Entscheidungsdatum
13.07.2018Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W230 2200654-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Philipp CEDE, LL.M., über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch das Land Steiermark, dieses vertreten durch RA Mag. Ronald FRÜHWIRTH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2018, Zl. XXXX , zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 1, 2, 5 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Dem Bundesverwaltungsgericht wurde ein am 05.07.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) eingebrachtes, als "Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG" bezeichnetes Rechtsmittel vorgelegt, das sich auf einen Bescheid vom 23.06.2018 bezieht, der zeitlich einem in der gleichen Sache ergangenen Bescheid vom 09.04.2018 nachgefolgt war. Dieses langte am 11.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, laut angefochtenem Bescheid am XXXX geboren, und stellte am 03.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Fax vom 03.11.2017 langte bei der belangten Behörde ein Schreiben ein, mit dem ein Rechtsanwalt seine Bevollmächtigung durch den für den Beschwerdeführer zuständigen Jugend- und Kinderhilfeträger anzeigte und künftige Zustellungen zu seinen Handen beantragte.
Am 09.04.2018 erließ die belangte Behörde einen Bescheid, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 03.01.2016 abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt wurde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gleichzeitig setzte sie für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft fest (Spruchpunkt VI.).
Dieser Bescheid wurde dem anwaltlichen Vertreter des Beschwerdeführers am 12.04.2018 mit RSa-Schreiben zugestellt. Am 14.05.2018 brachte dieser eine Beschwerde ein, mit der er den Bescheid in seinem gesamten Umfang anfocht. Gründe enthält das Beschwerdevorbringen erkennbar nur bezüglich der Spruchpunkte I. und II. des Bescheids vom 09.04.2018. Die belangte Behörde führte sodann weitere Ermittlungsschritte durch.
Am 23.06.2018 erließ die belangte Behörde neuerlich einen Bescheid, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 03.01.2016 abgewiesen wurde (Spruchpunkte I. und II.), ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurde (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde (Spruchpunkt IV.), festgestellt wurde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft festgesetzt wurde (Spruchpunkt VI.). In der Begründung erwähnt der Bescheid im Kapitel "Verfahrensgang" nach Wiedergabe des bisherigen Schriftverkehrs und der bisherigen Einvernahmen (jedoch ohne
Erwähnung des Bescheides vom 09.04.2018), dass "am 14.05. ... bei
der ho. Behörde fristgerecht die Beschwerde [des] rechtlichen Vertreters [des Asylwerbers] eingelangt" sei und dass darin Verfahrensmängel vorgebracht worden seien. Anschließend stellt die Behörde ihre nach diesem Zeitpunkt gesetzten Verfahrenshandlungen dar. Die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides ist identisch mit jener des Bescheides vom 09.04.2018 und weist auf die Möglichkeit hin, gegen den Bescheid "Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht" zu erheben und das Erfordernis, diese Beschwerde "innerhalb von 4 Wochen nach Zustellung dieses Bescheides schriftlich bei [der belangten Behörde] einzubringen". Dieser Bescheid wurde dem anwaltlichen Vertreter des Beschwerdeführers am 27.06.2018 mit RSa-Schrieben zugestellt.
Dagegen richtet sich das am 05.07.2018 bei der belangten Behörde eingebrachte, als "Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG" bezeichnete, Rechtsmittel.
2. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt ist unstrittig und aktenkundig.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Zur ersatzlosen Behebung des Bescheides vom 23.06.2018
Bevor inhaltlich auf das Anliegen des Beschwerdeführers eingegangen werden kann, ist zu klären, ob der angefochtene Bescheid vom 23.06.2018 als Beschwerdevorentscheidung qualifiziert werden kann, oder - unzulässigerweise - als neuerlicher "Ausgangsbescheid" in derselben Sache erlassen wurde, die die belangte Behörde bereits mit Bescheid vom 09.04.2018 erledigt hatte.
Der Bescheid vom 23.06.2018 ist nicht als "Beschwerdevorentscheidung" bezeichnet. Er ist mit der Überschrift "Bescheid" versehen und enthält nirgends das Wort "Beschwerdevorentscheidung". Auch sein Spruch spricht gegen eine Deutung als Beschwerdevorentscheidung; dieser nimmt nicht auf eine durch den Bescheid nunmehr erledigte Beschwerde gegen einen bereits erlassenen Bescheid Bezug, sondern bringt den Willen zum Ausdruck, unmittelbar den "Antrag auf internationalen Schutz vom 31.01.2016" zu erledigen. Der Bescheid nimmt auch an keiner Stelle Bezug auf die die Erlassung von Beschwerdevorentscheidungen regelnden Vorschriften der §§ 14 und 15 VwGVG. Der angefochtene Bescheid geht zwar in der Beweiswürdigung näher auf einen nach Beschwerdeerhebung und offenbar aus Anlass der Beschwerde eingeholten Befund ein, allein daraus lässt sich aber nicht mit ausreichender Deutlichkeit ableiten, dass die Behörde mit dem Bescheid vom 23.06.2018 die Rechtsform der Beschwerdevorentscheidung gewählt hat. Der Bescheid beschäftigt sich auch nicht damit, ob die eingebrachte Beschwerde rechtzeitig und auch sonst zulässig erhoben worden ist. Gegen den Charakter einer Beschwerdevorentscheidung spricht auch, dass der Bescheid vom 23.06.2018 inhaltlich die Spruchpunkte III., IV., V. und VI. enthält und näher behandelt, obwohl die eingebrachte Beschwerde keine Beschwerdegründe hinsichtlich der entsprechenden Spruchpunkte des Bescheides vom 09.04.2018 enthält (zum entsprechenden Formerfordernis s § 9 Abs. 1 Z 4 VwGVG) und auch kein Verbesserungsauftrag zur Nachholung solcher Beschwerdegründe ergangen ist. Aus der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 23.06.2018 ergibt sich nichts, was auf seine Eigenschaft als Beschwerdevorentscheidung hinweisen könnte. Sie enthält keine Hinweise auf die für Beschwerdevorentscheidungen relevante Frist von 2 Wochen zur Einbringung eines Vorlageantrags (§ 15 VwGVG), sondern belehrt über die für "Ausgangsbescheide" maßgebliche Frist von 4 Wochen (§ 7 Abs. 4 VwGVG) sowie über das Recht, "Beschwerde" an das Bundesverwaltungsgericht zu erheben.
Das Bundesverwaltungsgericht kann es dahingestellt lassen, ob die Qualifikation eines Bescheides als Beschwerdevorentscheidung zwingend erfordert, dass dieser ausdrücklich die Normen der §§ 14, 15 VwGVG zitiert oder ausdrücklich als "Beschwerdevorentscheidung" bezeichnet ist. Selbst wenn dies nicht notwendig sein sollte, muss doch der Charakter als Beschwerdevorentscheidung aus der Erledigung selbst, und zwar, wenn schon nicht aus deren Spruch, so zumindest aus der Begründung (oder wenigstens der Rechtsmittelbelehrung) hinreichend erkennbar werden.
Aus der Erledigung selbst ist im vorliegenden Fall daher zu schließen, dass diese keine Beschwerdevorentscheidung, sondern einen "Ausgangsbescheid" darstellt (zur - sinngemäß auf das vorliegende Phänomen übertragbare - Judikatur des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes zur Abgrenzung, ob ein konkreter Bescheid als Mandatsbescheid oder als herkömmlicher Bescheid zu deuten ist, vgl. auch die Judikaturnachweise bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 57 [Stand 1.7.2005, rdb.at] Rz 13).
Durch die Erlassung eines zweiten "Ausgangsbescheids" (vom 23.06.2018) in derselben Sache, in der bereits ein Bescheid (vom 09.04.2018) ergangen war, verletzte die belangte Behörde das (auch in § 68 AVG zum Ausdruck kommende) Gebot der Unwiederholbarkeit, weil auch kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass (etwa wegen geänderter Sach- oder Rechtslage) über eine "neue Sache" zu entscheiden gewesen wäre. Wurde über einen bestimmten Sachverhalt bescheidmäßig abgesprochen, kann bei Gleichbleiben der tatsächlichen Verhältnisse und rechtlichen Grundlagen keine weitere Entscheidung in dieser Sache (nicht einmal eine gleichlautende, "bestätigende") Erledigung ergehen (Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 [Stand 1.3.2018, rdb.at] Rz 20). Die Unwiederholbarkeit tritt bereits mit Erlassung des Bescheides ein (aaO Rz 21). Ausnahmen von der Unwiederholbarkeit gälten zwar insofern, als nach Einbringung eines rechtzeitigen und zulässigen Rechtsmittels (hier: der Beschwerde gegen den Bescheid vom 09.04.2018) in derselben Sache eine Rechtsmittelentscheidung, sei es durch das Verwaltungsgericht oder durch die Behörde ergehen kann (im letztgenannten Fall aber eben nur in Form einer Beschwerdevorentscheidung, die ihrerseits spezielle Rechtsfolgen und Fristen auslöst). Außerhalb dieser Ausnahmen für Rechtsmittelentscheidungen sieht § 68 AVG noch weitere Möglichkeiten der Behörde zum Eingriff in die Unwiederholbarkeitswirkung vor, die hier allerdings nicht in Betracht kommen. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht auch nicht, dass § 68 Abs. 2 AVG es zulässt, noch während eines anhängigen Beschwerdeverfahrens einen neuerlichen Bescheid in derselben Sache zu erlassen, und dass "die Anhängigkeit einer zulässigen Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht einer Anwendung des § 68 Abs. 2 AVG nicht zuwiderläuft" (VwGH 16.11.2015, VwGH Ra 2015/12/0029 [=VwSlg. 19.245 A/2015]), dies gilt allerdings nur im Fall, dass sich ein solcher neuerlicher Bescheid für den Beschwerdeführer als den bisherigen Bescheid aufhebend oder (begünstigend) abändernd auswirkt, sohin gleichsam auf eine (zumindest partielle) Klaglosstellung hinausliefe, nicht aber im hier gegebenen Fall einer bloßen Wiederholung der bisherigen Bescheidlage.
Dass der Beschwerdeführer sein dagegen erhobenes Rechtsmittel als "Vorlageantrag" bezeichnet hat, kann an der Interpretation des Bescheides nichts ändern, weil es dafür nur auf seinen objektiven Inhalt, nicht aber auf später geäußerte Auffassungen des Bescheidadressaten oder seiner Vertreter ankommt. Dennoch ist das Rechtsmittel als (zulässige) Beschwerde zu werten. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vermag die unrichtige Bezeichnung eines Rechtsmittels allein dessen Unzulässigkeit nicht zu begründen; für die Beurteilung des Charakters einer Eingabe sind vielmehr ihr wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen lässt, und die Art des in diesem Antrag gestellten Begehrens maßgeblich (vgl. VwGH 26.02.2003, 2002/17/0279 und 0280, mwN).
Die gegen den Bescheid vom 23.06.2018 erhobene Beschwerde ist auch zulässig, gemäß § 27 VwGVG besteht im Hinblick auf den hier herangezogenen Aufhebungsgrund auch keine Bindung an Beschwerdegründe.
Als Ergebnis ist festzuhalten, dass der Bescheid vom 23.06.2018 zwar wirksam zustande kam, aber rechtswidrig ist, weil er im anzuwendenden Verfahrensrecht keine Deckung findet. Der unter Verletzung des Gebots der Unwiederholbarkeit ergangene Bescheid vom 23.06.2018 war daher ersatzlos zu beheben, dies mit dem Ergebnis, dass sich die Behörde neuerlich mit der Beschwerde zu befassen hat (vgl. zur Kategorie der ersatzlosen Behebung mit gleichzeitiger Pflicht der Behörde, unter Beachtung der ihr überbundenen Rechtsansicht weitere Verfahrensschritte zu setzen: Leeb in Hengstschläger/Leeb §28 VwGVG [Stand 15.2.2017, rdb.at] Rz 76):
Durch die Aufhebung tritt das Beschwerdeverfahren in jenes Stadium zurück, in dem es sich zum Zeitpunkt der Erlassung des aufgehobenen Bescheides befand.
Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung hat im vorliegenden Fall mit Einlangen der Beschwerde bei der belangten Behörde zu laufen begonnen, das war der 14.05.2018 (vgl. zB Gruber in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2015] § 14 Rz 10 mwN). Sie war zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 23.06.2018 (diese erfolgte am 27.06.2018) noch im Umfang von etwas mehr als zwei Wochen unverbraucht.
Bei diesem Ergebnis wird die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren darüber zu befinden haben, ob Sie die bereits eingebrachte Beschwerde selbst (allenfalls nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens) in Form einer Beschwerdevorentscheidung behandelt (wobei in diesem Fall auch näher auf die eingelangten Unterstützungsschreiben und den Sachverhalt einzugehen sein wird, den die belangte Behörde damit als belegt oder nicht belegt ansieht; dieser Sachverhalt wird entsprechend in der Interessenabwägung zu berücksichtigen sein).
Aus dem dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Vorlageschreiben der belangten Behörde geht nicht hervor, dass die belangte Behörde auf Ihre Möglichkeit, eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen, zugunsten einer endgültigen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts verzichten wollte. Das Schreiben lässt dies im Unklaren (und kann damit im Zweifel nicht im Sinne eines solchen Verzichts gedeutet werden), weil die Behörde (fälschlich) möglicherweise der Auffassung war, dass ihr Bescheid als Beschwerdevorentscheidung zu qualifizieren war. Eine derartige Auffassung lag möglicherweise auch dem Vorlageantrag des Beschwerdeführers zugrunde, dessen Formulierung (und Einbringung innerhalb zweiwöchiger Frist) aber auch durch advokatorische Vorsicht bedingt sein könnte.
Von einer mündlichen Verhandlung konnte das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG Abstand nehmen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil die Entscheidung im Wesentlichen von der Deutung eines Bescheides abhängt und dazu die in der Entscheidung zitierte Rechtsprechung vorliegt (zB iZm. der Deutung als Mandatsbescheid). Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Ausgangsbescheid, Behebung der Entscheidung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W230.2200654.1.00Zuletzt aktualisiert am
31.07.2018