Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer sowie den Anwaltsrichter Dr. Buresch und die Anwaltsrichterin Dr. Klaar als weitere Richter in der Eintragungssache der Antragsteller 1. Dr. W*****, Rechtsanwalt, *****, und 2. V*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Schöberl, Rechtsanwalt in Wien, über die Berufung der Antragsteller gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) vom 16. Jänner 2018, AZ 6305/2017, nach mündlicher Verhandlung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Nach Erhebung einer Vorstellung gegen den abweisenden Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Abteilung IIa) vom 19. September 2017 wies der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. Jänner 2018 den Antrag der Antragsteller auf Eintragung des Zweitantragstellers in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter und Ausstellung einer kleinen Legitimationsurkunde gemäß § 15 Abs 3 RAO ab.
Der Ausschuss (Plenum) begründete seine Entscheidung damit, dass der Zweitantragsteller bosnischer Staatsbürger sei. Nach § 30 Abs 1 RAO sei aber (neben anderen Voraussetzungen) für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter der Nachweis der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu erbringen. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission (OBDK) habe in ähnlich gelagerten Fällen das Erfordernis dieser Eintragungsvoraussetzung bestätigt (Bkv 4/04 [Bulgarien], Bkv 2/06 [Bulgarien], Bkv 10/05 [Ukraine], Bkv 6/04 [Türkei], Bkv 4/10 [Mazedonien], Bkv 1/07 [Russländische Förderation]). Die Entscheidung zu Bkv 4/04 sei vom EuGH im Urteil vom 7. Juli 2011, C-101/10, Pavlov und Famira, auf unionsrechtlicher Ebene ebenfalls bestätigt worden. Auch der VfGH habe in seinem Erkenntnis vom 21. Juni 2007 zu B 978/06 entschieden, dass eine Differenzierung bei der Zulassung zu den Berufsgruppen der Wirtschaftstreuhänder und der Rechtsanwaltschaft nicht verfassungswidrig sei und die Anforderungen bezüglich der Staatsbürgerschaft Teil des rechtspolitischen Ermessens des Gesetzgebers seien.
Die gegen den Bescheid vom 16. Jänner 2018 aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Berufung der Antragsteller ist nicht berechtigt.
Die Berufungswerber räumen ein, dass ihnen bewusst sei, dass die einfachgesetzliche Rechtslage (§ 30 Abs 1 RAO) der Eintragung des Zweitantragstellers in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter derzeit entgegenstehe. Es bestünden jedoch gravierende Bedenken im Hinblick auf die Verfassungsgemäßheit und Unionsrechtskonformität der einfachgesetzlichen Rechtslage.
Die weiteren Ausführungen in der Berufung lassen sich dahin zusammenfassen, dass der Zweitantragsteller über den unbefristeten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfüge, der einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt gewährleiste und sich die Rechtsstellung eines Drittstaatsangehörigen mit verfestigtem Aufenthalt jener von Unionsbürgern annähere. Für diese Personengruppe sehe Art 11 Abs 1 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (im Folgenden: „Daueraufenthalts-RL“) ein Gleichbehandlungsgebot in Bezug auf den Zugang zu einer unselbständigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit vor; darunter falle auch der Rechtsanwaltsberuf, weil dieser nicht mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sei. Eine auf die Staatsbürgerschaft abstellende Zugangsbeschränkung sei unsachlich (in Deutschland, in der Schweiz und in Kanada sei sie – der Rechtslage anderer Staaten folgend – aus dem Gesetz entfernt worden).
Ein Staatsbürgerschaftserfordernis stehe auch dem jedermann zustehenden Grundrecht der Freiheit der Berufswahl und der Berufsausbildung (Art 18 StGG) entgegen; ein öffentliches Interesse an einem generellen Ausschluss von entsprechend qualifizierten Drittstaatsangehörigen von der Rechtsanwaltsausbildung sei nicht zu erkennnen. Als Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina hätte der Zweitantragsteller im Übrigen im Wien des Jahres 1910 als Rechtsanwalt tätig sein können. Aktuell könnte der Zweitantragsteller immerhin Berufsanwärter in dem dem Rechtsanwaltsberuf zunehmend verwandten Beruf des Steuerberaters und Wirtschaftsprüfers werden (und der Erstantragsteller, wäre er Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, könnte ihn als Berufsanwärter beschäftigen), was zu einer unsachlichen Differenzierung führe. Die im angefochtenen Bescheid zitierte Rechtsprechung der OBDK sei durch die zwischenzeitige Rechtsentwicklung überholt. Bei einem Vergleich der Berufsbilder liege der Rechtsanwaltsberuf dem des Steuerberaters und Wirtschaftsprüfers näher als dem des Notars.
Schließlich greife das Staatsbürgerschaftserfordernis ungerechtfertigterweise und unverhältnismäßig in den Schutzbereich des Art 8 EMRK ein. Es führe zu einer unterschiedlichen Behandlung vergleichbarer Sachverhalte ohne sachliche und vernünftige Rechtfertigung (Art 14 EMRK), wie insbesondere auch ein Vergleich mit dem Rechtspraktikantengesetz zeige.
Der Eintragungsantrag werde in eventu dahin modifiziert, dass nur die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter beantragt und der Antrag auf Erteilung der „kleinen LU“ fallen gelassen werde, denn ein Ausbildungsverhältnis müsse jedenfalls begründet werden können.
Angeregt werde eine Vorlage an den VfGH, in eventu die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH.
Dazu wurde erwogen:
1. Insofern sich die Berufungswerber auf das Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 11 Abs 1 lit a der Daueraufenthalts-RL 2003/109/EG berufen, erkennen sie selbst, dass gemäß Art 11 Abs 3 lit a dieser Richtlinie „die Mitgliedstaaten die Zugangsbeschränkungen zu unselbständig und selbständigen Erwerbstätigkeiten, die gemäß den bestehenden nationalen oder gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften eigenen Staatsangehörigen und Unions- oder EWR-Bürgern vorbehalten sind, beibehalten können.“
Dieser Vorbehalt ist ähnlich (sogar noch deutlicher) formuliert wie die in Art 38 Abs 1 erster Gedankenstrich des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien enthaltene Bestimmung, wonach „vorbehaltlich der in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Bedingungen und Modalitäten […] den Arbeitnehmern bulgarischer Staatsangehörigkeit […] eine Behandlung gewährt wird, die […] keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bewirkt.“ Dazu hatte der EuGH in seinem Urteil vom 7. Juli 2011, C-101/10, Pavlov und Famira, in einem von der OBDK im Verfahren Bkv 4/04 eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren ausgesprochen, dass sich das Diskriminierungsverbot des Art 38 Abs 1 erster Gedankenstrich des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien nicht auf nationale Vorschriften erstreckt, die den Zugang zum reglementierten Beruf des Rechtsanwalts betreffen. Im Hinblick auf diese Klärung sieht der Oberste Gerichtshof keinen Anlass, wegen der Auslegung des vergleichbaren Ausnahmetatbestands in Art 11 Abs 3 lit a der Daueraufenthalts-RL ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten.
2. Die Berufungswerber haben Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit des Staatsbürger-schaftserfordernisses nach § 30 Abs 1 RAO, weil sie dadurch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 18 StGG (Freiheit der Berufswahl und der Berufsausbildung) verletzt würden. Während Art 6 StGG (Erwerbsfreiheit) unter einem Gesetzesvorbehalt stehe und nur Staatsbürger begünstige, fehle ein Gesetzesvorbehalt in Art 18 StGG; diese Bestimmung gewährleiste außerdem ein „Jedermannsrecht“.
2.1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung ist Personen vorbehalten, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, jedoch dürfen Unionsbürger aus Gründen der Staatsangehörigkeit nicht diskriminiert werden (VfGH 10. 6. 2010, B 887/09, VfSlg 19.077).
2.2. Der VfGH dehnt in ständiger Judikatur den Gesetzesvorbehalt des Art 6 StGG auch auf Art 18 StGG aus; nach seiner Rechtsprechung widerspricht es nicht Art 18 StGG, wenn durch gesetzliche Vorschriften für den Antritt gewisser Berufe bestimmte Voraussetzungen gefordert werden (etwa VfGH 23. 10. 1981, B 290/79, VfSlg 9263 zur Gewerbeordnung, wonach in Österreich keine vollkommene Gewerbefreiheit bestehe). Das Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl und der Berufsausbildung gemäß Art 18 StGG sieht der VfGH durch einen Bescheid nur dann verletzt, wenn dieser gesetzlos ergangen ist, darin ein Gesetz denkunmöglich angewendet wurde oder er sich auf eine rechtswidrige generelle Norm stützt (VfGH 24. 6. 2010, B 538/09, VfSlg 19.118 im Zusammenhang mit der Nichtzulassung eines Unionsbürgers zur Rechtsanwaltsprüfung mangels Eintragung in eine Liste der Rechtsanwaltsanwärter in Österreich). Eines darüber hinausgehenden „öffentlichen Interesses“ an der Zugangsbeschränkung bedarf es nach dieser Judikatur nicht.
2.3. In dem schon vom Ausschuss zitierten Erkenntnis vom 21. 6. 2007, B 978/06, VfSlg 18.163, hatte der VfGH zum Antrag einer ukrainischen Beschwerdeführerin auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter und auf Erteilung einer Substitutionsberechtigung ausgesprochen, dass es „nicht unsachlich ist, wenn der Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungspielraums den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf österreichischen Staatsbürgern oder Staatsangehörigen von Staaten, die der Europäischen Union angehören oder dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum beigetreten sind – abhängig von deren (staats-)vertraglicher Stellung – vorbehält.“
2.4. Unstrittig besteht kein Übereinkommen, das eine Gleichstellung von Staatsbürgern von Bosnien und Herzegowina mit den in § 30 Abs 1 RAO genannten Staatsangehörigen beim Zugang zum Rechtsanwaltsberuf vorsehen würde. Laut Auffassung des VfGH im Erkenntnis B 978/06 stellt aber „die Differenzierung zwischen Fremden und Angehörigen von Staaten, mit denen solche Abkommen bestehen, und Staatsangehörigen anderer Drittstaaten keine unzulässige Diskriminierung dar.“
2.5. Auch die Ausführungen der Berufung über die inzwischen den Wirtschaftstreuhändern eingeräumten Vertretungsbefugnisse vermögen beim Obersten Gerichtshof keine Bedenken an der Verfassungsgemäßheit des § 30 Abs 1 RAO hervorzurufen, zumal der VfGH im genannten Erkenntnis vom 21. 6. 2007, B 978/06, ausgesprochen hat, „dass es sich bei diesen beiden Berufsgruppen um unterschiedliche Systeme handelt, deren unterschiedliche Behandlung im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegt.“
2.6. Der Oberste Gerichtshof hegt auch keine Bedenken, dass es dem nationalen Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums möglich ist, den Zugang zu bestimmten Berufen gerade im Bereich des Rechtswesens seinen Staatsbürgern und diesen durch völkerrechtliche Akte gleichgestellten Personen vorzubehalten.
3. Auch der Hinweis der Berufung auf Art 8 und Art 14 EMRK und die Entscheidung des EGMR vom 28. 5. 2009, Bsw 26713/05, Bigaeva gegen Griechenland, vermag beim Obersten Gerichtshof keine verfassungsrechtlich relevanten Bedenken zu erwecken. Vielmehr hat der EGMR damals in der Sache ausgeführt:
„Es steht folglich im Ermessen der nationalen Behörden, wie sie die Voraussetzungen des Zugangs zum Anwaltsberuf regeln und ob Voraussetzung dafür die griechische oder EU-Staatsbürgerschaft ist. Die einschlägige Rechtslage, die Angehörige von Drittstaaten vom Anwaltsberuf ausnimmt, stellt daher keine diskriminierende Unterscheidung gegenüber diesen beiden Personengruppen dar. Die auf Art 3 der [griechischen] Anwaltsordnung gegründete Entscheidung der Behörden, der Beschwerdeführerin die Teilnahme an der Anwaltsprüfung zu verwehren, war daher objektiv gerechtfertigt.“
4. Schließlich vermögen auch die Ausführungen, dass das heutige Bosnien und Herzegowina früher Teil der k.u.k.-Monarchie war und dass heute in einzelnen Staaten das Erfordernis der nationalen Staatsangehörigkeit für die Zulassung zum Anwaltsberuf gefallen ist, beim Obersten Gerichtshof keine Bedenken an der Verfassungskonformität des § 30 Abs 1 RAO – gemessen an der aktuellen österreichischen Verfassungslage – zu erwecken.
5. Auf die Frage, ob im Sinne des von den Berufungswerbern gestellten Eventualantrags nur die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter ohne gleichzeitige Erteilung der Substitutionsberechtigung gemäß § 15 Abs 3 RAO zu bewilligen war, muss nicht eingegangen werden, weil schon die Voraussetzungen für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter nicht vorliegen.
6. Der Berufung ist daher der Erfolg zu versagen.
Die von den Berufungswerbern angeregte Vorlage an den EuGH konnte unterbleiben, weil (unklare) Auslegungsfragen unionsrechtlicher Bestimmungen nicht zu klären waren. Da der Oberste Gerichtshof auch keine Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 30 Abs 1 RAO hegt, war auch von einer Anfechtung dieser Bestimmung beim VfGH Abstand zu nehmen.
Textnummer
E122239European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0190OB00001.18P.0712.000Im RIS seit
31.07.2018Zuletzt aktualisiert am
03.01.2020