TE Vfgh Erkenntnis 1997/10/10 B661/97, B662/97, B663/97

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Veröffentlicht am 10.10.1997
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AufenthaltsG §5 Abs1
EMRK Art8

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung einer Aufenthaltsbewilligung wegen nicht gesicherten Lebensunterhaltes infolge Unterlassung der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den jeweils angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit 20.700 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit zwei der drei angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheide des Bundesministers für Inneres wurden die Anträge eines jugoslawischen Staatsangehörigen und seines Sohnes auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung unter Berufung auf §5 Abs1 Aufenthaltsgesetz - AufG BGBl. 466/1992 idF BGBl. 201/1996 - abgewiesen. Mit einem weiteren Bescheid wurde der Lebensgefährtin des Erst- und der Mutter des Zweitbeschwerdeführers in Anwendung des §8 Abs1 AufG die Aufenthaltsbewilligung entzogen. Die belangte Behörde begründete ihre Bescheide damit, daß der Lebensunterhalt der nunmehrigen Beschwerdeführer für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert sei. Der Erstbeschwerdeführer habe nämlich (etwa zwei Monate vor Erlassung des angefochtenen Bescheides) seine Arbeit verloren und verfüge daher über kein Einkommen mehr; der Anspruch der Drittbeschwerdeführerin auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 6.402 S sei nicht als ausreichend zu betrachten, um den Lebensunterhalt der gesamten Familie zu sichern.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) sowie des durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird.

Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die angefochtenen, Aufenthaltsbewilligungen nach dem AufG versagenden Bescheide greifen in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer, die sich seit mehreren Jahren rechtmäßig in Österreich aufhalten, ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte und unter Gesetzesvorbehalt stehende Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11638/1988).

2. Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis

VfSlg. 14091/1995 mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen. Dies gilt im grundsätzlichen auch für die auf dieselben Tatbestände gestützte Entziehung einer erteilten Aufenthaltsbewilligung.

3. Im vorliegenden Fall zweier Fremder, die seit mehreren Jahren in Österreich miteinander leben, und deren gemeinsamem Kind hat die belangte Behörde das Vorliegen des Entziehungstatbestandes - ohne auf die private Interessenlage der Beschwerdeführer näher einzugehen - ausschließlich mit der aktuellen beruflichen Situation des Erstbeschwerdeführers (nämlich seiner derzeitigen Beschäftigungslosigkeit) sowie damit begründet, daß das von der Drittbeschwerdeführerin bezogene Arbeitslosengeld zur Sicherung des Lebensunterhaltes der gesamten Familie nicht ausreiche. Die belangte Behörde hat damit die im Sinne des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

Die angefochtenen Bescheide waren aus diesem Grunde aufzuheben.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG; in den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.450 S enthalten.

IV.                                 Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B661.1997

Dokumentnummer

JFT_10028990_97B00661_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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