TE Vwgh Erkenntnis 2018/7/3 Ra 2018/21/0094

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Veröffentlicht am 03.07.2018
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E19103000;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32013L0033 Aufnahme-RL Art2 litb;
32013L0033 Aufnahme-RL Art3 Abs1;
AsylG 2005 §12 Abs1;
AsylG 2005 §12a Abs2;
AVG §56;
AVG §59 Abs1;
BFA-VG 2014 §22a Abs3;
EURallg;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §17;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des C L I, zuletzt in V, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das am 25. April 2018 mündlich verkündete Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, G 308 2193110-1/6Z, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise nach Österreich am 21. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 31. Oktober 2017 zur Gänze abgewiesen; unter einem erging gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung samt Ausspruch gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei.

2 Der in der Folge nach Deutschland weitergereiste Revisionswerber stellte nach seiner Rückkehr nach Österreich am 15. Jänner 2018 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des BFA vom 31. März 2018 - in Verbindung mit der neuerlichen Erlassung einer Rückkehrentscheidung - gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde.

3 Mit Mandatsbescheid des BFA vom 12. April 2018 wurde über den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung verhängt. Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde verkündete das Bundesverwaltungsgericht am Ende der mündlichen Verhandlung vom 25. April 2018 das angefochtene Erkenntnis, mit dem unter Kostenzuspruch an den Bund einerseits die Schubhaftbeschwerde als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A.I.) und andererseits festgestellt wurde, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Die (ordentliche) Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:

5 Die Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des Verwaltungsgerichtes als zulässig und auch als berechtigt, weil das angefochtene Erkenntnis des BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, was auch in der gemäß § 28 Abs. 3 VwGG erstatteten Zulässigkeitsbegründung der Revision zutreffend aufgezeigt wird.

6 Das BVwG legte seiner Entscheidung zugrunde, dass in Bezug auf den Revisionswerber vor allem im Hinblick auf seine Weiterreise nach Deutschland und im Hinblick auf die für 7. Juni 2018 geplante Abschiebung in den Herkunftsstaat Fluchtgefahr bestehe, weshalb der Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht sei. Dass diese Bestimmung im vorliegenden Revisionsfall überhaupt keine taugliche Rechtsgrundlage für Schubhaft darstellen konnte, hat das BVwG - trotz eines diesbezüglichen Einwands des Revisionswerbers im Rahmen des Beschwerdeverfahrens - jedoch nicht beachtet.

7 Dem Revisionswerber kam nämlich aufgrund seines Asylfolgeantrags vom 15. Jänner 2018 gemäß § 12 Abs. 1 AsylG 2005 wieder faktischer Abschiebeschutz zu, der in dieser Konstellation nach innerstaatlichem Recht nur gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen vom BFA mit Bescheid hätte aufgehoben werden können. Ein solcher Bescheid ist im gegenständlichen Fall unstrittig nicht ergangen. Die mit Bescheid vom 31. März 2018 (u.a.) erlassene Rückkehrentscheidung, gegen die dann mit Schriftsatz vom 30. April 2018 Beschwerde erhoben wurde, war aber im Hinblick auf die Anordnung des § 16 Abs. 4 zweiter Satz BFA-VG noch nicht durchführbar. Schon auf dieser Basis galt sowohl bei Verhängung der Schubhaft am 12. April 2018, als auch noch im Zeitpunkt der Erlassung des Fortsetzungsausspruches am 25. April 2018 für den Revisionswerber als "Antragsteller", der "im Hoheitsgebiet verbleiben durfte", gemäß deren Art. 3 Abs. 1 die Aufnahme-RL (Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung vom Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung)). Demzufolge kam gegen ihn Schubhaft gegründet auf § 76 Abs. 2 Z 1 FPG nicht in Betracht (siehe zu einer insoweit vergleichbaren Konstellation VwGH 14.11.2017, Ra 2016/21/0219, unter Bezugnahme auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0009, auf deren Entscheidungsgründe jeweils gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden kann; vgl. auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2018/21/0025).

8 Das BFA führte - im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (im Rahmen der Stellungnahme zum mit der Revision verbundenen Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung) - nunmehr zwar ergänzend ins Treffen, die im Asylfolgeverfahren mit Bescheid vom 31. März 2018 ergangene Rückkehrentscheidung sei mittlerweile ("seit 15.05.2018") durchführbar. Das ändert allerdings nichts daran, dass der für die Fortsetzung der Schubhaft als Titel dienende Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses im Zeitpunkt seiner Erlassung am 25. April 2018 rechtswidrig war. Das gilt auch für die darauf gegründete Haft, die ohne neuen Schubhaftbescheid nicht nachträglich konvalidieren kann (siehe aus der ständigen Rechtsprechung zum Schubhaftbescheid, die auch für den vom BVwG geschaffenen Hafttitel gilt, etwa VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0007, Rn 12, mwN).

9 Das angefochtene Erkenntnis war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

10 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 3. Juli 2018

Schlagworte

Trennbarkeit gesonderter AbspruchMaßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltBesondere RechtsgebieteGemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210094.L00

Im RIS seit

30.07.2018

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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