TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/18 W123 2179850-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.07.2018
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Entscheidungsdatum

18.07.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W123 2179850-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.11.2017, 1100116108/152048155, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung

A)

beschlossen:

I. Das Verfahren hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird eingestellt.

und zu Recht erkannt:

II. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass es zu lauten hat:

"Der Beschwerdeführerin wird gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird der Beschwerdeführerin eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 18.07.2019 erteilt."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige, stellte am 21.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 23.12.2015 erfolgten Erstbefragung brachte die Beschwerdeführerin zu ihrem Fluchtgrund vor, dass die Taliban ihren Vater bedroht hätten.

3. Am 02.11.2017 fand eine Einvernahme vor der belangten Behörde statt.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte IV.-VI.).

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

6. Am 22.06.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung statt, an welcher die Beschwerdeführerin teilnahm.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist volljährig und ledig, nennt sich XXXX, ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan und Angehörige der Volksgruppe der Hazara.

Die Beschwerdeführerin wurde in Ghazni geboren und besuchte im Iran zwölf Jahre die Schule und zwei Jahre die Universität. Erwerbstätig war die Beschwerdeführerin jedoch nie.

Die Beschwerdeführerin ist ledig, alleinstehend und verfügt über keine Angehörigen in Afghanistan, zu denen Kontakt besteht und die sie unterstützen könnten. Die Beschwerdeführerin könnte im Falle einer Rückkehr ihre Existenz in Afghanistan nicht mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern.

Der minderjährigen Schwester der Beschwerdeführerin XXXX (W123 2179844-1) wurde in Österreich der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Ihrer Mutter XXXX (W123 2179826-1), ihrem Vater XXXX (W123 2179854-1) sowie ihrem minderjährigen Bruder XXXX (W123 2179835-1) wurde in Österreich gemäß § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Ihrer Schwestern XXXX (W123 2179850-1) wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Ihrem Bruder XXXX (W123 2179857-1) wurde in Österreich der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte IV.-VI.).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 22.06.2018 zog die Beschwerdeführerin die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zurück.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Urkunden.

Die Feststellungen zu Identität, Familienverhältnissen, Herkunft und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin gründen sich auf ihre diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde und in dem Beschwerdeschriftsatz. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin aufkommen lässt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes) ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 161/2013, mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (vgl. insbesondere § 1 BFA-VG).

Zu Spruchpunkt A)

1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.2. Aufgrund der rechtswirksamen Zurückziehung der verfahrensgegenständlichen Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkts I. des angefochtenen Bescheides durch die Beschwerdeführerin, war das Beschwerdeverfahren in dieser Hinsicht daher mit Beschluss einzustellen (vgl. VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).

2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

3.3. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur EMRK betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

Betreffend eine mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK durch Abschiebung eines Antragstellers in seinen Heimatstaat, ergibt sich aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass die bloße Möglichkeit einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, nicht genügt, um seine Abschiebung in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 20.06.2002, 2002/18/0028; 27.02.2001, 98/21/0427).

Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen. (vgl. VwGH 30.06.2001, 97/21/0560; 26.06.1997, 95/21/0294).

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 leg.cit. offen steht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf subsidiären Schutz abzuweisen, wenn in einem Teil des Herkunftsstaates des Asylwerbers vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und dem Asylwerber zugemutet werden kann, sich in diesem Teil aufzuhalten (innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz nicht vorliegen.

In ständiger Rechtsprechung hält der Verwaltungsgerichtshof fest, dass bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. ua VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095; 21.02.2017, Ra 2017/18/0137 jeweils mwN). Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. ua VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0369-11; 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; 08.09.2016, Ra 2016/20/006; 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, mwN). Diese Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (vgl. VwGH 30.09.1993, 93/18/0214). In diesem Zusammenhang verweist der Verwaltungsgerichtshof jüngst auf die ständige Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos darzulegen, dass ihr im Fall der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095 mwN unter Verweis auf EGMR 05.09.2013, 61.204/09, I/Schweden; siehe auch VwGH 21.02.2017, Ra 2017/18/0137).

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG 2005). Ihre Inanspruchnahme muss dem Fremden - im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums - zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort); für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG 2005 K15). Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 AsylG 2005, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium ua die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den "Antrag auf internationalen Schutz" und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bezieht (vgl. hierzu auch VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).

Kommt die Herkunftsregion des Antragstellers als Zielort wegen ihm dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (vgl. VfGH 13.09.2013, U 370/2012 mwN). Betreffend die Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan nahm der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung demzufolge ein willkürliches Vorgehen des (zum damaligen Zeitpunkt noch bestehenden) Asylgerichtshofes an, wenn dieser das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul (und demnach die Zumutbarkeit einer Übersiedlung nach Kabul) für afghanische Asylwerber bejaht hatte, ohne sich weder mit dem in Bezug auf Art. 3 EMRK relevanten Vorhandensein einer Unterkunft bzw. der Möglichkeit der Versorgung an dem von ihm angenommenen Zielort Kabul allgemein auseinanderzusetzen, noch Feststellungen dazu zu treffen, ob Umstände vorliegen, die den Beschwerdeführer auch ohne Vorliegen eines sozialen Netzwerks in Kabul in die Lage versetzen, seinen Lebensunterhalt derart zu sichern, sodass er in keine, in Hinblick auf Art. 3 EMRK relevante, aussichtslose Lage gerät (vgl. ua VfGH 07.06.2013, U 2436/2012; 06.06.2013, U 2666/2012; 13.09.2013, U 370/2012); auch in jüngerer Vergangenheit entschied der Verfassungsgerichtshof, dass das Bundesverwaltungsgericht eine nachvollziehbare Begründung seiner Entscheidung vermissen lässt, wenn es unterlässt, einzelfallbezogene Ermittlungen und Feststellungen zu treffen, dass eine Rückkehr und Neuansiedlung des Beschwerdeführers auch ohne soziale Anknüpfungspunkte in Kabul möglich sei (vgl. VfGH 22.09.2017, E 240/2017; 23.02.2017, E 1197/2016). Seitens des Verfassungsgerichtshofes wurde auch betont, dass es im Falle der Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten Feststellungen dahingehend bedürfe, dass der Asylwerber auf sicherem Weg in seine Herkunftsregion bzw. in den sonst in Betracht kommenden Zielort gelangen könnte (siehe zB VfGH 19.11.2015, E 707/2015).

Der Verwaltungsgerichtshof sprach jüngst in Bezug auf das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative Folgendes aus (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001):

"Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. Mit Bezug auf die Verhältnisse in Afghanistan wurde ausgeführt, es könne zutreffen, dass ein alleinstehender Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und ohne finanzielle Unterstützung in der afghanischen Hauptstadt Kabul (anfangs) mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sei. Soweit es sich aber um einen jungen und gesunden Mann, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, handle, sei - auf der Grundlage der allgemeinen Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat - nicht zu erkennen, dass eine Neuansiedlung in Kabul nicht zugemutet werden könne. Dies stehe auch im Einklang mit der Einschätzung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, denen zufolge es alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität möglich sei, auch ohne Unterstützung durch die Familie in urbaner Umgebung zu leben (vgl. VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0118). Auch der Verfassungsgerichtshof hat in einem jüngst ergangenen Erkenntnis vom 12. Dezember 2017, E 2068/2017, ausgesprochen, dass einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul zugemutet werden könne, und zwar selbst dann, wenn er - wie im entschiedenen Fall - nicht in Afghanistan geboren worden sei, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan habe, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen sei. Dem ist lediglich hinzuzufügen, dass bei dieser Sichtweise dem Kriterium der ‚Zumutbarkeit' neben jenem der Gewährleistung von Schutz vor Verhältnissen, die Art. 3 EMRK widersprechen, durchaus Raum gelassen wird. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr - im Sinne des bisher Gesagten - möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. dazu nochmals VwGH 8.8.2017,Ra 2017/19/0118, mwN)."

3.4. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind:

Für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan reicht es auch nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen. Solche Umstände bzw. Merkmale hat die Beschwerdeführerin im Verfahren dargetan:

Die Beschwerdeführerin ist 29 Jahre alt, ledig und alleinstehend. Sie verfügt zwar über Schulbildung, kann jedoch auf keine Berufserfahrung zurückgreifen und es wurde Zeit ihres Lebens von männlichen Familienmitgliedern für ihren Lebensunterhalt gesorgt. Dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Afghanistan hinreichend finanzielle Unterstützung erlangen könnte, ließ sich nicht ermitteln. Ferner ist in Berücksichtigung zu ziehen, dass die Beschwerdeführerin den überwiegenden Teil ihres Lebens nicht in Afghanistan verbrachte, sondern im Iran. Darüber hinaus sind ihre Eltern und ihre Geschwister außerhalb Afghanistans (Österreich) aufhältig. Zudem verfügt die Beschwerdeführerin - auch aufgrund ihrer langen Abwesenheit - in Afghanistan über keine Familienangehörigen, welche sie in Afghanistan finanziell und/oder mit der Zurverfügungstellung von Wohnraum unterstützen könnten. Es sind auch keine Hinweise hervorgekommen, dass die Beschwerdeführerin über ein sonstiges ausreichendes soziales Netzwerk in Afghanistan verfügt.

Die Beschwerdeführerin wäre daher im Fall der Rückkehr nach Afghanistan vorerst auf sich alleine gestellt und gezwungen, Wohnraum und Unterstützung zu suchen. Diesbezüglich sind - wie bereits dargelegt - die besonderen Umstände der Beschwerdeführerin (Familienstand, Aufenthaltsort und familiäre Anknüpfungspunkte), die nicht mit den Rückkehrbedingungen, die ein junger, gesunder, lediger und erwerbsfähiger Mann zu gewärtigen hat, vergleichbar sind, zu berücksichtigen. Es kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin als alleinstehende Frau in der Lage ist, den unbedingt notwendigen Unterhalt für sich zu erwirtschaften.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 8 Abs. 3 iVm § 11 AsylG 2005, etwa in den als verhältnismäßig sicher eingestuften Regionen, zB Herat oder Mazar-e-Sharif, würde der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Umstände und des Fehlens eines unterstützenden sozialen oder familiären Netzwerks seinerseits in Afghanistan derzeit ebenfalls nicht zur Verfügung stehen. In den verhältnismäßig sicher eingestuften Regionen müsste die Beschwerdeführerin nach einem - wenn auch nur vorläufigen - Wohnraum suchen, ohne jedoch über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten zu verfügen.

Folglich kann daher im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der die Beschwerdeführerin betreffenden individuellen Umstände nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sie im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung der oben dargelegten persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin und der derzeit in Afghanistan vorherrschenden Versorgungsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde.

Da somit in Afghanistan für die Beschwerdeführerin die reale Gefahr einer existenzbedrohenden Situation iSd oben dargestellten Anforderungen besteht, war der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides daher stattzugeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der belangten Behörde oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden von der belangten Behörde für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Folglich war der Beschwerdeführerin die im Spruch angeführte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

3. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides:

Aufgrund der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten und der damit verbundenen Aufenthaltsberechtigung, liegen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 nicht mehr vor.

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

alleinstehende Frau, befristete Aufenthaltsberechtigung,
individuelle Verhältnisse, Rückkehrsituation, subsidiärer Schutz,
Versorgungslage, Zurückziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W123.2179850.1.00

Zuletzt aktualisiert am

31.07.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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