Entscheidungsdatum
12.07.2018Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W220 2200541-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Indien, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.06.2018, Zl. 1127994008-170375893, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Indien, reiste unrechtmäßig nach Österreich ein und stellte am 29.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 30.08.2016 fand die Erstbefragung des Beschwerdeführers vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Mit der Bestätigung/Information vom 30.08.2016 wurde der Beschwerdeführer unter anderem über seine Meldeverpflichtung informiert.
Am 06.09.2016 wurde der Beschwerdeführer wegen 48-stündiger Abwesenheit [unbekannter Aufenthalt] von der Grundversorgungsstelle abgemeldet.
Am 15.09.2016 langte eine Liste, datiert mit 09.09.2016, mit Obdachlosenmeldungen des Vereins Ute Bock in XXXX, beim BFA ein, in der auch der Beschwerdeführer genannt ist.
Am 15.09.2016 wurde die Bescheidzustellung durch Hinterlegung im Akt verfügt.
Am 16.09.2016 wurde der Bescheid des BFA vom 15.09.2016, Zl. 1127994008-161192838, gem. § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustG ohne vorhergehenden Zustellversuch im Akt hinterlegt.
Am 03.10.2016 gab der XXXX die Vollmacht für den Beschwerdeführer bekannt und legte unter einem einen ZMR-Auszug, aus dem die Meldung des Beschwerdeführers an der Adresse XXXX, ab 27.09.2016 hervorgeht, vor.
Am 05.12.2016 langte wieder eine aktuelle Liste mit Obdachlosenmeldungen des Vereins Ute Bock inXXXX, ein, in der auch der Beschwerdeführer genannt ist. Aus einem ZMR-Auszug vom gleichen Tag ist die Meldung des Beschwerdeführers als obdachlos dort seit 02.12.2016 ersichtlich.
2. Der Beschwerdeführer stellte am 27.03.2017 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.
Am 27.03.2017 fand die Erstbefragung des Beschwerdeführers "aufgrund eines Folgeantrages" vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.
Der Beschwerdeführer wurde am 19.04.2017 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.
Am 25.04.2017 legte der Beschwerdeführer eine Hauptwohnsitzbestätigung, die als Kontaktstelle das Flüchtlingsprojekt Ute Bock ausweist und neben dem unterfertigten Stempel des Magistratischen Bezirksamtes für den 10. Bezirk den Vermerk "Anmeldung erst ab 04.10.2016" ausweist, vor. Zudem legte er eine Bestätigung des Flüchtlingsprojekts Ute Bock vom 07.09.2016 vor, wonach der Beschwerdeführer in vier Wochen einen "Meldezettel" erhalten würde. Die Meldung sei lediglich eine Obdachlosenmeldung und diene als Postanschrift.
Der Beschwerdeführer wurde am 22.11.2017 erneut vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.06.2018, Zl. 1127994008-170375893, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 27.03.2017 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 68 AVG zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gem. § 10 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gem. § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).
In der Begründung ging das BFA vom rechtkräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens unter der Zahl 1127994008-161192838 mit 01.10.2016 aus. Die Zustellung im ersten Verfahren sei rechtmäßig gewesen, da im Zeitraum vom 06.09.2016 bis 27.09.2016 keine Meldung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet vorgelegen sei. Die im ersten Verfahren vorgebrachten wirtschaftlichen Gründe seien nicht asylrelevant und der Beschwerdeführer habe sich nun auf die gleichen Gründe sowie auf die unsichere Lage in Indien gestützt, ohne zu letzterem einen persönlichen Bezug herzustellen. Es habe sich in der maßgeblichen Sach- und Rechtslage keine Änderung ergeben, sodass die Rechtskraft des ergangenen Bescheides seinem neuerlichen Antrag entgegenstehe.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 05.07.2018 fristgerecht Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Gerichtsakts des Bundesverwaltungsgerichts.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A):
3.1. § 19a MeldeG lautet:
"Hauptwohnsitzbestätigung
§ 19a. (1) Die Meldebehörde hat einem Obdachlosen auf Antrag nach dem Muster der Anlage D in zwei Ausfertigungen zu bestätigen, dass er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in dieser Gemeinde hat (Hauptwohnsitzbestätigung), wenn er
1. glaubhaft macht, dass er seit mindestens einem Monat den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen ausschließlich im Gebiet dieser Gemeinde hat, und
2. im Gebiet dieser Gemeinde eine Stelle bezeichnen kann, die er regelmäßig aufsucht (Kontaktstelle).
(2) Die Kontaktstelle gilt als Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, sofern der Obdachlose hiezu die Zustimmung des für diese Stelle Verfügungsberechtigten nachweist.
(3) Die Hauptwohnsitzbestätigung wird ungültig, wenn der Betroffene gemäß §§ 3 oder 5 bei einer Meldebehörde angemeldet wird oder wenn von einer anderen Meldebehörde eine Bestätigung gemäß Abs. 1 ausgestellt wird. § 4 Abs. 4 gilt mit der Maßgabe, dass anstelle der Abmeldung die Ungültigkeit zu bestätigen ist.
(4) Für Zwecke des 2. Abschnittes sind Bestätigungen gemäß Abs. 1 Anmeldungen und die Ungültigkeitserklärung gemäß Abs. 3 Abmeldungen gleichzuhalten.
(5) § 9 gilt für Hauptwohnsitzbestätigungen entsprechend."
3.2. § 8 und § 23 ZustG lauten:
"Änderung der Abgabestelle
§ 8. (1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.
(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.
Hinterlegung ohne Zustellversuch
§ 23. (1) Hat die Behörde auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift angeordnet, daß ein Dokument ohne vorhergehenden Zustellversuch zu hinterlegen ist, so ist dieses sofort bei der zuständigen Geschäftsstelle des Zustelldienstes, beim Gemeindeamt oder bei der Behörde selbst zur Abholung bereitzuhalten.
(2) Die Hinterlegung ist von der zuständigen Geschäftsstelle des Zustelldienstes oder vom Gemeindeamt auf dem Zustellnachweis, von der Behörde auch auf andere Weise zu beurkunden.
(3) Soweit dies zweckmäßig ist, ist der Empfänger durch eine an die angegebene inländische Abgabestelle zuzustellende schriftliche Verständigung oder durch mündliche Mitteilung an Personen, von denen der Zusteller annehmen kann, daß sie mit dem Empfänger in Verbindung treten können, von der Hinterlegung zu unterrichten.
(4) Das so hinterlegte Dokument gilt mit dem ersten Tag der Hinterlegung als zugestellt."
3.3. § 11 BFA-VG und § 13 BFA-VG lauten jeweils auszugsweise:
"Zustellungen
§ 11. (1) Die Erstaufnahmestelle, in der sich der Asylwerber befindet oder die Unterkunft oder die Betreuungseinrichtung des Bundes, in der der Asylwerber versorgt wird, sind Abgabestelle für eine persönliche Zustellung nach dem Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente - ZustG, BGBl. Nr. 200/1982. Eine Kontaktstelle gemäß § 19a Abs. 2 Meldegesetz 1991 (MeldeG), BGBl. Nr. 9/1992, ist in Verfahren vor dem Bundesamt keine Abgabestelle im Sinne des ZustG.
[...]
(6) Zustellungen an Fremde können durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auch im Zuge der Erfüllung einer Meldeverpflichtung gemäß § 15a AsylG 2005, §§ 56 Abs. 2 Z 2, 71 Abs. 2 Z 2 oder 77 Abs. 3 Z 2 FPG oder § 13 Abs. 2 erfolgen. Kommt der Empfänger seiner Meldeverpflichtung nach Veranlassung der Zustellung nicht nach, ist das Dokument bei der Dienststelle der Landespolizeidirektion zu hinterlegen. § 17 Abs. 3 Satz 1 bis 3 ZustG gilt sinngemäß mit der Maßgabe, dass das hinterlegte Dokument von der Dienststelle der Landespolizeidirektion zur Abholung bereitzuhalten ist. Wurde eine Verletzung der Meldeverpflichtung dem Bundesamt vor Veranlassung der Zustellung mitgeteilt, ist die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch vorzunehmen, solange der Fremde seiner Meldeverpflichtung nicht nachgekommen ist. § 23 ZustG gilt sinngemäß mit der Maßgabe, dass an die Stelle der zuständigen Geschäftsstelle des Zustelldienstes die Dienststelle der Landespolizeidirektion tritt und eine Hinterlegung beim Gemeindeamt nicht in Betracht kommt.
Mitwirkung eines Fremden
§ 13. (1) Der Fremde hat am Verfahren vor dem Bundesamt, insbesondere an einer erkennungsdienstlichen Behandlung mitzuwirken.
(2) Verfügt ein Fremder lediglich über eine Hauptwohnsitzbestätigung gemäß § 19a MeldeG, so hat er sich beginnend mit dem ersten Werktag nach Ausstellung der Hauptwohnsitzbestätigung vierzehntätig bei der, der Kontaktstelle gemäß § 19a Abs. 1 Z 2 MeldeG nächstgelegenen Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden; dies gilt nicht im Falle einer Verfahrensanordnung gemäß § 15a Abs. 2 AsylG 2005. Eine Verletzung dieser Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
[...] "
3.4. Nach § 8 Abs 1 des ZustG hat eine Partei, die während eines Verfahrens (von dem sie Kenntnis hat) ihre bisherige Abgabenstelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Dies gilt auch für die Aufgabe einer Abgabenstelle (vgl etwa VwGH vom 18. April 2002, 2001/01/0525 (VwSlg 15.810 A/2002); VwGH vom 19. März 2013, 2011/21/0144; VwGH vom 11. Juni 2015, Ra 2014/20/0184).
Wurde die Zustellung des Bescheides gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustG ohne vorausgehenden Zustellversuch durch Hinterlegung bei der Behörde (im Akt) vorgenommen, so hätte deren Rechtswirksamkeit vorausgesetzt, dass der Fremde seine Mitteilungspflicht nach § 8 Abs. 1 ZustG verletzt hat. Das wäre nur der Fall, wenn der Fremde die unverzügliche Mitteilung der Änderung seiner Abgabestelle unterlassen hat, wobei auch die Aufgabe einer Abgabestelle (bei anschließender Obdachlosigkeit) eine solche Änderung darstellt (VwGH 19.03.2013, 2011/21/0244; Hinweis E 18. April 2002, 2001/01/0559).
Mit dem am 1. Jänner 2010 in Kraft getretenen FrÄG 2009 wurde dem § 23 Abs. 1 AsylG 2005 ein Satz angefügt, wonach eine solche Kontaktstelle in Verfahren nach diesem Bundesgesetz keine Abgabestelle iSd ZustG ist. Demnach verfügte der Fremde seit diesem Zeitpunkt über keine Abgabestelle mehr, an der ihm im asylrechtlichen Verfahren hätte zugestellt werden können. In diesem Sinn heißt es auch in den Gesetzesmaterialien zu dieser Änderung des AsylG 2005 (RV 330 BlgNR 24. GP 21), dass die Zustellung gegenüber Fremden, die eine Kontaktstelle angegeben haben, durch öffentliche Bekanntmachung (§ 25 ZustG) sowie durch unmittelbare Ausfolgung (§ 24 ZustG) und Zustellung am Ort des Antreffens (§ 24a ZustG) möglich sein wird. Daran hat sich nichts geändert, als der Fremde nicht mehr gemäß § 19a MeldeG gemeldet war; er hatte für Zustellungen im asylrechtlichen Verfahren weiterhin keine Abgabestelle, weswegen er auch keine Meldepflicht nach § 8 Abs 1 ZustG verletzten konnte (VwGH 19.03.2013, 2011/21/0244).
3.5. § 11 Abs. 1 2. BFA-VG Satz entspricht dem früheren § 23 AsylG Abs. 1 2. Satz, sodass die unter 3.4. dargestellte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs auf die gegenständlich zu beurteilende Rechtslage übertragen werden kann.
Ebenso ist nach den Gesetzesmaterialien zu § 11 BFA-VG durch Abs. 1 leg.cit. klarstellt, dass eine Kontaktstelle gem. § 19a MeldeG in asylrechtlichen Verfahren keine Abgabestelle iSd ZustG ist. [...]
Die Zustellung ist gegenüber Asylwerbern, die eine Kontaktstelle angegeben haben, durch öffentliche Bekanntmachung (§ 25 ZustG) sowie durch unmittelbare Ausfolgung (§ 24 ZustG) und Zustellung am Ort des Antreffens (§ 24a ZustG) möglich. Siehe dazu auch die Bestimmung des § 13 Abs. 2 BFA-VG iVm § 11 Abs. 6 BFA-VG, wonach sich Asylwerber, die nur über eine Hauptwohnsitzbestätigung verfügen, in vierzehntägigen Abständen bei der der Kontaktstelle nächstgelegenen Dienststelle der Landespolizeidirektion zu melden haben und Zustellungen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auch anlässlich der Erfüllung dieser Meldeverpflichtung erfolgen können (RV 1803 XXIV. GP).
3.6. Die Mitteilung nach § 8 Abs. 1 ZustG hat unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen (vgl. Stumvoll in Fasching/Konecny2, ErgBd, § 8 ZustG Rz 7). In seinem Erkenntnis vom 21. März 2007, Zl. 2006/19/0079, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang festgestellt, dass bei der Beurteilung der "Unverzüglichkeit" einer tatsächlich erfolgten Mitteilung in den für das Asylverfahren - unter dem Gesichtspunkt der für Asylwerber zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten - typischen Fallgestaltungen zu berücksichtigen ist, dass es einige Tage dauern könne, bis der Inhalt der zu erstattenden Mitteilung, nämlich die Bekanntgabe einer neuen Abgabestelle oder des vorläufig ersatzlosen Verlustes der bisherigen, feststehe, und weiters nicht bei jedem Wechsel der Unterkunft zwangsläufig zwei Meldungen (eine über die Aufgabe der bisherigen und kurz darauf eine weitere über den Bezug der neuen) zu erfolgen haben. Ausgehend davon war im konkreten Fall, in dem zwischen der Entlassung des Fremden aus der Schubhaft (am 22. April 2004) und der Hinterlegung des gegenüber dem Fremden in einer asylrechtlichen Angelegenheit ergangenen Bescheides (am 27. April 2004) nur fünf Tage lagen, zum Zeitpunkt der Hinterlegung der Zeitraum, der dem Fremden für die Mitteilung der Änderung der Abgabestelle zur Verfügung steht, noch nicht verstrichen und daher die Zustellung gemäß § 8 Abs. 2 ZustG nicht rechtswirksam (VwGH 17.11.2010, 2008/23/0754).
Es wird zwar im Regelfall auch für einen ausländischen Asylwerber zumindest bei entsprechender Belehrung über die Pflicht zur Bekanntgabe von "Änderungen" unmittelbar einsichtig sein, dass er der Behörde eine neue Adresse ehebaldigst mitzuteilen habe. Für den Fall der eingetretenen Obdachlosigkeit trifft das jedoch nicht in gleichem Maße zu. Auch der im vorliegenden Fall dem Asylwerber am 12. Jänner 2001 ausgefolgte Ladungsbescheid für den 2. März 2001 enthielt lediglich den Hinweis, dass jede Änderung der Wohnadresse dem Bundesasylamt unverzüglich mitzuteilen sei. Im Verkennen dieses Hinweises in die Richtung, dass lediglich eine neue Wohnadresse bekannt zu geben sei, kann noch keine grobe Fahrlässigkeit erkannt werden. Das gilt jedenfalls in Anbetracht des aus Äthiopien (allenfalls Eritrea) stammenden, sprachunkundigen und erst wenige Monate im Inland befindlichen Asylwerbers, der offensichtlich keine über das Asylverfahren hinausgehende Erfahrung im Umgang mit Behörden erworben hat und bei dem daher ein dementsprechend geringer Sorgfaltsmaßstab (Hinweis: Erkenntnis vom 7. Juni 2000, 99/01/0337) anzulegen ist (VwGH 2001/01/0559).
3.7. Nach der im Verfahrensgang wiedergegebenen Aktenlage verfügte der Beschwerdeführer nach der Abmeldung von der Grundversorgungsstelle am 06.09.2016 über keine Abgabestelle, sondern lediglich über eine Kontaktstelle gem. § 19a MeldeG. Durch die Mitteilung des Vereins Ute Bock wurde mit Schreiben vom 09.09.2016, eingelangt spätestens mit 15.09.2016, jedenfalls implizit über die Aufgabe dieser Abgabestelle bei anschließender Obdachlosigkeit informiert. Im Lichte dessen, dass der Beschwerdeführer erst am 29.08.2016 den Antrag auf internationalen Schutz stellte, sich daher erst sehr kurz im Bundesgebiet befand, sprachunkundig war und keine Erfahrung mit Behörden außerhalb des Asylverfahrens hatte, sowie der unter Punkt 3.6. dargestellten Judikatur erscheint diese Meldung (Meldung der Obdachlosigkeit als Meldung der Änderung einer Abgabestelle durch Aufgabe dieser) als hinreichend zeitnah, sodass das Kriterium einer unverzüglichen Mitteilung gewahrt ist. Durch die chronologische Einordnung der Aktenteile ergibt sich auch, dass die Meldung über die Obdachlosigkeit einging, bevor die Zustellung durch Hinterlegung im Akt verfügt wurde. Nach dem Gesagten wurde die Mitteilungspflicht gem. § 8 Abs. 1 ZustG nicht verletzt. Da der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt über keine Abgabestelle für das asylrechtliche Verfahren verfügte, konnte er auch unter diesem Aspekt keine Meldepflicht nach § 8 Abs. 1 ZustG verletzen.
Wurde die Zustellung des Bescheides gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustG ohne vorausgehenden Zustellversuch durch Hinterlegung bei der Behörde (im Akt) vorgenommen, so hätte deren Rechtswirksamkeit aber vorausgesetzt, dass der Beschwerdeführer seine Mitteilungspflicht nach § 8 Abs. 1 ZustG verletzt hat. Mangels Verletzung dieser Mitteilungspflicht kam ein Vorgehen nach § 8 Abs. 2 ZustG im gegenständlichen Fall nicht in Betracht.
Die "Zustellung" der Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl am 16.09.2016 gem. § 8 Abs, 2 iVm § 23 ZustG ohne vorhergehenden Zustellversuch im Akt war daher nicht rechtswirksam.
3.8. Die Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (nach § 68 Abs. 1 AVG iVm § 23 AsylG 1997) setzt voraus, dass das Verfahren über den ersten Asylantrag rechtskräftig beendet ist. Wurde ein das Erstverfahren beendender Bescheid jedoch nicht rechtswirksam zugestellt, dann ist dieses Asylverfahren noch nicht rechtskräftig beendet, sondern weiterhin in erster Instanz anhängig. Die Zurückweisung eines Folgeantrages wegen entschiedener Sache käme davon ausgehend von vornherein nicht in Betracht (VwGH 27.04.2006, 2005/20/0645; Hinweis E 12. April 2005, 2004/01/0491; E 18. Oktober 2005, 2005/01/0215; E 16. Februar 2006, 2006/19/0146).
3.9. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
Gemäß Abs. 5 leg.cit. sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichts entsprechenden Rechtszustand herzustellen, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs darf ein Verwaltungsgericht auf Grund einer gegen eine Zurückweisung erhobenen Beschwerde nur über die Rechtmäßigkeit des Zurückweisungsbescheides, nicht hingegen über den Antrag selbst entscheiden. (vgl. dazu etwa VwGH 12.10.2015, Zl. Ra 2015/22/0115, mit Verweis auf VwGH 29.04.2015, Zl. 2013/08/013627.01.2010).
"Sache" im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG und demnach Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht ist im vorliegenden Fall die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz durch das BFA (vgl. VwGH 12.10.2015, Zl. Ra 2015/22/0115, mit Verweis auf VwGH 18.12.2014, Zl. Ra 2014/07/0002, 0003; VwGH 23.06.2015, Zl. Ra 2015/22/0040; VwGH 16.09.2015, Zl. Ra 2015/22/0082 bis 0084).
Da der das Erstverfahren beendende Bescheid nicht rechtswirksam zugestellt wurde, ist dieses Asylverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, sondern weiterhin beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig. Die Zurückweisung eines Folgeantrages wegen entschiedener Sache kam davon ausgehend von vornherein nicht in Betracht, sodass der angefochtene Bescheid gem. § 28 Abs. 2 VwGVG zu beheben war.
3.10. Nur vollständigkeitshalber wird darauf hingewiesen, dass aufgrund der derzeitigen aufrechten Meldung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ein Vorgehen nach § 24 Abs. 1 iVm Abs. 3 AsylG (Unterlassen einer Einvernahme vor dem BFA) nicht angezeigt ist.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu Spruchpunkt B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. insb. VwGH 19.03.2013, 2011/21/0244 und VwGH 27.04.2006, 2005/20/0645). Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Anhängigkeit, Folgeantrag, Meldepflicht, Mitwirkungspflicht,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W220.2200541.1.00Zuletzt aktualisiert am
01.08.2018