derartige Anträge entschieden.
Gemäß § 224 Abs. 1 WAO hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz, sofern die Berufung nicht gemäß § 213 leg. cit. zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. "Sache" im Sinne dieser Gesetzesstelle (ebenso wie im Sinne des § 289 Abs. 1 BAO oder des § 66 Abs. 4 AVG 1950) ist jedoch die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches der Behörde erster Instanz gebildet hat. Die Abgabenbehörde zweiter Instanz darf sohin in einer Angelegenheit, die überhaupt noch nicht oder in der von der Rechtsmittelentscheidung in Aussicht genommenen rechtlichen Art nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen war, nicht einen Sachbescheid (im Ergebnis erstmals) erlassen; eine solche Entscheidung fällt nicht in die funktionelle Zuständigkeit der Berufungsbehörde, ein Verstoß dagegen belastete den Berufungsbescheid im diesbezüglichen Umfang mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das hg. Erkenntnis vom 22. März 1999, Zl. 98/17/0099, mwN, sowie das von der belangten Behörde in der Gegenschrift zitierte Erkenntnis vom 24. Oktober 1986, Zl. 84/17/0151, gleichfalls mwN).
Daraus folgt aber, dass die belangte Behörde im Rahmen der ihr zustehenden Entscheidungsbefugnis gar nicht befugt gewesen wäre, über einen Antrag auf Wiedereinsetzung - dieser wäre gemäß § 242 Abs. 1 WAO von der Abgabenbehörde erster Instanz zu erledigen gewesen - zu entscheiden. Gleichfalls hätte die belangte Behörde nicht über ein Begehren auf Nachsicht entscheiden dürfen, da (auch) diesbezüglich die Abgabenbehörde erster Instanz zuständig gewesen wäre.
Die beschwerdeführende Partei ist im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte daher durch den Bescheid der belangten Behörde vom 20. Oktober 1995 nicht beschwert.
Die Beschwerde war infolge dessen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 24. Jänner 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1997170456.X00Im RIS seit
20.11.2000