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98 WohnbauNorm
B-VG Art19 Abs1Leitsatz
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bindung der Landesregierung an einen Antrag der Gemeinde bei Erlassung einer Assanierungsverordnung; keine Bedenken gegen die im StadterneuerungsG geforderte Voraussetzung des Bestehens von dem Assanierungszweck entsprechenden Bebauungsvorschriften für das AssanierungsgebietSpruch
Die beschwerdeführenden Parteien sind durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Die Beschwerdeführer stellten am 10. Dezember 1993 beim Magistrat der Stadt Wien gemäß §9 Abs2 des Stadterneuerungsgesetzes - StEG, BGBl. 287/1974 idF 421/1992, einen Antrag auf Genehmigung eines Kaufvertrages, der am 9. November 1993 zwischen der M ZVersicherungsgesellschaft mbH als Verkäufer und Dr. G und R B als Käufer von 64/888 Anteilen an der Liegenschaft EZ 1768 des Grundbuches der KG Leopoldstadt abgeschlossen worden war. Diese Liegenschaft liegt in einem Gebiet, das durch die Verordnung der Wiener Landesregierung, LGBl. 22/1991, zum Assanierungsgebiet erklärt worden war.
Der Magistrat der Stadt Wien versagte die Genehmigung mit Bescheid vom 10. Juli 1995, Z MA 64 - AS 2/401/93, weil er annahm, daß die Gegenleistung den angemessenen Wert übersteige. Der dagegen erhobenen Berufung hat die Wiener Landesregierung mit Bescheid vom 2. Jänner 1996, Z MD-VfR - Z8 und B46/95, - abgesehen von der Aufhebung des Ausspruches über den Ersatz von Barauslagen - keine Folge gegeben.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Beschwerdeführer behaupten, durch die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung und eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden zu sein.
Inhaltlich bringen sie vor, daß die im bekämpften Bescheid angewendete Verordnung einen Kundmachungsmangel aufweise. Weiters bedeute die Bindung der Wiener Landesregierung bei der Verordnungserlassung einerseits an einen Antrag der Gemeinde und andererseits an das Vorliegen von Bebauungsvorschriften einen unzulässigen Eingriff in die durch Art101 Abs1 B-VG garantierte oberste Vollziehung des Landes durch die Landesregierung.
3. Die Wiener Landesregierung legte die Verwaltungsakten sowie die Akten betreffend das Zustandekommen der Verordnung LGBl. 22/1991 vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß §1 Abs1 StEG kann die Landesregierung durch Verordnung ein Gemeindegebiet oder einen Teil eines Gemeindegebietes, das städtebauliche Mißstände aufweist, die nur durch Assanierungsmaßnahmen beseitigt werden können, zum Assanierungsgebiet erklären.
§5 Abs1 erster Satz StEG lautet:
"Die Verordnung, mit der ein Gemeindegebiet oder ein Teil eines Gemeindegebietes zum Assanierungsgebiet erklärt wird (§1 Abs1), darf nur auf Antrag der Gemeinde oder von mehr als der Hälfte der Eigentümer des in Frage kommenden Gebietes, denen zusammen mehr als die Hälfte der Fläche der für ein Assanierungsvorhaben erforderlichen innerhalb des Assanierungsgebietes (§1 Abs1) gelegenen Grundstücke gehört, erlassen werden, wenn für diese Gebietsteile dem Assanierungszweck entsprechende Bebauungsvorschriften bestehen."
1.2. Die Beschwerde behauptet unter Berufung auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 12183/1989 die Verfassungswidrigkeit des §5 Abs1 StEG mit dem Argument, daß eine Verordnung, mit der ein Gebiet zum Assanierungsgebiet erklärt wird, von der Landesregierung nur erlassen werden könne, wenn ein Antrag entweder einer Gemeinde oder einer bestimmten Anzahl von Eigentümern vorliege. Städtebauliche Mißstände könnten sohin über Initiative der Landesregierung nicht beseitigt werden.
Weiters bringt die Beschwerde vor, die Antragsbefugnis der Eigentümer sei nur in Zusammenarbeit mit der Gemeinde möglich. Denn die Voraussetzung für die Erlassung der Verordnung sei nicht nur der Antrag der Gemeinde oder der Eigentümer, sondern auch das Bestehen entsprechender Bebauungsvorschriften. Es werde dadurch eine Abhängigkeit der Landesregierung von einer Entscheidung der Gemeinde geschaffen, die dem Art101 Abs1 B-VG widerspreche.
1.3. Der Verfassungsgerichtshof teilt diese von den Beschwerdeführern vorgebrachten Bedenken aus folgenden Gründen nicht:
1.3.1. Wie der Gerichtshof bereits in VfSlg. 2332/1952 ausgesprochen hat, ist mit Art101 Abs1 B-VG, demzufolge die oberste Vollziehung des Landes allein von der Landesregierung ausgeübt wird, eine gesetzliche Regelung unvereinbar, durch welche von der Landesregierung eine Verordnung "im Einvernehmen" mit einem anderen Organ und sohin mit diesem "koordiniert" zu erlassen ist. Mit Erk. VfSlg. 6495/1971 wurde ferner eine landesgesetzliche Bestimmung aufgehoben, welche vorsah, daß eine Verordnung der Landesregierung über den Umfang von Schischulgebieten nur über Antrag des Pflichtverbandes der Schilehrer erlassen werden darf.
In VfSlg. 12183/1989 hob der Verfassungsgerichtshof eine Bestimmung des Stmk. Abfallwirtschaftsgesetzes auf, die vorsah, daß die Verordnung zur Abwehr oder Beseitigung von Gefahren lediglich über Antrag von mindestens zwei Dritteln der Gemeinden eines politischen Bezirkes erlassen werden darf. Diese notwendige Voraussetzung wertete der Verfassungsgerichtshof als einen Eingriff in die Entscheidungsbefugnis der Landesregierung als eines obersten Organs der Vollziehung gemäß Art19 Abs1 und 101
B-VG.
Der Verfassungsgerichtshof stellte aber in letzterem Erkenntnis fest, daß eine Antragsbefugnis Dritter auf Erlassung eines Verwaltungsaktes keineswegs immer oder schlechthin als unzulässiger Eingriff in die Entscheidungsbefugnis des mit der Erlassung des Verwaltungsaktes gesetzlich betrauten Verwaltungsorgans verstanden werden darf. Eine Antragsbefugnis bildet nämlich dann keinen derartigen Eingriff, wenn sie zur Durchsetzung von Interessen dient, die wahrzunehmen der Antragsteller berufen ist.
In VfSlg. 12506/1990 hob der Verfassungsgerichtshof eine Bestimmung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes auf, die den Bundesminister bei der Festsetzung von Kontingenten in Verordnungsform an einen gemeinsamen Antrag von kollektivvertragsfähigen Körperschaften band. Zur Begründung führte der Verfassungsgerichtshof aus, daß die Bedeutung einer Festsetzung (Änderung) von Kontingenten, insbesondere die daraus folgende Erschwerung des Bewilligungsverfahrens und der Möglichkeit des Abschlusses von Arbeitsverträgen, über den Rahmen jener Interessen hinausgeht, die wahrzunehmen die kollektivvertragsfähigen Körperschaften in der Weise berufen wären, daß dies eine Bindung des Bundesministers rechtfertigen würde.
1.3.2.1. Auf der Grundlage dieser Vorjudikatur war daher zu prüfen, ob das Interesse an der Antragstellung zur Erlassung einer Verordnung gemäß §5 Abs1 StEG über den Rahmen der von der antragstellenden Gemeinde zu vertretenden Interessen hinausgeht.
Voraussetzung für die Erlassung einer Verordnung gemäß §1 Abs1 StEG ist das Vorliegen städtebaulicher Mißstände, die nur durch Assanierungsmaßnahmen beseitigt werden können. Welche Assanierungsmaßnahmen im einzelnen in Frage kommen und wer diese Assanierungsmaßnahmen zu setzen hat, ist im StEG - das primär als Verfahrensgesetz konzipiert ist - nicht geregelt.
Die Gemeinde als Grundeigentümerin hat zunächst einmal - ebenso wie die übrigen Grundeigentümer - ein Interesse an der Sanierung von Bauten oder an der Neuverbauung von Grundstücken, die in ihrem Eigentum stehen. Sie hat außerdem in ihrer Eigenschaft als Trägerin von Privatrechten die Aufgabe, die städtische Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und für eine Wiederbelebung und funktionsgerechte Verwendung historischer Bauten zu sorgen. Ferner kommt es ihr auch zu, durch Gewährung von Förderungsmitteln einen Beitrag zur Durchführung der Assanierungsmaßnahmen zu leisten. Schließlich liegen auch die mit der Assanierung in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Maßnahmen auf dem Gebiet der örtlichen Baupolizei (zB baupolizeiliche Aufträge) und der örtlichen Raumplanung (Flächenwidmung und Bebauungsplanung) im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der Gemeinde.
Dieses Interesse der Gemeinde wird auch vom StEG anerkannt, indem es zB im §5 Abs2 StEG eine periodische Berichtspflicht der Gemeinde über die im Assanierungsgebiet getroffenen Maßnahmen vorsieht. Weiters spricht für das Interesse der Gemeinde an der Steuerung der Assanierungsmaßnahmen das ihr im §5 Abs4 StEG eingeräumte Recht, Einwendungen gegen die Erklärung eines Gebietes zum Assanierungsgebiet zu erheben, ua. mit dem Argument, daß sie nicht in der Lage sei, die im Zuge der Assanierung erforderlichen öffentlichen Einrichtungen sowie die notwendigen Versorgungsanlagen herzustellen.
Die Festsetzung des Assanierungsgebietes ist schließlich Voraussetzung für die im StEG vorgesehenen Zwangsmaßnahmen, deren Anwendung zur Realisierung von Erneuerungsvorhaben dient oder diese unterstützt. Diese Erneuerungsvorhaben sind aber ebenfalls im Interesse der Gemeinde gelegen.
Diese Interessenslage der Gemeinde zeigt, daß das Antragsrecht der Gemeinde gemäß §5 Abs1 StEG mit dem im Erk. VfSlg. 12183/1989 als verfassungswidrig erkannte Antragsrecht von mindestens zwei Dritteln der Gemeinde eines politischen Bezirks gemäß §15 Abs9 Stmk. Abfallbeseitigungsgesetz nicht vergleichbar ist.
Während hinter dem Antragsrecht gemäß §15 Abs9 leg. cit. das über die Interessen der Gemeinde hinausreichende und damit überörtliche Interesse an der Beseitigung der von Mülldeponien ausgehenden Gefahren stand, bilden den Hintergrund eines Antrages der Gemeinde gemäß §5 Abs1 StEG einerseits die Interessen der Gemeinde als Trägerin von Privatrechten und andererseits die der Gemeinde zugewiesenen Aufgaben auf den Gebieten der örtlichen Baupolizei und der örtlichen Raumplanung.
Gegen die Bindung der Landesregierung an einen Antrag der Gemeinde bei Erlassung einer Assanierungsverordnung bestehen daher unter dem Gesichtspunkt der Art19 Abs1 und 101 B-VG keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
1.3.3. Der Verfassungsgerichtshof hat aber auch keine Bedenken dagegen, daß gemäß §5 Abs1 StEG eine Verordnung gemäß §1 Abs1 leg. cit. nur dann erlassen werden darf, wenn für diese Gebietsteile dem Assanierungszweck entsprechende Bebauungsvorschriften (Flächenwidmungspläne und Bebauungspläne) bestehen.
Voraussetzung für die Erklärung zum Assanierungsgebiet sind gemäß §1 Abs1 StEG städtebauliche Mißstände, die nur durch Assanierungsmaßnahmen beseitigt werden können. Solche Mißstände liegen gemäß §6 Abs1 StEG dann vor, wenn das Gebiet nach seiner vorhandenen Bebauung oder seiner sonstigen Beschaffenheit den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse oder an die Sicherheit der in ihm wohnenden Menschen nicht entspricht. Für die Beurteilung, ob in einem Gebiet städtebauliche Mißstände vorliegen, sind gemäß §6 Abs2 StEG neben der mangelhaften Ausstattung der Wohnhäuser, der Belichtung und Belüftung der Wohnungen, die Zugänglichkeit der Grundstücke, das Maß der baulichen Nutzung, die Auswirkungen einer vorhandenen Mischung von Wohnstätten und Betriebs- und Arbeitsstätten auf die Bewohner sowie die Einwirkungen, die von Grundstücken, Betrieben, Einrichtungen oder Verkehrsanlagen ausgehen, maßgeblich.
Diese Mißstände lassen sich einerseits nur durch bauliche Maßnahmen beseitigen. Andererseits sind isolierte Einzelmaßnahmen nicht geeignet, das Assanierungsziel zu erreichen.
Daher ist eine vorausschauende Planung im Sinne sowohl einer Festlegung der Grundsätze des geordneten Ausbaus des Gebietes in Form eines Flächenwidmungsplanes (zB hier gemäß §4 der Bauordnung für Wien) als auch einer Normierung, in welcher Weise die Grundflächen bebaut werden dürfen, etwa in Form eines Bebauungsplanes (s. §5 leg. cit.), zur Vorherbestimmung baulicher Assanierungsmaßnahmen erforderlich. Der Verfassungsgerichtshof hat daher keine Bedenken dagegen, daß die Erklärung zum Assanierungsgebiet an das Bestehen von Bebauungsvorschriften gebunden ist.
2. Die Beschwerde behauptet aber auch - unter Berufung auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 7463/1974 - die Gesetzwidrigkeit der Verordnung LGBl. für Wien 22/1991. Sie erblickt einen Kundmachungsmangel der Verordnung darin, daß in der Kundmachung der Verordnung auf den Antrag der Gemeinde nicht hingewiesen wurde.
Mit Erkenntnis V157/96, V15/97 vom 1. Oktober 1997, auf dessen ausführliche Begründung verwiesen wird, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß das Fehlen des Hinweises auf den Antrag der Stadt Wien nicht die Gesetzwidrigkeit der Assanierungsverordnung bewirkt.
3. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß der angefochtene Bescheid aufgrund verfassungsrechtlich unbedenklicher Rechtsgrundlagen erlassen wurde. Die behauptete Rechtsverletzung hat daher nicht stattgefunden.
4. Da die Beschwerdeführer nur die Verletzung von Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet haben, war nicht darauf einzugehen, ob die Verletzung eines anderen (verfassungsgesetzlich gewährleisteten) Rechtes vorliegt (zB VfSlg. 9607/1983, 10981/1986).
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Stadterneuerung, Oberste Organe der Vollziehung, Landesregierung, Verordnungserlassung, Bindung (des Verordnungsgebers), Zusammenwirken von BehördenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:B712.1996Dokumentnummer
JFT_10028990_96B00712_00