Entscheidungsdatum
05.05.2018Index
41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
PassG 1992 §14 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin MMag. Dr. Ollram über die Beschwerde des A. B., H.-Straße, Wien, vertreten durch RA, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wien, Magistratsabteilung 62, vom 8.9.2016, …, betreffend die Versagung der Ausstellung
1) eines österreichischen Reisepasses
2) in eventu eines österreichischen Reisepasses für bestimmte Anlassfälle (Notpass)
wegen Annahme der Benützung des Reisepasses zur Förderung der rechtswidrigen Reisetätigkeit eines Fremden (§ 14 Abs. 1 Z 3 lit. c; § 4a Passgesetz 1992) nach mündlicher Verhandlung gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG zu Recht:
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 17 VwGVG iVm § 76 Abs. 1 und § 53 b AVG hat der Beschwerdeführer die in der Verhandlung vom 20.7.2017 angefallenen, mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 4.10.2017, …, bestimmten und dem Verwaltungsgericht Wien durch Anweisung als Barauslagen erwachsenen Gebühren von 135,10 Euro für die Beiziehung des nichtamtlichen Dolmetschers Prof. Mag. Dr. E. binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
III. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG jeweils nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurden der verfahrenseinleitende Antrag des Beschwerdeführers (BF) vom 4.7.2016, eingelangt: 6.7.2016, auf Ausstellung eines Reisepasses sowie der Eventualantrag mit Schreiben vom 22.7.2016, eingelangt: 25.7.2016, auf Ausstellung eines „Notreisepasses“ (§ 4a Passgesetz 1992, nachfolgend: PassG 1992) in der Sache negativ erledigt. Unter Wiedergabe der herangezogenen Rechtsvorschriften, einschlägiger Judikatur, eines gegen den BF vorliegenden Strafbefehls eines deutschen Amtsgerichts wegen „Einschleusens von Ausländern“ nach dem bundesdeutschen Aufenthaltsgesetz sowie der im Behördenverfahren abgegebenen Stellungnahmen ist der Bescheid im Wesentlichen damit begründet, dass bei der Zukunftsprognose nach dem in Rede stehenden Passversagungsgrund des § 14 Abs. 1 Z 3 lit. c PassG 1992 das gesamte bisherige Fehlverhalten des Passwerbers, insbesondere durch individuelle Verwaltungsakte rechtskräftig festgestellte Tathandlungen im In- und Ausland, heranzuziehen seien; erforderlich sei eine materielle Prüfung des Gesamtverhaltens unter Berücksichtigung aller einschlägig relevanter Umstände. Im Licht der EU-Richtlinie 2004/38/EG vom 29.4.2004 habe die Passbehörde nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, inwiefern vom Passwerber noch eine ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr ausgehe, welche die normierte Annahme auch für die Zukunft rechtfertige. Der BF habe durch sein Tatverhalten Schlepperei ausgeübt, indem er gegen Zahlung oder Versprechen eines Geldbetrags 11 irakische Staatsangehörige ohne Befugnis zum Aufenthalt in der BRD, ferner ohne Reisepass oder Ausweisersatz, mit einem PKW über die österreichisch-deutsche Grenze transportiert habe. Der Straftatbestand der Schlepperei, einer organisierten und besonders verwerflichen Kriminalitätsform, der die Tatwiederholung geradezu wesensimmanent sei, bezwecke den Schutz staatlicher Hoheitsrechte, der Freiheit und Gesundheit von (für die Schleppung in Aussicht genommenen) Personen, eines geordneten Fremdenwesens und des öffentlichen Friedens. Im Hinblick auf die in den letzten Jahren massive Steigerung dieser Art von Kriminalität sei bei der Zukunftsprognose ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Besonders negativ sei zu bewerten, dass der BF jeweils eine die vorhandenen PKW-Sitzplätze übersteigende Zahl von Personen, sohin auch Personen ohne Sitz und Gurt unter erheblicher Gefährdung transportiert habe. Der BF habe für diese Fahrten unabhängig von einer faktischen Kontrolle seinen Reisepass benötigt, da die ihm zustehende Reisefreiheit (gemeint von Österreichern nach Deutschland) nicht Passfreiheit bedeute. Nach der Tatbegehung am 8.6.2015 bzw. dem Ende der anschließenden Untersuchungshaft am 1.9.2015 sei noch nicht genug Zeit vergangen, um eine Rückfallsgefahr und die Berührung der genannten öffentlichen Interessen mit hinreichender Sicherheit ausschließen zu können. Im Hinblick auf das hohe Interesse an der Hintanhaltung der Schlepperei sei die Versagung von Pass und Notpass und der damit verbunde Eingriff in die Privatinteressen des BF auch verhältnismäßig. Letztlich sei auch der angegebene Anlass für die Antragstellung, der BF müsse seine Ehefrau und Kinder aufgrund politischer Unruhen (Putschversuch) in der Türkei nach Österreich zurückbegleiten, nicht glaubwürdig und nachvollziehbar dargetan worden.
Dagegen richtet sich die offenkundig fristgerecht und mängelfrei eingebrachte Beschwerde mit dem Begehren, eine Verhandlung durchzuführen und den Bescheid im Sinn einer Antragsstattgabe abzuändern. Im Wesentlichen werden folgende Beschwerdegründe geltend gemacht:
? Es sei kein Versagungsgrund nach dem PassG 1992 erfüllt; die Versagung verletze daher das „Grundrecht“ gemäß den „europäischen Freizügigkeitsbestimmungen“.
? Die in Rede stehenden Transporthandlungen seien nicht rechtswidrig gewesen, da die zu Grunde liegende Grenzöffnung durch die „Organträger“ der BRD und Österreichs (unbeschadet des Weiterbestehens gegenteiliger Gesetze) mit der Folge einer unkontrollierten Grenzüberschreitung durch Flüchtlinge ebenfalls nicht rechtswidrig gewesen sei. Die deutsche Kanzlerin Merkel habe dazu mit dem legendären Satz „Wir schaffen das!“ eingeladen und der österreichische Verteidigungsminister Klug dem Bundesheer nahegelegt, die Fremden an ihren „Wunschzielort“ zu bringen. Da der BF im Hinblick auf diese staatlichen Entscheidungen gehandelt habe, sei ihm eine Rechtswidrigkeit nicht bewusst gewesen. Die Verurteilung durch das bundesdeutsche Gericht, welche überdies in Österreich gegen ihn nicht verwendet werden könne, sei daher inhaltlich unrichtig und der darauf basierende Versagungsbescheid rechtswidrig.
? Die Begehung eines Delikts im In- oder Ausland alleine rechtfertige keine Passentziehungs- bzw. Passversagungsmaßnahme, sondern sei in jedem Einzelfall eine Gefährdungsprognose ausgehend vom individuellen Verhalten des Betroffenen erforderlich. Im Hinblick auf die besonderen Umstände zur Vorfallszeit (staatliche Maßnahmen der „Grenzöffnung“) bestehe von Seiten des BF keine Gefahr mehr und habe er seit dem damaligen Zeitpunkt keine ähnlichen Fahrten unternommen. In Anbetracht der (zum Beschwerdezeitpunkt) verstrichenen Zeit von mehr als einem Jahr könne mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass er „über einen längeren Zeitraum in der Lage sein werde, von der [ihm] unterstellten Schleppung von Flüchtlingen frei zu bleiben“.
? Der Reisepass sei nicht beantragt worden, um Fremde befördern zu können. Auch beim gegenständlichen Vorfall habe der BF den Pass faktisch nicht benützt. Überdies habe er sich für den damaligen Transport kein Geld bezahlen oder versprechen lassen.
? Der Fall auf welchen die Behörde (wohl gemeint: über die zitierte Judikatur) Bezug nehme, sei hinsichtlich der Umstände nicht mit dem vorliegenden vergleichbar.
? Die Behörde habe die (zum Beschwerdezeitpunkt) „gegenwärtige Ausnahmesituation und Säuberungsaktionen in der Türkei“ verkannt und durch die Verweigerung eines Notpasses die Familie des BF gefährdet, welche nur unter männlichem Schutz sicher sei.
In einer im Behördenverfahren erstatteten Stellungnahme mit Schreiben vom 8.8.2016 wurden gleichartige Vorbringen erstattet; ferner wurde dort auf eine (mit dem Notpass-Antrag vom 22.7.2016 vorgelegte) „Niederschrift“ des Dorfvorstehers von C. vom 19.7.2016 verwiesen, in welcher dieser den Urlaub der Familie des BF in der Türkei und deren Angst bestätigt, in Anbetracht des dortigen Militärputschversuchs alleine zu fliegen.
In der ersten Verhandlung vom 8.5.2017 ergänzte der BF sein Vorbringen dahingehend, dass er als Rechtsunkundiger die aus seiner Sicht unkontrollierte Grenzöffnung zur Vorfallszeit nicht als rechtswidrig habe erkennen können. Ferner habe es für den Notpass-Antrag faktisch zwei Anlässe gegeben, zum einen die erwähnte Rückbegleitung der Familienmitglieder nach Österreich und zum anderen den Wunsch des BF, seine 78-jährige kranke und nicht mobile Mutter in der Türkei zu besuchen; der letztgenannte Grund sei nach wie vor gegeben. Beim zweiten Verhandlungstermin vom 20.7.2017 wurden – außerhalb der fortgesetzten Parteivernehmung – keine neuen Vorbringen erstattet.
Am 23.1.2018 sprach der BF ohne Begleitung eines Vertreters in der zuständigen Geschäftsabteilung des VGW vor und teilte mit, ihm sei inzwischen gekündigt worden; ferner behauptete er ohne jede Bescheinigung, den Reisepass nunmehr dringend zu benötigen, um am Begräbnis seines Bruders in der Türkei teilzunehmen.
Aufgrund des Ermittlungsverfahrens ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Der 1967 geborene und nunmehr 50-jährige BF ist österreichischer Staatsbürger und zumindest seit dem Jahr 1995 durchgehend in Österreich, zuletzt in Wien, hauptgemeldet. Jedenfalls von 10.1.2013 bis 7.6.2015 war er hauptberuflich bei der T. GmbH in Wien als Taxilenker beschäftigt. Per 8.6.2015 wurde dieses Dienstverhältnis vom BF freiwillig bzw. einvernehmlich wegen eines für den Sommer geplanten Türkei-Aufenthalts beendet. Ab 18.9.2015 nahm der BF die Beschäftigung beim selben Dienstgeber (diesmal in geringfügigem Ausmaß) wieder auf.
Während seiner ersten Beschäftigungsperiode beim vorgenannten Taxiunternehmen trat der BF in näheren Kontakt mit einem Arbeitskollegen, D., der ihm nur unter seinem Vornamen bekannt war und ist. Gegen Ende dieses Zeitraums bot sich dem BF im Zusammenwirken mit dem D. die Gelegenheit, gegen eine geldwerte oder sonstige vorteilhafte Gegenleistung den Transport von Drittstaatsangehörigen - einer Gruppe potenzieller Asylwerber aus dem nahen Osten, welche weder über gültige Reisedokumente noch über Dokumente für einen legalen Aufenthalt in Deutschland verfügten - über die österreichische Grenze nach Deutschland zu organisieren und durchzuführen. Abgesprochen wurde, dass der Transport in der Nacht vom 7. auf 8.6.2015 mit dem Audi des D., einem (einschließlich Fahrersitz) fünfsitzigen PKW mit dem Wiener Kennzeichen W-6, durchgeführt werden und der BF dabei als Lenker fungieren sollte. Unmittelbares Ziel war der Parkplatz bei einer deutschen Einrichtung der Caritas. Faktisch transportierte der BF in dieser Nacht zumindest eine Charge von fünf Personen, mutmaßlich irakischen Staatsangehörigen, mit dokumentierten Geburtsjahren zwischen 1990 und 1999, sohin Altersangaben zwischen 16 und 25 Jahren. Mangels zureichender Sitze war mindestens eine dieser Personen auf dem Schoß einer anderen platziert oder teilten sich insgesamt vier Personen drei Rückbanksitze; zureichende Sicherheitsgurten waren in Anbetracht der Konzipierung des PKW für vier Beifahrer nicht vorhanden. Kurz nach Mitternacht wurde der vom BF gelenkte Transport von zwei Beamten der deutschen Bundespolizeiinspektion F. gesichtet. Nachdem der BF seine Fahrgäste kurz darauf am Parkplatz einer Caritas-Einrichtung hatte aussteigen lassen, wurde er bei Antritt der Rückfahrt über die B 512 nach Österreich polizeilich angehalten, einer Kontrolle unterzogen und unmittelbar darauf vor Ort in Untersuchungshaft genommen. Während dieser bis zum 1.9.2015 dauernden Inhaftierung in Deutschland erhielt der BF Besuch von Familienangehörigen. Beigestellt wurden ihm zudem zwei deutsche Rechtsanwälte, jedoch bei einschlägigen Unterredungen kein Dolmetscher für die türkische Muttersprache. Der BF kann sich grundsätzlich bzw. für den Alltagsgebrauch zureichend, allenfalls unter mehrmaligem Nachfragen, in einfachem Deutsch verständigen, versteht jedoch keine komplizierteren deutschen Sprachinhalte, umso weniger Rechts- oder sonstige Fachterminologien.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Passau vom 1.9.2015, Aktenzeichen …, wurde über den BF wegen des Delikts „Einschleusen von Ausländern“, nämlich insgesamt 11 (6 + 5) irakischen Staatsangehörigen nach dem deutschen Aufenthaltsgesetz unter Festsetzung einer dreijährigen Probezeit und basierend auf zwei Einzelstrafen zu je 6 Monaten eine bedingte Gesamtfreiheitsstrafe von 10 (sic!) Monaten verhängt. Dieser Bestrafung lag neben dem vorab beschriebenen Personentransport ein weiterer – zeitlich kurz vorangehender –Transport von sechs irakischen Staatsangehörigen zu Grunde, die ein unbekannter Komplize vorab auf der österreichischen Seite mit einem Jeep in Grenznähe verbracht und der BF sodann mit dem Audi als erste Charge über die Grenze gefahren habe. Dass auch der letztgenannte Sachverhalt zutrifft und der BF tatsächlich einen zweiten Transport über die Grenze durchgeführt hat, kann im nunmehrigen Verfahren nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden. In beiden Fällen wurde dem BF im Strafbescheid zur Last gelegt, anderen dazu Hilfe geleistet zu haben, entgegen den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes in das (deutsche) Bundesgebiet einzureisen, wofür er einen Vorteil erhalten habe oder sich versprechen habe lassen. Ferner habe er die Geschleusten dabei einer das Leben gefährdenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung ausgesetzt. Der Strafbefehl wurde vom anwaltlich vertretenen BF nicht mittels Einspruch bekämpft und daher am 16.9.2015 rechtskräftig. Die Strafe ist bislang nicht getilgt. Sonstige gerichtliche Verurteilungen scheinen nach der Aktenlage im österreichischen Strafregister des BF nicht auf.
Am 12.2.2016 endete die Gültigkeit des damals im Besitz des BF befindlichen österreichischen Reisepasses. Im Zuge einer Niederschrift bei der Wohnsitzdienststelle der Passbehörde (Magistratisches Bezirksamt) am 11.2.2016 beantragte der BF die Ausstellung eines neuen österreichischen (Fingerprint-)Reisepasses mit 10-jähriger Gültigkeit für alle Staaten der Welt. Über den Antrag wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wien vom 11.4.2016, …, gemäß § 14 Abs. 1 Z 3 lit. c PassG 1992, sohin aus dem gleichen Grund wie im nunmehrigen Verfahren, abschlägig entschieden. Der damals nicht rechtsfreundlich vertretene BF erhob dagegen nach ausgewiesener Zustellung am 14.4.2016 kein Rechtsmittel; der Bescheid erwuchs per 13.5.2016 in Rechtskraft. Über einen österreichischen Personalausweis verfügt der BF nicht.
Im Rahmen einer erneuten Niederschrift beim Magistratischen Bezirksamt am 4.7.2016 stellte der BF zur Zahl … den nunmehr gegenständlichen verfahrenseinleitenden Antrag. Mit Schriftsatz des ausgewiesenen Vertreters vom 22.7.2016, bei der Behörde eingelangt am 25.7.2016, wurde zusätzlich das gegenständliche Eventualbegehren auf Ausstellung eines Notpasses gestellt. Die damals aus Urlaubsgründen in der Türkei aufhältigen Familienmitglieder des BF, welche von einem Bruder des BF zurück nach Österreich begleitet wurden, befinden sich seit Sommer 2016 wieder in Österreich und wohnen an dessen Wiener Hauptwohnsitz.
Der persönliche Eindruck vom BF besteht im Wesentlichen darin, dass dieser zwar realisiert hat, dass das Mitwirken an Aktionen im illegalen Grenzverkehr unerwartete nachteilige Konsequenzen in der eigenen Interessenssphäre – wie eben eine Passversagung – nach sich ziehen kann. Nicht überzeugend zum Ausdruck gekommen ist jedoch, dass der BF eigenmotiviert die Verantwortung für sein Verhalten übernimmt und die Tragweite und gesellschaftlichen Auswirkungen seines Verhaltens verinnerlicht hat, sondern eher, dass er jede ihm strategisch geratene oder sonst zielführend erscheinende Aussage tätigen würde, um den angestrebten Pass zu erlangen.
Beweisverfahren und Beweiswürdigung:
In der zweiteiligen mündlichen Verhandlung vom 8.5.2017 und 20.7.2017 wurden folgende Beweise aufgenommen bzw. erörtert: Gesamter Inhalt des Behörden- und Gerichtsakts sowie des behördlichen Vorverfahrens zur Zahl …; weitere Parteivorbringen, Parteivernehmung des BF; im amtswegigen Auskunftsverfahren eingeholte Sozialversicherungsdaten.
Der vom ausgewiesenen Vertreter des BF ohne näher spezifizierten Beweisgegenstand als Zeuge namhaft gemachte D. (ehemaliger Arbeitskollege des BF) leistete der ausgewiesenen Ladung des VGW unentschuldigt keine Folge. In Anbetracht des übrigen Ermittlungsergebnisses war die Vernehmung dieses Zeugen für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das VGW nicht ausschlaggebend.
Die relevanten persönlichen Daten, die festgestellten Beschäftigungsverhältnisse des BF und die Verfahrensabläufe bei der belangten Behörde ergeben sich aus den in den Akten aufliegenden unbedenklichen öffentlichen Urkunden. Die Feststellungen zu Umständen und Ausmaß der Bestrafung durch das deutsche Amtsgericht ergeben sich aus der von der Behörde beigeschafften Abschrift des Strafbefehls und dem österreichischen Strafregister. Die dem deutschen Strafverfahren zu Grunde liegenden Ereignisse wurden grundsätzlich ausgehend von den Angaben im Strafbefehl ermittelt, welche jedoch aufgrund der Vorbringen und Aussagen des BF im nunmehrigen Beschwerdeverfahren (teilweise) zu relativieren waren. Einige Angaben des BF erwiesen sich wiederum als unglaubwürdig und daher als Feststellungsgrundlage ungeeignet. Zu nennen ist hier insbesondere die Version der Anbahnung des Fremdentransports und die angebliche Häufung von Zufällen: Dass der BF an seinem letzten (gemeldeten) Arbeitstag beim Taxiunternehmen „T.“ dem D. zufällig an einer Tankstelle im 10. Bezirk begegnet ist, an welcher zufällig fremde Personen warteten, welche gerade ohne die erforderlichen Papiere nach Deutschland reisen wollten, woraufhin der D. (welcher sich allerdings - wiederum zufällig - „etwas krank“ fühlte) und der BF ganz spontan und aus rein humanitären Gründen einen Grenztransport auf eigene Kosten anboten – dies noch mit dem Zusatzaufwand, dass der BF zuerst noch sein Taxi ins Unternehmen zurückbringen und gegen den PKW des D. austauschen musste – erscheint völlig konstruiert und überzeugt nicht. Sollte der D., wie der BF ausgesagt hat, eine eigene Durchführung des Transports mit Hinweis auf Kopfschmerzen bzw. Unwohlsein abgelehnt haben, spricht dies lediglich für einen Vorwand, um das eigene Risiko der Strafffälligkeit zu umgehen und auf den BF abzuwälzen.
Dass der BF ohne jegliche Aussicht auf wirtschaftliche Abgeltung seines Einschreitens gehandelt hätte, erscheint schon insofern unwahrscheinlich, als er den D. – wie er unter Beiziehung eines Dolmetschers selbst präzisierte – „nicht als Freund, eher als Bekannten“ bezeichnen würde (Bl. 84) und nach eigener Aussage nicht einmal dessen Nachnamen kannte (Bl. 63 vs.). Ein unentgeltlicher Freundschaftsdienst im beschriebenen Ausmaß erscheint unter diesen Umständen nicht nachvollziehbar, dies umso weniger, als der BF gerade sein reguläres Arbeitsverhältnis für einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt beendet bzw. unterbrochen hatte. Der BF sprach in diesem Zusammenhang auch nur abstrakt von „humanitären Gründen“ ohne nachvollziehbare Beweggründe für ein unentgeltliches Handeln (etwa ehrenamtliche Tätigkeiten für Hilfsorganisationen o.ä.) darzulegen und ließ auch sonst keine Tendenz zu einem besonderen sozialen Engagement erkennen; allenfalls lag der behauptete Gefälligkeitsdienst auch darin, dem erkrankten D. die von einem dritten in Aussicht gestellte Gegenleistung zu sichern. Die begründete Annahme, dass der BF eine gebotene Gelegenheit zu einem Zuverdienst nutzen wollte, bekräftigt auch der Umstand, dass er auf nähere Befragung in der Verhandlung präzisierte, er habe seine Informationen über eine spontane Grenzöffnung Deutschlands „auch vom Fernsehen aber vor allem auch von Freunden“ bezogen und es habe „viele Taxis“ gegeben, „die hintereinander Leute transportiert haben“ (Bl. 83 vs., 84). Die wiederholte Berufung des Rechtsvertreters auf das einschlägige Statement der deutschen Kanzlerin Merkel („Wir schaffen das!“) wurde vom BF persönlich nicht erwähnt und stammt diese Aussage bekanntlich aus einer Ende August 2015 abgehaltenen Pressekonferenz, während sich der gegenständliche Vorfall zu einem früheren Zeitpunkt der Flüchtlingswelle 2015 ereignete. Der allgemeine persönliche Eindruck vom BF ergibt sich aus dessen Verhalten in der Verhandlung bzw. bei seiner Befragung durch das VGW. Trotz Beiziehung eines Dolmetschers erfolgten seine Antworten nur schleppend und schien ihm weniger daran gelegen, den Sachverhalt aufklären zu helfen und die Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens einzusehen, als um jeden Preis einen Pass zu erlangen.
Dass die fünf vom BF transportierten Personen weder über Reisedokumente für den Grenzübertritt von Österreich nach Deutschland (Pass oder Ausweisersatz) noch für den vorübergehenden oder dauerhaften Aufenthalt in Deutschland verfügten, ergibt sich aus den unmissverständlichen Ausführungen im Strafbefehl vom 1.9.2015 aufgrund der insofern unbedenklichen Ermittlungen durch bundesdeutsche Amtsorgane. Dass auch der BF hiervon ausging, ist nach der Aktenlage grundsätzlich unstrittig, zumal der BF gerade argumentiert, von einer ausnahmsweisen Grenzöffnung für den Weitertransport von (typischerweise ohne eigene bzw. echte Papiere reisenden) Flüchtlingen ausgegangen zu sein.
Der zweite vom Amtsgericht Passau bestrafte Sachverhalt, nämlich ein vorangehend durchgeführter Grenztransport von sechs weiteren hierfür nicht legitimierten Irakern, war im nunmehrigen Verfahren nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisbar. Weder konnte das Amtsgericht selbst Personalien dieser Personen feststellen, noch wurde der BF hier – anders als beim Transport der Fünfergruppe – von der Polizei auf frischer Tat bzw. kurz danach betreten. Im Strafbefehl ist auch nicht dargelegt, worauf das Amtsgericht seine diesbezüglichen Ausführungen stützt. Im Zusammenhalt mit den nachvollziehbar erscheinenden Angaben des BF zur polizeilichen Befragung einzelner Personen aus einer größeren Gruppe am Caritas-Parkplatz ist davon auszugehen, dass das Gericht diese Informationen ausschließlich aus der Wiedergabe dieser Aussagen in den Polizeiberichten bezog. Der dabei noch vor Ort anwesende BF hatte – schon mangels Beiziehung eines Dolmetschers – keine Gelegenheit, auf einen derartigen Vorwurf „vom Hörensagen“ angemessen zu reagieren. Die Verifizierung der Aussagen der befragten Unbekannten, welche den BF womöglich als Transporteur angegeben haben, ist in diesem Verfahren keinesfalls mehr möglich. Das VGW hält es zwar durchaus für möglich, dass de facto zwei Transporte erfolgt sind, zumal der BF dargelegt hat, dass die Polizeibeamten im leeren PKW von Fahrgästen vergessene Windeln und Kinderpflegeprodukte vorgefunden hätten. Da davon auszugehen ist, dass es sich bei den fünf vom Amtsgericht namentlich erfassten Personen gemäß ihren (wenn auch offenbar gefälschten) Personaldokumentationen um eine Gruppe altersmäßig nahe beieinander liegender junger Erwachsener und nicht um die vom BF beschriebene Jungfamilie (Eltern mit Kindern im Volksschulalter) gehandelt hat, kann angenommen werden, dass die erwähnten Objekte von einem vorangehenden Transport stammten. Widersinnig wäre auch die Annahme, dass sich die fünf nachweislich transportierten Personen (gefälschter) Dokumente bedient hätten, deren Daten von ihrer äußeren Erscheinung offenkundig und diametral abweichen. Dennoch bleibt es in dieser Hinsicht mangels weiterer aussagekräftiger Indizien bei bloßen Mutmaßungen, weshalb entsprechende Feststellungen im nunmehrigen Verfahren nicht möglich waren.
Rechtliche Beurteilung:
Zu I:
Gemäß § 2 Abs. 1 erster Satz PassG 1992 bedürfen österreichische Staatsbürger zur Ausreise aus dem Bundesgebiet und zur Einreise in dieses eines gültigen Reisedokumentes (Reisepass oder Passersatz), soweit nicht etwas anderes durch zwischenstaatliche Vereinbarungen bestimmt wird oder internationalen Gepflogenheiten entspricht.
Gemäß § 3 Abs. 1 PassG 1992 werden Reisepässe ausgestellt als
1. gewöhnliche Reisepässe,
2. Dienstpässe,
3. Diplomatenpässe.
Gemäß Abs. 4a Abs. 1 PassG 1992 können für bestimmte Anlassfälle gewöhnliche Reisepässe mit bestimmten technischen Einschränkungen und verkürzter Gültigkeitsdauer ausgestellt werden, wenn
1. der Zeitraum, innerhalb dessen der Passwerber den Reisepass benötigt,
zur Ausstellung eines maschinenlesbaren Reisepasses nicht ausreicht oder
2. der Passwerber vor einer wichtigen und unaufschiebbaren Reise vorübergehend nicht über seinen gewöhnlichen Reisepass verfügt oder
3. der Reisepass nur der Einreise in das Bundesgebiet dient oder
4. die Abnahme der Papillarlinienabdrücke der Finger einer oder beider
Hände vorübergehend nicht möglich ist.
Gemäß § 14 Abs. 1 Z 3 lit. c PassG 1992 sind die Ausstellung, die Erweiterung des Geltungsbereichs und die Änderung eines Reisepasses zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber den Reisepass benützen will, um die rechtswidrige Ein- oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einen Nachbarstaat Österreichs zu fördern.
Gemäß § 15 Abs. 1 FPG (in der nunmehr wie auch im Jahr 2015 geltenden Fassung) benötigen Fremde, sofern durch Bundesgesetz oder durch zwischenstaatliche Vereinbarung nicht anderes bestimmt ist oder nicht anderes internationalen Gepflogenheiten entspricht, zur rechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet (Österreich) und Ausreise aus diesem ein gültiges Reisedokument (Passpflicht).
Die Passversagung ist ein konstitutiver Verwaltungsakt, weshalb (mangels gegenteiliger Regelung in den einschlägigen Verwaltugnsvorschriften) der in § 14 Abs. 1 Z 3 lit. c PassG 1992 vorgesehenen Prognose die Sachlage zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung zu Grunde zu legen ist. Insofern ist hier unbeschadet des (im Bereich des Primärantrags) inhaltsgleichen Vorverfahrens der Behörde nicht von einem Fall der entschiedenen Sache auszugehen, da schon bei Antragstellung und jedenfalls zum Entscheidungszeitpunkt des VGW ein längerer Wohlverhaltenszeitraum in Betracht kommt als bei Rechtskraft des im Vorverfahren ergangenen Abweisungsbescheides.
Gemäß § 73 StGB stehen ausländische Verurteilungen, sofern das Gesetz nicht ausdrücklich auf die Verurteilung durch ein inländisches Gericht abstellt, inländischen gleich, wenn sie den Rechtsbrecher wegen einer Tat schuldig sprechen, die auch nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist, und in einem den Grundsätzen des Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen sind.
Nach der österreichischen wie auch deutschen Rechtsauffassung stellt der rechtskräftige Strafbefehl eines deutschen Amtsgerichts keine Art 6 EMRK entsprechende Verurteilung dar, weil dieser nicht in einem ordentlichen, sondern in einem abgekürzten Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergeht und der ehemaligen (mit der STPO-Novelle BGBl. I 1999/55 entfallenen) Strafverfügung des bezirksgerichtlichen Mandatsverfahrens entspricht. Auch der deutsche BGH sieht keine Parallele zwischen einem solchen Strafbefehl und einem Strafurteil. In nachfolgenden Verfahren vor deutschen Gerichten besteht auch keine Bindungswirkung hinsichtlich der Tatsachenfeststellung, da der Erlass eines Strafbefehls grundsätzlich aufgrund summarischer Überprüfung und Beurteilung des Vorgangs ausschließlich nach der Aktenlage erfolgt, während ein Strafurteil auf der Grundlage eines rechtsstaatlich geordneten, auf Wahrheitsermittlung zielenden Verfahrens beruht (vgl. österr. Disziplinaroberkommission 14.2.2002, 136/6-DOK/01; BGH 12.4.1999, AnwSt (R) 11/98, sg. zit. n. https://www.ra-kotz.de/strafbefehl.htm).
Nach dem Vorgesagten kann im vorliegenden Fall grundsätzlich dahingestellt bleiben, inwiefern das mit dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Passau vom 1.9.2015 geahndete Delikt (in gleichem Ausmaß) auch nach österreichischem Recht strafbar ist bzw. war (vgl. den auch im Juni 2015 gültigen Straftatbestand der Schlepperei nach § 114 FPG), und ob der rechtskräftige Strafbefehl kraft staatsvertraglicher Regelung in Österreich anerkannt oder vollstreckt werden könnte (vgl. VwGH 20.1.2009, 2008/18/0575 mwV). Zur Klärung der Frage, ob ein Sachverhalt vorliegt, der eine Passversagung nach § 14 Abs. 1 Z 3 lit. c PassG 1992 erfordert, waren daher die Umstände der geahndeten Tat erneut im Hinblick auf die dort normierten Voraussetzungen zu würdigen.
Der genannte Versagungstatbestand setzt nach seinem Wortlaut keine rechtswirksame Verurteilung des Passwerbers voraus. Aus der einschlägigen Rechtsprechung des VwGH ergibt sich zunächst, dass – ausgehend vom Anlassfall – eine Prüfung aller Umstände dahingehend vorzunehmen ist, ob sich daraus die Gefahr ergibt, dass der Passwerber das in Rede stehende Reisedokument benützen will, um die rechtswidrige Reisetätigkeit von Fremden im örtlich umschriebenen Bereich zu fördern (vgl. etwa sg. VwGH 15.12.2005, 2002/18/0224; VwGH 17.2.2005, 2002/18/0183). Im Hinblick auf die mit einer Passversagung verbundene Einschränkung des unionsrechtlich zustehenden Rechts auf Freizügigkeit hat sich die Behörde – ebenfalls ausgehend von den Tathandlungen und der dadurch offen gelegten Persönlichkeit – auch damit auseinanderzusetzen, ob vom Passwerber im Zeitpunkt der Entscheidung (allenfalls immer noch) eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr im Sinn der Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG vom 29.4.2004 ausgeht und diese Annahme auch für die Zukunft gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 6.9.2012, 2009/18/0168). Die nach der Judikatur maßgeblichen Bestimmungen dieser Richtlinie lauten:
Artikel 27
Allgemeine Grundsätze
(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.
(2) Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Der Passversagungstatbestand des § 14 Abs. 1 Z 3 lit. c PassG 1992 dient insbesondere der Hintanhaltung des Phänomens der Schlepperei, welche ein Naheverhältnis zur organisierten Kriminalität aufweist und ein geordnetes Zusammenleben der Gesellschaft eines Rechtsstaats (Durchreise- wie auch Zielstaat) grundlegend gefährdet; darüber hinaus dient er der Gewährleistung einer im Interesse der allgemeinen Sicherheit und Ordnung erforderlichen fremdenpolizeilichen Überwachung und Kontrolle des Reiseverkehrs zwischen Gebieten mit unterschiedlicher Staatshoheit.
Auch ein einmaliger Vorfall kann als Tatsache in Betracht kommen, die eine Annahme nach § 14 Abs. 1 Z 3 lit. c PassG 1992 rechtfertigt. Ein relevantes Beurteilungskriterium ist die Dauer des Wohlverhaltens nach dem in Rede stehenden Vorfall, wobei alle Zeiten zu berücksichtigen sind, in welchen sich der Passwerber in Freiheit befand bzw. sich aus eigenem Antrieb wohlverhalten konnte (vgl. etwa VwGH 17.2.2005, 2002/18/0183; VwGH 26.5.2003, 2003/18/0029). Allgemein kommt bei der Erstellung einer Persönlichkeitsprognose der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von der betreffenden Person im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu (vgl. etwa sg. zum gewerberechtlichen Nachsichtsverfahren: VwGH 18.2.2015, Ra 2014/04/0035, mwV).
Gemäß den Sachverhaltsfeststellungen ist in diesem Verfahren davon auszugehen, dass der BF im organisatorischen Zusammenwirken mit seinem ehemaligen Arbeitskollegen D. in der Nacht von 7. auf 8.6.2015 zumindest fünf ihm persönlich gänzlich unbekannte und aus seiner Sicht offenkundig weder zur Durchreise durch Österreich noch zur Einreise nach Deutschland legitimierte Fremde unter Überbelegung des von ihm gelenkten PKWs nach Deutschland transportierte, wobei, wie in der Beweiswürdigung näher ausgeführt wurde, davon auszugehen ist, dass hierfür - in welcher Form auch immer - eine geldwerte Gegenleistung in Aussicht stand. Ein solches Verhalten erfüllt auch das Tatbild der Schlepperei nach § 114 Abs. 1 des österreichischen FPG, und zwar selbst dann, wenn es nur um eine Gegenleistung zugunsten des D. oder eines sonstigen Dritten gegangen sein sollte. Abgesehen davon ist zu bemerken, dass die Handlung gegen Entgelt per se kein Tatbestandsmerkmal des § 14 Abs. 1 Z 3 lit. c PassG 1992 darstellt.
Der BF benötigte für die gegenständliche Transporthandlung auch als österreichischer Staatsbürger seinen Reisepass, da (wie bereits die belangte Behörde richtig bemerkt hat) die unionsrechtlich gewährleistete Freizügigkeit nicht automatisch Entfall der Pass- bzw. Ausweispflicht beim Übertritt in fremdes Staatsgebiet bedeutet. Der BF war und ist auch nicht im Besitz eines ersatzweise einsetzbaren österreichischen Personalausweises. Letztlich wurde, wie der BF in der Verhandlung selbst dargelegt hat, sein Reisepass in der Vorfallsnacht anlässlich der polizeilichen Anhaltung in Deutschland in Erfüllung des Zwecks seiner Mitführung auch faktisch kontrolliert. Im Fall einer (für den BF) negativ ausfallenden Zukunftsprognose ist daher – bei zweckentsprechender Auslegung des § 14 Abs. 1 Z 3 lit. c PassG 1992 – auch von einer entsprechenden Passbenützungsabsicht auszugehen.
In der Übernahme der entscheidenden Rolle des Fahrzeuglenkers bei einem Personentransport, welcher zumindest fünf illegal reisende Fremde in einem PKW ohne zureichende sicherheitstechnische Ausstattung involvierte und organisatorische Maßnahmen im Zusammenwirken mit zumindest einer weiteren Person erforderte, manifestierte sich beim BF eine niedrige persönliche Hemmschwelle, in erheblichem Ausmaß und unter Sorglosigkeit in Bezug auf die persönliche Sicherheit Dritter an einschlägigen privat organisierten Manövern mitzuwirken. Dass das (zumindest unmittelbare) örtliche Ziel des in Rede stehenden Personentransports eine humanitäre Einrichtung der Caritas war, mildert allenfalls den konkreten Unrechtsgehalt der Schlepperei, ändert jedoch grundsätzlich nichts an den hier prognoserelevanten Umständen. Da der BF bei diesem Vorfall 47 Jahre alt war, kann sein Verhalten auch nicht jugendlicher Unbesonnenheit zugeschrieben werden. Ferner lassen das Tatverhalten des BF wie auch sein Vorbringen im Verfahren eine deutliche Neigung erkennen, sich durch Medienberichte bzw. von Bekannten laienhaft kolportierte „Informationen“, welche nach allgemeinen Erfahrungswerten nicht als verbindliche Rechtsquellen in Betracht kommen, in einem Ausmaß beeinflussen zu lassen, dass er sie gegebenenfalls zu eigenen Zwecken unhinterfragt über das Gesetz stellt. Die in der Verhandlung (via Dolmetscher) gestellte Frage, ob der BF den betreffenden Personentransport für rechtmäßig gehalten habe (Bl. 83 vs.), wurde von ihm unter abstraktem Hinweis auf „humanitäre Gründe“ verneint. Die Verneinung der Frage seines Vertreters, ob er den Transport auch durchgeführt hätte, wenn er gewusst hätte, dass er dafür wegen Gesetzesverstoß „ins Gefängnis muss“ (Bl. 84) versteht sich von selbst und belegt keinen entschuldigenden Rechtsirrtum. Persönliche Reue für das von ihm selbst als rechtlich problematisch erkannte Handeln war beim BF nicht zu erkennen.
Der Vorfall vom 8.6.2015 liegt nunmehr etwas weniger als drei Jahre zurück. Der BF wurde unmittelbar nach seiner Anhaltung in die Untersuchungshaft überstellt, die am Tag der Erlassung des Strafbefehls (1.9.2015) endete. Während der fast dreimonatigen Haftdauer in Deutschland konnte der BF, der damals nur in Kontakt mit Familienangehörigen und beigestellten Rechtsvertretern stand, schon mangels Möglichkeit zu einem selbstbestimmten Aufenthalt kein Wohlverhalten unter Beweis stellen, dem im Rahmen der Prognose nennenswerte Bedeutung zukäme. Seit der Haftentlassung sind etwa zwei Jahre und acht Monate vergangen; die vom Amtsgericht Passau festgesetzte Probezeit ist noch nicht abgelaufen. Das Beschwerdevorbringen, es könne davon ausgegangen werden, dass der BF „über einen längeren Zeitraum in der Lage sein werde“, von der „Schleppung von Flüchtlingen frei zu bleiben“, überzeugt nicht, da der Reisepass für die maximale zehnjährige Gültigkeitsdauer (§ 11 PassG 1992) beantragt wurde und daher eine entsprechend nachhaltige Änderung des Persönlichkeitsbildes erforderlich ist. Im Hinblick auf den tendenziell unkritischen Umgang des BF mit publizitätswirksamen Tagesmeldungen, kann derzeit noch nicht davon ausgegangen werden, dass der Vorfall in Anbetracht besonderer Umstände ein Einzelfall bleiben wird, dies vor allem vor dem Hintergrund, dass Medienberichte aus der Flüchtlingsszene, insbesondere auch im Zusammenhang mit potenziellen Kontingentverschiebungen und Verlagerungen von Flüchtlingen zwischen europäischen Staaten an der Tagesordnung sind. Da sonstige im konkreten Fall für eine positive Prognose sprechende Umstände nicht dargelegt wurden und nach der Aktenlage auch sonst nicht indiziert sind, ist der anrechenbare Wohlverhaltenszeitraum derzeit noch zu kurz, um eine nachhaltige Persönlichkeitsänderung dahingehend anzunehmen, dass sich der BF künftig - etwa im Fall erneuter fremdenrechtlicher Medienberichte mit größerer Publizitätswirkung - dauerhaft von einschlägigen Aktivitäten fernhalten und an derartigen Transaktionen nicht mehr mitwirken wird. Um feststellen zu können, ob die spezialpräventive Wirkung des deutschen Strafurteils beim BF tatsächlich zum Tragen kommt, erscheint es im konkreten Fall geboten, zumindest den Ablauf der Probezeit abzuwarten. Der vorübergehende Eingriff in das Recht des BF auf Freizügigkeit erweist sich insbesondere im Hinblick auf die mit Schleppaktivitäten verbundene Gefährdung der körperlichen Sicherheit von Personen als verhältnismäßig. Ob bzw. nach welchem Zeitraum die Annahme nach § 14 Abs. 1 Z 3 lit. c PassG 1992 im Fall des BF tatsächlich nicht mehr besteht, wäre von der Passbehörde im Rahmen einer späteren Antragstellung zu klären.
§ 4a PassG 1992 räumt der Passbehörde Ermessen ein, in bestimmten, der Art nach taxativ aufgezählten Anlassfällen einen Reisepass mit eingeschränkter Gültigkeitsdauer auszustellen. Abgesehen davon, dass der BF die von ihm geltend gemachten Umstände für eine wichtige und unaufschiebbare Reise iSd § 4a Abs. 1 Z 2 PassG 1992 nicht einmal im Ansatz bescheinigt bzw. hinreichend glaubhaft dargetan hat, handelt es sich bei einem solchen „Notpass“ definitionsgemäß um einen gewöhnlichen Reisepass, der der Überbrückung von technischen Hindernissen oder Verlust- und Diebstahlsfällen dient bzw. dem Staatsbürger zumindest die Rückreise nach Österreich gewährleisten soll. Keinesfalls dient diese Einrichtung dazu, im Raum stehende Passversagungsgründe (wie den hier gegenständlichen) zu kompensieren und liegt hier auch kein Fall vor, in dem der Passwerber iSd § 4a Abs. 1 Z 2 PassG 1992 „vorübergehend nicht über seinen gewöhnlichen Reisepass verfügt“. Abgesehen davon besteht der bei der belangten Behörde geltend gemachte Anlassfall (Rückbegleitung von Ehefrau und Kindern aus dem Urlaub), wie der BF bereits in der ersten Verhandlung bestätigt hat, schon seit Sommer 2016 nicht mehr. Der Vollständigkeit halber ist zu bemerken, dass die Ergänzung neuer „Anlassfälle“ nach § 4a Abs. 1 PassG 1992 im Rechtsmittelverfahren nicht in Betracht kommt, da die diesbezüglich „in Verhandlung stehende Angelegenheit“ dadurch in ihrem Wesen verändert würde. Sollte der BF einen Abspruch über weitere Anlassfälle begehren, wäre hierfür die belangte Behörde zuständig.
Im Ergebnis war der angefochtene Bescheid durch Abweisung der Beschwerde (hinsichtlich Primär- und Eventualantrag) zu bestätigen.
Zu II:
Erwachsen dem VG bei einer Amtshandlung Barauslagen, so hat dafür, sofern nach den Verwaltungsvorschriften nicht auch diese Auslagen von Amts wegen zu tragen sind, gemäß § 17 VwGVG iVm § 76 Abs. 1 AVG die Partei aufzukommen, die den verfahrenseinleitenden Antrag gestellt hat. Als Barauslagen gelten auch die Gebühren, die den (nichtamtlichen) Sachverständigen und Dolmetschern zustehen.
Der zur zweiten Verhandlung vom 20.7.2017 geladene nichtamtliche Dolmetscher war der Verifizierung und Fortsetzung der Parteivernehmung des (im Übrigen rechtskundig vertretenen) BF beizuziehen, welcher der Verhandlung zwar augenscheinlich in Grundzügen folgen konnte, jedoch bei detaillierteren Fragestellungen Schwierigkeiten beim Sprachverständnis und –ausdruck zeigte. Die vom Dolmetscher geltend gemachten Gebühren wurden dem BF in der Verhandlung zur Kenntnis gebracht, im hg. Beschluss vom 4.10.2017, …, geringfügig korrigiert und zwischenzeitlich zur Anweisung gebracht. Die dem VG Wien dadurch erwachsenen Barauslagen waren dem BF in seiner Funktion als Antragsteller im Verfahren vor der belangten Behörde aufzuerlegen.
Zu III:
Gemäß § 25 a Abs. 1 VwGG war die Unzulässigkeit der Revision auszusprechen, da sich in den Beschwerdeverfahren keine entscheidungsrelevanten Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG stellten: Der festgestellte Sachverhalt wirft keine Rechtsfragen auf, die nicht anhand der Leitlinien der (zu Punkt I zitierten) gefestigten und in den relevanten Grundsätzen nicht divergierenden Rechtsprechung gelöst werden könnten. Die Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts stehen zu diesen Grundsätzen in keinem grundlegenden Widerspruch. Die rechtliche Wertung im Rahmen der Prognoseentscheidung erfolgte einzelfallbezogen und unterliegt – ebenso wie die im Ermittlungsverfahren vorgenommene Beweiswürdigung oder die Beurteilung von Beweisanträgen – grundsätzlich nicht der Nachprüfung des VwGH (vgl. VwGH 8.11.2016, Ra 2016/09/0097, VwGH 24.2.2016, Ra 2016/04/0013, mwV).
Auch bei der Entscheidung über den Kostenersatz (Punkt II), die den zitierten Rechtsvorschriften sowie der einschlägigen Rechtsprechung entspricht, stellten sich keine grundsätzlichen Rechtsfragen.
Schlagworte
Reisedokument; Reisepass, Antrag auf Ausstellung; Zukunftsprognose; Fehlverhalten; Versagungsgrund; Entziehungsgrund; Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit; einschleusen; Schlepperei; unrechtmäßige Einreise, Beihilfe zurEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.103.079.14497.2016Zuletzt aktualisiert am
26.07.2018