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L10103 Stadtrecht Niederösterreich;Norm
AVG §73 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, in der Beschwerdesache 1. des Dipl. Ing. Reinhard Pfoser, 2. der Helene Pfoser und 3. des Ing. Walter Hahn, sämtliche in St. Pölten, vertreten durch Dr. Stefan Gloß, Rechtsanwalt in St. Pölten, Wiener Straße 3, gegen den Stadtsenat der Landeshauptstadt St. Pölten wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Bauangelegenheit, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
In ihrer am 26. November 1999 beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachten, auf Art. 132 B-VG gestützten Säumnisbeschwerde brachten die Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, sie hätten als Nachbarn gegen den Baubewilligungsbescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt St. Pölten vom 8. März 1999, mit welchem der Wilhelm Mayer Kunstmühle GmbH die Baubewilligung für die Errichtung einer Wohnhausanlage erteilt worden sei, mit Schriftsatz vom 23. März 1999, zur Post gegeben am 24. März 1999 bzw. 6. April 1999, Berufung erhoben. Obwohl die im Gesetz vorgesehene Frist von einem halben Jahr zur Entscheidung über die Berufung bereits abgelaufen sei, habe die belangte Behörde nicht entschieden. Es werde daher beantragt, der Verwaltungsgerichtshof möge im Sinne der Berufungsanträge nunmehr in der Sache selbst entscheiden.
Gemäß § 27 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat.
Gemäß § 73 Abs. 1 AVG sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Nach Abs. 2 dieses Paragraphen geht, wenn der Partei innerhalb dieser Frist der Bescheid nicht zugestellt wird, auf ihren schriftlichen Antrag die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei der Oberbehörde einzubringen.
Der gegenständlichen Säumnisbeschwerde liegt eine von der Baubehörde erster Instanz erteilte Baubewilligung zugrunde. Hiebei handelt es sich um eine Angelegenheit, die in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt (vgl. hiezu § 3 der NÖ Bauordnung 1996; Art. 118 Abs. 3 Z. 9 B-VG; § 32 Abs. 2 Z. 9 St. Pöltner Stadtrecht 1977, LGBl. 1015-10; § 14 Abs. 2 lit. i des mit 1. Jänner 2000 in Kraft getretenen
NÖ Stadtrechtsorganisationsgesetzes - NÖ STROG, LGBl. 1026-0).
Gemäß § 7 des für die Frage der Zulässigkeit der Säumnisbeschwerde hier anzuwendenden St. Pöltner Stadtrechtes 1977 sind zur Besorgung der Aufgaben der Stadt als Organe berufen u. a. der Gemeinderat (Z. 1) und der Stadtsenat (Z. 2). Gemäß § 38 Abs. 1 St. Pöltner Stadtrecht 1977 entscheidet der Stadtsenat in allen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, die keinem anderen Organ ausdrücklich vorbehalten sind. Gemäß § 38 Abs. 3 Z. 7 des St. Pöltner Stadtrechtes 1977 sind dem Stadtsenat in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches die Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide des Magistrates im eigenen Wirkungsbereich und die Ausübung der in den verfahrensgesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen oberbehördlichen Befugnisse ausdrücklich vorbehalten.
Im § 37 St. Pöltner Stadtrecht 1977 wird der Wirkungsbereich des Gemeinderates näher umschrieben und es werden die dem Gemeinderat zugewiesenen Aufgaben näher aufgezählt mit dem Hinweis, dass dem Gemeinderat auch jene Aufgaben zukommen, "die ihm durch andere gesetzliche Bestimmungen zugewiesen sind".
Im Instanzenzug ist somit in Angelegenheiten des Wirkungskreises der Stadt St. Pölten nach der Rechtslage des St. Pöltner Stadtrechtes 1977 der Stadtsenat die oberste Behörde im Sinne des § 27 VwGG.
Entscheidend ist im vorliegenden Fall jedoch, ob es im Verhältnis zum Stadtsenat eine sachlich in Betracht kommende Oberbehörde gibt, weil die die Organisation und das Handeln einer Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich maßgebende Organisationsnorm nicht ausdrücklich und mit den Worten des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes eine "sachlich in Betracht kommende Oberbehörde" normieren muss, damit von der Existenz einer solchen ausgegangen werden kann (vgl. hiezu den hg. Beschluss eines verstärkten Senates vom 24. April 1986, Slg. Nr. 12.123/A). Eine sachlich in Betracht kommende Oberbehörde ist u.a. jene, die - bei Ausschluss eines ordentlichen Rechtsmittels - durch Ausübung des Weisungs- und Aufsichtsrechtes den Inhalt der unterbliebenen Entscheidung hätte bestimmen können. Die Möglichkeit, den Verwaltungsgerichtshof mit einer Säumnisbeschwerde anzurufen, setzt voraus, dass die oberste Verwaltungsbehörde, die nach den in Frage kommenden Vorschriften das Recht hat, den Inhalt der unterbliebenen Entscheidung zu bestimmen, angerufen wurde und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat. Jede derartige Behörde ist sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im Sinne des § 73 Abs. 2 AVG und muss von der Partei zuvor im Devolutionsweg angerufen worden sein, damit eine Säumnisbeschwerde zulässig werden kann (vgl. hiezu den bereits vorzitierten hg. Beschluss eines verstärkten Senates vom 24. April 1986, mit weiteren Nachweisen).
Gemäß Art. 118 Abs. 5 B-VG sind der Bürgermeister, die Mitglieder des Gemeindevorstandes (Stadtrates, Stadtsenates) und allenfalls bestellte andere Organe der Gemeinde für die Erfüllung ihrer dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugehörigen Aufgaben dem Gemeinderat verantwortlich. Der Gemeinderat hat somit das oberste Organ der Gemeinde zu sein und ist mit Rücksicht auf diese Stellung gegenüber den anderen zur Besorgung der Aufgaben der Stadt berufenen Organen der Gemeinde jedenfalls insoweit, als sie im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde tätig werden, vorgesetztes Organ und weisungsberechtigt (vgl. auch hiezu den hg. Beschluss vom 30. September 1997, Zl. 97/05/0160, mit weiteren Nachweisen). Die Regelung des § 38 Abs. 3 Z. 7 St. Pöltner Stadtrecht 1977 enthält keine Aussage darüber, dass gegenüber dem Stadtsenat nicht der Gemeinderat als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im Sinne des § 73 AVG in Betracht kommt. Es ist zwar nicht ausdrücklich die Rede davon, dass der Gemeinderat die gegenüber dem Stadtsenat in den verfahrensgesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen oberbehördlichen Befugnisse ausübt, eine ausdrückliche Regelung einer solchen Annahme steht aber dem St. Pöltner Stadtrecht 1977 auch nicht entgegen. Aus der im § 37 Abs. 1 leg. cit. enthaltenen Formulierung, "dem Gemeinderat sind außer jenen Aufgaben, die ihm durch andere gesetzliche Bestimmungen zugewiesen sind, vorbehalten", ist im Zusammenhang mit Art. 118 Abs. 5 B-VG vielmehr abzuleiten, dass dann, wenn auch der Stadtsenat seiner Entscheidungspflicht nicht nachkommt, der Gemeinderat anzurufen ist, weil der Gemeinderat nach der letztgenannten Norm als oberstes Organ der Gemeinde zur Überwachung der Vollziehung in allen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde berufen ist (vgl. nochmals den bereits zitierten hg. Beschluss vom 30. September 1997, Zl. 97/05/0160, mit weiteren Nachweisen).
Der Gemeinderat ist somit als oberstes Organ anzusehen, welches im Wege des § 73 Abs. 2 AVG angerufen werden kann und auch angerufen werden muss, damit die Voraussetzungen einer Säumnisbeschwerde geschaffen werden.
Der Zulässigkeit der Säumnisbeschwerde steht somit die Nichterschöpfung des in den §§ 27 VwGG und 73 AVG geregelten Devolutionsrechtszuges entgegen, weshalb die Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen war.
Wien, am 25. Jänner 2000
Schlagworte
Anrufung der obersten BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999050256.X00Im RIS seit
14.11.2001